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DOI: 10.1055/s-0042-1753591
Belastungen, Ressourcen und Versorgungsbedarfe von ungewollt Schwangeren mit Gewalterfahrungen in intimen Paarbeziehungen: ein Realist Review
Einleitung Die Erfahrungen und Lebensumstände, wie Belastungen, Ressourcen, Versorgungsstrukturen und Bedürfnisse, ungewollt Schwangerer mit Erfahrungen von Partnerschaftsgewalt (PG) sind noch weitgehend unerforscht. Die Studie „Erfahrungen und Lebenslagen ungewollt Schwangerer – Angebote der Beratung und Versorgung“ für vulnerable Gruppen (ELSA-VG) zielt darauf ab, die Kontexte, Mechanismen und Folgen in Hinblick auf Ressourcen und Belastungen bei ungewollt schwangeren Frauen mit Erfahrungen in PG und deren Unterstützungs- und Versorgungsbedarfe zu beschreiben. Um sich diesem Ziel zu nähren, wurde ein Realist Review erstellt.
Methoden Nach dem RAMSES-Publikationsstandard wurden die sechs methodischen Schritte eines Realist Reviews auf vorhandene wissenschaftliche Evidenz und graue Literatur angewandt. Ziel des Reviews ist es, die Lebenserfahrungen von Frauen, die von PG betroffen sind und ungewollt schwanger waren zu entschlüsseln. Um die Perspektive der Betroffenen auf die Versorgungssituation einzubeziehen, werden ihre Lebenserfahrungen, Ressourcen und Stressfaktoren kontextualisiert, wobei die Schlüsselfrage „Was funktioniert für wen unter welchen Umständen, wie und warum?“ angewendet wird. Aus verschiedenen Datenbanken (u.a. PubMed) wurde über eine Suchsyntax Literatur gesichtet (n=1.350), die in den Jahren 2000-2021 veröffentlicht wurde. Als Schlüsseltexte werden etwa 33 Veröffentlichungen für die Extraktion von „Context-Mechanism-Outcome“-Konfigurationen (CMOs) einbezogen, um die zugrundeliegenden Prozesse und Mechanismen zu ermitteln.
Ergebnisse Die Ergebnisse der bisher ermittelten CMOs, die sich gegenseitig bedingen, zeigen, dass die Erfahrung von Gewalt in der Paarbeziehung und eine ungewollte Schwangerschaft zu einem erhöhten Risiko von Substanzkonsum, (psychischen) Gesundheitsbeeinträchtigungen und Stress führt. Auch die Entscheidungsfindung über das Austragen oder einen Abbruch der Schwangerschaft werden durch die PG-Erfahrung beeinflusst. Das Eintreten der Schwangerschaft selbst kann ein Auslöser für PG sein oder die Gewalt verstärken. Die meist erlebte Kontrolle (wirtschaftlich, sozial, emotional) durch den Partner kann u.a. eine soziale Isolation begünstigen und dadurch den Zugang zu Versorgungsstrukturen, autonomen Entscheidungen und Unterstützungsmöglichkeiten erschweren oder ganz verhindern. So haben ungewollt Schwangere mit PG-Erfahrung einen eingeschränkten oder fehlenden Zugang zum Versorgungssystem (prä-/postnatal) und zu Unterstützungsangeboten.
Schlussfolgerung Das Review unterstreicht zum einen den Bedarf an Mixed-Methods-Designs, vor allem jedoch von biografisch-narrativen Ansätzen und traumasensibler Forschung, um einen ganzheitlichen Blick auf die Einbettung und Lebenssituation ungewollt Schwangerer mit PG-Erfahrung zu erfassen. Zum anderen muss die besondere „Vulnerabilität“ von Frauen mit PG-Erfahrung stärker berücksichtigt werden, um Versorgungslücken zu füllen und Zugänge zu erleichtern. Die Ergebnisse bereichern auch den aktuellen Diskurs um §218 und §219 StGB.
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Publikationsverlauf
Artikel online veröffentlicht:
22. August 2022
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