Der Klinikarzt 2016; 45(12): 579
DOI: 10.1055/s-0042-121568
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Reichsbürger und Germanische Medizin

Winfried Hardinghaus
Osnabrück
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Publication Date:
30 December 2016 (online)

Verschwörungstheorien haben derzeit Hochkonjunktur. In den letzten Monaten häuften sich kuriose Meldungen über staatliche Auseinandersetzungen mit der sogenannten Reichsbürgerbewegung. Ihre Anhänger sind der Überzeugung, dass die Bundesrepublik Deutschland völker- und verfassungsrechtlich nicht bestehe. Sie sind der Ansicht, das Deutsche Reich existiere - je nach ideologischer Auffassung - in seinen Grenzen von 1871, 1914 oder 1937 - weiter. Eines ihrer am häufigsten angebrachten Argumente ist, dass Deutschland angeblich nie vor den Alliierten kapituliert habe, sondern lediglich ein Waffenstillstand geschlossen worden sei. Die Verwalter der BRD hätten sich nach dem Zweiten Weltkrieg dazu bereit erklärt, von den Siegermächten besetzt zu bleiben. Die BRD sei so lediglich eine GmbH, die das Land im Auftrag der Amerikaner verwalte und seine Bürger ausbeute. Daher sehen Reichsbürger keinen Grund, sich an ein für sie nicht existentes Grundgesetz zu halten. Sie haben beschlossen, weder Rundfunkgebühren, noch KFZ-Steuern oder sonstige Abgaben an den Staat zu leisten. Außerdem nehmen sie sich das Recht heraus, ihre selbst gegründeten Königreiche, die sie Freistaat Preußen, Germanitien, Lichtland oder Atlantis nennen, mit Waffengewalt zu verteidigen. Sie finden sich in Kommunen zusammen, drucken ihre eigenen Reichsausweise, Reichsnummernschilder und sogar Reichswährungen. Das alles klingt entweder nach Spaß oder mentaler Störung. Aber diese Leute meinen es tatsächlich ernst, gehen dafür über Leichen, sind gefährlich und häufig der rechtsextremen Szene zuzuordnen. Ein 49-jähriger Reichsbürger, der über 30 Waffen in seinem Haus in Georgensgmünd bei Nürnberg hortete, erschoss am 19. Oktober einen SEK-Beamten.

Während der Verfassungsschutz nun händeringend nach Möglichkeiten sucht, die Reichsbürgerbewegungen aufzulösen oder besser kontrollieren und beobachten zu können, fanden ähnliche Bewegungen auch Anklang in der Medizin.

Als Gründervater der sogenannten „Germanischen Medizin“ gilt der ehemalige deutsche Arzt Ryke Geerd Hamer, demzufolge der Auslöser jeder Krankheit ein biologischer Konflikt sei, und zwar ein Schockerlebnis, das Hamer selbst als DHS (Dirk-Hamer-Syndrom) bezeichnet. Für Hamer sind AIDS-Patienten traumatisierte „Smegma-Allergiker“, Karies sei ein Konflikt des „Nicht-zubeißen-Könnens“, der entstehe, wenn deutsche Schulkinder von ausländischen Mitschülern bedroht würden, Diabetes sei bei linkshändigen Frauen das Ergebnis eines Sexualkonflikts.

Nachdem ihm die Approbation entzogen wurde, hatte sich Hamer in einem Schloss in Düren eingemietet, dort ein Zentrum für Neue Medizin eingerichtet und illegal Krebspatienten durch „gutes Zureden“ behandelt. Während seine Weisheiten sich heute, besonders auch in der Reichsbürgerbewegung, weiter verbreiten, ist Hamer selbst seit 2007 auf der Flucht. Die Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP), die Hamer am 11. Oktober 2016 den Satirepreis „Das Goldene Brett“ (vorm Kopf) verlieh, hatte - vergeblich - gehofft, er würde sich diese Trophäe abholen