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DOI: 10.1055/s-0042-1744077
Der Einfluss von Hämoglobin Strasbourg, einer seltenen Hämoglobinvariante mit erhöhter Sauerstoffaffinität, auf verschiedene Methoden der HbA1c-Bestimmung
Der Database of Human Hemoglobin Variants and Thalassemias (HbVar) zufolge gibt es 1815 bekannte Hämoglobinvarianten (Stand Januar 2020). Die klinische Ausprägung dieser Varianten ist sehr variabel. Diese Variabilität in Verbindung mit der Seltenheit der meisten Varianten machen es im klinischen Alltag schwer, Hämoglobinvarianten in differentialdiagnostische Erwägungen mit einzubeziehen. Bei Hb Strasbourg handelt es sich um eine seltene Hämoglobinvariante mit erhöhter Sauerstoffaffinität, die zu einer sekundären Erythrozytose führt. Ursächlich für diese Variante ist eine Mutation im HBB-Gen (c.71T>A) welche zu einem Aminosäureaustausch an Position 24 der β-Globin-Kette führt (p.Val24Asp). Es ist bekannt, dass Hämoglobinvarianten die Messung von HbA1c stören können. Wir untersuchten den Einfluss von Hb Strasbourg auf die HbA1c-Messung mit zwei verschiedenen, in der Routinediagnostik verwendeten HPLC-Systemen sowie einem turbidimetrischen Immunoassay. Der Einfluss von Hb Strasbourg auf die HbA1c Messung ist in der Literatur bisher nicht beschrieben.
Wir berichten über zwei Brüder (21 und 30 Jahre alt, im Folgenden Patient 1 (P1) und Patient 2 (P2)) bei denen sich in der Hämoglobin-Kapillarelektrophorese (Sebia Capillarys II) eine unbekannte Fraktion (P1 43,6% bzw. P2 43,9%) fand, welche im Verlauf als eine heterozygote Hämoglobinvariante, Hb Strasbourg, mittels Sanger-Sequenzierung des HBB-Gens gesichert wurde. Vor Diagnose der Hämoglobinvariante wurde im Rahmen der differentialdiagnostischen Abklärung der Erythrozytose bei P1 eine JAK2-Mutation ausgeschlossen. Beide Patienten waren asymptomatisch. Insbesondere zeigten sie keine Symptome chronischer Hypoxie, hatten keine kardialen oder pulmonalen Vorerkrankungen sowie keine Hepato- und/oder Splenomegalie. Anamnestisch bestand kein Diabetes mellitus. Im Labor zeigte sich die für diese Variante in der Literatur beschriebene normochrome, normozytäre Erythrozytose (Hb P1 19,5 mg/dl bzw. P2 17,8 mg/dl) und ein in der Blutgasanalyse erniedrigter P50-Wert (P1 20,8mmHg bzw. P2 21,7mmHg). Die Gelegenheitsplasmaglucose war unauffällig. Haptoglobin war nicht erniedrigt und es fand sich kein Hinweis auf eine Eisenüberladung. Der Erythropoietinspiegel bei P1 war normal. HbA1c wurde aus derselben Probe von P1 und P2 auf zwei HPLC-Systemen (BioRad Variant II: P1 3,2% bzw. P2 3,3% NGSP; BioRad D-100: P1 3,53% bzw. P2 3,42% NGSP) und mit einem turbidimetrischen Immunoassay (Roche Tina-quant HbA1c: P1 4,87% bzw. P2 4,80% NGSP, Cobas c501) gemessen.
Hämoglobinvarianten mit erhöhter Sauerstoffaffinität sollten in differentialdiagnostische Überlegungen bei Erythrozytose insbesondere bei Patienten ohne kardiale und pulmonale Vorerkrankungen eingeschlossen werden, wenn myeloproliferative Neoplasien aus epidemiologischer Sicht unwahrscheinlich sind oder bereits ausgeschlossen wurden. Im Fall von Hb Strasbourg zeigten sich die Messergebnisse des HbA1c bei beiden Patienten niedriger als die Ergebnisse des Immunoassays. Da es vor allem auf HPLC-Systemen zu Interferenzen durch Hb-Varianten kommt, ist anzunehmen, dass der HbA1c-Anteil mit diesen Methoden unterschätzt wird. Anhand der vorliegenden Untersuchung kann über die diagnostische Wertigkeit des HbA1c zur Diagnose und Verlaufskontrolle eines Diabetes mellitus bei Trägern von Hb Strasbourg keine Aussage getroffen werden. Wenn bei Patienten mit Hb-Varianten der Verdacht auf Interferenzen bei der HbA1c-Messung besteht, sollte auf andere diagnostische Methoden wie zum Beispiel den oralen Glukosetoleranz-Test ausgewichen werden, um Fehldiagnosen zu vermeiden bzw. das Ergebnis der HbA1c-Messung zu bestätigen.
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Publication History
Article published online:
20 April 2022
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Georg Thieme Verlag
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Germany