physiopraxis 2017; 15(01): 38-41
DOI: 10.1055/s-0042-119495
Therapie
© Georg Thieme Verlag Stuttgart – New York

Das Tele-Therapieprogramm Caspar – Den Therapeuten mit nach Hause nehmen

Christoph Hofstetter

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Publication Date:
07 January 2017 (online)

 

Caspar ist eine webbasierte und interaktive Rehaplattform für Therapeuten und Patienten. Unabhängig von Zeit und Ort können sie die persönlichen Übungs- und Trainingsaufgaben durchführen und anschließend ein direktes Feedback, in Form eines Videos oder Chats, zu jeder Übung geben. Dies dient der verstärkten Interaktion zwischen Therapeut und Patient, auch außerhalb des Behandlungsraums.


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Christoph Hofstetter

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Christoph Hofstetter ist seit 1986 Physiotherapeut, Sportphysiotherapeut und hat seinen Bachelor mit dem Schwerpunkt Neurorehabilitation absolviert. Er ist Leiter des Therapiezentrums Warburg, klinischer Supervisor in der neurologischen Rehabilitation in Deutschland und der Schweiz sowie Dozent an der SRH Hochschule Gera und IBITA anerkannter Bobath-Instruktor.

Die Idee zu Caspar hatte der Gesundheitsökonom Maximilian Michels. Als langjähriger operativer Geschäftsführer einer stationären Rehabilitationsklinik entschied er sich im März 2016, eine Online-Rehabilitationsklinik zu entwickeln, damit Patienten nach der Rehabilitation weiterhin therapeutisch versorgt sind. Die Möglichkeit, weiter zu trainieren und nicht Opfer des sogenannten „Nachsorgelochs“ zu werden, war ihm wichtig. Hierfür gründete er mit seinen Partnern Benjamin Pochhammer und Max von Waldenfels ein Start-up-Unternehmen und ist seitdem Teil des Microsoft-Accelerator-Programms in Berlin.

Wissenschaftliche Beratung fand das Start-up-Unternehmen durch den Neurologen und Neurowissenschaftler Prof. Dr. Michael Jöbges von der SRH Hochschule für Gesundheit in Gera und den Physiotherapeuten Christoph Hofstetter, der das interdisziplinäre Therapiezentrum Warburg leitet, das aus den Therapiebereichen Ergotherapie, Logopädie und Physiotherapie besteht. Christoph Hofstetter ist für die Produktentwicklung und das inhaltliche Produktmanagement verantwortlich. Er testet die Basisversion von Caspar ab Juli 2016 im therapeutischen Alltag in Warburg mit allen Therapeuten und 30 Patienten aus Orthopädie, Neurologie und Pädiatrie. Unterstützt wird die Entwicklung zudem unter anderem von der ZAR-Gruppe und dem Therapiezentrum Activatio in Hamburg, welche ebenfalls mit insgesamt zehn Patienten das System getestet haben.

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ABB. 1 Bei Caspar wird jeder Patient in der Therapie gefilmt und bekommt die Videos in seinen eigenen Account hochgeladen. So kann er mit sich selbst zu Hause trainieren.
Abb.: Tele-Therapieprogramm Caspar; vivat/fotolia.com (nachgestellte Situation)
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ABB. 2 Das Dashboard ist Dreh- und Angelpunkt von Caspar. Es liefert eine Übersicht über die Trainingsintensität, die absolvierten Übungen, das Stimmungsprotokoll und die Ergebnisse der Assessments.
Abb.: Tele-Therapieprogramm Caspar; vivat/fotolia.com
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ABB. 3 Unter dem Reiter „Therapieziel“ bietet Caspar Therapeuten eine Maske, in der sie Therapieziele für den jeweiligen Patienten SMART und nach ICF dokumentieren können.
Abb.: Tele-Therapieprogramm Caspar; vivat/fotolia.com
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ABB. 4 Der Trainingsplan listet Übungen auf, die sich der Patient im Video ansehen kann. An jeder Übung hat ihm sein Therapeut eine kurze Beschreibung sowie die Intensität notiert.
Abb.: Tele-Therapieprogramm Caspar; vivat/fotolia.com

Befund und Therapie in Caspar dokumentieren

Die Testpatienten haben in Caspar ihr eigenes Profil mit Benutzernamen und Passwort und können damit über PC, Laptop, Tablet oder Smartphone auf ihr Online-Profil und die darin hinterlegten Trainingspläne zugreifen.

Einer der Testpatienten ist Thomas Ludwig[*], welcher im Februar 2015 einen Schlaganfall mit Hemiparese links erlitt. Seitdem kommt er regelmäßig zweimal im Jahr für eine Woche ins Therapiezentrum Warburg. Dort erhält er täglich vier Stunden interdisziplinäre Therapie. Der erste Tag beginnt immer mit einer Untersuchung sowie einer interdisziplinären Supervision, in der die behandelnden Physio- und Ergotherapeuten gemeinsam mit Herrn Ludwig dessen Ziele nach ICF für die kommende Woche in allen Therapiebereichen SMART formulieren.

Die Untersuchung ergibt, dass bei Herrn Ludwig nach wie vor die linken Unterarm- und Fingerbeuger verkürzt sind. Er hat Defizite beim Greifen mit der linken Hand. Das ist die Ursache für seine schnelle neuromuskuläre Ermüdung, die durch einen Ermüdungstremor sichtbar wird. Sein Schriftbild wird bereits nach wenigen Worten undeutlich, wenig später ist das Schreiben wegen der fehlenden Kraft unmöglich. Den Pinzettengriff kann er nur rudimentär ausführen. Klinische Zeichen einer Spastik beobachten die Therapeuten bei Herrn Ludwig nicht. Als Fußgänger ist er ohne Hilfsmittel innerhalb und außerhalb der Wohnung sicher und selbstständig unterwegs.

Mit Herrn Ludwig formuliert das Team in der interdisziplinären Supervision zwei Ziele auf Aktivitätsebene nach ICF:

  • d4402: In zehn Behandlungen ist ein deutliches und ausdauerndes Greifen um ein Glas mit der linken paretischen Hand möglich.

  • d440: In zehn Behandlungen nimmt die Kraft des M. flexor digitorum profundus und M. extensor digitorum des linken Unterarms von neun auf 20 Kilogramm zu (gemessen mit dem Dynamometer).


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Den eigenen Therapeuten zu Hause haben

Um diese Ziele zu erreichen, legen die Therapeuten in Warburg großen Wert darauf, dass ihre Patienten individuelle Übungen erhalten und diese auch nach dem Aufenthalt im Therapiezentrum weiter durchführen. Um Herrn Ludwig das zu erleichtern, nahm er an dem Modellprojekt Caspar teil.

Nach der schriftlichen Zustimmung legt die Physiotherapeutin von Herrn Ludwig einen Patientenaccount für ihn an und schickt die Zugangsdaten an seine private Mailadresse. Nun kann sie in nur wenigen Minuten einen Trainingsplan nach den ICF-Therapiezielen und einige Assessments erstellen (ABB. 3, S. 39). Caspar bietet dafür Schemata für die soziale und medizinische Anamnese und ein therapeutisches Befund-Screening für Patienten aus der Orthopädie und Neurologie.

Anschließend filmt die Therapeutin in einer der Therapiesitzungen gemeinsam mit Herrn Ludwig die einzelnen Übungen mit dem Tablet und hinterlegt diese im Trainingsplan (ABB. 4–7, S. 39 UND 40).

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ABB. 5 Im Stehen trainiert Herr Ludwig unter Abnahme der Schwerkraft die Reich- und Transportbewegung des linken Arms. Seine Therapeutin filmt die Übung mit dem Tablet, damit er sich die Übungen daheim noch einmal anschauen kann.
Abb.: C. Hofstetter (nachgestellte Situation)
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ABB. 6 Teil des Therapieplans ist es, dass Herr Ludwig seinen M. pectoralis major und M. latissimus dorsi mobilisiert. Durch das exzentrisch antagonistische Loslassen dieser Muskeln trainiert er ebenfalls die Reichbewegungen des linken Arms.
Abb.: C. Hofstetter (nachgestellte Situation)
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ABB. 7 Bei der seitlichen Mobilisation des M. pectoralis major dreht sich der Oberkörper als Punctum mobile vom Arm als Punctum fixum weg. Herr Ludwig führt alle Übungen im Stand durch, um gleichzeitig seine Koordination und Stehbalance zu trainieren.
Abb.: C. Hofstetter (nachgestellte Situation)

Der Patient bekommt seinen eigenen Account, für den er dem Therapeuten Zugriffsrechte erteilt.

Wieder zu Hause angekommen, kann Herr Ludwig sich mit dem Laptop direkt in sein Caspar-Konto einwählen und mit seinem Training loslegen. Das Programm sagt ihm dabei noch einmal, wann er welche Übung machen muss und wie diese richtig durchzuführen sind. Gleichzeitig überwacht das System den kompletten Vorgang und speicherte die Ergebnisse. Nach jeder einzelnen Übung kann Herr Ludwig ein Feedback in Form einer Videoaufnahme oder eines Chats geben. Die behandelnde Therapeutin bekommt die Feedbacks in Echtzeit in ihrem Therapeuten-Dashboard angezeigt und steht somit im ständigen Kontakt mit ihrem Patienten, ohne zeitlich und örtlich anwesend sein zu müssen.

Mithilfe des Dashboards können Therapeuten die Übungsergebnisse, die dazugehörigen Feedbacks und den Übungsverlauf ihrer Patienten beobachten und darin jederzeit Anpassungen vornehmen oder mit dem Patienten Kontakt aufnehmen. Bei dem Video-Call beispielsweise können dann gemeinsam die Trainingspläne angepasst und neue Übungen besprochen werden.


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Die Therapieergebnisse auf einen Blick beurteilen

Kommt Herr Ludwig das nächste Mal nach Warburg, kann er gemeinsam mit seiner Therapeutin alle Trainingsergebnisse mithilfe des Caspar-Dashboard besprechen (ABB. 2, S. 38). Die Reassessments werden verglichen mit den Eingangsassessments. Ein grafischer Vergleich seiner Ergebnisse im Verlauf bzgl. Assessments und Trainingsprogramm wird im Dashboard angezeigt.

Geplant ist, dass Caspar in der Akut-, der Rehabilitationsklinik und im ambulanten Therapiebereich einsetzbar ist. Alle Therapeuten und Ärzte, mit denen der Patient in Kontakt steht, können Caspar als Dokumentations- und Interaktionssystem nutzen. Voraussetzung ist, dass der Patient den Therapeuten und Ärzten die Genehmigung hierzu erteilt. Die Kosten für die Nutzung und Lizenzierung trägt er selbst. Ab März 2017 wird das Caspar-Team des Therapiezentrums Warburg Tele-Rehabilitationsseminare anbieten (FORTBILDUNG).

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ABB. 8 Das Team von Caspar. Oben von links: Tatjana Radovancev (Physiotherapeutin), Katrin Vettermann (Ergotherapeutin), Karin Ehrhardt (Ergotherapeutin und Inhaberin des Therapiezentrums Warburg) Unten von links: Benjamin Pochhammer (Geschäftsführer), Christoph Hofstetter (Physiotherapeut und Inhaber des Therapiezentrums Warburg), Maximilian Michels (Geschäftsführer)
Abb.: T. Burkard

Darüber hinaus soll Caspar jeden Tag wachsen und weiterentwickelt werden. Das Team arbeitet bereits an diversen Standardtherapieplänen für Patienten aus den Bereichen Orthopädie und Neurologie. Auch eine App für Smartphones wird ab Frühjahr 2017 erhältlich sein. In Zusammenarbeit mit der Firma Microsoft wird Caspar in Zukunft auch in der neuen HoloLens, der neusten Microsoft-Entwicklung im Bereich der virtuellen Realität, seine Online-Rehabilitation anbieten.

Mit der Videofunktion wollen die Entwickler nicht nur erreichen, dass die Patienten deutlich motivierter sind, auch zu Hause zu üben, wenn sie mit sich selbst und nicht mit einem meist gesunden Model trainieren. Vielmehr dient die digitale Dokumentation auch als direktes Feedback während der Therapie, um dem Patienten etwa Ausweichbewegungen zu zeigen.

Bei Herrn Ludwig bewährt sich das besonders beim Üben des Pinzettengriffs. Diesen kann er nach einer Woche sicher und ausdauernd durchführen. Auch das Ziel, die Kraft in Hand- und Armmuskulatur auf 20 Kilogramm zu steigern, erreicht er, sodass er gemeinsam mit seinem Therapeuten neue Ziele stecken kann. Mit seinen Übungen aus der Therapiewoche in Warburg, welche in Caspar abrufbar sind, verlässt Herr Ludwig das Therapiezentrum.

Christoph Hofstetter

Fortbildung – Teletherapie mit Caspar

Ab 2017 finden Schulungsseminare zum Online-Programm statt, in denen Christoph Hofstetter und sein interdisziplinäres Team über Caspar informieren. Unter anderem lernen die Teilnehmer den Umgang mit dem Programm, die Nutzungsmöglichkeiten, das Befundscreening im Dokumentationsmodul und das Erstellen von Videos mit Caspar. Die zweitägige Veranstaltung gibt es bei den Fort- und Weiterbildungsinstituten FIHH und MediABC, richtet sich an Physio-, Ergotherapeuten und Logopäden und kostet 400 Euro.

Vormerken – Vortrag auf dem physiokongress 2017

Im Rahmen ihres Vortrags „Telemedizin in der Neuroreha“ auf dem physiokongress in Stuttgart werden Christoph Hofstetter und Prof. Dr. Michael Jöbges über Caspar berichten und dem Publikum Rede und Antwort stehen. Zu hören sind sie am Samstag, 28.1.2017, auf dem neuroreha-Tag. Weitere Programmpunkte und Infos finden Sie unter: www.thieme.de/physiokongress .


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*Name von der Redaktion geändert




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ABB. 1 Bei Caspar wird jeder Patient in der Therapie gefilmt und bekommt die Videos in seinen eigenen Account hochgeladen. So kann er mit sich selbst zu Hause trainieren.
Abb.: Tele-Therapieprogramm Caspar; vivat/fotolia.com (nachgestellte Situation)
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ABB. 2 Das Dashboard ist Dreh- und Angelpunkt von Caspar. Es liefert eine Übersicht über die Trainingsintensität, die absolvierten Übungen, das Stimmungsprotokoll und die Ergebnisse der Assessments.
Abb.: Tele-Therapieprogramm Caspar; vivat/fotolia.com
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ABB. 3 Unter dem Reiter „Therapieziel“ bietet Caspar Therapeuten eine Maske, in der sie Therapieziele für den jeweiligen Patienten SMART und nach ICF dokumentieren können.
Abb.: Tele-Therapieprogramm Caspar; vivat/fotolia.com
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ABB. 4 Der Trainingsplan listet Übungen auf, die sich der Patient im Video ansehen kann. An jeder Übung hat ihm sein Therapeut eine kurze Beschreibung sowie die Intensität notiert.
Abb.: Tele-Therapieprogramm Caspar; vivat/fotolia.com
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ABB. 5 Im Stehen trainiert Herr Ludwig unter Abnahme der Schwerkraft die Reich- und Transportbewegung des linken Arms. Seine Therapeutin filmt die Übung mit dem Tablet, damit er sich die Übungen daheim noch einmal anschauen kann.
Abb.: C. Hofstetter (nachgestellte Situation)
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ABB. 6 Teil des Therapieplans ist es, dass Herr Ludwig seinen M. pectoralis major und M. latissimus dorsi mobilisiert. Durch das exzentrisch antagonistische Loslassen dieser Muskeln trainiert er ebenfalls die Reichbewegungen des linken Arms.
Abb.: C. Hofstetter (nachgestellte Situation)
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ABB. 7 Bei der seitlichen Mobilisation des M. pectoralis major dreht sich der Oberkörper als Punctum mobile vom Arm als Punctum fixum weg. Herr Ludwig führt alle Übungen im Stand durch, um gleichzeitig seine Koordination und Stehbalance zu trainieren.
Abb.: C. Hofstetter (nachgestellte Situation)
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ABB. 8 Das Team von Caspar. Oben von links: Tatjana Radovancev (Physiotherapeutin), Katrin Vettermann (Ergotherapeutin), Karin Ehrhardt (Ergotherapeutin und Inhaberin des Therapiezentrums Warburg) Unten von links: Benjamin Pochhammer (Geschäftsführer), Christoph Hofstetter (Physiotherapeut und Inhaber des Therapiezentrums Warburg), Maximilian Michels (Geschäftsführer)
Abb.: T. Burkard