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DOI: 10.1055/s-0042-1753773
DAS EINGESCHRÄNKTE GESICHTSFELD DER DIGITALEN HEBAMME. EINDRÜCKE AUS EINEM LAUFENDEN FORSCHUNGSPROJEKT
Einleitung Strukturelle Veränderungen führen zu einem Rückgang der Hebammenversorgung[1] (v.a. im ländlichen Raum). Ein Grund: Das Versorgungsdefizit ist auf eine Prävalenz von Gratifikationskrisen[2] zurückzuführen. Abhilfe könnte die Digitalisierung der Hebammenbetreuung (Nachsorge) sein. Die DigitaleHebamme (DH) liefert eine nicht inkrementelle, jedoch eine ‚experimentierende' Lösung dieses Problems. Eine sozialwissenschaftliche Begleitstudie untersucht berufspraktische Implikationen (Modernisierung durch Digitalisierung) der Hebammen. Das Projekt lässt sich im Kontext der digitalen Spätmoderne verorten. Fortschritte in der Informationstechnologie machen Modernisierungsschritte möglich. Selbige wären durch die Rationalisierungsstrategien der Moderne nicht denkbar. Jedoch bleibt es bei einer Modernisierung, die sich insofern als reflexiv[3] erweist, als dass sie auf ihre institutionellen Grundlagen zurückwirkt.
[1] vgl. z. B. Mössinger 2018 – ZHW, S. 20 ff
[2] Mössinger 2016
[3] Beck/Bonß 2001
Methoden
ie Datenerhebung erfolgt durch qualitative Leitfadeninterviews mit Hebammen. Um den Erkenntnisfortschritt/Probleme im Zeitablauf zu dokumentieren, werden mit den projektbeteiligten Hebammen regelmäßig Interviews geführt. Die Auswertung (Kodierverfahren/Grounded Theory[4]) folgt einer synchronen/diachronen Perspektive: Diachron lassen sich die Veränderungen der Behandlungspraxis (Problemidentifikationen/-lösungsversuche) abbilden, synchron ergeben sich Einsichten über praktische Fragen/Probleme der (digitalen) Hebammenpraxis. Im Fokus steht ein interpretativ-explorierendes Forschungsdesign, das auf die Rekonstruktion von Behandlungserfahrungen gerichtet ist.
[4] Strauss 1989
Ergebnisse Zu berichten sind praktische Probleme, die einer synchronen Perspektive zu entnehmen sind: Der körperliche und interaktionsvermittelnde Charakter der Nachsorge kann durch digitale Medien nicht aufrechterhalten werden. Die begrenzten Möglichkeiten der digitalen Kommunikation macht die Hebamme ‚blind‘ für eine Vielzahl der für ihre Bewertung der Behandlungssituation (sinnliche Routine) relevanten Inhalte.
Das Setting verschiebt sich: Gezieltes Nachfragen führt zu Beschaffung von Informationen. Die reduzierte Wahrnehmung lässt sich durch den Kameraeinsatz auf zwei Problemkontexte eingrenzen: Einen medizinischen Bereich und einen sozialen Bereich, die durch die visuellen Endgeräte für die DH sichtbar und nicht sichtbar sind. Bei den sozialen Problemen zeigt die Kamera nur einen Ausschnitt der ‚Vorderbühne[5]‘. Wichtige Kontextinformationen, die sich aus kurzen Blicken auf die ‚Hinterbühne‘, ergeben, können nicht eingeholt werden.
[5] Goffman 1989
Schlussfolgerung Die Befunde werden sich im Fortgang der Untersuchung weiter differenzieren und vor dem Hintergrund einer Prozessperspektive weiter entwickeln lassen. Zu erwarten sind Informationen über Problemlösungen hinsichtlich der digitalen ‚Behinderung‘ der professionellen Wahrnehmung in der Hebammenbetreuung.
Thema: (Sozial-)Epidemiologie
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Publikationsverlauf
Artikel online veröffentlicht:
22. August 2022
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