Einleitung
Die Intergroup-Sentinel-Mamma-(INSEMA-)Studie (NCT02466737, GBG75, ABCSG43) ist eine
prospektiv randomisierte Studie zum Vergleich der Sentinel-Lymphknoten-Biopsie (SLNB)
versus keiner Axillachirurgie bei Patientinnen mit einem frühen invasiven Mammakarzinom
(klinisch/bildgebend ≤ 5 cm; c/iT1–2 c/iN0) und brusterhaltender Therapie (BET) mit
postoperativer Ganzbrustbestrahlung ([Abb. 1 ]). In einer zweiten Fragestellung werden Patientinnen mit positivem Sentinel-Lymphknoten
in Analogie zur ACOSOG Z0011-Studie [1 ] zu keiner weiteren Operation oder kompletter Axilladissektion (ALND) randomisiert.
Sponsor der INSEMA-Studie ist die Universitätsmedizin Rostock; die Studie wird durch
die Deutsche Krebshilfe gGmbH finanziert und das Datenmanagement erfolgt durch die
German Breast Group (GBG) Forschungs GmbH (Neu-Isenburg, Deutschland). Mehr als 130
deutsche Prüfzentren rekrutieren für beide Fragestellungen; „first-patient-in“ war
am 17.09.2015 in Rostock. Am 09.03.2016 wurde am Salzburger Zentrum die 1. Patientin
aus Österreich eingeschlossen. Die weiteren Zentren der Austrian Breast & Colorectal
Cancer Study Group (ABCSG) werden ausschließlich für die 2. Randomisierung rekrutieren.
Abb. 1 Flow Chart der INSEMA-Studie mit der Verteilung nach 1001 eingeschlossenen Patientinnen.
Die Rationale der Studie basiert auf die im Zeitraum der Protokollerstellung (2011–2014)
verfügbaren Daten [2 ], [3 ], wonach – zumindest bei palpatorisch und sonografisch unauffälligen axillären Lymphknoten
und BET – eine Entnahme der axillären Sentinel-Lymphknoten (SLN) kritisch hinterfragt
werden muss. Selbst bei 1–2 positiven SLN erscheint eine komplette ALND ohne Nutzen
für die Patientin zu sein. Letztlich könnte die Vermeidung der SLNB zur Kostenersparnis
(Markierung, OP-Kapazität, Pathologie), zur Senkung der axillabedingten Morbidität
(z. B. Lymphödem) und zur Verbesserung der Lebensqualität der Patientinnen beitragen
[4 ]. Die Auswertung am Krebsregister Rostock der Jahre 2014 und 2015 ergab für die Universitäts-Frauenklinik
Rostock, dass 53,1 % der neu diagnostizierten Mammakarzinompatienten die Einschlusskriterien
der INSEMA-Studie erfüllen. Somit könnte das Ergebnis der INSEMA-Studie die operative
Therapie bei jeder zweiten Brustkrebspatientin beeinflussen.
Ergebnisse
Eine erste Analyse der Patientinnencharakteristika (n = 1001) ist in [Tab. 1 ] zusammengefasst. Das mediane Alter der Gesamtpopulation ist 61 Jahre, wobei in der
Non-SLNB-Gruppe tendenziell mehr prämenopausale Patientinnen (< 50 Jahre: 17,4 vs.
10,8 % in der SLNB-Gruppe) rekrutiert wurden. Die statistische Analyse mit Rücksicht
auf die Altersgruppenverteilung erbrachte jedoch keinen signifikanten Unterschied
(p = 0,051).
Tab. 1 Ausgewählte Patientinnencharakteristika der ersten 1 001 INSEMA-Patientinnen.
Parameter
Kategorie
SLNB (n = 800)
keine SLNB (n = 201)
gesamt (n = 1 001)
p-Wert
BMI = Body-Mass-Index; HR = Hormonrezeptor; ER = Estrogenrezeptor; PgR = Progesteronrezeptor
Alter (Jahre)
Mean
61,1
60,0
60,9
0,236
Median
61,0
60,0
61,0
Min-Max
36–87
36–89
36–89
BMI (kg/m2 )
Mean
27,0
27,2
27,1
0,707
Median
25,8
25,9
25,8
HR-Status
ER/PgR negativ
23 (2,9 %)
8 (4,0 %)
31 (3,1 %)
0,493
ER und/oder PgR positiv
774 (97,1 %)
193 (96,0 %)
967 (96,9 %)
HER2-Status
negativ
728 (92,0 %)
178 (89,4 %)
906 (91,5 %)
0,255
positiv
63 (8,0 %)
21 (10,6 %)
84 (8,5 %)
Grading
G1
269 (33,6 %)
65 (32,3 %)
334 (33,4 %)
0,942
G2
488 (61,0 %)
125 (62,2 %)
613 (61,2 %)
G3
43 (5,4 %)
11 (5,5 %)
54 (5,4 %)
histologischer Subtyp
invasiv duktal
586 (73,5 %)
152 (75,6 %)
738 (73,9 %)
0,774
invasiv lobulär
89 (11,2 %)
24 (11,9 %)
113 (11,3 %)
gemischt oder andere
122 (15,3 %)
25 (12,5 %)
147 (14,7 %)
Ki-67
≤ 20 %
648 (84,3 %)
160 (82,9 %)
808 (84,0 %)
0,661
> 20 %
121 (15,7 %)
33 (17,1 %)
154 (16,0 %)
Nach Befundung der präoperativen Bildgebung wurden 889 Fälle (88,9 %) dem cT1-Stadium
(≤ 2 cm) und 111 Fälle (11,1 %) dem cT2-Stadium (> 2 cm) zugeordnet. Die überwiegende
Mehrheit der 1001 Mammakarzinome war hormonrezeptorpositiv (96,9 %). Nur 8,5 % aller
Tumoren hatten einen positiven HER2-Status und lediglich 5,4 % aller Fälle zeigten
im Tumorgrading einen G3-Befund. Diese Zahlen unterstützen die Vermutung, dass in
Deutschland triple-negative und HER2-positive Karzinome aktuell eher im neoadjuvanten
Therapieansatz behandelt werden.
Die Detektionsrate für den Sentinel-Lymphknoten lag im SLNB-Arm (n = 755 nach Ausschluss
der Drop-outs) bei 99,5 %. Nach Aufarbeitung von 751 durchgeführten SLNBs ergab der
pathologische Nodalstatus folgende Verteilung: 83,0 % mit pN0 (n = 623); 2,8 % mit
Nachweis einer Mikrometastasierung (pN1mi; n = 21); 12,9 % mit 1–2 Makrometastasen
(n = 97); und 1,3 % mit ≥ 3 Makrometastasen (n = 10). Somit liegt die Rate der Fälle
ohne Nachweis einer Makrometastasierung in den axillären Lymphknoten mit 85,8 % deutlich
über den prognostizierten 70 % bei Protokollerstellung. Dies spricht für die Prüfzentren
in der Selektion von INSEMA-Fällen durch eine umfassende präoperative Diagnostik (z. B.
Sonografie ± Stanzbiopsie der Axilla). Andererseits erreichen viele Brustzentren (auch
international) aktuell eine pN0-Rate von etwa 80 % für die SLNB durch den erhöhten
Anteil von Screening-Patientinnen.
Diskussion
Onkologische Sicherheit bei Verzicht auf die SLNB
Die onkologische Sicherheit des Verzichts auf die SLNB wird häufig im Rahmen der INSEMA-Aufklärung
hinterfragt. Der Anspruch auf maximale onkologische Sicherheit seitens der Patientin
bzw. deren Familienangehörigen muss hier mit dem Wunsch nach Schonung der Axillaregion
mit Vermeidung der operativen Morbidität in Einklang gebracht werden. Studien aus
der Vor-SLNB-Ära haben den Stellenwert der ALND gegenüber keiner Axillachirurgie bei
klinisch nicht befallenen axillären Lymphknoten verglichen. Auch wenn die Fallzahl
in diesen Studien oft begrenzt ist, zeigen die Ergebnisse mit ausreichend langem Follow-up
zwar eine geringfügig erhöhte Rate an axillären Rezidiven, die aber keinerlei Auswirkungen
auf das krankheitsfreie Überleben oder auf das Gesamtüberleben hatte ([Tab. 2 ]).
Tab. 2 Prospektiv randomisierte Studien mit Verzicht auf die axilläre Lymphonodektomie
bei Patientinnen mit einem frühen Mammakarzinom vs. kompletter Axilladissektion bzw.
axillärer Strahlentherapie.
Autor/Studie
Patienten
n
Follow-up
axilläre Rezidive
krankheitsfreies Überleben
Gesamtüberleben
# Veronesi et al. randomisierten Patienten ohne Axillachirurgie zu keiner weiteren
Therapie vs. axillärer Strahlentherapie. * 42 % der Patienten mit Tumoren > 2 cm J. = Jahre, Mon. = Monate, ME = Mastektomie, MRM = modifiziert radikale Mastektomie,
DDFS = distantes krankheitsfreies Überleben
Fisher et al. [50 ] (2002) NSABP B-04
jedes Alter, cN0, MRM vs. ME allein vs. ME plus Radiatio, keine Systemtherapie
1 079
25 J.
18,6 % im ME-allein-Arm
19 vs. 19 vs. 13 %; p = 0,65
25 vs. 26 vs. 19 %; p = 0,68
Veronesi et al. [51 ] (2005)#
> 45 J., Tumor < 1,2 cm, cN0
435
63 Mon.
0,5 vs. 1,5 %
97 vs. 95 %; p = 0,19
99 vs. 97 %; p = 0,23
Rudenstam et al. [52 ] (2006) IBCSG 10-93
> 60 J., pT1–2*, cN0
473
6,6 J.
0,9 vs. 2,5 %; n. s.
67 vs. 66 %; p = 0,69
75 vs. 73 %; p = 0,77
Martelli et al. [53 ] (2014)
≥ 65 J., pT1 cN0, Tamoxifen
238
15 J.
0 vs. 6 %
DDFS p = 0,95
p = 0,64
Agresti et al. [54 ] (2014) INT09/98
30–65 J., cT1cN0, Tamoxifen ± Chemotherapie
565
10 J.
0 vs. 9 %
92,4 vs. 91,3 %; p = 0,9
93,3 vs. 91,5 %; p = 0,78
In der Diskussion hinsichtlich onkologischer Sicherheit muss auch erwähnt werden,
dass in den randomisierten Studien, die zur Akzeptanz der SLNB in der klinischen Routine
führten, die falsch negative Rate 5–8 % betrug, was aber auf das krankheitsfreie Überleben
und das Gesamtüberleben keine Auswirkung hatte [5 ], [6 ].
In der IBCSG 23-01-Studie wurden 931 Patientinnen mit Mikrometastasen im SLN zu keiner
weiteren Axillachirurgie bzw. kompletter Axilladissektion randomisiert [7 ]. Nach adäquater Systemtherapie und Bestrahlung sowie einem medianen Follow-up von
5 Jahren waren die lokoregionäre Rezidivrate mit 0,9 % in beiden Armen wie auch das
krankheitsfreie (87,8 vs. 84,4 %) und das Gesamtüberleben (98,0 vs. 97,6 %) nicht
signifikant verschieden. Seit der Publikation dieser Daten wird bei einem pN1mi-Befund
im Rahmen der SLNB auf die Komplettierung der Axilladissektion auch außerhalb von
klinischen Studien generell verzichtet (St.-Gallen-2013-Konsensusempfehlung) [8 ].
Onkologische Sicherheit bei Verzicht auf die komplette Axilladissektion trotz Tumorzellnachweis
im Rahmen der SLNB
Zu dieser Thematik gibt es bereits Daten von der ACOSOG Z0011-Studie, die erstmalig
beim ASCO 2010 präsentiert und beim ASCO 2016 mit längerem Follow-up aktualisiert
wurde. In der Z0011-Studie wurden knapp 900 Patientinnen mit BET sowie Mikro- und
Makrometastasen im SLN zu keiner weiteren Axillachirurgie bzw. kompletten ALND randomisiert.
Auch hier zeigten sich nach einem medianen Follow-up von 9,25 Jahren keine signifikanten
Unterschiede in der Rate lokaler (5,6 % im ALND-Arm vs. 3,8 % im SLNB-allein-Arm;
p = 0,13) und axillärer Rezidive (0,5 % im ALND-Arm vs. 1,5 % im SLNB-allein-Arm)
bzw. beim lokoregionären rezidivfreien Überleben (p = 0,36) [9 ]. Bemerkenswert ist, dass 4 der insgesamt 5 axillären Lymphknotenrezidive im alleinigen
SLNB-Arm (1,5 %) innerhalb der ersten 5 Jahre auftraten. Im alleinigen SLNB-Arm wiesen
immerhin 3,6 % der Fälle mehr als 2 Makrometastasen in der endgültigen Histologie
auf.
Die bereits diskutierten Einschränkungen der Z0011-Studie (z. B. 37,5 % nur axilläre
Mikrometastasierung im SLN, zahlreiche Protokollverletzungen im Rahmen der postoperativen
Strahlentherapie) führten zum Start weiterer Validierungsstudien. Nahezu alle Nachfolgeprotokolle
fokussieren auf Patienten mit axillärer Makrometastasierung im SLN. Interessanterweise
weiten einige Studiengruppen die Einschlusskriterien über das klassische Z0011-Design
deutlich aus: Einschluss von Mastektomiepatienten (POSNOC [10 ], SENOMAC [11 ], Dutch BOOG 2013-07 [12 ], SINODAR ONE [13 ]), Einschluss von Patienten mit SLNB vor neoadjuvanter Systemtherapie, Einschluss
von T3-Tumoren und männlichen Patienten (SENOMAC [11 ]), Einschluss von Patienten mit mehr als 2 Makrometastasen in der SLNB (Dutch BOOG
2013-07, French SERC/IPC 2012-001).
Notwendigkeit der 2. INSEMA-Randomisierung
Im Ergebnis der ACOSOG Z0011-Studie sehen viele Behandler den Verzicht auf die ALND
bei befallenem SLN bereits als „Standard“ an. So werden in den USA bereits 54 % der
Patientinnen mit 1–2 befallenen SLN nicht mehr einer kompletten Lymphonodektomie unterzogen
[14 ]. Die AGO-Mamma hat den Verzicht auf eine komplette ALND bei 1–2 befallenen SLN und
brusterhaltender Operation mit einer +/−-Empfehlung eingestuft, also noch nicht zum
Standard erklärt [15 ]. Somit bleibt auch die 2. INSEMA-Randomisierung eine aktuell noch offene Fragestellung.
Um die Aussagekraft der Validierungsstudien zu erhöhen, wird beispielsweise eine gemeinsame
Auswertung der BET-Fälle von der SENOMAC- und INSEMA-Studienleitung angestrebt.
Um die Rekrutierung für die 2. Fragestellung der INSEMA-Studie zu verbessern, werden
im aktuellen Protokoll-Amendment #4 folgende Änderungen vorgenommen:
Einschluss von Patientinen mit 1–3 Makrometastasen nach der SLNB;
deutsche Prüfzentren können auch direkt in die 2. Randomisierung rekrutieren.
Im Gegensatz zur ACOSOG Z0011 – in dieser Studie wiesen 37,5 % der Patientinnen „nur“
axilläre Mikrometastasen auf – werden in der INSEMA-Studie ausschließlich Patientinnen
mit Makrometastasen eingeschlossen, sodass sich die axilläre Tumorlast in beiden Kollektiven
deutlich unterscheiden wird [16 ]. Zudem wird erwartet, dass die postoperative Strahlentherapie in beiden Studien
nicht identisch sein wird. In der Z0011 erhielten etwa 50 % der Patienten eine sogenannte
hohe Tangente mit signifikanter Dosis für die Axilla-Level I und II; zusätzlich wurden
bei 18,9 % der Fälle die regionären Lymphabflussgebiete nicht protokollkonform bestrahlt.
Andererseits erhielten 11 % der Patienten keine postoperative Ganzbrustbestrahlung
[17 ]. Im INSEMA-Protokoll wurde die Erfassung der tatsächlich applizierten Strahlentherapiedosis
im jeweiligen Axilla-Level als sekundäres Studienziel aufgenommen. Integriert wurde
zusätzlich ein zentrales Review der jeweils ersten 3 Strahlentherapieplanungen. Bis
Ende August 2016 wurden 144 Bestrahlungspläne aus 58 Zentren begutachtet, wobei für
24 Zentren das Review bereits abgeschlossen ist.
Bedeutung des Kapseldurchbruchs bei befallenen Lymphknoten
Die Infiltration der Lymphknotenkapsel wie auch der Kapseldurchbruch mit extranodulärer
Tumorausbreitung werden hinsichtlich ihrer prognostischen Bedeutung als Prognosefaktoren
kontrovers diskutiert. So war in der 5. Ausgabe des „Cancer Staging Manual“ des American
Joint Committee on Cancer (AJCC) die Kapselinfiltration/-durchbruch mit pN1biii klassifiziert
worden, ist aber in der derzeitig gültigen 6. Ausgabe nicht mehr gesondert aufgeführt
[18 ], [19 ]. In der ACOSOG Z0011-Studie waren nur verbackene Lymphknoten („matted nodes“) oder
der makroskopische extranodale Tumornachweis („grossly extranodal disease“) zum Zeitpunkt
der SLNB ein Ausschlusskriterium.
In einer aktuellen Metaanalyse von 5 auswertbaren Studien mit insgesamt 624 Patientinnen
(163 mit und 461 ohne Kapseldurchbruch) und einem medianen Follow-up von 58 Monaten
zeigte sich eine signifikant erhöhte Rezidivrate (RR = 2,07, 95 %-KI: 1,38–3,10, p < 0,0001)
und Mortalität (RR = 2,51; 95 %-KI: 1,66–3,79, p < 0,0001) für Patientinnen mit Kapseldurchbruch
[20 ]. Allerdings konnten andere Studien zeigen, dass eine extrakapsuläre Tumorausbreitung
≤ 2 mm und damit auch die alleinige Kapselinfiltration zu keiner signifikanten Prognoseverschlechterung
führte [21 ], [22 ], [23 ], [24 ]. Ein Kapseldurchbruch per se korrelierte signifikant mit weiteren befallenen axillären
Lymphknoten und anderen ungünstigen Tumorparametern. Unter Berücksichtigung der ACOSOG
Z0011-Kriterien (pT1–2, cN0, ≤ 2 positive SLNs) fanden sich in einem Gesamtkollektiv
von 11 730 Patientinnen lediglich 1109 Fälle mit 1–2 positiven SLN in der H & E-Färbung.
Davon zeigten 30 % der Patientinnen (n = 331) einen Kapseldurchbruch (≤ 2 mm: n = 180;
> 2 mm: n = 151) [22 ]. Die lokale operative Therapie in Form einer kompletten Axilladissektion bei Kapseldurchbruch
scheint aber im Zeitalter einer modernen multimodalen Therapie nicht zwingend erforderlich
zu sein. In einer Untersuchung aus dem Memorial Sloan-Kettering Cancer Center in New
York wurden von 111 Patientinnen mit Kapseldurchbruch lediglich 45 Patientinnen einer
Axilladissektion unterzogen. Bei den 66 Patientinnen ohne komplette Axilladissektion
zeigte sich nach einem medianen Follow-up von 21 Monaten kein einziges Lokalrezidiv
[25 ]. Gegenwärtig existiert keine Standarddefinition für den Pathologen betreffend den
Kapseldurchbruch. Neoplastische Emboli, freie Tumorzellnester im Fettgewebe oder Metastasen
im Marginalsinus sollten nicht als relevanter Kapseldurchbruch dokumentiert werden
[20 ]. Der pathologische Befund „Sentinel-Makrometastase mit Kapseldurchbruch“ schließt
eine Teilnahme an der INSEMA-Randomisierung 2 nicht aus. Somit entfällt auch die Notwendigkeit
im INSEMA-Protokoll diesen Parameter zu definieren. Auch andere Studien (z. B. AMAROS,
SENOMAC) rekrutierten bzw. rekrutieren Fälle mit Kapseldurchbruch bei nachweisbarer
Lymphknotenmetastasierung.
Entscheidung zur Strahlentherapie der Lymphabflusswege (LAW) in Abhängigkeit vom Nodalstatus
In 3 prospektiv randomisierten Studien (MA.20, EORTC, French-trial) [26 ], [27 ], [28 ] und einer Kohortenstudie (DBCG-IMN) [29 ] wurden der Effekt einer Bestrahlung der regionären LAW (parasternal ± supraklavikulär)
bei Patientinnen mit nodal-positiven oder nodal-negativen, High-Risk-Tumoren oder
medialem Tumorsitz untersucht. Alle 3 randomisierten Studien konnte nach 10 Jahren
Nachbeobachtung keinen signifikanten Vorteil für das Gesamtüberleben (primäres Studienziel)
nachweisen. Erst eine Metaanalyse dieser 3 Studien konnte einen signifikanten Effekt
(HR 0,90; 95 %-KI: 0,82–0,99) für die Bestrahlung der LAW aufweisen [30 ]. In der dänischen Kohortenstudie DBCG-IMN wurde das primäre Studienziel erreicht
(signifikanter Unterschied im Gesamtüberleben nach 8,9 Jahren: 75,9 % mit und 72,2 %
ohne parasternale Bestrahlung; p = 0,005). Allerdings war dieser positive Effekt erst
bei ≥ 4 befallenen axillären Lymphknoten nachweisbar. Bestätigt werden diese Daten
in einer Kohortenstudie aus Schweden, in der die Bestrahlung der LAW bei Patientinnen
mit 1–3 befallenen Lymphknoten keinen Überlebensvorteil zeigte, aber die bekannten
Nebenwirkungen [31 ]. In den AGO-Therapieempfehlungen wurde die Bestrahlung der LAW bei 1–3 befallenen
axillären Lymphknoten nur bei weiteren Risikofaktoren (medialer/zentraler Tumorsitz,
G2–3, ER/PgR-negativ, Prämenopause) mit einem einfachen „+“ (= begrenzter Nutzen,
kann erfolgen) empfohlen [15 ].
Bei allen genannten Studien zur Strahlentherapie der LAW muss kritisch angemerkt werden,
dass die Tumorbiologie hinsichtlich der intrinsischen Subtypen nur unzureichend berücksichtigt
wurde und die Systemtherapie nicht den gegenwärtigen Standards entsprach (z. B. keine
Anti-HER2-Therapie) [32 ]. Weiterhin sind die Studienpopulationen mit dem INSEMA-Kollektiv nicht vergleichbar,
da insbesondere der Anteil nodal-positiver Fälle deutlich höher ist (MA.20-Studie:
90 % pN+, DBCG-IMN: 100 % pN+). Die klare Indikation zur Radiatio der LAW ab 4 oder
mehr befallenen Lymphknoten (≥ pN2a-Stadium) wurde im aktuellen INSEMA-Protokoll (Amendment
#4) aufgenommen.
Zur axillären Rezidivrate in Studien mit alleiniger Teilbrustbestrahlung
Gegenwärtig wird angenommen, dass im Rahmen der BET durch die postoperative Ganzbrustbestrahlung
das Auftreten axillärer Rezidive, selbst im Kollektiv mit negativer SLNB, minimiert
wird [33 ]. Tatsächlich erfolgt selbst bei den sogenannten „Standard-Tangenten“ eine signifikante
Mitbestrahlung der ipsilateralen Axilla, zumindest im Level I [34 ]. Dieser Fakt wird maßgeblich auch zur Erklärung der Ergebnisse der Z0011-Studie
herangezogen. Mit modernen Bestrahlungstechniken (z. B. Rapid-Arc-Technologie) könnte
in naher Zukunft diese „Mitbestrahlung“ der ipsilateralen Axillaregion reduziert werden.
Unter diesem Gesichtspunkt ist die Auswertung der publizierten Studien mit alleiniger
Teilbrustbestrahlung äußerst interessant. Hier dürfte in Abhängigkeit vom jeweiligen
Tumorsitz keine oder nur eine geringe Mitbestrahlung der ipsilateralen Axilla-Levels
erfolgen. Die Auswertung von 5 Studien zu dieser Fragestellung ist in [Tab. 3 ] zusammengefasst. Hier zeigte jedoch nur die ELIOT-Studie eine signifikant höhere
Rezidivrate in den regionären Lymphknoten [35 ]. Demgegenüber war in der TARGIT-A- bzw. in der GEC-ESTRO-Studie kein signifikanter
Unterschied zwischen den Behandlungsarmen nachzuweisen [36 ], [37 ]. Eine Erklärung ist sicherlich der deutlich höhere Anteil nodal-positiver Fälle
in der ELIOT-Studie. Trotzdem ist auch die axilläre Rezidivrate mit 1,4 % nach alleiniger
intraoperativer Teilbrustbestrahlung in der ELIOT-Studie sehr gering. Eine Metaanalyse,
in der die Daten von 3 Studien nach 5 bzw. 8 Jahren Nachbeobachtung berücksichtigt
wurden, erbrachte keine signifikant erhöhte axilläre Rezidivrate nach alleiniger Teilbrustbestrahlung
[38 ].
Tab. 3 Axilläre Rezidivraten in Studien mit dem Vergleich Ganzbrustbestrahlung vs. alleiniger
Teilbrustbestrahlung im Rahmen einer brusterhaltenden Therapie.
Studie
Fallzahl (n)
Anteil pN+
Follow-up
Rezidive regionäre Lymphknoten (n)
p-Wert
WBI
PBI
WBI = Whole Breast Irradiation/Ganzbrustbestrahlung, PBI = Partial Breast Irradiation/Teilbrustbestrahlung
Dodwell [55 ] (2005)
174
41 % (PBI-Arm)
8 J.
4
10
0,05
Rodriguez [56 ] (2013)
102
0 %
5 J.
0
0
n. s.
ELIOT [35 ] (2013)
1 305
26 %
5,8 J.
2
9
0,03
TARGIT-A [36 ] (2014)
3 451
16 %
5 J.
6
8
0,609
GEC-ESTRO [37 ] (2016)
1 184
1 % pN1mi
5 J.
1
3
0,39
Somit gibt es keine eindeutigen Hinweise, dass in einem Low-Risk-SLNB-Kollektiv die
Minimierung der postoperativen Strahlentherapie der Restbrust die axilläre Rezidivrate
erhöhen muss. Es ist unklar, ob auch im Kollektiv mit alleiniger Teilbrustbestrahlung
das Konzept mit Verzicht auf eine SLNB verfolgt werden kann. Aktuell bedeutet die
Teilnahme an der INSEMA-Studie, dass eine alleinige Teilbrustbestrahlung nicht angewendet
werden darf. Die Ergebnisse von SOUND und INSEMA werden sich somit nicht auf diese
Patientengruppe übertragen lassen. Hier würde sich eine interessante und relevante
Fragestellung für ein INSEMA-Nachfolgeprojekt anbieten.
Entscheidung zur System- und Strahlentherapie ohne Kenntnis des Nodalstatus
Mit der Subtypisierung der Mammakarzinome aufgrund des Hormonrezeptor-(HR-), HER2-Status,
Grading und Ki-67 erfolgt die Systemtherapie nach den intrinsischen Subtypen und weniger
nach dem Nodalstatus [39 ]. Bei triple-negativen und HER2-positiven (ab Stadium pT1b) Tumoren ist immer eine
Chemotherapie ± Anti-HER2-Therapie indiziert. Es besteht in allen Leitlinien und Therapieempfehlungen
Konsens, dass bei Luminal-like-Tumoren und Befall axillärer Lymphknoten nicht automatisch
eine Chemotherapie indiziert ist [15 ], [40 ], [41 ], [42 ], [43 ], [44 ], [45 ]. Insbesondere beim Luminal-A-Subtyp und ≤ 3 befallenen Lymphknoten ist eine alleinige
endokrine Therapie ausreichend [46 ]. Die Auswertung der ABCSG-8-Studie (HR-positive Fälle, alleinige endokrine Therapie)
unter Nutzung des PAM50-Tests zur Klassifikation nach intrinsischen Subtypen ergab
deutliche Unterschiede in der nodal-positiven Subgruppe (n = 431) in Abhängigkeit
vom Luminal-Status. Das fernmetastasenfreie 10-Jahres-Überleben war 90,6 % für die
nodal-positiven Luminal-A-Tumoren verglichen mit 71,0 % für die nodal-positiven Luminal
B-Tumoren [47 ]. Bei 4 und mehr befallenen Lymphknoten besteht beim Luminal-like-Subtyp eine Indikation
zur Chemotherapie ([Tab. 4 ]).
Tab. 4 Indikationen für eine adjuvante postoperative Chemotherapie in Abhängigkeit von
der Tumorbiologie gemäß der aktuellen St.-Gallen-Konsensusempfehlungen [46 ].
MaCa-Subtyp
Indikatoren für eine postoperative Chemotherapie
Bemerkungen
Luminal-like
Grading G3
geringe ER/PgR-Expression
hohes Ki-67
extensive lymphovaskuläre Invasion
HER2-Positivität (triple-positiv)
Nicht anwendbar für INSEMA-Patientinnen im Non-SLNB-Arm: ≥ 4 positive axilläre Lymphknoten*
[46 ]
* … Die Rate von pN+ mit ≥ 4 positiven Lymphknoten wird in der gesamten Non-SLNB-Population
mit 3,7 % erwartet (nach AMAROS-Daten [57 ]). Somit wird der Anteil der Luminal-like-Fälle in INSEMA mit pN+(≥ 4 LKs) maximal
3 % der Non-SLNB-Population betragen.
HER2-positiv
Chemotherapie in Kombination mit Anti-HER2-Therapie ab Stadium pT1b unabhängig vom Nodalstatus
keine Anti-HER2-Therapie im Stadium pT1a
TNBC (triple-negativ)
Chemotherapie unabhängig vom Nodalstatus
Im Non-SLNB-Arm der INSEMA-Studie fehlt natürlich diese Information hinsichtlich der
Anzahl befallener Lymphknoten. Nach Auswertung der AMAROS-Daten wurde für INSEMA erwartet,
dass in einem SLNB-Kollektiv etwa bei 3 % aller Luminal-like-Tumoren mehr als 3 befallene
Lymphknoten vorhanden sein könnten [48 ]. Nach Rekrutierung der ersten 1001 Patienten waren im INSEMA-Kontrollarm mit Durchführung
einer SLNB nur in 11 Fällen von 771 SLNBs (1,4 %) 3 und mehr befallene Lymphknoten
nachweisbar. Von den 11 Patientinnen hatten 8 Fälle 3 und jeweils eine Patientin 4,
5 bzw. 6 befallene Lymphknoten, sodass der Anteil von Patientinnen mit dem relevanten
Stadium pN2a nur 0,375 % beträgt. Somit ist theoretisch bei 99 % aller INSEMA-Patientinnen
ohne SLNB allein aufgrund der tumorbiologischen Parameter eine leitlinienkonforme
Systemtherapie möglich.
Kontrovers ist analog die Diskussion zur Indikation einer Radiatio der regionären
LAW (ohne Axilla) in Abhängigkeit vom Nodalstatus bzw. Anzahl befallener Lymphknoten
(siehe oben). Eine klare Indikation besteht in den meisten Leitlinien und Empfehlungen
nur bei mehr als 3 positiven axillären Lymphknoten [49 ]. Somit trifft dies für INSEMA-Patientinnen wiederum nur in Einzelfällen zu. In der
aktuellen INSEMA-Protokollversion (Amendment #4) wurde diese Therapieempfehlung nach
der Volltext-Publikation der MA.20- und EORTC-Daten berücksichtigt.