physiopraxis 2017; 15(01): 20-24
DOI: 10.1055/s-0042-119493
Profession
© Georg Thieme Verlag Stuttgart – New York

Internationale – Studienergebnisse


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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
07. Januar 2017 (online)

 
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Der laterale Bandapparat: Die Ligg. talofibularia anterius und posterius gehören zum Steuerungsund Sicherungsmechanismus des oberen Sprunggelenks.
Abb.: Reichert B. Anatomie in vivo – Band 1: Palpieren und Verstehen im Bereich der Extremitäten. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2011

80%
aller Distorsionen am Sprunggelenk betreffen den lateralen Kapsel-Band-Apparat.

Phys Sportsmed 2009; 37: 93–103

Sprunggelenksdistorsion – Keine Physiotherapie nötig

Eine frühe Physiotherapie bringt bei Sprunggelenksdistorsionen Grad I oder II keinen höheren Nutzen als eine Standardversorgung, zeigten kanadische Forscher. Sie dokumentierten den Verlauf von 503 Patienten, die mit einer erst- oder zweitgradigen Distorsion am oberen Sprunggelenk innerhalb von 72 Stunden einen Arzt aufgesucht hatten.

Alle Teilnehmer erhielten eine Standardtherapie, bei der sie neben der Erstversorgung eine Beratung zu Kälteanwendungen, Hochlagern, Belastung des Fußes, Kompressionsbandagen und Schmerzmedikamenten erhielten. 229 Patienten bekamen zudem acht Physiotherapietermine à 30 Minuten. Dabei ging es darum, Schmerz und Schwellung zu reduzieren, Bewegung, Kraft und Belastbarkeit zu steigern und die dynamische Stabilität des Gelenks wiederherzustellen.

Das Ergebnis war laut der Wissenschaftler enttäuschend. Nach drei Monaten zeigten die Teilnehmer der Physiotherapiegruppe keine signifikant besseren Werte im Foot and Ankle Score als die Kontrollgruppe. Darin hatten die Forscher Parameter wie Schmerzen, Funktion in Alltag und Sport sowie die Lebensqualität erhoben. Patienten mit einer Sprunggelenksdistorsion Grad I oder II direkt nach der Verletzung mit Physiotherapie zu behandeln, ist daher nicht lohnenswert, so die Autoren.

rrn

BMJ 2016; 355:j5650

Stichwort – Distorsionstraumen am Sprunggelenk
  • Grad I: Zerrung des Lig. talofibulare ant.

  • Grad II: Teilruptur des Lig. talofibulare ant. und Lig. calcaneofibulare (leichte, gut kompensierbare Instabilität)

  • Grad III: Totalruptur des Lig. talofibulare ant. und Lig. calcaneofibulare (Gelenk klinisch massiv instabil)

  • Grad IV: Luxation des oberen Sprunggelenks (Ruptur aller 3 Außenbänder) mit Begleitverletzungen

Bant H, Haas H-J, Ophey M et al. Sportphysiotherapie. Stuttgart: Thieme; 2011


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Postoperative Schwellung nach Knie-TEP – Lymphdrainage ist Entspannungstraining kaum überlegen

Wie wirksam ist eine manuelle Lymphdrainage (MLD) nach Einsatz einer Knie-TEP? Um das zu testen, teilten Forscher 30 Patienten nach der OP in zwei Gruppen. Alle erhielten vom ersten bis siebten Tag post-OP Physiotherapie. Diese bestand aus passiv und aktiv assistiver Gelenkmobilisation, Motorschiene, Kräftigung, früher Belastung des Beines und dreimal täglich 25 Minuten Kryotherapie. Die Interventionsgruppe erhielt zudem fünf Mal MLD, die Kontrollgruppe ein Entspannungstraining mit Musik.

Vor der OP, am zweiten und siebten Tag danach und noch einmal drei Monate später dokumentierten die Forscher das Ausmaß der Schwellung, den aktiven und passiven Bewegungsumfang des Kniegelenks, die Schmerzstärke sowie Gangparameter und die Kniefunktion mithilfe des Western Ontario and McMaster Universities Osteoarthritis Index (WOMAC) (PHYSIOPRAXIS 6/07, S. 36).

Bei allen Nachuntersuchungen unterschieden sich die beiden Gruppen in keinem der Parameter, mit Ausnahme des passiven Streckdefizits. Dieses war bei den Patienten mit MLD nach drei Monaten weniger eingeschränkt. Auf alle anderen Faktoren, auch auf die Schwellung, hatte die MLD keine stärkere Wirkung als das Entspannungstraining.

rrn

Arch Phys Med Rehabil 2016; 97: 674-682


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Direktzugang in Deutschland – Bachelorstudium weist noch Lücken auf

Keine Frage kursiert so häufig in den Medien wie: „Sind Physiotherapeuten in Deutschland bereit für den Direktzugang?“. Forscher der Universität Witten/Herdecke gingen diesem Thema nun systematisch auf den Grund. Sie untersuchten die Inhalte der Modulbücher von 17 Bachelor-Studiengängen Physiotherapie an deutschen Hochschulen und verglichen diese mit der Ausbildungsleitlinie der World Confederation for Physical Therapy (WCPT).

Das Ergebnis: Fächer wie Anatomie und Physiologie, aber auch Bewegungswissenschaften, Clinical Reasoning und spezielle Krankheitslehre kamen nahezu vollständig in allen Büchern vor. Bildgebung und Pharmakologie dagegen wurden nur in zwei bzw. vier Hochschulen unterrichtet. Die Fertigkeiten fehlten vor allem im Bereich Anamnese, interprofessionelle Kompetenz, Pädagogik und Screening.

Die Forscher schlussfolgern, dass Kenntnisse und Fertigkeiten, die ein Gesundheitssystem mit Direktzugang braucht, in der grundständigen Ausbildung in Deutschland noch nicht ausreichend berücksichtigt sind.

rrn

Phys Med Rehab Kuror 2016; 26: 179–184


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Karpaltunnelsyndrom – Elektroakupunktur zusätzlich zur Schiene anwenden

Patienten mit einem Karpaltunnelsyndrom prof tieren deutlich, wenn sie zur einer Schienenversorgung zusätzlich Elektroakupunktur erhalten. Das fanden Wissenschaftler aus China und Großbritannien heraus. Sie rekrutierten 181 Patienten mit primärem Karpaltunnelsyndrom – 90 kamen in die Interventions-, 91 in die Kontrollgruppe. Alle Probanden sollten über 17 Wochen immer nachts für mindestens acht Stunden eine Handgelenksschiene tragen. Die Interventionsgruppe bekam zusätzlich 13 Sitzungen mit Elektroakupunktur (STICHWORT).

Als primäres Outcome definierten die Forscher den Schweregrad der Symptome anhand der „Symptom Severity Scale“ des „Boston Carpal Tunnel Syndrome Questionnaire“ (BCTQ). Außerdem interessierten sie die Schmerzstärke auf der visuellen Analogskala, die Funktion des Handgelenks, die sie ebenfalls mithilfe des BCTQ maßen, die Einschränkungen, gemessen anhand des „Disabilities of the Arm, Shoulder and Hand Questionnaire“ (DASH), sowie die Fingerfertigkeit, gemessen mit dem „Dellonmodified Moberg Pick-up Test“.

Nach 17 Wochen hatten sich die Symptome bei den Probanden der Interventionsgruppe signifikant stärker verbessert als bei der Kontrollgruppe. Bei den sekundären Outcomes waren lediglich die Veränderungen bei den Einschränkungen und der Fingerfertigkeit signifikant. Die Autoren halten es daher für sinnvoll, zu einer Schienenversorgung gleichzeitig Elektroakupunktur anzuwenden.

rrn

CMAJ2016; 188: 867–875

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Ansicht einer rechten Hand von palmar: Die knöchernen Elemente der Handwurzel bilden eine konkave Rinne, die mit dem Retinaculum musculorum flexorum den osteofibrösen Karpalkanal (roter Pfeil) darstellen, durch den zehn Beugersehnen und der N. medianus laufen.
Abb.: Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus. LernAtlas der Anatomie. Allgemeine Anatomie und Bewegungssystem. Illustrationen von K. Wesker. 4. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2014

Das Karpaltunnelsyndrom ist das häufigste Engpass-Syndrom eines peripheren Nervs.
Dtsch Arztebl Int 2015; 112: 14–26

Stichwort – Elektroakupunktur

Bei der Elektroakupunktur fließt ein schwacher elektrischer Strom zwischen zwei auf der Haut gesetzten Nadeln. Der Strom setzt durch periphere, spinale und supraspinale Mechanismen eine Reihe von biochemischen Substanzen frei und blockiert so an dieser Stelle den Schmerz.

Anesthesiology 2014; 120: 482–503


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Infantile Zerebralparese – CIMT verbessert Armfunktion

Forscher aus Taiwan und Australien nahmen sich des Themas Constrained-Induced Movement Therapy (CIMT) bei infantiler Zerebralparese an und wollten herausfinden:

  1. Verbessert CIMT bei Kindern mit infantiler Zerebralparese die Funktion des Armes und seinen Einsatz im Alltag, was sie als Aktivität und Partizipation des Arms definierten?

  2. Verbessert CIMT diese Parameter stärker als eine herkömmliche Therapie mit derselben Dosierung?

Um Antworten zu finden, werteten die Wissenschaftler 21 randomisiert-kontrollierte Studien aus, die sich mit diesem Thema beschäftigt hatten. In diesen wurde die eine Hälfte der Probanden im Schnitt zwischen 20 und 250 Stunden mit CIMT am betroffenen Arm behandelt. Die andere Hälfte teilte sich erneut in zwei Gruppen. Die Kontrollgruppe erhielt im selben zeitlichen Umfang eine herkömmliche Therapie. Die sogenannte Scheintherapiegruppe bekam ebenfalls herkömmliche Therapie, allerdings in zeitlich geringerem Umfang – nämlich weniger als 20 Prozent der Zeit der Kontroll- und Interventionsgruppe.

Als Outcome maßen alle Studien über einen Zeitraum zwischen drei und 52 Wochen die Funktion des Armes und seinen Einsatz im Alltag. Sowohl in Bezug auf die Aktivität als auch auf die Partizipation konnte CIMT bessere Ergebnisse erzielen als die Scheintherapie. Beim Vergleich zwischen CIMT und einer gleich dosierten konventionellen Therapie zeigte sich dagegen kein Unterschied.

Solange die Therapie ausreichend hoch dosiert ist, ist es demnach unerheblich, ob sie uni- oder bimanuell erfolgt. Die Autoren stoßen jedoch den Gedanken an, dass sich eine Therapie, zu der das Kind gezwungen ist, wie eine CIMT, vor allem im häuslichen Bereich vermutlich besser durchhalten lässt als herkömmliche Übungen, die leicht vergessen werden.

rrn

J Physiother2016; 62: 130–137


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Parkinson – Uhrzeigerstrategie hilft beim Drehen

Patienten mit Parkinson haben häufig Probleme dabei, sich im Stand oder Gang umzudrehen. Sie führen den Richtungswechsel sehr langsam mit vielen kleinen Schritten aus oder frieren in der Drehbewegung ein (Freezing).

Ein Forscherteam aus Taiwan testete nun, ob das Umdrehen den Patienten leichter fällt, wenn sie ihre Füße wie Uhrzeiger bewusst auf die Positionen drei, sechs, neun und zwölf Uhr bzw. andersherum setzen. Sie teilten 25 Probanden zufällig in eine Gruppe, die sich drehte wie immer, und in eine Gruppe, welche die Uhrzeigerstrategie anwendete. Ob die neue Methode einen Effekt hat, überprüften die Wissenschaftler mithilfe einer Videoanalyse beim Timed-Up-and-Go-Test (PHYSIOPRAXIS 7-8/16, S. 56). Sie werteten insbesondere den Richtungswechsel in der Mitte des Tests aus.

Nach einer kurzen Übungseinheit drehten die Patienten aus der Uhrengruppe im Test schneller und mit weniger Freezing-Episoden als die Gruppe, die drehte wie immer. Außerdem zeigten sie weniger Variabilität in der Schrittzeit und der Schrittasymmetrie.

Die Forscher schlussfolgern, dass die Uhrzeigerstrategie helfen kann, Gleichgewichtsverlust und Stürzen beim Drehen vorzubeugen. Die Patienten sollten sich dabei jedoch voll auf die Strategie fokussieren. Denn stellten die Therapeuten den Patienten während des Drehens mit der Uhrzeigerstrategie zusätzlich eine Aufgabe (Dual Task), war der Effekt gestört.

hoth

J Neurol Phys Ther 2016; 40: 249–256


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Der laterale Bandapparat: Die Ligg. talofibularia anterius und posterius gehören zum Steuerungsund Sicherungsmechanismus des oberen Sprunggelenks.
Abb.: Reichert B. Anatomie in vivo – Band 1: Palpieren und Verstehen im Bereich der Extremitäten. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2011
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Ansicht einer rechten Hand von palmar: Die knöchernen Elemente der Handwurzel bilden eine konkave Rinne, die mit dem Retinaculum musculorum flexorum den osteofibrösen Karpalkanal (roter Pfeil) darstellen, durch den zehn Beugersehnen und der N. medianus laufen.
Abb.: Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus. LernAtlas der Anatomie. Allgemeine Anatomie und Bewegungssystem. Illustrationen von K. Wesker. 4. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2014