physiopraxis 2017; 15(06): 22-26
DOI: 10.1055/s-0042-123994
Therapie
© Georg Thieme Verlag Stuttgart – New York

Korsettschulung bei Skoliose – Das Korsett-Einmaleins

Verena Piper
,
Lena Kroggel

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Publikationsdatum:
23. Juni 2017 (online)

 

Ein Korsett zu tragen ist zunächst unangenehm, vor allem sich damit in der Öffentlichkeit zu zeigen. Eine Korsetttraining mit begleitender Physiotherapie hilft Kindern und Jugendlichen, das Hilfsmittel und ihren Körper zu akzeptieren.


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Verena Piper

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Verena Piper hat 2011 ihr Physiotherapie-Studium an der Hochschule Fresenius beendet. Sie arbeitet in einer Physiotherapiepraxis in Wiesbaden und macht nebenberuflich den Master in Management in Gesundheit & Pflege. 2013 hat sie die Schroth-Fortbildung absolviert. Ihr therapeutischer Schwerpunkt ist die Behandlung von Patienten mit orthopädischen Krankheitsbildern, insbesondere mit Skoliose.

Lena Kroggel

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Lena Kroggel schloss 2015 ihr Ergotherapiestudium in Idstein ab. Anschließend arbeitete sie in der stationären konservativen Skoliose-Intensiv-Rehabilitation, wo sie ihre Ausbildung zur Schroth-Therapeutin absolvierte und unter anderem Korsettschulungen und Arbeitsplatzberatungen durchführte. Gemeinsam mit einem Physiotherapeuten arbeitet sie heute in dessen eigener Praxis.

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Abb.: L. Kroggel

„Ich will dieses Plastikmonster nicht tragen! Es drückt, macht mich dick und zeigt jedem, dass ich behindert bin!“,
sagt die 14-jährige Nina
[ * ]

„Ich will dieses Plastikmonster nicht tragen! Es drückt, macht mich dick und zeigt jedem, dass ich behindert bin!“, sagt Nina[*]. Die 14-Jährige kommt zum Korsetttraining und zur begleitenden Physiotherapie in das Skoliose-Intensiv-Rehabilitationszentrum in Bad Sobernheim. Sie hat Skoliose und soll ein Korsett tragen. Die Diagnose erhielt Nina vor einem halben Jahr, kurz nach ihrer ersten Regelblutung. Es handelt sich also um eine Adoleszentenskoliose, wie in 90 Prozent der Fälle. Diese Form kann zwischen dem elften Lebensjahr und dem Wachstumsabschluss auftreten, Ursache unbekannt [1].

Häufig sind thorakale rechtskonvexe Skoliosen

Ninas Mutter sind im Schwimmbad die ungleich hohen Schultern ihrer Tochter aufgefallen. Sie haben daraufhin einen Orthopäden aufgesucht. „Ich fand das übertrieben, da ich mich als gerade empfand“, erzählt Nina.

Das Hauptmerkmal von Skoliosen ist die Abweichung der Wirbelsäule von der Norm, eine teilstrukturelle Seitverbiegung mit einem Winkel von über zehn Grad [1, 5]. Die betroffenen Wirbel sind in der Frontalebene seitlich verschoben und in der Transversalebene gleichsinnig rotiert. Begleitet wird der Pathomechanismus durch Abweichungen im Sagittalprofil: Bei Thorakalskoliosen findet sich meist ein Flachrücken, bei Lumbalskoliosen eine Hypolordose [8]. Insgesamt kommt es zum Längenverlust der Wirbelsäule und einer Verformung des Rumpfes [5]. Je nach betroffenen Wirbelsäulenabschnitten klassifiziert man verschiedene Muster ([ABB. 2]) [1]. Nina hat wie die meisten Patienten eine thorakale rechtskonvexe Skoliose mit einer Abweichung von 30 Grad [1]. Ihre rechte Brustkorbhälfte ragt nach rechts und ist nach hinten gedreht. Die Schultern sind unterschiedlich hoch, die rechte kippt nach vorne. Da Nina im lumbalen Bereich eine Gegenkrümmung von elf Grad hat, sitzt ihre Hose schief ([ABB. 3], S. 24).

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ABB. 1 Die Rumpforthese richtet die Wirbelsäule möglichst gerade auf. Die Pelotten drücken dabei auf die vorgewölbten Körperteile.
Abb.: L. Kroggel
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ABB. 2 Krümmungsmuster einer Skoliose:
a) thorakale Skoliose
b) thorakolumbale Skoliose
c) lumbale Skoliose
d) thorakale und lumbale Skoliose
Abb.: Thieme Verlagsgruppe
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ABB. 3 Nina hat eine thorakale rechtskonvexe Skoliose. Ihre rechte Brustkorbhälfte ragt nach rechts und ist nach hinten gedreht. Die Lendenwirbelsäule ist mit elf Grad entgegen dieser Richtung gekrümmt.
Abb.: L. Kroggel

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Je früher Skoliosen behandelt werden, desto besser

„Was kann man dagegen machen?“, fragt Nina. Der Arzt erklärt, dass sich Therapie und Prognose nach dem Krümmungsausmaß, dem Verlauf der Skoliose und dem Lebensalter richten. Grundsätzlich gilt, je früher die Skoliose erkannt und behandelt wird, desto größer der Behandlungserfolg [1, 7, 8]. Acht bis zehn Prozent der Skoliosen unter 20 Grad bilden sich spontan zurück. Oberhalb der 20 Grad ist der Verlauf meist ungünstig [5]. Im Hauptwachstumsschub sind dann Verschlechterungen um 20 Grad pro Jahr möglich [8]. Folglich reicht eine reine Physiotherapie nicht aus, eine ergänzende Korsetttherapie ist angezeigt [2].

Bei Kindern, die vor dem Hauptwachstumsschub stehen, kann man diesen mit dem Korsett für eine Krümmungsaufrichtung nutzen [8]. Nina kann nicht mit einer kompletten Krümmungsaufrichtung rechnen, da sie mit Auftreten der ersten Regelblutung den Gipfel der Wachstumsgeschwindigkeit überschritten hat [8]. Trotzdem kann sie von einem Korsett profitieren, denn Krümmungen von mehr als 20 Grad verschlechtern sich noch nach Auftreten der Reifezeichen um mehr als fünf Grad [8].


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Ein Korsett redressiert und derotiert die Wirbelsäule

„Wie sieht denn so ein Korsett aus?“, fragt Nina. Sie bekommt ein Chêneau-Korsett, welches als Goldstandard gilt [7]. Sie erschrickt: „Ich dachte, das ist eine Korsage, wie sie die Frauen in alten Filmen tragen und darin ganz schlank aussehen. Aber doch nicht so ein harter Panzer!“

Die derotierende Rumpforthese fixiert das Becken und den oberen Brustkorbanteil, sodass sie die Wirbelsäule in einer möglichst aufgerichteten und entdrehten Stellung hält ([ABB. 4]) [3]. Das Korsett ist asymmetrisch gebaut und stellt das Spiegelbild des Patienten dar ([ABB. 1], S. 22). Die Korrektur beruht auf einem Drei-Punkte-Prinzip – eingearbeitete Druckpolster (Pelotten) drücken auf die vorgewölbten Körperteile und führen zur Redression und Derotation. Ihnen gegenüber liegen Freiräume (Expansionsstellen), damit die Wirbelsäule in die Korrekturstellung ausweichen kann [7]. Sie müssen großzügig sein, damit neben der seitlichen Korrektur auch eine Derotation erfolgt. Da die Freiräume vom Körper abstehen und auftragen, fühlt sich Nina im Korsett dick. Sind die Expansionsräume jedoch zu eng, wirkt sich das negativ auf die Korrektur aus, quetscht den Rumpf zusammen und es entstehen Schmerzen [8].

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ABB. 4 Die derotierende Rumpforthese fixiert Ninas Becken und ihren oberen Brustkorbanteil.
Abb.: L. Kroggel

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Die Korsetttherapie ist evident

Zwar ist eine bleibende Korrektur nur bei deutlichem Restwachstum und voller Tragezeit zu erzielen [8], doch auch bei relativer Skelettreife ist ein Korsett effektiv: Es hält meist die Restprogression auf und verbessert die Kosmetik [8]. Während für andere konservative Therapieansätze noch keine Evidenzen vorliegen, existieren für die Korsetttherapie fundierte Daten [1, 8]. Die Erfolgsquote bei optimaler Bauweise und eingehaltener Tragezeit liegt bei 89 Prozent [6]. Auch ein Aufhalten der Skoliose gilt als Erfolg.

Die Compliance ist der entscheidende Faktor [6]. In der Regel tragen die Patienten das Korsett nach Eingewöhnungsphase und Korsetttraining ohne Schmerzen [6]. Treten dennoch Beschwerden auf, ist es wichtig, dass das Behandlungsteam diese ernst nimmt und die Problemzonen beseitigt. Bleiben die Schmerzen bestehen, müssen die Patienten einen Arzt aufsuchen und Ursachen wie eine Rippenwirbelgelenksentzündung abklären lassen.


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Jugendliche mit Korsett wirken vermehrt depressiv

Nachdem Nina ihr Korsett erhalten hat, steht sie vor neuen Herausforderungen. Sie ist in der Pubertät und fängt an, Wert auf ihr Äußeres zu legen. Sie trägt nun vorwiegend weite Kleidung, um das Korsett zu verdecken. Sie traut sich nicht mehr ins Schwimmbad, hat Schwierigkeiten, ihr verändertes Aussehen anzunehmen, und zieht sich zurück [2]. Gerade in der Zeit der körperlichen Selbstfindung ist es für Jugendliche schwer, ein gesundes Körperbewusstsein zu entwickeln [3]. Die ständige Konfrontation mit der Deformierung führt zu Selbstzweifeln [3]. Psychische Probleme, eine lange Tragedauer und eine drohende OP-Indikation erschweren die Situation zusätzlich [6]. Studien belegen, dass Jugendliche mit Korsett vermehrt depressiv wirken [4, 8].

Bei Nina gibt es jeden Tag Streit zu Hause. Sie weigert sich, das Korsett zu tragen. Eigentlich möchte sie selbstständig werden, doch nun benötigt sie im Alltag wieder Hilfe, zum Beispiel beim Schuhebinden. Ninas Mutter hat Schuldgefühle, dass sie die Skoliose nicht eher bemerkt hat. Diese Selbstvorwürfe sind in der Regel nicht begründet, denn vom unsichtbaren zum sichtbaren Stadium vergehen meist nur wenige Wochen [3].

Ermahnungen und Vorschriften während der Pubertät führen oft zu Verweigerungsverhalten [8]. In die Schule möchte Nina das Korsett nicht anziehen. Zu groß ist die Angst davor, ausgeschlossen oder gehänselt zu werden. Abends, wenn sie niemand sieht, zieht Nina es an. Doch es gelingt ihr nicht, darin einzuschlafen, oder sie zieht es unbewusst aus. Aus Wut und Frustration trägt Nina es fast gar nicht mehr.


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Austausch mit gleichaltrigen Patienten motiviert

In der Reha begegnet Nina anderen Korsettträgern: „Ich dachte immer, ich bin die Einzige, aber hier haben fast alle eins.“ Im Austausch mit Gleichaltrigen lernt sie Jugendliche mit ähnlichen Problemen kennen. Manche von ihnen tragen ihr Korsett problemlos 23 Stunden. Lea[*] ist eine von ihnen und berichtet: „Anfangs habe ich auch mit dem Korsett gehadert, aber ich habe gelernt, dass die Korsetttherapie eine Chance ist. Wenn du es konsequent trägst, wird es jeden Tag besser. Gib nicht auf!“

Motiviert durch den Zuspruch zieht Nina ihr Korsett an. Aber schon nach wenigen Stunden hält sie es nicht mehr aus und hat Druckstellen. Sie spricht mit ihrem Arzt, der ihr ein Korsetttraining verordnet. Dieses führt eine Ergotherapeutin im Sinne einer 30-minütigen Hilfsmittelberatung durch. Es verfolgt das Ziel, den Umgang mit dem Korsett zu üben, Alltagsfragen und Problemstellungen zu bearbeiten und die Akzeptanz des Korsetts zu erhöhen. Nina hat viele Fragen, aber vor allem ist sie wütend: „Jetzt trage ich das blöde Ding und habe Druckstellen!“ Natürlich ist es das Ziel, dass Nina die vom Arzt festgelegte Tragedauer von 23 Stunden täglich schnellstmöglich erreicht. Aber sie soll die Steigerung kontinuierlich vornehmen, damit sich ihre Haut an den Druck gewöhnt. Um einen Überblick zu erhalten, kann Nina einen Wochenplan anlegen, in welchen sie jeden Tag die erreichte Tragezeit einträgt. So legt sie den Fokus auf das Erreichte. Hält sie den Druck nicht mehr aus, darf sie die Schnallen für zehn Minuten öffnen.

Wenn man das Korsett konsequent trägt, wird es von Tag zu Tag besser.


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Unter dem Korsett empfehlen sich enge, nahtfreie Shirts

Die Haut unter dem Korsett sollte man beobachten, insbesondere an den Stellen der eingearbeiteten Pelotten [8]. Hautveränderungen wie Rötungen sind normal und verschwinden meist nach dem Ausziehen. Werden sie dunkelrot, bläulich oder wund, hilft „PC30V“, ein Hautpflegemittel, das rezeptfrei als Liquidum oder Salbe in der Apotheke erhältlich ist. Das hautgerbende Mittel dient der Dekubitusprophylaxe. Auf andere Cremes, Salben oder Puder sollte man verzichten – sie machen die Haut noch empfindlicher [8]. Bilden sich die Druckstellen nicht zurück, muss der Patient einen Arzt aufsuchen.

Das Korsett sollte man niemals direkt auf der Haut, sondern auf einem engen, möglichst nahtfreien T-Shirt tragen. Für Frauen empfiehlt sich ein bügelfreier BH. Schwitzt jemand vermehrt, hilft es, die Kleidung zu wechseln, damit keine Hautreizungen entstehen [8]. Nach dem Schwimmen, Baden oder Eincremen wartet man am besten 30 Minuten mit dem Anlegen, bis die Haut komplett trocken und nicht mehr aufgeweicht ist [8]. Um unangenehme Gerüche zu vermeiden, soll Nina das Korsett wöchentlich reinigen. Dazu nimmt sie einen Lappen mit Wasser und Seife oder Duschgel und wischt über das Korsett. Anschließend trocknet sie es mit einem Frottiertuch. Ein Fön oder die pralle Sonne könnte zu Formverlust führen [8].


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Am besten in Rückenlage oder im Stand anziehen

Die Rückenlage mit angewinkelten Beinen eignet sich am besten, um das Korsett anzuziehen. Die Schwerkraft bewirkt, dass die Wirbelsäule flach auf der Unterlage aufliegt und man wenig Kraft benötigt, um das Korsett fest zuzuziehen. Doch die Rückenlage ist nicht immer möglich. Im Korsetttraining übt Nina, wie es im Stehen klappt. Als Erstes drückt sie das Korsett mit beiden Händen so weit auseinander, bis sie es seitlich über den Rumpf schieben kann. Dann richtet sie dessen Position und zieht das T-Shirt unter dem Korsett glatt, damit keine Falten entstehen. Als Nächstes lehnt sie sich an eine Wand. Sie beugt die Knie, als würde sie sich hinsetzen. Nun fädelt sie die Bänder durch die Schnallen. Den Rücken drückt sie gegen die Wand und zieht an den Verschlüssen. „Ich schaffe es nicht“, stöhnt Nina. Als ihr die Ergotherapeutin den Tipp gibt, die Schnallen Schritt für Schritt zuzuziehen, gelingt es ihr. Bald wird sie ohne Wand auskommen.

„Wenn ich liege, fühle ich mich wie ein Käfer auf dem Rücken und kann nicht alleine aufstehen“, beschreibt Nina ein weiteres Problem. Die Ergotherapeutin rät ihr, sich immer auf eine Seite zu rollen, damit sie nah an der Bettkante liegt. Dann kann sie die Beine aus dem Bett gleiten lassen und über den Ellenbogenstütz in den Sitz kommen [8].


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Zusätzliche Kissen helfen in der Nacht

Schlafmangel ist kräfteraubend. Um diesen zu beheben, darf Nina das Korsett drei Nächte hintereinander auslassen [8]. Danach soll sie wieder jeden Abend probieren, mit Korsett einzuschlafen. Vielen Patienten helfen zusätzliche Kissen, zum Beispiel Seitenschläferkissen. Nina berichtet, dass sie ihr Korsett unbewusst auszieht. Passiert dies selten, sind keine Maßnahmen erforderlich. Tritt es häufig auf, kann Nina über das Korsett ein sehr enges T-Shirt anziehen.

Krankheitsbild – Skoliosen erkennen

Für Skoliosen gibt es außer Reihenuntersuchungen keine Prävention. Ein kurzer Check sollte daher zum physiotherapeutischen Befund gehören. Bitten Sie das Kind, T-Shirt und Schuhe auszuziehen. Vergleichen Sie Symmetrie und Gleichmäßigkeit beider Rückenhälften [1]:

  • Sind die Schultern unterschiedlich hoch?

  • Gibt es ein prominentes Schulterblatt?

  • Ist der Brustkorb seitlich versetzt und auf einer Seite nach hinten gedreht?

  • Liegt ein Flachrücken oder eine Hypolordose vor?

  • Steht das Becken verdreht, sodass ein Beckenknochen prominent nach vorne steht?

  • Sind die Beckenkämme unterschiedlich hoch? Besteht eine Beinlängendifferenz?

  • Sind die Taillendreiecke ungleich?

  • Steht die Hüfte auf einer Seite seitlich heraus?

  • Adams-Test: Der Patient beugt sich mit gestreckten Kniegelenken und geschlossenen Füßen nach vorne. Die Hände legt er zusammen und hält sie mit ausgestreckten Armen zwischen den Knie. Entdecken Sie Niveauunterschiede? Sind eine Vorwölbung der dorsalen Rippen und/oder eine prominente paravertebrale Lumbalregion sichtbar?

Wenn Sie eine oder mehrere Fragen bejahen oder unsicher sind, schicken Sie das Kind zum Orthopäden.

Fehlinformationen oder Drohungen wie „Wenn du es nicht trägst, verschlimmert sich die Skoliose so stark, dass die Wirbelsäule deine Lunge eindrückt“, sind kontraproduktiv. Sie führen zu Verunsicherung und Angst, steigern aber nicht die Compliance. Viel motivierender ist es, Korsettträger zu belohnen und ihnen Mut zuzusprechen. Eine Verlaufsdokumentation mit Fotos macht den persönlichen Erfolg sichtbar.

Nachdem Nina keine Fragen mehr hat, ist das einmalige 30-minütige Korsetttraining beendet. Sie ist noch skeptisch, hat sich aber vorgenommen, das Korsett zu tragen. Durch den Austausch mit anderen hat sie neuen Mut gefasst und möchte das Hilfsmittel nicht weiter verstecken. Den Druck spürt sie gar nicht mehr, und das Korsett hat natürlich auch Vorteile. Zum Beispiel muss man sich kaum anstrengen, um aufrecht zu sitzen. Aus dem anfänglich gehassten Plastikmonster wurde ein Freund.

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Abb.: L. Kroggel

Aus dem anfänglich gehassten Plastikmonster ist ein Freund geworden.


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Wichtig ist Sport – mit und ohne Korsett

„Wie ist das eigentlich mit Sport?“, möchte Nina wissen. „Mit dem Korsett watschel ich wie eine Ente und fühle mich eingeschränkt.“ Dass sich das Laufen im Korsett eigenartig anfühlt, liegt auch daran, dass Nina sich an das skoliosebedingte Ungleichgewicht zwischen links- und rechtsdrehenden Rumpfbewegungen gewöhnt hat [3]. Das Korsett bringt sie in eine neue Haltung, die sie erst erlernen muss. Grundsätzlich soll sie sich viel bewegen, um die Muskulatur zu stärken. Tut sie dies nicht, kann die Rumpfmuskulatur schwächer werden [8]. Um einer Verletzungsgefahr entgegenzuwirken, zieht sie das Korsett beispielsweise beim Radfahren oder Schulsport aus.


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Es besteht ein langfristiger Heilmittelbedarf

Wichtig ist, dass Nina täglich die gelernten Übungen nach Schroth macht [8]. Des Weiteren ist eine ambulante Physiotherapie ein- bis zweimal pro Woche sinnvoll, um die Übungen zu wiederholen, zu überprüfen und weiterzuentwickeln und diese mit sensomotorischen Übungen, zum Beispiel auf wackeligem Untergrund, zu kombinieren. Die regelmäßige Physiotherapie am Wohnort hilft Nina zudem, motiviert zu bleiben und Fragen und Probleme direkt mit einem Experten besprechen zu können. So lässt sich zum Beispiel bei Schmerzen eine „Hands-on-Behandlung" einschieben.

Skoliosen über 20 Grad bei Kindern bis zum vollendeten 18. Lebensjahr stehen auf der Diagnoseliste für einen langfristigen Heilmittelbedarf (PHYSIOPRAXIS 2/17, S. 10). Somit kann der Arzt ohne Genehmigung von der Krankenkasse extrabudgetär Physiotherapie verordnen. Darüber hinaus sollte Nina bis zum Wachstumsende jährlich eine stationäre Skoliose-Intensiv-Rehabilitation in einer spezialisierten Klinik besuchen, um die erreichten Ergebnisse der Physiotherapie zu halten und zu verbessern.


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Das Abschulen beginnt frühestens mit 16 Jahren

Die Korsetttherapie ist langwierig. In der Regel findet der erste Kontrollbesuch beim Arzt sechs bis acht Wochen nach Erhalt der Orthese statt. Anhand eines Röntgenbildes im Korsett kann er Sitz und Korrektureffekt bestimmen. Anschließend kontrolliert er das Korsett alle drei Monate [8]. Bei ausgeprägtem Längen- und/oder Breitenwachstum sowie starker Brustentwicklung empfiehlt es sich, den Arzt und Korsettbauer früher aufzusuchen. Dies gilt auch bei wiederkehrender Übelkeit, Atemnot oder Missempfindungen.

Wann man mit dem sogenannten Abschulen beginnt, legt der Arzt fest. In der Regel am Ende des Wachstumsschubes, bei Mädchen etwa mit 16, bei Jungen meist ab 17 Jahren. Da sich aber auch danach die Progression aufhalten und die Kosmetik verbessern lässt, wartet man bei Krümmungen über 30 Grad, wie bei Nina, eher länger, um das bestmögliche Ergebnis zu erzielen. Beim Abschulen wird die Tragezeit alle drei Monate um drei Stunden reduziert. So kann sich die Rumpfmuskulatur an die Mehrbelastung gewöhnen [8]. Nach vollständiger Skelettreife tragen die Patienten das Korsett für ein Jahr noch nachts [7]. Zwischen dem 18. und 21. Lebensjahr können sie es meist ganz ablegen [2].

Verena Piper, Lena Kroggel


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* Name von der Redaktion geändert




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Abb.: L. Kroggel
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ABB. 1 Die Rumpforthese richtet die Wirbelsäule möglichst gerade auf. Die Pelotten drücken dabei auf die vorgewölbten Körperteile.
Abb.: L. Kroggel
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ABB. 2 Krümmungsmuster einer Skoliose:
a) thorakale Skoliose
b) thorakolumbale Skoliose
c) lumbale Skoliose
d) thorakale und lumbale Skoliose
Abb.: Thieme Verlagsgruppe
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ABB. 3 Nina hat eine thorakale rechtskonvexe Skoliose. Ihre rechte Brustkorbhälfte ragt nach rechts und ist nach hinten gedreht. Die Lendenwirbelsäule ist mit elf Grad entgegen dieser Richtung gekrümmt.
Abb.: L. Kroggel
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ABB. 4 Die derotierende Rumpforthese fixiert Ninas Becken und ihren oberen Brustkorbanteil.
Abb.: L. Kroggel
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Abb.: L. Kroggel