ZWR - Das Deutsche Zahnärzteblatt 2016; 125(12): 628-633
DOI: 10.1055/s-0042-121330
Fortbildung – Allgemeinmedizin
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Die häufigsten medizinischen Notfälle in der Zahnarztpraxis – Teil 5: Immunologische und endokrinologische Notfälle

F. G. Mathers
1   Köln/Rostock
,
G. Walgenbach
1   Köln/Rostock
,
U. Koll
1   Köln/Rostock
,
P. Kämmerer
1   Köln/Rostock
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Korrespondenzadresse

Dr. med. Frank G. Mathers
Institut für dentale Sedierung
Goltsteinstraße 95
50968 Köln
Email: info@sedierung.com   

Publication History

Publication Date:
09 January 2017 (online)

 

Studien zeigen, dass ca. die Hälfte aller Zahnärzte in einem gegebenen Jahr mit einem medizinischen Notfall konfrontiert wird. Die allermeisten Zwischenfälle verlaufen glimpflich, aber ein geringer Teil dieser Notfälle sind ernsthaft. Zu diesen Notfällen zählt z. B. auch die akute Unterzuckerung bei Diabetikern.


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Diabetes mellitus

Glukose ist die Hauptenergiequelle für alle Zellen im menschlichen Organismus und der einzige Energiespender, den das Gehirn verwerten kann. Ein zu hoher (Hyperglykämie) oder zu niedriger (Hypoglykämie) Blutzuckerspiegel führt zu unterschiedlichen Dysfunktionen des zentralen Nervensystems. Die homöostatischen Mechanismen sind darauf ausgerichtet, einen Blutzuckerspiegel von etwa 50 mg/dl aufrechtzuerhalten, wobei individuelle Schwankungen physiologisch sind. Der mittlere Blutzuckerspiegel bei normalen Menschen, die über Nacht fasten, liegt bei 92–100 mg / dl, wobei die Bandbreite von 78–115 mg / dl noch als im Normbereich gilt. Der minimale Blutzuckerspiegel, den das Gehirn benötigt, um eine normale zerebrale Funktion aufrechtzuerhalten, liegt bei 50 mg/dl. Sobald der Blutzuckerspiegel den Sättigungspunkt der Nierenreabsorption (etwa 180 mg/dl) übersteigt, kommt es zum „Überlaufen“ von Glukose in den Urin, was zu einem Verlust von Glukose und Wasser führt.

Insulin ist der wichtigste Faktor bei der Regulierung des Blutzuckerspiegels. Es wird in den Betazellen des Pankreas synthetisiert und als Reaktion auf Erhöhungen des Blutzuckerspiegels (z. B. nach einer Mahlzeit) rasch ins Blut abgesondert. Insulin wird hepatisch und renal metabolisiert. Endogen synthetisiertes Insulin weist eine kurze Halbwertszeit von 3–5 min auf, die Metabolisierung erfolgt zu 40–50% in der Leber und zu 30–80% in den Nieren [1] [2]. Insulin fördert die Aufnahme von Glukose in die Körperzellen und dessen Lagerung in der Leber als Glykogen. Auch unterstützt es die Aufnahme von Fettsäuren und Aminosäuren in die Zellen und ihre anschließende Umwandlung zu Speicherungsformen (Triglyceride und Proteine). Auf diese Weise führt Insulin zu einem Rückgang des Blutzuckerspiegels und verhindert, dass es durch Urinausscheidung verloren geht. Ohne Insulin ist die Membran vieler Zellen nicht glukosepermeabel. Muskeln und Fettzellen sind insulinabhängig, damit Glukose die Zellmembran durchqueren kann. Fehlt Insulin, spalten diese Zellen Triglyceride zu Fettsäuren auf, die der Körper als alternative Energiequelle nutzen kann. Dieser Prozess ruft einen hyperglykämischen Zustand hervor, der als diabetische Ketoazidose bekannt ist. Andere Gewebe und Organe, wie das Nervengewebe (einschließlich Gehirn), die Nieren und Lebergewebe, sind nicht insulinabhängig. Diese Gewebe können Glukose auch ohne Insulin durch die Zellmembran transferieren.

Niedrige Blutzuckerspiegel hemmen die Insulinsekretion, wobei die Körperzellen weiterhin Glukose verwerten müssen. Es gibt verschiedene Mechanismen, um dies zu erreichen. Ziel ist v. a., das zentrale Nervensystem mit einem Mindestspiegel an Glukose zu versorgen, damit es seine Funktion aufrechterhalten kann. Glykogen wird in der Leber gespalten, und die Speicher werden dort abgebaut – ein Prozess, der Glykogenolyse genannt wird. Die Glukoneogenese beschreibt die Umwandlung von Proteinbausteinen, den Aminosäuren, zu Glukose. Während diese Prozesse in der Lage sind, dem ZNS eine ausreichende Versorgung mit Glukose zu ermöglichen, werden andere insulinabhängige Zellen minderversorgt. Energiespender für diese Zellen (z. B. Muskel- und Fettzellen) werden durch die Aufspaltung von Triglyceriden, der Speicherungsform von Fett, in freie Fettsäuren geliefert.

Klassifizierung von Diabetes

Bis vor kurzem basierte die Klassifizierung eines Diabetes auf dem Alter bei Ausbruch der Krankheit (Altersdiabetes und juveniler Diabetes), und ob zur Behandlung der Erkrankung Insulininjektionen erforderlich waren oder nicht (insulinabhängiger Diabetes mellitus und nicht insulinabhängiger Diabetes mellitus). Die Klassifikation hat sich verfeinert, und so ist Diabetes mellitus nun der Sammelbegriff für heterogene Störungen des Stoffwechsels, deren Leitbefund die chronische Hyperglykämie ist. Ursache ist entweder eine gestörte Insulinsekretion oder eine gestörte Insulinwirkung oder auch beides ([Tab. 1] [2]).

Tab. 1 Klassifikation der Diabetestypen.

Diabetes mellitus

Typ 1 (früher insulinabhängiger oder juveniler Diabetes) immunologisch vermittelt idiopathisch Typ 2 (früher nicht insulinabhängiger oder Altersdiabetes)

weitere spezifische Formen

genetische Defekte der Betazellfunktion
genetische Defekte der Insulinaktivität
Erkrankungen des exokrinen Pankreas
medikamenten- oder chemikalieninduzierte Infektionen
ungewöhnliche Formen von immunologisch vermitteltem Diabetes

weitere genetische Syndrome

Schwangerschaftsdiabetes
beeinträchtigte Glukosetoleranz
gestörte Nüchternglukose

Tab. 2 Vergleich zwischen Type-1 und Typ-2-Diabetes.

Faktor

Typ 1

Typ 2

Häufigkeit (in % der gesamten diabetischen Bevölkerung)

10

90

Alter bei Ausbruch [Jahre]

15

≥ 40

Körperbau

normal

oft übergewichtig

Schweregrad

schwer

mittel

Einsatz von Insulin

fast alle

20–30 %

Reaktion auf orale blutzuckersenkende Mittel

kaum

50 %

Ketoazidose

häufig

selten

Komplikationen

90 % in 2 Jahren

weniger akut

Geschwindigkeit des klinischen Ausbruchs

rasch

langsam

Stabilität

instabil

stabil

Familienanamnese

häufig

weniger häufig als Typ1

humane Lymphozytenantigene und anomale Autoimmunreaktion

liegen vor

liegen nicht vor

Defekte der Insulinrezeptoren

Nein

Ja

Typ-1-Diabetes:

  • Betazellzerstörung, die zu einem absoluten Insulinmangel führt

  • meist immunologisch vermittelt

  • Der LADA (latent autoimmune diabetes in adults) wird dem Typ-1 zugeordnet.

Typ-2-Diabetes:

  • kann sich erstrecken von einer vorwiegenden Insulinresistenz mit relativem Insulinmangel bis zu einem vorwiegend sekretorischen Defekt mit Insulinresistenz

  • ist häufig assoziiert mit anderen Problemen eines sog. metabolischen Syndroms

Andere spezifische Diabetestypen:

  • Erkrankungen des exokrinen Pankreas (z. B. Pankreatitis, zystische Fibrose, Hämochromatose)

  • Endokrinopathien (z. B. Cushing-Syndrom, Akromegalie, Phäochromozytom)

  • medikamentös-chemisch induziert (z. B. Glukokortikoide, Neuroleptika, Alpha-Interferon, Pentamidin)

  • genetische Defekte der Betazellfunktion (z. B. MODY-Formen)

  • genetische Defekte der Insulinwirkung


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Hypoglykämie

Es gibt in der Zahnarztpraxis 2 mögliche Komplikationen im Zusammenhang mit einem Diabetes mellitus: die Hyperglykämie oder ein zu hoher Blutzuckerspiegel und die Hypoglykämie oder der zu niedrige Blutzucker. Lebensbedrohlich ist die Hypoglykämie, sodass wir hier weitgehend auf diesen endokrinologischen Notfall näher eingehen wollen.

Zur Diagnose von Diabetes werden folgende Blutzuckerwerte herangezogen: Gelegenheits-Plasmaglukosewert von ≥200 mg/dl (≥11,1 mmol/l) oder Nüchternplasmaglukose von ≥126 mg/dl (≥7,0 mmol/l). Eine Hypoglykämie kann sowohl bei Diabetikern als auch bei Nichtdiabetikern auftreten. Blutzuckerspiegel unter 70 mg pro 100 ml (mg/dl) stellen bei Erwachsenen und pädiatrischen Diabetikern eine Hypoglykämie dar [3].

Eine Hypoglykämie kann sich rasch entwickeln, innerhalb von Minuten bei insulinpfichtigen Diabetikern und innerhalb von Stunden bei Patienten, die orale Antidiabetika einnehmen. Je nach Ausprägung der Unterzuckerung kann es zur Bewusstlosigkeit und einer vitalen Gefährdung kommen ([Tab. 3]). In dem Fall wäre eine orale Gabe von Glukose wegen der Aspirationsgefahr kontraindiziert.

Tab. 3 Klinische Zeichen einer Hypoglykämie.

frühes Stadium (leichte Reaktionene)

Tremor
Stimmungsschwankungen
Hunger
Übelkeit

schweres frühes Stadium

Schwitzen
Tachykardie
Angstgefühle
bizarre Verhaltensmuster, ZNS-Dysfunktion
mangelnde Urteilsfähigkeit
unkooperativ

späteres schweres Stadium

Bewusstlosigkeit
Krampfaktivität
Hypotonie
Hypothermie

Faktoren, die den Insulinbedarf des Körpers senken (Hypoglykämie):

  • Untergewicht

  • körperliche Bewegung

  • Pharmaka (Schilddrüsenhormone, Kortikoide)

  • Auslassen oder Verspätung von Mahlzeiten

  • intensive körperliche Anstrengung vor dem Essen oder erhöhter Insulindosis

  • ohne jeden ersichtlichen Grund

Eine Zahnbehandlung kann für Diabetiker risikoreich sein. Stress erhöht den Bedarf des Körpers an Insulin, was das Risiko des Patienten, eine Hyperglykämie zu entwickeln, steigert. Hinzu kommt, dass die Zahnbehandlung Veränderungen der normalen Essgewohnheiten des Patienten bedeuten und dies wiederum mit einer Hypoglykämie einhergehen kann.

Behandlung

Die Behandlung von Hypoglykämie liefert weitaus dramatischere Ergebnisse als die der Hyperglykämie; bei den meisten Patienten tritt eine sofortige Besserung der Symptome innerhalb kürzester Zeit ein. Die Behandlungsstrategie hängt vom Bewusstseinsstadium des Patienten ab.

Die folgenden Zeichen stellen diagnostische Anhaltspunkte über das Vorliegen einer Hypoglykämie dar:

  • Schwäche

  • Verwirrtheit

  • blasse, feuchte Haut

  • normale oder gedämpfte Atemzüge

  • Kopfschmerzen

  • veränderter Bewusstseinszustand

Bizarres Verhalten, Persönlichkeitsveränderungen und andere klinische Zeichen der Hypoglykämie treten meist bei bekannten Diabetikern auf. Nichtdiabetiker hingegen zeigen diese Symptome nur sehr selten. Bei Diabetikern sollte der Arzt ggf. bei Angehörigen in Erfahrung bringen, wann die letzten Nahrungsaufnahme und Insulindosis bei dem Patienten erfolgten.

Wenn der Patient bei Bewusstsein und kooperativ ist, aber noch immer klinische Zeichen einer Hypoglykämie zeigt, sind orale Kohlenhydrate das Mittel der Wahl. Das Notfallset der Zahnarztpraxis enthält Glukose, das vom Patienten zu sich genommen werden kann. Andere mögliche Quellen können Orangensaft und Softdrinks sein. Eine 170- bzw. 340-g-Portion Softdrink enthält 20–40 g Glukose. Die Kohlenhydrate sollten in 3–4 Portionen von jeweils etwa 100 g alle 5–10 min gegeben werden, bis die Symptome verschwinden.

Bei bewusstlosen Patienten mit Zeichen und Symptomen einer Hypoglykämie werden keine oralen Kohlenhydrate verabreicht, da die Patienten keine Schutzreflexe haben und eine Aspiration droht. Hier muss entweder Glukose parenteral gegeben werden oder 1 mg Glukagon intramuskulär oder subkutan gespritzt werden. Im Notfallset der Zahnarztpraxis befindet sich Glucagon zur intramuskulären/subkutanen Applikation bei der Hypoglykämie, und die meisten Zahnärzte werden diese Notfallbehandlung wählen. Die Gabe von Glukagon 1 mg intramuskulär/subkutan führt zu einer Erhöhung des Blutzuckers über eine Aufspaltung der Glykogendepots in der Leber. Die Reaktion von Glukagon variiert, wobei ein Einsetzen der Wirkung zwischen 10 und 20 min dauert und ein Erreichen des Spitzenwertes innerhalb von 30–60 min erfolgt. Steht kein Glukagon zur Verfügung, können 0,3 mg Adrenalin (Fastjekt) subkutan gegeben und dies bei Bedarf nach 15 min wiederholt werden. Adrenalin erhöht den Blutzuckerspiegel, sollte aber bei Patienten mit bekannter kardiovaskulärer Erkrankung mit Vorsicht eingesetzt werden ([Abb. 1]).

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Abb. 1 Behandlung einer Hypoglykämie – Patient bei Bewusstsein.

Der bewusstlose hypoglykämische Patient erlangt das Bewusstsein, sobald der Blutzuckerspiegel erhöht wird und solange keine zusätzlichen Schädigungen (z. B. durch Hypoxie) eingetreten sind. Ist der Patient bei Bewusstsein, können ihm orale Kohlenhydrate, wie Fruchtsaft oder Softdrinks, gegeben werden. Bei seinem Eintreffen sichert der Rettungsdienst die lebensrettenden Sofortmaßnahmen, legt einen intravenösen Zugang und transportiert den Patienten zur definitiven Versorgung und Beobachtung ins Krankenhaus ([Abb. 2]).

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Abb. 2 Behandlung einer Hypoglykämie – Patient bewusstlos.

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Anaphylaxie

Die Anaphylaxie ist eine lebensbedrohliche fulminante immunologische Reaktion. Nach Kontakt mit dem Allergen werden Entzündungsmediatoren freigesetzt (Histamin, Prostaglandine, Thromboxane, Plättchen-Wachstumsfaktoren (PDGF) und Leukotrien). Klinisch kann es zum kardiovaskulären Kollaps und respiratorischer Insuffizienz kommen. Eine frühzeitige Behandlung mit intramuskulärem Adrenalin, einem Alpharezeptor-Agonist, führt zur Stabilisierung der Vasodilatation. Die Aktivierung der Betarezeptoren bedingt eine Weitstellung der Bronchien und eine Steigerung der myokardialen Kontraktilität. Die Freisetzung von Histamin und Leukotrien wird unterdrückt.

Auslöser einer Anaphylaxie

Antibiotika (Penicilline, Sulfonamide)

Parenteral verabreichtes Penicillin kann eine anaphylaktische Reaktion hervorrufen. Eine orale Gabe verursacht normalerweise eine verzögerte Reaktion. Patienten wissen möglicherweise nicht, dass sie zuvor bereits einer Sensibilisierungsdosis ausgesetzt waren (Fleisch, Milch).


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Analgetika (Aspirin, Codein, NSAR)

Die Symptome reichen von leichter Urtikaria bis hin zur Anaphylaxie. Die häufigste Reaktion besteht in einem Bronchospasmus. Bei Patienten mit bekannter Allergie auf die o.g. Analgetika sollten Alternativen (z. B. Paracetamol) verschrieben werden.


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Lokalanästhetika (Ester, Procain, Benzocain)

Injizierbare und topische Lokalanästhetika vom Estertyp waren vorrangig in allergische Reaktionen verwickelt. Allergische Reaktionen, die bei Amiden berichtet wurden, sind möglicherweise durch Konservierungsmittel, wie Parabene, verursacht.


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Symptome der Anaphylaxie

Haut:

  • Urtikaria, Juckreiz, Nesselsucht

  • Erythem

  • Angioödem, lokalisierte Schwellung

Atemwege:

  • Bronchospasmus, Atemnot, Keuchen

  • Angioödem des Kehlkopfes

  • Rhinitis

Kardiovaskulär:

  • Kreislaufinsuffizienz durch Vasodilatation

  • Herzrhythmusstörungen bis zur Asystolie


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Behandlung

Patienten, die Anzeichen einer Anaphylaxie zeigen, sollten 6 l/min Sauerstoff per Nasensonde oder Maske erhalten. Überwachung der Vitalzeichen: Die Vitalzeichen einschließlich Blutdruck, Herzfrequenz und -rhythmus sowie die Atemfrequenz sollten alle 5 min gemessen und dokumentiert werden. Pharmakotherapie: Der Jext/Fastjekt junior ist speziell für Kinder von 1–8 Jahren (15–30 kg KG) konzipiert und erhält 0,15 mg Adrenalin in 0,3 ml Injektionslösung. Dies entspricht der empfohlenen Dosierung für die Behandlung einer allergischen Reaktion. Die Injektion erfolgt intramuskulär am lateralen Oberschenkel und wird alle 5 min wiederholt, bis sich die Symptomatik gebessert hat. Kindern mit mehr als 30 kg Körpergewicht und Erwachsene erhalten Jext/Fastjekt für Erwachsene mit 0,3 mg Adrenalin pro Einmaldosis. Zur erweiterten Behandlung einer anaphylaktischen Reaktion kann nach der Stabilisierung des Patienten Adrenalin, Hydrocortison gegeben werden. Kortikoide gehören nicht zur Primärbehandlung anaphylaktischer Reaktionen, aber sie hemmen die Freisetzung von Histamin und können die Symptomatik des anaphylaktischen Schocks und schwerer allergischer Reaktionen mildern. Der größte Nachteil beim Einsatz von Kortikosteroiden in Notfallsituationen besteht in dem langsamen Einsetzen der Wirkung (mehr als 1 h). Aus diesem Grund sind sie nicht als unabdingbarer Bestandteil der Notfallausrüstung anzusehen ([Abb. 3]).

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Abb. 3 Behandlung einer Anaphylaxie.

Hydrocortison wird, sofern kein intravenöser Zugang vorhanden ist, intramuskulär injiziert.

Dosierung von Hydrocortison i.m.:

  • 1–6 Jahre 25 mg i.m. oder i. v.

  • 6–12 Jahre 50 mg i.m. oder i. v.

  • >12 Jahre und Erwachsene 100 mg i.m. oder i. v.

Patienten, die eine Anaphylaxie in der Zahnarztpraxis entwickeln, müssen nach der Primärversorgung mit Notarztbegleitung in die Klinik transportiert werden.


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Addisonkrise

Die Nebennierenrinde produziert 3 Steroidhormone: Glukokortikoide (Cortisol), Mineralokortikoide und Androgene. Cortisol ist ein lebenswichtiges Glukokortikoid, denn es reguliert wichtige metabolische, kardiovaskuläre, immunologische und homöostatische Funktionen. Eine akute Insuffizienz der Nebenniere (Addisonkrise) kann durch den Stress eines zahnärztlichen Eingriffs bei bestehender chronischer Nebenniereninsuffizienz ausgelöst werden. Selten wird eine primäre Nebenniereninsuffizienz durch eine Degeneration der Nebennieren (z. B. Tbc) oder autoimmun verursacht. Vielmehr findet sich meist eine sekundäre Nebenniereninsuffizienz infolge einer hypothalamisch-hypophysären Dysfunktion als Folge einer iatrogenen exogenen Steroidzufuhr. Die Cortisolproduktion wird normalerweise als Reaktion auf Stress erhöht; wenn jedoch die Nebennierenrinde nicht in der Lage ist, eine Cortisolmenge zu produzieren, die für den erhöhten Bedarf ausreicht, kann es zu einer Addisonkrise, einem potenziell lebensbedrohlichen Notfall kommen.

Risikopatienten sollten Termine am frühen Morgen bekommen, da der endogene Cortisolspiegel dann am höchsten ist. Es muss sichergestellt sein, dass Patienten ihre übliche morgendliche Steroiddosis vor dem Eingriff eingenommen haben. Bei Bedarf sollten Medikamente gegen Schmerzen und Angst gegeben werden.

Klinische Zeichen und Symptome einer Addison-Krise:

  • Müdigkeit, Lethargie

  • Hyperpigmentierung der Haut und Schleimhäute

  • Muskelschwäche

  • Kopfschmerzen, Verwirrung, Fieber

  • Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen

  • Hypotonie, Tachykardie

  • Schwitzen und Dehydrierung

Eine Hypotonie ohne angemessene Glukokortikoidspiegel im Blut kann bei entsprechender Belastung (Stress, medizinische Behandlung usw.) zu einer akuten Herz-Kreislauf-Insuffizienz führen. Ohne Behandlung kann es zum letalen Ausgang führen.

Behandlung

Die Behandlung einer Nebenniereninsuffizienz erfordert nur eine Stabilisierung der lebenswichtigen Funktionen bis zur Übergabe an den Rettungsdienst. Die Atemwege müssen gesichert und die Vitalparameter kontinuierlich überwacht werden. Kommt es zur Dyspnoe, sollte Sauerstoff mit 6 l/min über eine Nasenkanüle gegeben werden. Diese Patienten können präklinisch nicht umfassend behandelt werden, benötigen eine intensivmedizinische Betreuung u. a. mit der Gabe von Volumenersatz, Glukokortikoiden und ggf. Glukose intravenös, um eine vorliegende Hypoglykämie zu behandeln. Sekundäre Komplikationen, wie Herzrhythmusstörungen aufgrund von Elektrolytentgleisungen, Pseudoperitonitis, Exsikkose und Schock, sind weitere bekannte Komplikationen einer Addison-Krise, die sich einer präklinischen Behandlung weitgehend entziehen ([Abb. 4]).

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Abb. 4 Behandlung einer Addisonkrise.

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Prävention einer Addison-Krise

Das Risiko einer Addison-Krise besteht bis zu 12 Monaten nach dem Absetzen von Kortikosteroiden. Stress, einschließlich einer Zahnbehandlung, kann eine Addison-Krise auslösen, sodass eine enge Abstimmung zwischen Zahnarzt und dem Hausarzt/der Hausärztin stattfinden muss. Es sollte erwogen werden, u. U. die Kortikosteroidtherapie im Rahmen einer größeren zahnmedizinischen Behandlung wieder aufzunehmen oder eine laufende Dosis zu erhöhen [4]. Viele Zahnärzte werden bei diesen Patienten eine dentale Sedierung mit Lachgas durchführen, um den Behandlungsstress zu minimieren. Eine ausreichende Analgesie für die Postbehandlungsphase trägt ebenfalls zu einem komplikationslosen Verlauf bei diesen Patienten bei.


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Interessenkonflikt

Es liegt kein Interessenkonflikt vor.

  • Literatur

  • 1 Rabkin R, Rayn MP, Duckworth WC. The renal metabolism of insulin. Diabetologia 1984; 27: 351-357
  • 2 Mak RH, DeFronzo RA. Glucose and insulin metabolism in uremia. Nephron 1992; 61: 377-382
  • 3 Seaquist ER, Anderson J, Childs B et al. Hypoglycemia and diabetes: a report of a workgroup of the American Diabetes Association and the Endocrine Society. Diabetes Care 2013; 36: 1384-1395
  • 4 Henderson S. What steroid supplementation is required for a patient with primary adrenal insufficiency undergoing a dental procedure?. Dent Update 2014; 41: 342-344

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Dr. med. Frank G. Mathers
Institut für dentale Sedierung
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  • Literatur

  • 1 Rabkin R, Rayn MP, Duckworth WC. The renal metabolism of insulin. Diabetologia 1984; 27: 351-357
  • 2 Mak RH, DeFronzo RA. Glucose and insulin metabolism in uremia. Nephron 1992; 61: 377-382
  • 3 Seaquist ER, Anderson J, Childs B et al. Hypoglycemia and diabetes: a report of a workgroup of the American Diabetes Association and the Endocrine Society. Diabetes Care 2013; 36: 1384-1395
  • 4 Henderson S. What steroid supplementation is required for a patient with primary adrenal insufficiency undergoing a dental procedure?. Dent Update 2014; 41: 342-344

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Abb. 1 Behandlung einer Hypoglykämie – Patient bei Bewusstsein.
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Abb. 2 Behandlung einer Hypoglykämie – Patient bewusstlos.
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Abb. 3 Behandlung einer Anaphylaxie.
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Abb. 4 Behandlung einer Addisonkrise.