PPH 2017; 23(02): 80-83
DOI: 10.1055/s-0042-124444
Praxis
Demenz
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Schlüssel zu Gefühlen

Astrid McCornell
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Publication Date:
23 March 2017 (online)

 

Zusammenfassung

Kommunikation bei Demenz Beziehungen zu demenzkranken Patienten aufzubauen und diese emotional zu erreichen, ist manchmal gar nicht so einfach. Wir stellen Ihnen zwei unterschiedliche Ansätze vor, mit denen Sie kommunikative Brücken zu Ihren Patienten bauen und so den Kontakt intensivieren können: die Musiktherapie und den Hundebegleitdienst.


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Musik wird im Umgang mit Demenzkranken zu einer Sprache, die aus der Sprachlosigkeit herausholen kann. (Vlastimil Šesták_Fotolia)

Musiktherapie: Wotan rappt in Walhalla

Ich habe mich zum Wintersemester in der Uni Hamburg angemeldet. Das Kontaktstudium für ältere Erwachsene ermöglicht ein reines Neigungsstudium und ich will meiner Neigung zur Musik etwas mehr Raum geben. Der Kurstitel „Wotan rappt in Walhalla“ erscheint mir vielversprechend.

„Nun“, fragt die Dozentin die Studierenden am ersten Vorlesungstag, „warum sind Sie hier, und was erwarten Sie von dem Seminar?“. Ich komme dran, fange an zu erzählen, gerate in Fahrt und schwärme von der Wirksamkeit der Musiktherapie bei demenzkranken Menschen. „Das ist ja spannend“, meint die Dozentin, „halten Sie doch mal einen Vortrag über Musiktherapie“. Das habe ich nun von meiner Schwatzhaftigkeit.

Ich beschließe, eine mir bekannte Musiktherapeutin aufzusuchen und mir die Sache genau erklären zu lassen. Bis dato sah für mich Musiktherapie nach gemeinsamem Singen und Musizieren aus, und das therapeutische Ziel war die daraus gewonnene Lebensfreude und Selbstbestätigung.

Die Musiktherapeutin Inga Auch-Johannes empfängt mich in ihrem Arbeitszimmer. Das Zimmer ist angefüllt mit den unterschiedlichsten Musikinstrumenten und so fühle ich mich gleich wohl.

„Ich habe eine Frage von der Dozentin mitgebracht“, beginne ich unser Gespräch, „welche Musik wird in der Musiktherapie verwendet – und warum?“ „Also“, erwidert Inga Auch-Johannes, „es gibt keine passende Musik gegen Depressionen. So funktioniert das nicht“.

Dass Musik heilende Wirkung hat, wird schon im Alten Testament berichtet. Da heilt David mit der Musik seiner Harfe den König Saul, welcher von einem bösen Geist heimgesucht wurde. In der Musiktherapie gibt es verschiedene Strömungen, so gibt es Therapeuten, die sich zum Beispiel nur mit Schmerzreduktion beschäftigen.

Doch die qualifizierte Musiktherapie versteht sich als tiefenpsychologische Therapie, deren Aufgabe der Aufbau einer Beziehung und das Wiederherstellen der Gesundheit ist.

Musiktherapie wird zum Beispiel bei Ängsten, psychiatrischen Krankheiten, Demenz, neurologischen Erkrankungen und Entwicklungs- und Verhaltensstörungen eingesetzt. Dabei werden zwei Behandlungsfelder unterschieden: die rezeptive und die aktive Musiktherapie. Bei der rezeptiven Musiktherapie wird gemeinsam Musik gehört, bei der aktiven Musiktherapie wird gemeinsam musiziert.

„Muss man ein Instrument spielen können, um an der Musiktherapie teilzunehmen?“ frage ich Inga Auch-Johannes. „Absolut nicht“, beruhigt sie mich, „ich erkläre es dir anhand eines Beispiels“.

„Zu mir kommt Herr Schulz. Herr Schulz ist von seinem Psychiater geschickt worden. Er leidet schon lange an Depressionen, und hat sämtliche Therapien ohne Erfolg absolviert. Ob Gesprächs-, Verhaltens- oder Ergotherapie, Medikamente und Krankenhausaufenthalt, nichts hat geholfen. Musiktherapie als letzter Versuch.

Herr Schulz kommt also ins Musiktherapie-Zimmer. Er schaut sich misstrauisch um und erklärt gleich, dass er auf keinen Fall Musik mit mir machen möchte. So was Albernes hat er noch nie gemacht. Also beginne ich ein Gespräch und biete Herrn Schulz vielleicht einfach mal ein Instrument an. Zu Beispiel die Bordum Kantile.“

Mit diesen Worten legt Inga Auch-Johannes mir ein wunderschönes Saiteninstrument auf den Schoss. Ich schlage die Saiten sanft an und es ertönt einen warmen Klang. Das Instrument vibriert in der Tiefe seines Holzkörpers. Ich bin entzückt. Nicht aber unser fiktiver Herr Schulz.

Inga Auch-Johannes erzählt weiter: „Herr Schulz schaut die Kantile an und beginnt über deren Verarbeitung zu sprechen. Über das Holz und die Leimung. Anschlagen will er sie nicht. Ich lasse ihn in Ruhe das Instrument erkunden, beobachte ihn dabei genau. Und ich steige in das Gespräch über die Holzverarbeitung ein. So beginne ich langsam, eine Beziehung zu Herrn Schulz aufzubauen.

In der nächsten Stunde bekommt Herr Schulz von mir ein weiteres Instrument angeboten, zum Beispiel lade ich ihn zum gemeinsamen Klavierspiel ein. Vielleicht wird er wütend auf das Klavier hämmern, aber dann hat er endlich wieder ein Gefühl gezeigt. Wut.

Und so kommen wir in die Kommunikation über Wut. In den nächsten Wochen finde ich weiteren Zugang zu den verschütteten Gefühlen von Herrn Schulz. Er kann nun beginnen, sein Leben wieder selbstbestimmt in die Hand zu nehmen.“

Inga Auch-Johannes nennt mir ein weiteres Beispiel, wie Beziehungsgestaltung in der Musiktherapie geschehen kann. „Frau Michel wird zu Hause gepflegt. Sie lebt bei ihrem Sohn und ist 81 Jahre alt. Als ich zu meinem Hausbesuch komme, finde ich sie wütend vor. Ich frage den pflegenden Sohn, ob er einen Grund für die Stimmung der Mutter angeben kann. ,Heute ging schon alles irgendwie schief, ich weiß auch nicht warum‘, antwortet er.

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Hunde sind eine wunderbare Kommunikationsbrücke in die Welt der Demenz. (Angelika Harms)

Frau Michels Wut äußert sich in Schimpfen und Trampeln, zwischendurch sind ihr trauriger Blick und ihre Erschöpfung zu sehen. Ich setzte mich Frau Michel gegenüber und beginne, ihr Schimpfen rhythmisch zu begleiten und das Trampeln mit wenigen Trommelschlägen zu akzentuieren. Da bei Frau Michel kein Text zu verstehen ist, denke ich mir zu meiner erfundenen Musik zunächst nur Ausrufe aus wie ,Oh, nein!‘ und ,Wie schrecklich!‘.

Aus den musikalischen Motiven formt sich dann eine Melodie und aus den Ausrufen wird allmählich ein kleiner Text. In Frau Michels Aktionspausen passt sich die Melodie der veränderten Stimmung an. Nach einer Weile blickt Frau Michel auf. Ich wiederhole noch einmal das kleine Lied und berühre am Ende sanft Frau Michels Arm.“

Dieses Beispiel findet sich in Inga Auch-Johannes Buch „Klangbrücken – Musiktherapie in der häuslichen Versorgung für Menschen mit Demenz – ein Leitfaden für die Praxis“, welches sie gemeinsam mit Prof. Dr. Eckard Weymann herausgegeben hat.

„Musik ist der Schlüssel zu den Gefühlen der Menschen, durch gemeinsames Improvisieren auf den Instrumenten werden die Gefühle gezeigt, von mir aufgenommen, unterstützt oder langsam verändert. So kann die Melodie des Klavieres von wütend zu traurig umschwingen und zu hoffnungsvoll. Auf diese Weise wird in der Musiktherapie behandelt, “ erklärt mir Inga Auch Johannes. „Das ist ja wie Validation“, ist das Erste, was mir einfällt.

Die Entwicklerin der Validation, Naomi Feil, nutzt ganz ähnliche Herangehensweisen, um Menschen mit Demenz das Ausdrücken und Verarbeiten ihrer Gefühle zu ermöglichen. „Jemanden zu validieren bedeutet, seine Gefühle anzuerkennen, ihm zu sagen, dass seine Gefühle wahr sind“, ist die kürzeste Erklärung für Validation.

Zu den Grundsätzen der Validation gehört unter anderen: Schmerzliche Gefühle, die ausgedrückt, anerkannt und von einer vertrauten Person validiert werden, werden schwächer. Schmerzliche Gefühle, die man ignoriert und unterdrückt, werden stärker. Einfühlung und Mitgefühl führen zu Vertrauen, verringern Angstzustände und stellen die Würde wieder her. Genau diese Empathie, die es braucht um die Gefühle des anderen wahrzunehmen und auszudrücken, zeigt Inga Auch-Johannes in ihrer Musiktherapie.

Nun habe ich verstanden: Musik wird zu einer Sprache, die aus der Sprachlosigkeit herausholen kann. Dass dies auch sehr gut mit demenzkranken Menschen funktioniert, kann ich mir jetzt vorstellen.


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Was macht eigentlich ein Hundebegleitdienst? Glücklich!

Kennengelernt habe ich den Hundebegleitdienst schon vor über einem Jahr, als ich begann, ehrenamtliche Helfer in der Demenzbetreuung zu unterrichten. Thema des Unterrichts ist die Kommunikation mit demenzkranken Menschen und die damit verbundenen Tücken.

In meinem Unterricht saßen Hundebesitzer, die sich ehrenamtlich engagieren. Sie sollen in Zukunft mit ihren Hunden Demenzkranke besuchen, einzeln oder auch in Gruppen.

Ich selbst hatte einmal ein sensationelles Erlebnis mit einem Beagle und einer demenzkranken Dame. Die Dame lag im Pflegebett, zeigte wenig Eigenbewegung, kein Interesse an ihrer Umwelt und sprach kein einziges Wort mit mir. Ich habe sie regelmäßig ein Jahr lang gesehen, und sie hat NIE mit mir gesprochen. Ich war überzeugt, dass sie ihre Sprachfähigkeit verloren hatte.

Bis zu dem Tag, an dem die Haushaltshilfe in Begleitung eines Beagles erschien. Der Hund lief gleich schwanzwedelnd auf die Dame zu, diese richtete sich in ihrem Pflegebett auf und sprach zu dem Hund: „Na, mein Süßer, willst du ein Leckerli?“. Dabei klopfte sie einladend mit der Hand auf ihr Bett. Glauben Sie mir, ich war sprachlos! So etwas hatte ich noch nie erlebt!

Dementsprechend neugierig war ich, die Erfahrungen der Hundebesitzer aus meinem Unterricht zu hören. Diese waren durchweg positiv und so wurde ich eingeladen, an einem Besuch der Betreuungsgruppe für demenzkranke Menschen teilzunehmen.

Die beiden Therapiehunde „Barni“ und „Lizzy“ sollten die Betreuungsrunde besuchen. Ich komme rechtzeitig an, um erst einmal am Kaffeetrinken teilzunehmen. Das gibt mir die Gelegenheit, die vier Damen mit Demenz ein wenig genauer anzuschauen und wahrzunehmen. Jede der Damen hat eine persönliche Begleitung an ihrer Seite.

Ich möchte Ihnen die Damen kurz vorstellen:

Frau R. sitzt im Rollstuhl, sie wirkt ein wenig schläfrig, ihre Augen sind halb geschlossen und sie bewegt sich wenig. Sie bekommt einen Trinkhalm in ihren Kaffeebecher, die Sahnetorte wird ihr angereicht und schwupp, hat sie sich schon verschluckt. Sie bekommt einen bösen Hustenanfall, die Helfer kümmern sich rührend, es wird geklopft und gewischt. Erschöpft sinkt Frau R. in ihren Rollstuhl zurück, ihre Stimme flüstert einen leisen Dank. Sie wirkt sehr schwach.

Frau L. ist körperlich noch fit. Hübsch zurechtgemacht, mit knallrotem Lippenstift sitzt sie an der Kaffeetafel. Sie zaubert ein Bild aus ihrer Handtasche, es zeigt eine Aufnahme von ihr und den beiden Therapiehunden. „Vom letzten Mal“, lacht sie und zeigt mir und allen anderen Sitznachbarn das Bild. Das wiederholt sich alle fünf Minuten, ergänzt wird das Ganze durch eine recht alte spanische Urlaubskarte.

Frau S. ist eine ältere Dame mit reizenden Silberlöckchen. Sie verputzt munter ihre Sahnetorte, antwortet höflich auf Nachfragen, beteiligt sich aber wenig an den Gesprächen am Tisch.

Frau B. ist die vierte Dame in der Runde. Sie starrt mich die ganze Zeit böse an, ihre Mimik ist erstarrt. Ich versuche es mit der Allzweckwaffe „Lächeln“, aber es kommt keine Reaktion. Sie beginnt sehr langsam den Kuchen zu essen, alles wirkt wie in Zeitlupe. Sie nimmt die Kaffeetasse, ihre Hand zittert. Frau B. hat vermutlich eine Lewy-Körperchen-Demenz, welche von Parkinson-Symptomen geprägt ist. Nun verstehe ich auch die fehlende Mimik und den „bösen Blick“. Auch sie spricht sehr wenig, antwortet sehr langsam auf gestellte Fragen.

Es werden Grüße ausgerichtet, Fotos herumgereicht und endlich ist es soweit: Die Therapiehunde kommen!

Schon beim Anblick der Tiere gibt es ein aufgeregtes „Ah“ und „Oh“. Die Hunde laufen gleich auf die Damen zu und freuen sich offensichtlich genauso. Ein Gefäß mit Hunde-Leckerli wird geöffnet und an alle vier Damen und die Begleitpersonen verteilt.

Die Hunde schnüffeln sich sogleich an den Rollstuhl von Frau R. heran. Dieser ist besonders interessant, wegen der heruntergefallenen Kuchenkrümel. Frau R. fängt an zu lachen, als die Hundeschnauzen um sie herum kitzeln. Sie öffnet die Augen weit, reicht ihnen Leckerlies an, beobachtet die Hunde ganz genau, lächelt und lacht, sie kann gar nicht mehr aufhören damit. Sie hält den Hund fest, drückt und streichelt ihn.

Ich frage Frau R., ob sie früher selbst einen Hund hatte. „Nein“, haucht sie. Oder ein anderes Haustier? „Nein“, haucht sie erneut. Ich frage sie, ob die Liebe zu den Hunden aus ihrem Herzen kommt und zeige dabei auf mein Herz. „Ja“, haucht sie zurück, und hält mit dem Hund Pfötchen. Ein voller Erfolg!

Frau L., das merkt man gleich, ist ein echter Hundefan! Sie füttert und streichelt routiniert, spricht mit den Hunden und strahlt über das ganze Gesicht. Auf meine Frage nach dem eigenen Hund antwortet sie: „Ja, ich hatte einen, der sah aus wie ein Schäferhund mit einem Kringelschwanz. Ich komme nur wegen der Hunde her“. Mit diesen Worten lässt sie mich stehen, sie hat wichtigeres zu tun als zu klönen, und begibt sich auf der Suche nach dem Leckerli-Gefäß.

Auch Frau S. ist schwer beschäftigt. Sie füttert und streichelt, klopft und redet mit den Hunden. Die Hunde sind begeistert, einer wirft sich ihr zu Füßen, auf den Rücken. Sie beugt sich tief hinab, lacht und knuddelt ihn. Auf meine Nachfrage nach dem eigenen Hund, beginnt sie mir aus ihrer Lebensgeschichte zu erzählen. Dass sie mit dem Ehemann einen Hund hatte, aber jetzt bei den Kindern lebt, die haben einen blinden Sohn und auch einen Hund, welche Rasse, das sei ihr grade entfallen. Das Ganze kommt etwas unsortiert, aber gut verständlich an.

Toll, denke ich, mit diesen biografischen Daten könnte man eine Din-A4-Seite füllen, viele wichtige Informationen, um sich in die Lebenswelt von Frau S. hineinzuversetzen.

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Hunde sind mit allen Sinnen erlebbar und aktivieren demenzkranke Menschen. (Angelika Harms)

Ich schaue zu Frau B. hinüber. In ihrem Gesicht arbeitet es ordentlich, vor allem um die Mundpartie. Das Lächeln will nicht gelingen, aber ihr Blick ist wach und aufmerksam. Leckerlies in beiden Händen, die Hundeschnauzen kitzeln, Frau B. lacht, wunderbar! Auf meine Frage nach einem Haustier erzählt sie mir von ihrem grau-weißen Wellensittich.

Als alle Leckerlies verteilt sind, kehrt langsam Ruhe ein. Die Hunde legen sich zu Füßen ab. Ich schaue in die Runde, alle anwesenden Damen strahlen glücklich und zufrieden!

Ich bin auch zufrieden, denn meine Erfahrungen haben sich bestätigt: Hunde sind eine wunderbare Kommunikationsbrücke in die Welt der Demenz. Sie sind mit allen Sinnen erlebbar und aktivieren die Menschen in jeder Hinsicht.


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Astrid McCornell

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25 Jahre in der Pflege und im Management beschäftigt; seit 2013 selbständig als Autorin, Fotografin und Vortragsrednerin; Autorin der Bücher „Wo sich Huhn und Eule gute Nacht sagen“ und „Wenn Huhn und Eule in die Ferne schweifen“, erschienen im Ernst Reinhardt Verlag; weitere Berichte und Reportagen veröffentlicht sie in ihrem Blog www.toleranz-manufaktur/blog

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Musik wird im Umgang mit Demenzkranken zu einer Sprache, die aus der Sprachlosigkeit herausholen kann. (Vlastimil Šesták_Fotolia)
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Hunde sind eine wunderbare Kommunikationsbrücke in die Welt der Demenz. (Angelika Harms)
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Hunde sind mit allen Sinnen erlebbar und aktivieren demenzkranke Menschen. (Angelika Harms)