physiopraxis 2017; 15(03): 45-47
DOI: 10.1055/s-0042-124032
Therapie
© Georg Thieme Verlag Stuttgart – New York

Assessment: Lower Extremity Functional Scale – Aktivitäten der unteren Extremität messen

Ralf Eberhardt

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Publication Date:
15 March 2017 (online)

 

Füllt der Patient die Lower Extremity Functional Scale aus, weiß der Therapeut wenige Minuten später, welche Alltagsaktivitäten dem Patienten Beschwerden bereiten. Mit dem Ergebnis lassen sich Behandlungsziele ableiten und Erfolge in der Therapie dokumentieren.


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Ralf Eberhardt, BSc

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Ralf Eberhardt, BSc, ist Physiotherapeut und hat eine Praxis in Bleibach. Außerdem arbeitet er als Lehrbeauftragter der HFU Furtwangen im primär qualifizierenden Bachelorstudiengang Physiotherapie sowie als Freier Dozent der Gesundheitsschulen Südwest GmbH. Neben seinen Tätigkeiten absolviert er den Masterstudiengang Physiotherapie an der HAWK Hildesheim mit dem Schwerpunkt disziplinäre und interdisziplinäre Forschung.

Mit der Lower Extremity Functional Scale (LEFS) haben Physiotherapeuten einen Fragebogen (S. 47) zur Hand, der Aktivitätseinschränkungen nach Verletzungen und Erkrankungen der unteren Extremität erfasst und den Therapieverlauf objektiv abbildet. Ein amerikanisches Forschungsteam hat die LEFS 1999 entwickelt. Zuvor gab es keinen frei zugänglichen physiotherapeutischen Selbsteinschätzungsbogen [1]. Bis 1999 galt der WOMAC, der Western Ontario and McMaster University Index (PHYSIOPRAXIS 6/07, S. 36) als Goldstandard [2], danach setzte sich zunehmend die LEFS durch.

Die LEFS umfasst 20 Items, welche verschiedene Aktivitäten zum aktuellen Stand abfragen. Der Patient wählt eine von fünf Antwortmöglichkeiten und bewertet damit selbst, wie gut er die einzelnen Aktivitäten durchführen kann [1, 3]:

  • Extreme Schwierigkeiten/Unmöglich (0 Punkte)

  • Ziemlich große Schwierigkeiten (1 Punkt)

  • Mäßige Schwierigkeiten (2 Punkte)

  • Geringe Schwierigkeiten (3 Punkte)

  • Keine Schwierigkeiten (4 Punkte)

Die Antwortmöglichkeiten sind ohne Punktzahlen genannt, um den Patienten nicht zu beeinflussen. Für das Ausfüllen benötigt er rund zwei Minuten, die Auswertung dauert etwa eine halbe Minute. Die LEFS wird international eingesetzt. Sie liegt in 14 Sprachen vor wie Englisch, Arabisch, Französisch, Türkisch und Griechisch, um ein paar wenige Beispiele zu nennen [1, 3–15]. Seit 2015 gibt es eine deutsche validierte und kulturell adaptierte Version [3]. Der standardisierte Fragebogen ist weit verbreitet und Forscher nutzen ihn weltweit, vor allem um mit geringem Aufwand ihre Interventionen zu evaluieren.

Die LEFS hat den WOMAC als Goldstandard abgelöst und liegt in 14 verschiedenen Sprachen vor.

Legt Behandlungsziele fest

Ein guter Zeitpunkt, um dem Patienten den Fragebogen auszuhändigen, ist nach der Anamnese. Steht die Diagnose vor Behandlungsbeginn fest, füllt ihn der Patient bestenfalls bereits bei der Anmeldung aus. Möchte der Therapeut den Verlauf der Behandlung messen, sollte er die LEFS bei nicht akuten Zuständen frühestens nach 14 Tagen und bei akuten Zuständen frühestens nach einer Woche als Reassessment ausfüllen lassen [1].

Aus der Auswertung der einzelnen Items kann der Physiotherapeut Behandlungsziele entnehmen und diese im Kontext seiner Untersuchungsergebnisse mit dem Patienten besprechen. Um das allgemeine Aktivitätsniveau des Patienten einzuschätzen, zählt der Therapeut von allen angekreuzten Items die Punkte zusammen. Hat der Patient alle Items beantwortet, kann er maximal 80 Punkte erreichen. Er darf höchstens vier Fragen unbeantwortet lassen, sonst lässt sich das Ergebnis nicht valide interpretieren [3]. Bei Menschen zwischen 68 und 80 Jahren spiegelt ein Ergebnis von 52 Punkten einen guten Aktivitätsstatus wider. Eine grundlegende Hilfsbedürftigkeit zeigt sich in einem Ergebnis von unter 20 Punkten [16, 17].


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Sensibel, zuverlässig und valide

Um eine tatsächliche Veränderung im Verlauf einer Therapie – frei von Messfehlern – festzuhalten, dient der minimale relevante klinische Unterschied (MCID). Zu ihm liegen einige Untersuchungen vor. Bei allgemeinen Beschwerden der unteren Extremität, die vor allem das Kniegelenk betreffen, liegt er bei 9 Punkten [1]. Bei anteriorem Knieschmerz spricht man bei 10,5 Punkten von einer Verbesserung [18], bei einer Ansatztendinose der Achillessehne bei 12 Punkten [19] und nach Operationen am Kniegelenk bei 11 Punkten [5]. Bei Patienten mit Kniegelenkarthrose beträgt der MCID nach einem Jahr 12,5 Punkte. Dieses Ergebnis ist allerdings fraglich, da im gleichen Zeitraum auch der Messfehler 15,2 Punkte beträgt [20]. Zudem gibt es innerhalb eines Jahres neben der Physiotherapie genügend andere Faktoren, die zur Symptomreduktion beitragen können.

Ein LEFS-Ergebnis von 52 Punkten lässt bei Patienten zwischen 68 und 80 Jahren auf eine gute Aktivität schließen.

Bei der Test-Retest-Reliabilität schnitt die LEFS mit einem Intraklassen-Koeffizient (ICC) von über 0,98 sehr gut ab [3]. Optimal ist der Wert 1.

Zur Validität liegen verschiedene Studien vor: Der Korrelationskoeffizient zwischen der LEFS und der WOMAC-Kategorie „Alltagsaktivität“ liegt bei r = 0,89 [3]. Maximal ist der Wert 1 möglich. Auch mit dem Oxford Hip Score beziehungsweise dem Oxford Knee Score korreliert die LEFS sehr gut (r = 0,83–0,86) [3]. Zum SF-36 in der Kategorie „körperliche Aktivität“ besteht eine gute konvergente Validität (r = 0,75) [21], ebenso zum Hip bzw. Knee Osteoarthritis Outcome Score (r = 0,65–0,71) [11].


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Reflektiert einsetzen

Zu beachten beim Einsatz der LEFS ist, dass sie Aktivitäten nicht differenziert misst, zum Beispiel die motorische Kontrolle bei Sprüngen [22]. Auf die Geschwindigkeit oder Sicherheit beim Gehen lässt sie ebenfalls keine Rückschlüsse zu [23]. Die Frage, ob eine Aktivität eingeschränkt ist, decken die Items zwar ab. Wie differenziert die angekreuzte Störung ist, klärt der Fragebogen jedoch nicht.

Des Weiteren fehlt ein wichtiges Item im Fragebogen: Die LEFS klärt nicht, ob ein Patient knien kann. Doch dies kann für manche Menschen notwendig sein, um in Bezug auf die Mobilität unabhängig zu sein. Somit kann das Knien ein wichtiger Faktor der Lebensqualität sein.

Als Alternative zur LEFS gelten der WOMAC, Harris Hip Score (HHS), der Hip Osteoarthritis Outcome Score (HOOS), der Knee Osteoarthritis Outcome Score (KOOS), die AAOS (American Academy of Orthopaedic Surgeons) und der Oxford Hip Score (OHS) [24]. Am häufigsten kommt neben der LEFS das Foot and Ankle Ability Measure (FAAM) zum Einsatz [25]. Die LEFS bildet die einzelnen Aktivitäten jedoch gezielter ab als das FAAM und bietet somit bessere Interpretationsmöglichkeiten.

Mit der LEFS kann der Therapeut Erfolge in der Therapie belegen und auf weiter bestehende Defizite hinweisen.


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Dient als Argumentationshilfe

Die große Stärke der LEFS ist es, dass sie die alltäglichen und grundlegenden Aktivitäten eines Patienten abbildet, die Beschwerden bereiten. Daraus lassen sich wiederum Einschränkungen auf Partizipationsebene ableiten und Erfolge der Physiotherapie in diesem Bereich nachweisen. Somit bekommt der Therapeut im Hinblick auf die seit 2017 existierenden „Besonderen Verordnungsbedarfe“ (S. 7) zum Beispiel nach Implantationen von Knie- und Hüft-TEPs Argumente an die Hand, um im Abschlussbericht einerseits den Erfolg der Physiotherapie zu belegen, andererseits um auf bestehende Defizite hinzuweisen.

2015 ist in Deutschland die Zahl der implantierten Knie- und Hüftgelenkprothesen um 7,69 Prozent gestiegen [26]. Im selben Jahr gab es in Deutschland 5,17 Millionen Arbeitsunfähigkeitstage aufgrund von Erkrankungen an der unteren Extremität [27]. Vor dem Hintergrund der daraus resultierenden Kosten ist es essenziell, den therapeutischen Nutzen – auch aus Sicht der Patienten – so objektiv wie möglich darzustellen und den verordnenden Ärzten Fakten zum Nutzen der Therapie zu liefern.

Ralf Eberhardt


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