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DOI: 10.1055/s-0042-1750895
Studie: Nachhaltigkeit von Medizinprodukten als zukünftiger Entscheidungsfaktor
- Anerkennung des ökologischen Fußabdrucks des Gesundheitssektors
- Arbeitsgruppen für Nachhaltigkeit
- Case Study eines Recyclingansatzes in der Endoskopie
- Der Recycling-Kreislauf
- Herausforderungen der Bewertung von Nachhaltigkeit im Einkauf
- Patient, Krankenhaus und Industrie: Die Triangel für Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen
Klinken müssen sich die Frage stellen, in welchem Ausmaß ökologische Faktoren – neben Reputation der Patientenversorgung – die Wahl des Krankenhauses beeinflussen werden. Das Recycling von Einweg-Endoskopen kann daher ein Ansatz für mehr Nachhaltigkeit und Differenzierung im Wettbewerb sein.
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Der Klimawandel ist in den vergangenen zwei Jahren medial in den Schatten getreten. Das deutsche Gesundheitssystem steht heute nach zwei Jahren Pandemie größeren Herausforderungen gegenüber wie jemals zuvor. Der Ausfall der elektiven Eingriffe führte zu großen defizitären Jahresergebnissen. 78 Prozent der deutschen Kliniken berichteten im März 2022 von anhaltenden Rückgängen der elektiven Eingriffe. Gegenüber März 2021 ist dies zwar eine Verbesserung von 17 Prozent, aber der Wettbewerb um Patienten und deren Beweggründe für die Wahl der ärztlichen Versorgung wird dennoch eine zusätzliche Aufgabe für Kliniken. In unserem täglichen Konsumverhalten ist die Ökologie von Produkten bereits in den Fokus gerückt. Im Jahr 2022 spielt somit neben dem ökonomischen Verhältnis von Preis gegenüber Leistung ebenfalls der ökologische Faktor eine immer größere Rolle, dies zeichnet sich ebenfalls in der Entscheidungsfindung von medizinischer Leistung ab. Der Gesundheitssektor beschäftigt sich bis dato nur gering mit der bevorstehenden Herausforderung. In der Konsumgüterbranche bieten bereits etliche Unternehmen Recyclingprogramme für zum Beispiel alte Smartphones an. Der Gesundheitssektor ist bis dato jedoch mit vergleichbaren Initiativen für einen besseren ökologischen Fußabdruck auf den hinteren Plätzen angesiedelt.
Anerkennung des ökologischen Fußabdrucks des Gesundheitssektors
Der Weltärztebund (WMA) hat auf seiner 70. Generalversammlung im Oktober 2019 einen Klimanotstand ausgerufen und forderte die internationale Gemeinschaft der Gesundheitsberufe auf, sich der Mobilisierung anzuschließen. Gemeinsam haben sich die Mitglieder des WMA und die internationale Gesundheitsgemeinschaft dazu verpflichtet, die Gesundheit der Menschen weltweit vor den Folgen des Klimawandels zu schützen. Dafür fordern sie zum einen von nationalen Regierungen bis 2030 die CO2-Neutralität zu erreichen, um die lebensbedrohlichen Auswirkungen des Klimas auf die Gesundheit zu minimieren. Zum anderen erkennen sie den ökologischen Fußabdruck des globalen Gesundheitssektors an und werden aktiv Abfälle reduzieren und CO2-Emissionen vermeiden, um ein nachhaltiges Gesundheitssystem zu gewährleisten.
In Anbetracht dessen, dass der globale Gesundheitssektor wesentlich zum Klimawandel beiträgt, ist der Handlungsbedarf hoch. Der ökologische Fußabdruck des Sektors entspricht etwa 4,4 Prozent der globalen Nettoemissionen. Dieser Wert entspricht bspw. den jährlichen Treibhausgasemissionen von 514 Kohlekraftwerken oder dem fünftgrößten Emittenten der Welt, wenn der Gesundheitssektor ein Land wäre.
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Arbeitsgruppen für Nachhaltigkeit
Diesen Handlungsbedarf erkannten bereits verschiedene Fachgesellschaften und gründeten dedizierte Arbeitsgruppen für die Nachhaltigkeit der einzelnen Fachdisziplinen. Einweg-Materialien fanden durch ihre permanente Verfügbarkeit und Sicherheit der Sterilität den Einsatz vorwiegend im OP. Doch ist auch in der Endoskopie dieser Wandel mit hoher Geschwindigkeit vollzogen worden. Heute stehen nicht mehr nur Zubehörteile als Einweg-Material zur Verfügung, sondern auch gesamte Endoskope. Eine Endoskopie kann somit vollständig mit Einweg-Materialien durchgeführt werden. So ist durch den vermehrten Einsatz von Einweg-Materialen, während der Anwendung und der Aufbereitung von Mehrwegoptiken, die Endoskopie auf Platz drei von Müllaufkommen in einer Klinik angesiedelt. Pro Tag fallen rund 3,1 Kilogramm Abfall pro Krankenhausbett ab. Gründe dafür sind ein deutlich erhöhter Fall-Durchsatz, gesteigerte ambulante sowie stationäre Eingriffe, hoher Ressourcenverbrauch durch Aufbereitung und Dekontamination. 85 Prozent der Krankenhausabfälle sind allgemeine, nicht gefährliche Abfälle und könnten im Prinzip recycelt werden. Weitere 15 Prozent setzen sich unter anderem aus multiplen nicht-recyclefähigen Medizinprodukten zusammen. Recyclingfähig wären prinzipiell auch diese, sofern Richtlinien der Entsorgung und das Interesse der Hersteller übereinstimmen. Durch den stetig steigenden Bedarf an endoskopischen Eingriffen ist dies eine wichtige Stellschraube auf dem Weg zur mehr Nachhaltigkeit in Krankenhäusern. Daher bleibt die Frage zu beantworten, ob durch die Nutzung von Einweg-Endoskope tatsächlich mehr klinischer Müll generiert wird als durch die Verwendung von Mehrweg-Endoskopen sowie es gilt zu beweisen, dass die Möglichkeiten des Recycelns der Einweg-Materialien einen besseren Footprint ermöglicht. Dies ist ein bedeutender Aspekt für mehr Nachhaltigkeit und damit ein weiter Schritt hin zu einem Green Hospitals.
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Case Study eines Recyclingansatzes in der Endoskopie
Die Recyclingfähigkeit von Produkten in die Verkaufsentscheidungen zu implementieren, bedarf genauster Analysen und vergleichbarer Ergebnisse. Das übergeordnete Ziel von Kliniken sowie Herstellern von Medizinprodukten ist es, die Abfallmenge, insbesondere im Bereich der Endoskopie, zu reduzieren. Krankenhäuser geben Millionen pro Geschäftsjahr für die Entsorgung ihrer Abfälle aus, diese Ressourcen könnten genutzt werden, um Wertstoffe nachhaltig aufzubereiten oder an anderen Stellen zu investieren.
Um die genannten Ziele zu erreichen, hat das Medizintechnik-Unternehmen Ambu zusammen mit ausgewählten Kliniken ein Recycling-Pilot-Projekt für Einweg-Endoskope ins Leben gerufen. Der Zukunftsgedanke ist eine offene, nicht nur auf einen Hersteller limitierte Plattform. Ab sofort sammeln die teilnehmenden Kliniken Einmal-Endoskope von Ambu, welche nach erfolgreicher Patientenbehandlung recycelt und in den Materialkreislauf zurückgeführt werden.Das Ziel ist es neben der Rückgewinnung des Materials, welches zu rund 85 Prozent recyclingfähig ist, ebenfalls ein Umdenken zu bewirken. Komponenten, die nicht recyclingfähig sind, werden dennoch energetisch verwertet. So entsteht eine volle, erneute Wertschöpfung der Einmal-Endoskope. Der Gedanke hinter dieser Initiative ist, dass Klinikabfall als wertvoller Werkstoff zu betrachten ist.
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Der Recycling-Kreislauf
Nach der klinischen Verwendung am Patienten werden die Einweg-Endoskope wischdesinfiziert, gespült und gesondert in speziellen Mehrwegbehältern für das weitere Recycling gesammelt. In einer individuellen Frequenz werden diese durch ein klimaneutrales Transportunternehmen der Anlage für Wertstoffgewinnung zugeführt. Dort wird vor dem Beginn des Recyclingprozesses eine thermische Sterilisation der Einweg-Endoskope durchgeführt. Dieser Prozess produziert nach aktuellen Erkenntnissen weniger Abfälle im Vergleich zu einer herkömmlichen Aufbereitung, wie sie täglich in Kliniken durchgeführt wird. Durch die Auflagen und den Vorschriften in der medizintechnischen Industrie ist es derzeit nicht möglich, recycelte Materialien für die Herstellung medizinische Produkte zu verwenden. Dennoch gibt es eine Vielzahl an Möglichkeiten, die aus dem Krankenhausabfall gewonnenen Rohstoffe erneut wertschöpfend einzusetzen.
Um den Recyclingprozess aufzubauen, arbeitet Ambu mit einem der führenden Start-up-Unternehmen im Bereich Nachhaltigkeit zusammen. Dieses stellt unter anderem ein Online-Dashboard zur Verfügung, um den Prozess für Kliniken bestmöglich transparent zu gestallten. Das Dashboard bietet eine permanente Verfügbarkeit der bisher eingesparten CO2-Emissionen für jede teilnehmende Klinik. Die digitale Transparenz der Daten soll für den Anwender und deren individuelle Bedürfnisse jeder Zeit zur Verfügung stehen. Mithilfe dieser Anwendung können die Umsetzung und die dadurch erzielten Erfolge direkt nachvollzogen und in die eingesparte CO2-Menge in Live-Auswertungen berechnet werden. Der Ansatz des Recyclingverfahrens könnte zukünftig abteilungsübergreifen expandiert und als Grundlage für Umweltreports der Klinken genutzt werden.
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Herausforderungen der Bewertung von Nachhaltigkeit im Einkauf
Die Entscheidungsfindung im Einkauf war schon vor dem Thema Nachhaltigkeit komplex und weitet sich nun mehr deutlich über die bisherigen, rein ökonomischen Gesichtspunkte aus. So ist der ökonomische Experte im Einkauf heutzutage vielmehr auch strategischer Entscheidungsträger für seine Klinik. Werden ökologische Faktoren in der Entscheidung für Patienten relevanter, ist der Einkauf hier am Steuer und kann sein Krankenhaus, mit den richtigen Entscheidungen, einen deutlichen Wettbewerbsvorteil verschaffen. So sind neben klinischen, ökonomischen, qualitativen auch zukünftig die ökologischen Aspekte von Medizinprodukten in der Verkaufsentscheidung zu berücksichtigen. Eine einheitliche und vergleichbare Angabe oder Auskunftspflicht über den ökologischen Footprint von Medizinprodukten ist nicht in Aussicht. So könne jedoch die Recyclingfähigkeit ein Lösungsansatz darstellen.
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Patient, Krankenhaus und Industrie: Die Triangel für Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen
Der gewissenhafte Umgang mit Ressourcen sowie aller Schutz der Umwelt wird zukünftig eine der zentralen Herausforderungen, um die Lebensqualität und damit auch die Gesundheit der Menschen zu erhalten. Daher ist es konträr, dass einer unserer größten Wirtschaftssektoren, der Gesundheitssektor mit diesem Thema bisher nahezu fahrlässig umgeht. Die zahlreichen Klimakonferenzen, politisch ökonomische Interessen und nicht zu vergessen die Komplexität des Themas zeigen deutlich, dass es keine universelle Lösung geben wird. Das macht es umso deutlicher, dass alle relevanten Akteure angehalten sind, nicht nur auf andere zu verweisen, sondern primär den in ihrer eigenen Kraft stehenden Beitrag zur Nachhaltigkeit zu leisten.
Kliniken werden auch künftig durch Prozess- bzw. Kosteneinsparungen sowie zusätzlich verschärfte Hygienevorschriften auf Einweg-Materialien zurückgreifen. Sind Einweg-Lösungen eigentlich Umwelt belastender? Oft täuschen die initiale erste Wahrnehmung und die Denkweise, dass Mehrweg-Produkte auch zugleich umweltfreundlicher sind.
An dem Beispiel Einweg-Endoskopie zeigen Studien, dass durch die Verwendung einer Einweg-Lösung nicht gleich mehr Müll entsteht - sogar im Vergleich ohne den Recyclingaspekt kann es aufgrund der wegfallenden Wiederaufbereitung zu einem besseren ökologischen Footprint kommen. Recycling und Einweg kann zu einer deutlichen Verbesserung führen und ein wertvoller Beitrag zu einem Green Hospital sein. Nur so sind die immer wachsenden Hygienestandards und die Müllreduktion miteinander vereinbar.
Max Schilling ist Head of Health Economics bei der Ambu GmbH.
Alisa Dinger ist Senior Product Manager & Nachhaltigkeitsbeauftrage bei der Ambu GmbH.
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Publikationsverlauf
Artikel online veröffentlicht:
23. Juni 2022
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Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany