Einleitung Während die Studienlage zu Depressionen und
Demenzen für alte und hochaltrige Menschen recht umfangreich ist, gibt es
bisher nur wenige Studien zur Epidemiologie von Ängsten in dieser
Altersgruppe. Dies ist insofern problematisch, da diese Angaben dabei helfen,
Versorgungsangebote zu steuern. Insbesondere fehlt es an Angaben zur Inzidenz von
klinisch relevanten Ängsten in dieser Altersgruppe. Ziel der vorliegenden
Studie war es daher, alters- und geschlechtsspezifische Inzidenzraten von
Angstsymptomen für hochaltrige Menschen zur Verfügung zu stellen und
assoziierte Risikofaktoren zu untersuchen.
Methoden Die vorliegende Arbeit basiert auf Daten mehrerer
Follow-Up-Untersuchungen (FU5 bis FU7) der umfangreichen Alterskohorte
AgeCoDe/AgeQualiDe, bei der es sich um eine multizentrische Studie der
Altenbevölkerung handelt. Die Daten wurden zwischen 2010 und 2015 in den
Studienzentren Hamburg, Bonn, Düsseldorf, Leipzig, Mannheim und
München erhoben. Teilnehmende wurden über kooperierende
Hausarztpraxen rekrutiert. Angstsymptome wurden mittels der Kurzform des validierten
altersspezifischen Instruments Geriatric Anxiety Inventory (GAI-SF) erfasst.
Weiterhin wurden folgende Variablen in die Datenanalysen eingezogen:
soziodemographische Merkmale, depressive Symptome, Verlusterfahrungen, subjektive
Gedächtnisbeschwerden und funktionale Beeinträchtigungen.
Für die Untersuchung möglicher Prädiktorvariablen
für inzidente Angstsymptome wurden multivariable
Cox-Proportional-Hazard-Regressionen durchgeführt.
Ergebnisse Insgesamt konnten Daten von N=702 Probandinnen und
Probanden im Alter zwischen 81 und 97 Jahren in die Analysen einbezogen werden, die
zum ersten berücksichtigten Beobachtungszeitraum keine Angstsymptome
aufwiesen. Im fortlaufenden Beobachtungszeitraum entwickelten N=77 Personen
klinisch relevante Angstsymptome. Die Inzidenzrate (IR) in der Gesamtstichprobe lag
bei 51,3 (95% Konfidenzintervall (CI): 41,2 – 64,1) pro 1.000
Personenjahre. Frauen waren häufiger betroffen als Männer (IR: 58,5;
95% CI: 43,2 – 72,4; vs. 37,3; 95% CI: 23,6 – 58,3).
Die höchste Inzidenz wiesen Frauen zwischen 86 und 90 Jahren auf mit einer
IR von 66,8 (95% CI: 47,2 – 94,6). Multivariable Regressionsanalysen
ergaben signifikante Zusammenhänge für das Vorliegen von depressiven
Symptomen sowie subjektiven Gedächtnisbeschwerden und inzidenten
Angstsymptomen. 22,1% der Personen mit inzidenter Angstsymptomatik behielten
diese über mehrere Beobachtungszeiträume bei.
Schlussfolgerung Die Ergebnisse verweisen auf eine hohe Inzidenz
klinisch relevanter Angstsymptome in der Gruppe hochaltriger Menschen unter
Verwendung altersspezifischer Erhebungsinstrumente. Eine depressive Symptomatik
stellt einen möglichen Prädiktor dafür dar. Ängste
scheinen zudem als Reaktion auf wahrgenommene Gedächtnisbeschwerden
aufzutreten.
Thema: (Praktische-) Sozialmedizin und Rehabilitation