Aktuelle Urol 2017; 48(02): 102-104
DOI: 10.1055/s-0042-120334
Referiert und kommentiert
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Onabotulinumtoxin A wirkt langfristig bei neurogener Detrusorüberaktivität

Rovner E. et al.
Long-Term Efficacy and Safety of OnabotulinumtoxinA in Patients with Neurogenic Detrusor Overactivity Who Completed 4 Years of Treatment.

J Urol 2016;
196: 801-808
Further Information

Publication History

Publication Date:
16 May 2017 (online)

 

Onabotulinumtoxin A ist zur Behandlung der neurogenen Harninkontinenz mit Detrusorüberaktivität zugelassen, wenn die pharmakologische Behandlung nicht (mehr) ausrechend ist oder die Nebenwirkungen intolerabel werden. Die zulassungsrelevanten Studien wurden über jeweils 1 Jahr bei Patienten mit Rückenmarkschädigung und multipler Sklerose durchgeführt und haben relevante Verminderungen der Inkontinenzepisoden gezeigt. Nun liegen Daten zur Wirksamkeit und Sicherheit im weiteren Verlauf vor.


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Eric Rovner und Kollegen haben mit Unterstützung des Herstellers im Anschluss an die Doppelblindphasen der beiden Studien eine offene Verlängerungsphase über 3 weitere Jahre angeschlossen. Teilnehmen konnten die Patienten der beiden ersten Studien; sie erhielten nun weitere intravesikale Injektionen mit Onabotulinumtoxin A (200 oder 300IU) bei Bedarf. Bedarf war definiert als mindestens 1 Inkontinenzepisode innerhalb von 3 Tagen und ein Intervall zur letzten Injektion von mindestens 12 Wochen. Die Wissenschaftler beurteilten über Jahr 2–4 jeweils jährlich

  • die Wirksamkeit von Onabotulinumtoxin A anhand der Zahl der Inkontinenzepisode im Vergleich zu den Ausgangswerten vor Beginn der ersten Studienphase

  • die Lebensqualität anhand des IQoL-Fragebogens (IQoL: Urinary Incontinence Quality of Life) und

  • die Sicherheit anhand unerwünschter Ereignisse

Für die jetzige Auswertung wurden die Daten der insgesamt 227 Patienten, die die 4-jährige Behandlung abschlossen, aus den beiden Studien gepoolt. Die Teilnehmer benötigten im Mittel: im 1. Jahr 1,5 Injektionen mit Onabotulimunmtoxin-Aim 2. Jahr 1,4 Injektionenim 3. Jahr 1,5 Injektionenim 4. Jahr 1,5 Injektionen Die Wirkdauer von einem Behandlungszyklus betrug im Mittel 9 Monate. Der Einfluss auf die Inkontinenzepisoden blieb über die Jahre etwa gleich: In Jahr 2, 3 bzw. 4 hatten sie pro Tag um im Mittel 3,5, 3,8 und 3,8 abgenommen, gegenüber einer Abnahme um 3,5 Episoden in Jahr 1 (Ausgangswert vor der Behandlung: 4,3). Der Anteil der Patienten, deren Inkontinenz um mehr als 50% abnahm, lag zwischen 87,6 und 92,1%; und zwischen 46,3 und 53,2% von ihnen erreichten vollständige Kontinenz. Mit dieser Abnahme der Inkontinenz ging eine erhebliche Verbesserung der Lebensqualität laut IQoL einher, und auch diese Verbesserung war über die Jahre gleichbleibend. Unerwünschte Ereignisse umfassten vor allem Harnverhalt.

Fazit

Die Wirkung von Onabotulinumtoxin A bei Detrusorüberfunktion bleibt über mindestens 4 Jahre relativ gleichmäßig erhalten, fassen die Autoren zusammen. Neue Sicherheitsbedenken sind dabei auch mit den wiederholten Behandlungen nicht aufgetreten. Unerwünschte Ereignisse umfassten v. a.

  • Harnverhalt (13,2% im 1. Jahr, 4,7% im 2. Jahr, 2,1% im 3 Jahr, 3,1 % im 4. Jahr) und

  • Harnwegsinfekte (21,5% im 1. Jahr, 20,9% im 2. Jahr, 17,3% im 3. Jahr, 18,9% im 4. Jahr).

Dr. Elke Ruchalla, Bad Dürrheim

Kommentar

Die Autoren präsentieren die Ergebnisse von Patienten mit neurogener Detrusorüberaktivität, die 4 Jahre lang mit Onabotulinumtoxin A therapiert worden sind.

Leider basiert die Studie auf den Einschluss- und Evaluationskriterien der Zulassungsstudien für Onabotulinumtoxin A. Schon im Abstract wird explizit darauf hingewiesen, dass die Therapie zur Symptomenkontrolle erfolgt, was im Widerspruch zu den allgemein etablierten Therapiegrundsätzen bei Personen mit neurogener Detrusorüberaktivität (NDO) steht. Obwohl das primäre Ziel bei dieser Patientengruppe der Schutz der Nierenfunktion ist, verwendet diese Studie, in Analogie zu den vorausgegangenen Publikationen, die Inkontinenz als Zielparameter. Bereits seit vielen Jahren ist jedoch erwiesen, dass bei Patienten mit NDO, vor allem bei Personen mit Rückenmarkläsion, die Symptome (z. B. Inkontinenz) und die urodynamischen Parameter, welche für die Nierenfunktion entscheidend sind, nicht eng miteinander korrelieren. Die Zielparameter der Studie gehen somit an den praktischen Erfordernissen vorbei und sind mit Vorsicht zu geniessen. Sie implizieren, dass man eine Therapie der NDO auch bei neurogener Genese ausschliesslich symptomorientiert durchführen kann, was eine potentielle Gefährdung für die Betroffenen in sich birgt und den gängigen Leitlinien, die eine urodynamisch kontrollierte Therapie fordern, nicht entspricht. Konsequenterweise werden urodynamische Ergebnisse in dieser Studie gar nicht erwähnt.

Ein weiterer wesentlicher Punkt ist die hohe Dropout-Rate von 41,5%. Die grösste Gruppe der Patienten, welche die Studie nicht weiterführten, gab persönliche Gründe dafür an (14,9%), die in der Publikation leider nicht spezifiziert werden.

Zusammenfassend stellt die OnabotulinumtoxinA Injektion in den Detrusor ohne Zweifel einen Meilenstein in der Therapie der NDO dar, deren Erfolg auch bei langfristiger Anwendung unbestritten ist. Die vorliegende Studie ist aufgrund der beschriebenen Probleme im Design und aufgrund der hohen drop-out Rate mit Vorsicht zu geniessen. Therapie der neurogenen Detrusorüberaktivität ohne urodynamische Kontrolle: don‘t do that at home!


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Die Autor

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Prof. Dr. med. Jürgen Pannek
Neuro-Urologie
Schweizer Paraplegiker-Zentrum
Nottwil



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