Aktuelle Urol 2017; 48(02): 100-102
DOI: 10.1055/s-0042-122973
Referiert und kommentiert
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Aussagekraft der Urinkultur vor perkutaner Nephrolithotomie

Paonessa JE. et al.
Preoperative Bladder Urine Culture as a Predictor of Intraoperative Stone Culture Results: Clinical Implications and Relationship to Stone Composition.

J Urol 2016;
196: 769-774
Further Information

Publication History

Publication Date:
16 May 2017 (online)

 

Vor einer perkutanen Nephrolithotomie zur Steinentfernung wird meist eine Urinkultur angelegt, um das Risiko eines postinterventionellen Harnwegsinfekts abzuschätzen. Ob aber diese Ergebnisse tatsächlich Rückschlüsse auf mögliche pathogene Mikroorganismen innerhalb der Nierensteine zulassen, haben Mediziner der University of Indiana untersucht.


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Paonessa et al. haben die Krankenakten von 776 in ihrer Klinik behandelten Patienten retrospektiv ausgewertet. Dabei verglichen sie die mikrobiologischen Ergebnisse der präinterventionellen Urinkulturen aus Blasenurin mit denen der postinterventionellen Kulturen, die aus den entfernten Steinen angelegt worden waren. Insgesamt wiesen

  • 352 Patienten (45,4%) vor dem Eingriff eine positive Urinkultur auf und

  • 300 Patienten (38,7%) eine positive Kultur aus den Nierensteinen

Dabei war erstaunlicherweise Staphylococcus sp. sowohl in den präoperativen als auch in den postoperativen Kulturen der häufigste Erreger (22,2 und 25,3%). Erst danach folgten klassische uropathogene Keime wie Proteus mirablis (15,3 und 13%), Escherischia coli (13,1% im Urin) und Enterokokken (8,8 und 13,7%). In den Steinkulturen wurden zudem in 12,7% Candida Pilze nachgewiesen. Dann verglichen die Forscher Ergebnisse der prä- und postinterventionellen Kulturen und fanden:

  • 349 Patienten wiesen sowohl präinterventionell als auch postinterventionell negative Kulturen auf (45%).

  • 127 Patienten (16,4%) mit positiven präinterventionellen Kulturen zeigten negative Steinkulturen und

  • 75 Patienten (9,7%) zeigten negative Urinkulturen, aber positive Steinkulturen.

  • Bei 225 Patienten (29%) waren sowohl Urin- als auch Steinkulturen positiv.

In dieser Gruppe (positive Urin- als auch Steinkulturen), zeigte sich, dass nur bei etwas mehr als der Hälfte (n=122) in beiden Kulturen (n = 122) die gleichen Erreger nachweisbar waren. Bei den übrigen 103 Patienten (45,8%; 13,3% der Gesamtgruppe) dagegen differierten die Urin- und Steinkulturergebnisse. Daraus errechneten sich eine Sensitivität von 62%, eine Spezifität von 60% und ein positiver Vorhersagewert von nur 35% für die präoperative Urinkultur, die in der Steinkultur vorhandenen Erreger vorherzusagen. Bei 13 Patienten (1,7%) entwickelte sich eine postinterventionelle Sepsis, von ihnen hatten 9 Diskordanzen zwischen Urin- und Steinkultur gezeigt, und bei 2 Patienten waren beide Kulturen negativ gewesen. Nur bei 1 dieser Patienten fand sich ein Struvitstein als klassischer Infektstein.

Fazit

Die routinemäßig angelegte Urinkultur vor einer perkutanen Nephrolithotomie sagt relativ wenig über die Erreger aus, die in den Steinen tatsächlich vorliegen, meinen die Autoren. Es scheint daher sinnvoll, zumindest ergänzend die extrahierten Steinfragmente zur Kultur einzuschicken, auch wenn damit nicht alle Patienten mit erhöhten Risiko für einen Urosepsis identifiziert werden könnten.

Dr. Elke Ruchalla, Bad Dürrheim

Kommentar

Die Autoren beschreiben in Ihrer Arbeit den Zusammenhang einer präoperativ angelegten Urinkultur vor der Durchführung einer percutanen Nephrolitholapaxie (PCNL) und den Zusammenhang zu postoperativen infektiösen Komplikationen sowie der Steinzusammensetzung. Infektiöse Komplikationen insbesondere bei Ausbildung einer Sepsis gehören neben Blutungen und den sehr seltenen Organverletzungen zu den potentiell schwerwiegenden Komplikationen bei diesem Eingriff [1] [2] [3]. Sie identifizierten dazu 776 Patienten aus Ihrem dokumentierten Kollektiv von 1295 Patienten mit PCNL, bei denen sowohl eine präoperative Urinkultur angelegt wurde als auch eine intraoperative Steinkultur. Die Urinkultur war bei 352 Patienten (45,4%) positiv, die Steinkultur bei 300 Patienten (38,7%). Eine positive Steinkultur bei negativer Urinkultur fand sich bei 75 Patienten (9,7%) und unterschiedliche Keime bei beiden positiven Kulturen bei 103 Patienten (13,3%). Die Autoren stellen dar, dass die präoperative Urinkultur mit einer Sensitivität von nur 62% zu ungenau sei, um postoperative infektiöse Komplikationen vorherzusagen, so dass sie die generelle Untersuchung des im Rahmen der PCNL gewonnen Steinmaterials auf eine bakterielle Besiedlung empfehlen. Des Weiteren sehen sie eine Zunahme grampositiver Keime bei den untersuchten Kulturen. Auf die Technik zur Etablierung des Zugangs zum Nierenbeckenkelchsystem als bekannter Risikofaktor für Komplikationen gehen die Autoren in der Arbeit nicht ein. Sie beschreiben die Verwendung eines großen Durchmessers des Arbeitsschaftes von 30Fr als Standardinstrumentarium.

Die Arbeit beschreibt am bislang größten Kollektiv den bereits bekannten, nur geringen Zusammenhang zwischen dem Ergebnis einer präoperativen Urinkultur vor PCNL und der bakteriellen Untersuchung des gewonnen Steinmaterials. Die Urinkultur wird in aktuellen Leitlinien als Standarduntersuchung vor einer PCNL empfohlen, während Steinkulturen kein Standard sind. Die Autoren empfehlen eine Änderung dieses Vorgehens basierend auf Ihren Ergebnissen. Andere Autoren kamen im Vorfeld bereits zu ähnlichen Ergebnissen [4]. Im Gegensatz dazu haben die Autoren der aktuellen Arbeit zwar die Divergenz zwischen Urin- und Steinkultur gezeigt, einen direkten Zusammenhang der bakteriellen Steinbesiedelung als Auslöser einer möglichen Sepsis jedoch nicht belegt. Es gelang nur in 4 der 13 Patienten mit Sepsis der Keimnachweis im Rahmen einer Urinkultur, wobei die Autoren die zugrunde gelegte Sepsis-Definition nicht beschreiben. Dies wiederum könnte durch das standardmäßig zur Anwendung gekommene Antibiotikaregime der Autoren begründet sein. Dabei wurden Patienten mit einer präoperativen Urinkultur mindestens 2 Wochen lang vor dem Eingriff antibiotisch behandelt. Die Patienten mit unauffälliger Urinkultur erhielten nach dem Eingriff ebenfalls eine Antibiose über mindestens 1 Woche. Bei positiver Steinkultur wurde die Antibiose testgerecht angepasst und für 3 Monate verabreicht. Dieses Regime entspricht nicht der Grunddefinition einer prä- oder perioperativen Prophylaxe, die als Einmalgabe kurz vor Beginn des Eingriffs erfolgen sollte und ohne Nachweis einer Infektion auch nicht über mehrere Tage fortzuführen ist. Insbesondere die von den Autoren angeführte Langzeitverwendung von Fluorchinolonen ist unter Betrachtung des Nebenwirkungsspektrums und der zunehmenden Entwicklung von Resistenzen äußerst kritisch zu betrachten [5]. In unserer Erfahrung ist bei präoperativ unauffälliger Urinkultur, der Anlage des Arbeitskanals mittels sonografisch und durchleuchtungsgesteuerter Punktion bei normaler Anatomie oder der (Dyna-)CT gesteuerten Punktion bei schwierigen anatomischen Verhältnissen sowie der Verwendung kleinerer Schaftgrößen (16-21Fr) die präoperative Einmalgabe eines Cephalosporins der 2. Generation ausreichend zur Vermeidung postoperativen Fiebers oder gar einer Sepsis [6] [7]. Dies kann jedoch regional abweichen durch ein verändertes Keimspektrum oder einer anderen Operationstechnik.

Fazit für die Praxis

Die Anlage einer Steinkultur im Rahmen jeder PCNL kann als kostengünstige und einfache Untersuchung bei postoperativen infektiösen Komplikationen eventuell eine schnellere und zielgerichtetere Behandlung ermöglichen, sollte es trotz aller Sorgfalt zu einer postoperativen Sepsis kommen. Generell sollte zur Vermeidung schwerwiegender Komplikationen durch eine percutane Steinbehandlung vorher eine ausreichende Abklärung der Patienten mit Anlage einer präoperativen Urinkultur sowie eine aussagekräftigen Bildgebung mit Darstellung des oberen Harntrakts erfolgen. Eine Einmalgabe eines geeigneten Antibiotikums (z. B. Cephalosporine 2. Generation) ca. 30 min präoperativ, die Etablierung eines Zugangs unter sonographischer- und Durchleuchtungskontrolle sowie die Verwendung kleinerer Arbeitsschäfte reduziert dabei nicht nur infektiöse, sondern auch andere schwerwiegende Komplikationen.


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Die Autoren

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Prof. Dr. Manuel Ritter,
Klinik für Urologie,
Universitätsklinikum
Mannheim

  • Literatur

  • 1 Michel MS, Trojan L, Rassweiler JJ. Complications in percutaneous nephrolithotomy. Eur Urol. 2007; 51: 899-906 discussion
  • 2 Ritter M, Krombach P, Michel M-S. Percutaneous Stone Removal. European Urology Supplements. 2011; 10: 433-439
  • 3 Ritter M, Rassweiler MC, Michel MS. Complications in percutaneous lithotomy. Urologe A. 2014; 53: 1011-1016
  • 4 Eswara JR, Shariftabrizi A, Sacco D. Positive stone culture is associated with a higher rate of sepsis after endourological procedures. Urolithiasis 2013; 41: 411-414
  • 5 FDA Drug Safety Communication: FDA advises restricting fluoroquinolone antibiotic use for certain uncomplicated infections; warns about disabling side effects that can occur together.Im Internet: http://www.fda.gov/Drugs/DrugSafety/ucm500143.htm Stand: 5.12.2016
  • 6 Ritter M, Rassweiler MC, Michel MS. The Uro Dyna-CT enables 3D-planned laserguided complex punctures. Eur Urol. 2015; 68: 880-884
  • 7 Turk C, Petrik A, Sarica K. et al. EAU Guidelines on Interventional Treatment for Urolithiasis. Eur Urol. 2016; 69: 475-482

  • Literatur

  • 1 Michel MS, Trojan L, Rassweiler JJ. Complications in percutaneous nephrolithotomy. Eur Urol. 2007; 51: 899-906 discussion
  • 2 Ritter M, Krombach P, Michel M-S. Percutaneous Stone Removal. European Urology Supplements. 2011; 10: 433-439
  • 3 Ritter M, Rassweiler MC, Michel MS. Complications in percutaneous lithotomy. Urologe A. 2014; 53: 1011-1016
  • 4 Eswara JR, Shariftabrizi A, Sacco D. Positive stone culture is associated with a higher rate of sepsis after endourological procedures. Urolithiasis 2013; 41: 411-414
  • 5 FDA Drug Safety Communication: FDA advises restricting fluoroquinolone antibiotic use for certain uncomplicated infections; warns about disabling side effects that can occur together.Im Internet: http://www.fda.gov/Drugs/DrugSafety/ucm500143.htm Stand: 5.12.2016
  • 6 Ritter M, Rassweiler MC, Michel MS. The Uro Dyna-CT enables 3D-planned laserguided complex punctures. Eur Urol. 2015; 68: 880-884
  • 7 Turk C, Petrik A, Sarica K. et al. EAU Guidelines on Interventional Treatment for Urolithiasis. Eur Urol. 2016; 69: 475-482

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