Ginkgo-biloba-Extrakte: multimodale Wirkung bei Schwindelerkrankungen

Schwindel ist mit einer Lebenszeitprävalenz von etwa 30% ein häufiges Leitsymptom. Ätiologisch liegen meist Erkrankungen des Innenohrs, Hirnstamms oder Kleinhirns zugrunde. Denkbar sind aber auch psychische und internistische Ursachen. Trotz der hohen klinischen Relevanz des Leitsymptoms Schwindel besteht eine Unter- und Fehlversorgung bezüglich einer zielgerichteten Behandlung.

Die Therapie von Schwindelsyndromen beruht auf vier Prinzipien: Physiotherapie (Lagerungsmanöver bei gutartigem Lagerungsschwindel, Gleichgewichtstraining bei peripheren und zentralen vestibulären Erkrankungen), Pharmakotherapie, Psychotherapie und in seltenen Fällen Chirurgie.

In der Pharmakotherapie gibt es für viele Ansätze nur eine begrenzte Evidenz aus kontrollierten klinischen Studien. Die am häufigsten eingesetzten Medikamente sind Antiemetika, Kortikosteroide bei Neuritis vestibularis und Morbus Menière, Betahistin bei Morbus Menière, Natriumkanalblocker bei Vestibularisparoxysmie, Migräneprophylaktika bei vestibulärer Migräne und Aminopyridine bei Kleinhirnerkrankungen. Zudem gibt es Evidenz für die Wirkung von Ginkgo-biloba-Extrakten (insbesondere dem Extrakt EGb 761) zur Förderung der zentralen vestibulären Kompensation und Substitution bei peripher- und zentral-vestibulären Schwindelerkrankungen.

Aus präklinischen Untersuchungen an Tiermodellen der unilateralen vestibulären Differentierung ist bekannt, dass EGb 761 die Kompensation der Symptome der vestibulären Asymmetrie (z. B. Nystagmus, posturale Asymmetrie, Kopfschiefhaltung) und die Mobilität der Tiere signifikant und dosisabhängig verbessert [1] [2]. Die Effekte von EGb 761 können dabei durch zusätzliche physikalische Beübung auf dem Laufrad weiter verbessert werden. Der pharmakologische Effekt von EGb 761 auf die vestibuläre Asymmetrie wird durch die Fraktion der Terpenlaktone (insbesondere Gingkolid A und B) vermittelt. Es konnte ein Effekt von EGb 761 auf zentrale vestibuläre Netzwerke im Gehirn von Ratten nach unilateraler Labyrinthektomie nachgewiesen werden. Zudem reduzierte EGb 761 im Vergleich zu Placebo den Verlust der synaptischen Dichte in den vestibulären Kerngebieten 8 Wochen nach unilateraler Labyrinthektomie.

Die präklinischen Befunde zur Wirkung von EGb 761 werden durch prospektive kontrollierte klinische Studien unterstrichen. So konnte bei Kombination von EGb 761 mit Gleichgewichtstraining im Vergleich zu einer Placebogabe eine signifikante reduzierte Körperschwankung nach 4 Wochen bei Patienten mit vestibulärem Schwindel nachgewiesen werden [3]. Eine weitere Indikation für die Anwendung von EGb 761 ist nach aktuellen Metaanalysen auch ein Schwindelempfinden als Begleitsymptomatik dementieller Erkrankungen [4].

Fazit

Zusammenfassend wirken Ginkgo-biloba-Extrakte über die Beeinflussung des neuronalen Stoffwechsels und der synaptischen Plastizität positiv auf die zentrale vestibuläre Verarbeitung und können in Kombination mit Gleichgewichtsübungen zur Symptomverbesserung insbesondere bei peripher-vestibulärem Schwindel und Schwindel als Begleitsymptom dementieller Erkrankungen eingesetzt werden.

• Literatur

• 1 Lacour M. et al. Plasticity mechanisms in vestibular compensation in the cat are improved by an extract of Ginkgo biloba (EGb 761). Pharmacol Biochem Behav 1991; 40: 367-379
• 2 Lindner M. et al. Ginkgo biloba Extract EGb 761 improves vestibular compensation and modulates cerebral vestibular networks in the rat. Front Neurol 2019; 10: 147
• 3 Hamann KF. Physikalische Therapie des vestibulären Schwindels in Verbindung mit Ginkgo-biloba-Extrakt. Therapiewoche 1985; 35: 4586-4590
• 4 Spiegel R. et al. Ginkgo biloba extract EGb 761^® alleviates neurosensory symptoms in patients with dementia: a meta-analysis of treatment effects on tinnitus and dizziness in randomized, placebo-controlled trials. Clin Interv Aging 2018; 13: 1121-1127

Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
13. Juni 2022