Aktuelle Urol 2017; 48(01): 10-12
DOI: 10.1055/s-0042-119867
Referiert und kommentiert
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Partielle Nephrektomie: Ist die Ischämiedauer irrelevant?

Mir MC. et al.
Current Paradigm for Ischemia in Kidney Surgery.

J Urol 2016;
195: 1655-1663
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Publication History

Publication Date:
12 April 2017 (online)

 

Die partielle Nephrektomie gilt bei kleinen Nierentumoren derzeit als Standard. Ziel ist dabei die onkologische Kontrolle einerseits und die möglichst weitgehende Schonung des Nierenparenchyms andererseits. Diskutiert wird aber die Dauer der Ischämie, die für eine optimale Erhaltung der Nierenfunktion toleriert werden kann, derzeit gelten 25–30 min. Mediziner aus den USA und Italien haben nun untersucht, ob diese Empfehlung haltbar ist.


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Maria Mir et al haben die zwischen 1970 und 2014 veröffentlichte Literatur gesichtet. Dabei berücksichtigten sie Arbeiten zum Auftreten von akutem und chronischem Nierenversagen nach Nierenteilresektion bei Nierentumor unter verschiedenen Ischämiebedingungen. Zunächst fiel ihnen auf, dass ein Großteil der Studien, nach denen die Ischämiezeit auf maximal 30 min begrenzt sein sollte, aus tierexperimentellen Untersuchungen, Studien an Transplantatempfängern und retrospektiven Fallserien stammen. Relevanter scheinen neuere Arbeiten, in denen ein chronisches Nierenversagen (chronic kidney disease, CKD) im Rahmen einer partiellen Nephrektomie in 3 Gruppen eingeteilt wird:

  • CKD aufgrund internistischer Begleiterkrankungen

  • CKD aufgrund der Entfernung funktionellen Nierenparenchyms und

  • CKD aufgrund internistischer Begleiterkrankungen nach Entfernung funktionellen Nierenparenchyms

Verglich man diese Gruppen, so fand sich ein deutlich stärkerer postoperativer Abfall der Nierenfunktion bei Patienten mit vorbestehender CKD als bei postoperativ de novo aufgetretener CKD (5 vs. 0,7%). Dementsprechend scheint die präoperative Optimierung von Risikofaktoren, wie Proteinurie, Hypertonie und glomerulärer Filtrationsrate in Zusammenarbeit mit einem Nephrologen eine sinnvolle Maßnahme.

Aktuelle Arbeiten haben darüber hinaus gezeigt, dass die Ischämiedauer, wenn sie als kontinuierliche Variable und im postoperativen Langzeitverlauf nicht dichotomisiert ausgewertet wurde, das Auftreten einer Niereninsuffizienz im postoperativen Langzeitverlauf nicht prognostizieren konnte. Dagegen korrelierte die Zahl der erhalten Nephrone und die präoperative Nierenfunktion eindeutig mit dem späteren Auftreten einer CKD.

Zuverlässige Biomarker in Serum und/oder Urin, die unmittelbar postoperativ das Risiko einer akuten Niereninsuffizienz abschätzen lassen, existieren derzeit noch nicht. Derzeitige Marker, u. a. Cystatin C oder Neutrophilen-Elastase-assoziiertes Lipocalin (NGAL), haben sich bislang als nicht ausreichend spezifisch für die klinische Praxis erweisen.

Fazit

Die maximal 30 min, die als Schwellenwert für die Ischämiedauer bei partieller Nephrektomie gelten, scheinen nach heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen wenig begründet, so die Autoren. Möglicherweise toleriert das Nierenparenchym auch längere Ischämiezeiten, und eine parenchymsparende Resektion könnte auch bei komplexeren anatomischen Verhältnissen eingesetzt werden, bei denen sie derzeit als kontraindiziert gilt.

Dr. Elke Ruchalla, Bad Dürrheim

Kommentar

Die organerhaltende Nierentumorchirurgie ist leitlinienverankert zum Standard der Therapie des T1-Nierentumors geworden. Darüber hinaus ist sie die Methode der ersten Wahl, um bei präexistenter Niereninsuffizienz, Einzelniere oder beidseitigen Nierentumoren – im Vergleich zur Tumornephrektomie – die Dialysepflicht für den Patienten zu verhindern. Wenn also das Ziel ist, intakte Nierenfunktion zu erhalten, müssen die technisch-operativen Prinzipien konsequent darauf ausgerichtet sein, funktions-schädigende Einflüsse zu vermeiden. Aus historischen Gründen gilt die intraoperative Maßnahme der Nierenischämie und deren Dauer als wichtigster Verursacher eines postoperativen akuten Nierenversagens. Daher konzentrierte sich die operative Entwicklung in den letzten 10 Jahren auf Techniken, die Ischämiezeit zu verkürzen, statt einer globalen eine segmentale Ischämie der Niere anzuwenden oder sogar ganz auf die Ischämie zu verzichten. Dieser Trend birgt allerdings auch Risiken, da der apparative Aufwand z. B. zur intraoperativen Durchblutungsmessung der Niere steigt, schnellere Exzision des Tumors und Versorgung des Wundbettes die individuelle chirurgische Fähigkeit des Operateurs leichter überfordern oder sogar das onkologische wie auch operative Ergebnis sich bei fehlender Ischämie und schlechter Sicht durch permanente Blutung verschlechtern kann. Letztlich kann sich das prospektiv auch auf die Indikationsstellung zur organerhaltenden Nierentumorchirurgie auswirken, indem je nach Komplexitätslevel wieder häufiger die Tumornephrektomie bevorzugt wird.

Maria Mir gebührt der Verdienst, in den letzten 3 Jahren mit verschiedenen klinischen Institutionen und ausgedehnten Literaturrecherchen die Frage nach den wichtigsten Einflussfaktoren zur Funktionsreduktion nach organerhaltender Nierentumorchirurgie systematisch untersucht zu haben. Der vorliegende Review räumt konsequent mit tradierten Ansichten auf und belegt anhand der Literatur, dass die Festlegung eines Ischämiezeitlimits nicht sinnvoll und notwendig ist, da die Ischämiezeit selbst ebenso wie die verschiedenen Verfahren zu Vermeidung derselben keine signifikante Auswirkung auf das postoperative Nierenfunktionsergebnis haben. Insofern ergänzt die Autorin pointiert den Inhalt ihrer wichtigen Arbeit aus dem Jahre 2015, in der sie den quantitativen Erhalt funktionierenden Nierenparenchyms bei der Tumorresektion als zumindest ebenbürtig wichtigen Faktor wie die Beachtung der Ischämiezeit darstellte [1].

Der monomane Blick auf die intraoperative Dauer der Ischämie muss erweitert werden. Präexistente Proteinurie, arterielle Hypertonie oder Hyperlipidämie sowie die glomeruläre Filtrationsrate haben ebenso Einfluss auf die postoperative Nierenfunktion wie die präoperative Hydrierung, die intraoperative pharmakologische Vasodilatation oder Diureseförderung sowie letztlich die Qualität und Menge des erhaltenen Nierenparenchyms (letzteres auch im Zusammenhang mit der gewählten Nahttechnik der Resektionswunde). Die Autorin zeigt damit auf, dass weit mehr Faktoren als die Ischämie alleine das Funktionsergebnis determinieren. Eine der größten retrospektiven Studien an 660 Einzelnieren konnte keinen Einfluss der Ischämiezeit nachweisen. Die einzige prospektive Studie an 40 Patienten mit Blut-, Harnmarker- sowie histologischen Untersuchungen des Nierengewebes fand darüber hinaus, dass zwischen 15 und 61 Minuten warmer Ischämie die volle Erholungsfähigkeit des Nierengewebes erhalten blieb [2]. Vor diesem Hintergrund ist es umso fragwürdiger, die Zero-Ischämie-Technik zu propagieren, welche den technischen Anspruch an die organerhaltende Nierentumorchirurgie dramatisch erhöht und dabei die Risiken, wie eingangs genannt, deutlich steigert, ohne dass Studien ihre Überlegenheit hinsichtlich eines besseren Funktionserhaltes beweisen konnten.

Perspektivisch wird das Augenmerk auf Marker für eine Nierenschädigung im Serum (Cystatin C) und im Urin (NGAL, KIM-1 und L-FABP) gelenkt. Gerade im Zusammenhang mit der organerhaltenden Nierentumorchirurgie konnten die verfügbaren Studien jedoch bislang keinen dieser Marker als klinisch geeignet identifizieren, was entsprechende Entwicklungsaufgaben für die Zukunft definiert.

Der vorgestellte Review ist aus Sicht des erfahrenen Operateurs ein wichtiger Beitrag zur Relativierung einer schleichenden Fehlentwicklung in der Beurteilung der Ischämietoleranz der humanen Niere. Ischämie soll selbstverständlich immer so kurz wie möglich sein, der Operateur also möglichst schnell. Sie sollte aber nicht grundsätzlich vermieden werden, da sich unter laufender Blutung erneut zusätzliche Risiken für das funktionelle und onkologische Ergebnis einstellen können.


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Der Autor

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Prof. Dr. med. Ulrich Humke,
Urologische Klinik,
Klinikum Stuttgart
u.humke@klinikum-stuttgart.de

  • Literatur

  • 1 Mir MC, Ercole C, Takagi T. et al Decline in renal function after partial nephrectomy: Etiology and prevention. J Urol 2015; 193: 1889-1898
  • 2 Parekh DJ, Weinberg JM, Ercole B. et al. Tolerance of the human kidney to isolated controlled ischemia. J Am Soc Nephrol 2013; 24: 506

  • Literatur

  • 1 Mir MC, Ercole C, Takagi T. et al Decline in renal function after partial nephrectomy: Etiology and prevention. J Urol 2015; 193: 1889-1898
  • 2 Parekh DJ, Weinberg JM, Ercole B. et al. Tolerance of the human kidney to isolated controlled ischemia. J Am Soc Nephrol 2013; 24: 506

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