Rovner E.
et al.
Long-Term Efficacy and Safety of OnabotulinumtoxinA in Patients with Neurogenic Detrusor
Overactivity Who Completed 4 Years of Treatment.
J Urol 2016;
196: 801-808
Eric Rovner und Kollegen haben mit Unterstützung des Herstellers im Anschluss an die
Doppelblindphasen der beiden Studien eine offene Verlängerungsphase über 3 weitere
Jahre angeschlossen. Teilnehmen konnten die Patienten der beiden ersten Studien; sie
erhielten nun weitere intravesikale Injektionen mit Onabotulinumtoxin A (200 oder
300IU) bei Bedarf. Bedarf war definiert als mindestens 1 Inkontinenzepisode innerhalb
von 3 Tagen und ein Intervall zur letzten Injektion von mindestens 12 Wochen. Die
Wissenschaftler beurteilten über Jahr 2–4 jeweils jährlich
-
die Wirksamkeit von Onabotulinumtoxin A anhand der Zahl der Inkontinenzepisode im
Vergleich zu den Ausgangswerten vor Beginn der ersten Studienphase
-
die Lebensqualität anhand des IQoL-Fragebogens (IQoL: Urinary Incontinence Quality
of Life) und
-
die Sicherheit anhand unerwünschter Ereignisse
Für die jetzige Auswertung wurden die Daten der insgesamt 227 Patienten, die die 4-jährige
Behandlung abschlossen, aus den beiden Studien gepoolt. Die Teilnehmer benötigten
im Mittel: im 1. Jahr 1,5 Injektionen mit Onabotulimunmtoxin-Aim 2. Jahr 1,4 Injektionenim
3. Jahr 1,5 Injektionenim 4. Jahr 1,5 Injektionen Die Wirkdauer von einem Behandlungszyklus
betrug im Mittel 9 Monate. Der Einfluss auf die Inkontinenzepisoden blieb über die
Jahre etwa gleich: In Jahr 2, 3 bzw. 4 hatten sie pro Tag um im Mittel 3,5, 3,8 und
3,8 abgenommen, gegenüber einer Abnahme um 3,5 Episoden in Jahr 1 (Ausgangswert vor
der Behandlung: 4,3). Der Anteil der Patienten, deren Inkontinenz um mehr als 50%
abnahm, lag zwischen 87,6 und 92,1%; und zwischen 46,3 und 53,2% von ihnen erreichten
vollständige Kontinenz. Mit dieser Abnahme der Inkontinenz ging eine erhebliche Verbesserung
der Lebensqualität laut IQoL einher, und auch diese Verbesserung war über die Jahre
gleichbleibend. Unerwünschte Ereignisse umfassten vor allem Harnverhalt.
Die Wirkung von Onabotulinumtoxin A bei Detrusorüberfunktion bleibt über mindestens
4 Jahre relativ gleichmäßig erhalten, fassen die Autoren zusammen. Neue Sicherheitsbedenken
sind dabei auch mit den wiederholten Behandlungen nicht aufgetreten. Unerwünschte
Ereignisse umfassten v. a.
-
Harnverhalt (13,2% im 1. Jahr, 4,7% im 2. Jahr, 2,1% im 3 Jahr, 3,1 % im 4. Jahr)
und
-
Harnwegsinfekte (21,5% im 1. Jahr, 20,9% im 2. Jahr, 17,3% im 3. Jahr, 18,9% im 4.
Jahr).
Dr. Elke Ruchalla, Bad Dürrheim
Kommentar
Die Autoren präsentieren die Ergebnisse von Patienten mit neurogener Detrusorüberaktivität,
die 4 Jahre lang mit Onabotulinumtoxin A therapiert worden sind.
Leider basiert die Studie auf den Einschluss- und Evaluationskriterien der Zulassungsstudien
für Onabotulinumtoxin A. Schon im Abstract wird explizit darauf hingewiesen, dass
die Therapie zur Symptomenkontrolle erfolgt, was im Widerspruch zu den allgemein etablierten
Therapiegrundsätzen bei Personen mit neurogener Detrusorüberaktivität (NDO) steht.
Obwohl das primäre Ziel bei dieser Patientengruppe der Schutz der Nierenfunktion ist,
verwendet diese Studie, in Analogie zu den vorausgegangenen Publikationen, die Inkontinenz
als Zielparameter. Bereits seit vielen Jahren ist jedoch erwiesen, dass bei Patienten
mit NDO, vor allem bei Personen mit Rückenmarkläsion, die Symptome (z. B. Inkontinenz)
und die urodynamischen Parameter, welche für die Nierenfunktion entscheidend sind,
nicht eng miteinander korrelieren. Die Zielparameter der Studie gehen somit an den
praktischen Erfordernissen vorbei und sind mit Vorsicht zu geniessen. Sie implizieren,
dass man eine Therapie der NDO auch bei neurogener Genese ausschliesslich symptomorientiert
durchführen kann, was eine potentielle Gefährdung für die Betroffenen in sich birgt
und den gängigen Leitlinien, die eine urodynamisch kontrollierte Therapie fordern,
nicht entspricht. Konsequenterweise werden urodynamische Ergebnisse in dieser Studie
gar nicht erwähnt.
Ein weiterer wesentlicher Punkt ist die hohe Dropout-Rate von 41,5%. Die grösste Gruppe
der Patienten, welche die Studie nicht weiterführten, gab persönliche Gründe dafür
an (14,9%), die in der Publikation leider nicht spezifiziert werden.
Zusammenfassend stellt die OnabotulinumtoxinA Injektion in den Detrusor ohne Zweifel
einen Meilenstein in der Therapie der NDO dar, deren Erfolg auch bei langfristiger
Anwendung unbestritten ist. Die vorliegende Studie ist aufgrund der beschriebenen
Probleme im Design und aufgrund der hohen drop-out Rate mit Vorsicht zu geniessen.
Therapie der neurogenen Detrusorüberaktivität ohne urodynamische Kontrolle: don‘t
do that at home!