Zeitschrift für Phytotherapie 2022; 43(S 01): S10
DOI: 10.1055/s-0042-1749468
Referate | Phytotherapie 2022 – innovativ

Stellenwert der Mistel in der Onkologie

Marc Schlaeppi
1   Zentrum für Integrative Medizin, Kantonsspital St. Gallen, Schweiz
› Author Affiliations
 
 

Die weissbeerige Mistel, Viscum album L., war bereits in vorchristlichen, insbesondere keltischen Zeiten eine beliebte Heilpflanze. Der kugelige Strauch aus der Familie der Riemenblumengewächse (Loranthacea) wächst als immergrüner Schmarotzer auf Laub- und Nadelbäumen. Als gut verträgliches Kraut wird sie in der Phytotherapie hauptsächlich gegen gering bis mittelgradig erhöhte Blutdruckwerte als Mazerat oder Tee eingesetzt [1]. Erst durch die anthroposophische Medizin wird seit 1917 Viscum album als Mittel für Patienten mit onkologischen Erkrankungen verordnet. In der Regel wird eine Misteltherapie subkutan durchgeführt. In Einzelfällen auch intravenös, peri-/intratumoral oder intrakavitär.

Leitlinien/Guidelines

Bei der klassischen supportiven subkutanen Verabreichung konnten verschiedene z.T. randomisiert-kontrollierte Studien durchgeführt und in systematischen Reviews oder Metaanalysen beurteilt werden. Die amerikanische „Society for Integrative Oncology SIO“, mit internationaler Ausstrahlung, hat in diesem Kontext eine Misteltherapie als Option zur Verbesserung der Lebensqualität bei Patientinnen mit Mammakarzinom empfohlen (Recommendation C) [2]. Die im Jahr 2021 publizierte deutsche S3-Leitlinie „Komplementärmedizin in der Behandlung onkologischer PatientInnen“, formuliert es ähnlich: „Die subkutane Gabe von Mistelgesamtextrakt kann für den therapeutischen Einsatz zur Verbesserung der Lebensqualität bei Patienten mit soliden Tumoren erwogen werden“ [3]. In einer randomisiert-kontrollierten Studie zur Misteltherapie beim inoperablen Pankreaskarzinom wurde ein Überlebensvorteil gezeigt [4]. Dieses Ergebnis wird zurzeit in Schweden in einem multizentrischen, placebokontrollierten Trial überprüft [5].


#

Sicherheit

Eine professionell begleitete subkutane Misteltherapie wird in der Regel gut toleriert. Es können als Nebenwirkungen Schmerzen und Entzündungen, die zur Steuerung der Therapie einbezogen werden müssen, an der Injektionsstelle auftreten. Selten sind Fieber und Schüttelfrost. Anaphylaktische Reaktionen sind äusserst rar. Mistelpräparate sind bei Fieber, Entzündungen, Hyperthyreose, Autoimmunerkrankungen oder Überempfindlichkeit gegenüber einem der Bestandteile zu meiden. Bei einer Behandlung von immunsensiblen Neoplasien oder gleichzeitig mit anderen immunmodulierenden Arzneimitteln ist Vorsicht geboten.


#

Spezielle Applikationen

Neben der üblichen subkutanen Applikation werden „off label“ z.T. intravenöse oder intrakavitäre Misteltherapien durchgeführt. Retrospektive Untersuchungen und Registerstudien konnten deren Machbarkeit und Sicherheit dokumentieren. Mehrere Case Reports mit günstigen Verläufen wurden bereits publiziert [6]. Hier sind prospektive Studien für die Zukunft unerlässlich.


#

Konklusion

Die zugelassene, sichere Standard-Misteltherapie wird subkutan zur Verbesserung der Lebensqualität verabreicht. Andere erfolgsversprechende Mistelapplikationen, welche bereits in Case Reports und Versorgungsstudien publiziert wurden, bedürfen einer weiteren prospektiven Evaluation.


#
#

Publication History

Article published online:
13 June 2022

© 2022. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany