Lernziele
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Sie kennen den aktuellen Stand der diagnostischen Einordnung des Burnout-Syndroms.
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Sie lernen unterschiedliche ergotherapeutische Behandlungsansätze bei Burnout kennen
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Sie erhalten Einblick in den Ablauf einer exemplarischen ergotherapeutischen Behandlung
bei Burnout.
Christian Löfflers[*] Frau hat ihm ein Ultimatum gestellt: Entweder es ändert sich etwas oder sie ist
weg. Sie hat ihn gezwungen, zum Arzt zu gehen. Dieser hat den 33-Jährigen zu uns in
die ambulante Ergotherapie überwiesen. Auf seiner Verordnung steht „Erschöpfungsdepression/Burnout-Syndrom“.
Burnout – Diagnose oder nicht?
Burnout – Diagnose oder nicht?
Es gibt bisher noch keine anerkannte Definition des Burnout-Syndroms, da objektive
Krankheitsmarker und eine einheitliche Definition der Symptome fehlen.
Dr. Dietmar Hansch, Psychotherapeut und Facharzt für Innere Medizin, betrachtet „fortgeschrittene
Burnout-Prozesse auch als eine Untergruppe der depressiven Erkrankung, deren Ursachenschwerpunkt
in einer langjährigen, erschöpfenden Auseinandersetzung mit Umweltstressoren liegt,
vor allem im beruflichen Bereich“ [1, 2]. Für einen weit fortgeschrittenen Burnout-Prozess
finden sich in der Regel nach Dr. Manfred Nelting, Facharzt für Psychotherapeutische
Medizin, folgende Befunde [3]:
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Vollbild einer schweren Depression
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Einschränkungen der Herzratenvariabilität
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Blutdruckregulationsstörungen
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vegetative Regulationsstörungen (z. B. Reizmagen)
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Störung im Bereich der Stresshormone
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gestörte Immunparameter
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gehäufte wiederkehrende Infekte
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körperliche und emotionale Erschöpfung mit Kraftlosigkeit
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hochgradig eingeschränktes Durchhaltevermögen
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betäubte Empfindungen in sinnlicher/emotionaler Wahrnehmung
ICD und Burnout
Die ICD-10 klassifiziert das Burnout-Syndrom bisher nicht als eine eigenständige Diagnose
[4]. Somit ist es keine anerkannte somatische oder psychiatrische Erkrankung. Es wird
jedoch unter „Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung“ in
Kapitel XXI (Z73) der ICD-10 aufgezählt – als Faktor, der die Gesundheit negativ beeinflussen
kann ([TAB. 1]).
TAB. 1 Burnout in der ICD-10 [4]
Einordnung des Burnout-Syndroms in der ICD-10
|
Kapitel XXI (Z00–Z99):
Faktoren, die den Gesundheitszustand beeinflussen und zur Inanspruchnahme des Gesundheitswesens
führen
|
Gruppe Z70–Z76:
Personen, die das Gesundheitswesen aus sonstigen Gründen in Anspruch nehmen
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Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung
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Akzentuierung von Persönlichkeitszügen
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Ausgebranntsein [Burnout] Z73
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Einschränkung von Aktivitäten durch Behinderung, körperliche oder psychische Belastung
o.n.A.
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Mangel an Entspannung oder Freizeit
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sozialer Rollenkonflikt, anderenorts nicht klassifiziert
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Stress, anderenorts nicht klassifiziert
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unzulängliche soziale Fähigkeiten, anderenorts nicht klassifiziert
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Zustand der totalen Erschöpfung
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In ihrem Positionspapier von 2012 verweist die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie,
Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) darauf, dass es bisher noch keine verifizierten
diagnostischen Messinstrumente für das Burnout-Syndrom gibt, die den Anspruch der
diagnostischen Gültigkeit erfüllen [5]. Demnach liegt es gegenwärtig im ärztlichen
Ermessen, Burnout festzustellen und eine geeignete Therapie zusammenzustellen und
durchzuführen [5]. Dies ist der Grund, warum das Burnout-Syndrom derzeit nicht oder
nur zusammen mit anerkannten ICD-Diagnosen wie der Erschöpfungsdepression auf einer
ergotherapeutischen Verordnung steht.
Ausgangslage: fehlende Krankheitseinsicht
Ausgangslage: fehlende Krankheitseinsicht
Viele Klienten wurden in der Akutphase von Angehörigen, Freunden oder Arbeitskollegen
in die Notaufnahme gebracht, meist in Folge eines Zusammenbruchs. Einigen fehlt auch
noch zu Beginn der ambulanten Ergotherapie die Krankheitseinsicht. Sie erscheinen
lediglich, weil sie sonst Sanktionen seitens des Umfeldes fürchten, dass beispielsweise
der Arbeitgeber das Projekt weitergibt oder die Tochter den Kontakt abbricht. Die
fehlende Krankheitseinsicht liegt oft daran, dass die Betroffenen über einen langen
Zeitraum ihre Bedürfnisse permanent negieren. Sie haben verlernt, ihre Körpersignale
wahrzunehmen. Sie merken nicht, wie es ihnen wirklich geht.
Motivation für die Ergotherapie
Motivation für die Ergotherapie
Als ich Christian Löffler kennenlerne, ist er unruhig und gereizt. Sein Tonus ist
dauerhaft erhöht. Er hat dunkle Augenringe, bedingt durch seine Schlafprobleme. Der
33-Jährige ist seit drei Jahren selbstständig und hat immer volle Auftragsbücher.
Als Landschaftsgärtner ist der Klient auf Themengärten spezialisiert. Finanziell gibt
es Probleme, da er den administrativen Bereich meidet. Ihm ist alles andere wichtiger,
als Rechnungen zu schreiben. Er hat keine betriebswirtschaftliche Ausbildung. Zwei
Angestellten hat er wieder gekündigt, da sie ihm nicht akkurat genug gearbeitet haben.
Er macht lieber alles allein.
Bisweilen gibt es noch keine objektiven Krankheitsmarker des Burnout-Syndroms.
Familie Löffler ist in der Endphase des Hausbaus. Das Ehepaar hat zwei Kinder von
zwei und vier Jahren. Der Klient erzählt, dass sein großer Sohn ihm am Sonntag voller
Freude entgegengerannt kam und ihn stürmisch umarmte. Er selbst bemerkte dabei, dass
er keine emotionale Reaktion auf diese liebevolle Umarmung verspürte. Das macht ihm
Angst, weil er weiß, dass es anders sein sollte und es auch einmal anders war.
Zwei Dinge motivieren Herrn Löffler, die Ergotherapie in Anspruch zu nehmen: Er möchte
seine Ehe retten und er möchte seine Kinder spüren. Momentan nimmt der Klient sie
wie unter einer Käseglocke wahr. Seiner Frau zuliebe begleitet er sie neuerdings zu
einem Paartherapeuten. Für sich selbst zu einem Psychologen oder Psychiater zu gehen,
lehnt er ab.
Besonderheit: Leistungsanspruch herunterschrauben
Handlungsebenen in der ergotherapeutischen Behandlung
Handlungsebenen in der ergotherapeutischen Behandlung
Ergotherapeutische Ziele und damit der Fokus der Therapie finden meist in zwei Bereichen
statt – der Partizipations-Aktivitätsebene (z. B. Selbstversorgung und Freizeit wiederaufbauen)
und der Funktionsebene (z. B. Emotionen spüren sowie Erholungsstrategien erarbeiten).
Je nach Schwerpunkt kann man verschiedene Verlaufsmessinstrumente einsetzen: das COPM
[6], das Energiediagramm nach Braun [7], die Interessen- und die Rollencheckliste
[8].
In der Befunderhebungsphase sind die Klienten beispielsweise sehr erstaunt, dass sie
von den 24 Interessen, die sie gern machen, momentan nur drei ausüben (Interessencheckliste).
Oder sie stellen fest, dass sie gern wieder mit der Wandergruppe unterwegs sein wollen,
sich jedoch schämen, den Kontakt wiederherzustellen, weil sie sich seit fünf Jahren
nicht gemeldet haben (COPM). Es kann auch passieren, dass Klienten wahrnehmen, wie
viel wunderbare Energie sie von ihren Kindern bekommen, jedoch nur wenig zurückgeben
(Energiediagramm).
Behandlungsansätze für Klienten mit Burnout
Behandlungsansätze für Klienten mit Burnout
In einer der ersten Therapieeinheiten erarbeite ich mit den Klienten eine Antwort
auf die Frage: „Wie viel ist ein gesundes Arbeitspensum?“ Danach gibt es verschiedene
mögliche Maßnahmen, um die Energiereserven wieder aufzufüllen: das Zusammenstellen
eines Wohlfühlkoffers, Achtsamkeitstraining sowie Energie- und Ressourcenmanagement
(z. B. Aktivitätsinseln) [9–13]. Auch der Fokus auf die Körperwahrnehmung spielt eine
Rolle. Dafür bieten sich unter anderem Feldenkrais, Yoga, Pilates, Qi-Gong, Klettern
und Spiraldynamik an. Ergotherapeuten können auch mit Affirmationen arbeiten. Das
sind selbstbejahende Sätze, die wir uns wieder und wieder sagen, um unsere Gedanken
umzuprogrammieren [14].
Es ist ein gutes Zeichen, wenn der Klient bei einer Aktivität das ZeitgefÜhl verliert.
Das Energiemanagement
Als ein Beispiel für einen Ansatz möchte ich das Energiemanagement beschreiben. Dabei
ermitteln Ergotherapeuten in einem ersten Schritt die individuelle Energiekurve ihrer
Klienten. Herr Löffler ist morgens am leistungsfähigsten und nach dem Mittagessen
sehr müde. Somit könnte er sich angewöhnen, wichtige Aktivitäten auf den Vormittag
zu legen [15].
Das Zeit- und das Ressourcenmanagement ergänzen die erarbeitete Energiekurve. Unter
Zeitmanagement versteht man mehrere Vorgehensweisen, die dabei helfen sollen, anstehende
Aufgaben und Termine innerhalb des zur Verfügung stehenden Zeitraums abzuarbeiten.
Ressourcenmanagement als Teil des Projektmanagements dient dazu, alle Projektbeteiligten
(Ressourcen) möglichst effizient einzusetzen. Auf Klienten angepasst heißt dies, dass
man Familienangehörige und Freunde entsprechend ihrer Möglichkeiten einsetzt und die
Umwelt an die Klienten und Ressourcen (Finanzen, Invalidenversicherung, Selbsthilfegruppen,
Hilfsmittel, Umbauten etc.) anpasst [11, 12].
Wochenpläne reflektieren
In der Ergotherapie erarbeiten die Klienten zunächst ihre bisherigen Wochenpläne,
reflektieren diese und beginnen sie zu verändern. Ergotherapeuten unterstützen sie
dabei zum Beispiel im Prioritätensetzen: Was ist mir wichtiger? Das Chorsingen oder
Jagdhornspielen im Orchester? Gebe ich das Putzen der Wohnung an eine Reinigungsfachfrau
ab und habe damit mehr Zeit für meine kleine Tochter?
Außerdem erfolgt eine Umfeldanalyse. So kann man Betätigungen im Ablauf optimieren.
Hier erkläre ich den Klienten, was Aktivitätsinseln sind: Eine Aktivitätsinsel einzurichten
bedeutet, Strategie und Technik an einem stationären Arbeitsplatz zu kombinieren (privat
oder beruflich) [13]. Dann helfe ich ihnen, eine Aktivitätsinsel zu implementieren.
Das ist ein fester Platz beziehungsweise Bereich, den wir strategisch so anpassen,
dass er den Klienten nicht mehr überfordert.
Energiedefizite erkennen
Beim Erstellen des Energiediagramms nach Braun zeigt sich bei Herrn Löffler ein prozentuales
Energiedefizit von -30 Prozent [7]. Plötzlich ist der Klient stark betroffen: Er erkennt,
dass eine mögliche Trennung von seiner Frau und seinen Kindern ein Energiedefizit
von -130 Prozent ergeben würde. Energiequellen hat er nur mit der Familie und dem
Beruf verbunden. Der Betätigungsbereich Freizeit/Erholung ist nicht vertreten. Das,
was Herr Löffler beruflich zu viel investiert, vernachlässigt er auf der persönlichen
und privaten Seite. Bei der Interessencheckliste zeigt sich, dass er von 32 Interessen,
denen er gerne nachgeht, momentan nur sieben umsetzt.
In der Formulierung seiner Ziele ist eine weitere Problematik versteckt: Herr Löffler
sieht sich nicht als eine gleichberechtigte Variable in seinem System. Daraus leiten
wir die ergotherapeutische Problemidentifikation ab: Alle Ziele dienen lediglich dazu,
die Situation für andere zu verbessern. Er selbst hat keine Freizeitaktivitäten, bei
denen er auftanken kann ([TAB. 2, S. 22]).
TAB. 2 Herr Löfflers erste Ziele im COPM
Erste Ziele
|
Wichtigkeit
|
Durchführung
|
Zufriedenheit
|
Partner für seine Ehefrau sein
|
10
|
3
|
1
|
Die Familie mit seiner Selbständigkeit ausreichend finanzieren
|
10
|
2
|
1
|
Regelmäßig Zeit mit seinen Kindern verbringen
|
10
|
1
|
1
|
Erste ergotherapeutische Schritte
Erste ergotherapeutische Schritte
Wir informieren den zuständigen Arzt und Paartherapeuten über das erste ergotherapeutische
Ziel: Herr Löffler nimmt sich als Ressource im System wahr und ist sich bewusst, dass
seine Akkus aufgefüllt werden müssen – ein interdisziplinäres Ziel, an dem Paartherapeut
und Hausarzt mitarbeiten können. Währenddessen arbeiten wir in der Ergotherapie weiter
mit dem Energiediagramm, der Balance der Betätigungsbereiche, der Körperwahrnehmung
sowie der Interessen- und der Rollencheckliste [11, 12]. Mit Herrn Löffler führe ich
eine Entspannungsübung durch. Ziel ist es, dass der Klient über eine Übungsabfolge
verfügt, die ihn zur Ruhe bringt und entspannt.
Durch ein Rückführen zur eigenen Körperwahrnehmung erreiche ich, dass Herr Löffler
sich selbst bewusst und regelmäßig spürt. Der 33-jährige Klient steht den gängigen
Entspannungstechniken wie autogenem Training, Yoga und Pilates kritisch gegenüber.
Das sei nichts für ihn. Daher wählen wir eine klar sportlich orientierte Übung mit
einem Ball aus der Spiraldynamik, die sehr schnell ein Ergebnis zeigt. Herr Löffler
führt diese Übung am Abend vor dem Schlafengehen durch und hat das Gefühl, er könne
etwas besser und länger schlafen. Mithilfe der Rollencheckliste kann Herr Löffler
ichbezogene Ziele setzen ([TAB. 3]).
TAB. 3 Herr Löfflers überarbeitete Ziele und Zielüberprüfung im COPM am Ende der ergotherapeutischen
Behandlung
Überarbeitete Ziele
|
Wichtigkeit
|
Durchführung zu Beginn der Therapie
|
Durchführung am Ende der Therapie
|
Zufriedenheit zu Beginn der Therapie
|
Zufriedenheit am Ende der Therapie
|
Ich lebe meine Rolle als Partner gleichberechtigt mit allen Rechten und Pflichten
|
10
|
3
|
8
|
1
|
8
|
Ich lebe die Rolle des Vaters mit allen Rechten und Pflichten
|
10
|
3
|
7
|
1
|
8
|
Ich lebe die Rolle des Ernährers der Familie mit allen Rechten und Pflichten
|
10
|
1
|
7
|
1
|
9
|
Ich finde für mich 3 Orte und/oder Aktivitäten, bei denen ich auftanken kann
|
10
|
1
|
8
|
1
|
8
|
Der Schritt, den Herr Löffler hier getan hat, war sehr groß für ihn. Für die ersten
drei Ziele hat er in der Therapie messbare Teilschritte erarbeitet, damit er weiß,
wann die Ziele erreicht sind. Messbare Teilziele für „Ich lebe die Rolle des Vaters
mit allen Rechten und Pflichten“ sind beispielsweise:
-
Ich genieße den regelmäßigen Papa-Nachmittag mit meinen Kindern.
-
Ich genieße das Zu-Bett-geh-Ritual mit meinen Kindern.
-
Ich lasse bewusst die vertrauensvolle Nähe zu meinen Kindern zu und merke, dass es
mir Energie gibt.
Sich wieder spüren lernen
Sich wieder spüren lernen
Herr Löffler ist im Zuge der Erkrankung emotional abgeflacht. Er fühlt sich wie unter
einer Käseglocke. Ein Teilziel ist es, dass er bewusst die vertrauensvolle Nähe zu
den Kindern zulässt und merkt, dass sie ihm Energie geben.
Es gibt verschiedene Ansätze, um sich zu spüren und in die Emotion zu gehen. Während
eines Hausbesuches in der alten Wohnung von Familie Löffler ist mir ein leicht verstaubtes,
großes CD-Regal aufgefallen. Das sei seine CD-Sammlung, erklärt mir Herr Löffler.
Er habe früher sehr viel Musik gehört, ohne dabei etwas anderes zu tun. Dafür habe
er jedoch seit Jahren keine Zeit mehr gehabt.
Der Klient selbst hat keine Idee, wie er aus der Käseglocke herauskommt. Daher schlage
ich vor, dass wir gemeinsam Musik hören. In diesem Fall Annett Louisan: „Die Katze“.
Das Gefühl, das sich in diesem Liedtext widerspiegelt, kann man als gesunden Egoismus
und Selbstachtung interpretieren. Wir hören das Lied mehrfach und diskutieren darüber.
Da uns niemand sieht, bewegen wir uns zu dem Lied, der Intellekt wird kurzzeitig vor
die Tür gestellt, um der Bewegung und der Musik Raum zu geben.
Herr Löffler fühlt sich wohl. Ich gebe ihm die Aufgabe, zu jeder Therapieeinheit ein
Lied herauszusuchen, das ein positives Gefühl bei ihm hervorruft. So nimmt sich der
33-Jährige, ausgelöst durch die Hausaufgabe, Zeit, um in seinem CD-Regal zu stöbern
(Alltagstransfer). Teilweise verliert er dabei das Zeitgefühl – ein gutes Zeichen
dafür, dass er sich in einer Erholungsphase befindet.
Mit einem Kalender arbeiten
Mit einem Kalender arbeiten
Ein weiteres Ziel ist es, dass Herr Löffler die Rolle des Ernährers der Familie mit
allen Rechten und Pflichten ausfüllt. Dazu gehört auch, Projekte in Zeit, Arbeitsaufwand
und Kosten realistisch zu planen. Helfen soll dabei das Arbeiten mit seinem Kalender.
Im Gespräch reflektiert der Klient seine Pausenzeiten, seine Familienzeit, Arbeitszeit
und Freizeit sowie seine privaten Verpflichtungen (er ist Vorstandsvorsitzender im
Gärtnerverein). Das Ehepaar hat sich in der Paartherapie auf einen Partnerabend geeinigt
sowie darauf, dass Herr Löffler einen Kindernachmittag hat: Er übernimmt die Aufsicht
seiner Kinder und unternimmt mit ihnen etwas.
Die Administration organisieren
Die Administration organisieren
Ein Blick ins Büro zeigt viele Papierstapel. Ordner liegen geöffnet dazwischen. Die
Schreibtischplatte ist nicht zu sehen. Herr Löffler folgt mit seinen bisher gestellten
Rechnungen keinem Ablagesystem. Einzig das Bücherregal mit vielen Gartenbüchern ist
ordentlich nach Themen sortiert.
Zunächst unterstütze ich den Klienten dabei, einen kleinen Platz Ordnung zu haben
und nach und nach die Ordnung auf das Büro auszuweiten. Herr Löffler weiß, was Aktivitätsinseln
sind: Er kennt selbst einige aus seiner gärtnerischen Tätigkeit und transferiert sein
Wissen nun in das Büro. Wichtig ist, dass er die aktuellen Sachen wie Post und Materialrechnungen
öffnet und in einem System ablegt. So kann der Berg an liegengebliebener Arbeit nicht
noch weiter wachsen. Herr Löffler plant jede Woche 90 Minuten für das Rechnungenschreiben
fix in seinen Terminplaner ein und schreibt innerhalb von sieben Tagen nach dem erledigten
Auftrag die Rechnung. Somit kommt regelmäßig Geld auf das Geschäftskonto.
Herr Löffler hat eine sehr gute Auftragslage (eher zu viel). Wir diskutieren die Möglichkeit,
jemanden für den administrativen Teil als Unterstützung dazuzuholen. Diese könnte
einen Teil der Büroarbeit übernehmen. Herr Löffler hat Glück: Im gleichen Dorf findet
sich eine Frau mit kaufmännischer Ausbildung, die fortan für drei halbe Tage in der
Woche die Bürotätigkeiten macht.
Konsequenzen aus dem Energiediagramm
Konsequenzen aus dem Energiediagramm
Das beim Befund erstellte Energiediagramm hatte Herrn Löffler überrascht und betroffen
gemacht. Daraufhin konnte er mit der Unterstützung seiner Ehefrau, dem Paartherapeuten
und dem Hausarzt einiges verändern.
So war absehbar, dass er vom Hausbauer zum Hausbewohner wechseln wird, da der Hausbau
abgeschlossen ist. Die Gartengestaltung des Hauses wird Herr Löffler erst nächstes
Jahr angehen – als gemeinsames Projekt mit seiner Frau. Die Vorstandstätigkeit bei
dem Gärtnerverein hat der Klient nach zehn aktiven Jahren aufgegeben. Er hört regelmäßig
in der neuen Musikecke seine Lieblingsstücke und trifft sich einmal die Woche mit
drei alten Freunden zum Sport. In der Analyse der Gärtnertätigkeiten hat Herr Löffler
mit seiner Sachbearbeiterin herausgefunden, dass sich Privatgärten für ihn mehr rentieren.
Also wird er die Großgartenprojekte reduzieren.
Das Erreichen des vorhergehenden Leistungspensums von Über 100 % darf nicht Ziel des
Klienten sein.
Ergebnis nach neun Monaten
Ergebnis nach neun Monaten
Beim erneuten Durchführen des Energiediagramms zeigt sich nun, dass Herr Löffler ein
Plus von gefühlten 110 Prozent hat. Gleichzeitig sieht er deutlich, was sich alles
innerhalb der letzten neun Monate verändert hat: Der Klient greift inzwischen auf
Energiequellen im Freizeitbereich zurück. In der Interessencheckliste ist sichtbar,
dass er von 32 Interessen, denen er gern nachgeht, momentan nun 15 Aktivitäten umsetzt.
Neu sind unter anderem Fußball, Schwimmen, Radfahren oder Wohnunggestalten.
Herr Löffler reflektiert, dass er den Unterschied zwischen einem ruhigen und einem
angespannten Zustand bemerkt. Sobald der Klient wahrnimmt, dass er angespannt ist,
ergreift er Maßnahmen, die sich als positiv für ihn herausgestellt haben (z. B. mit
Freunden zum Sport verabreden). Sein Energielevel ist noch nicht auf dem gleichen
Niveau wie zu Beginn seiner Selbstständigkeit. Herr Löffler achtet darauf, dass er
die Akkus langsam wieder auffüllt. Er sagt: „Wenn ich nicht selbst auf mich achte,
holt sich mein Körper, worauf er lange verzichtet hat, ohne dass ich es beeinflussen
kann.“
Was seine Kinder betrifft, hat Herr Löffler festgestellt, dass wenn er das „Arbeitshirn“
vor der Haustür lässt, er mehr Lust und Nerven hat, um mit ihnen zu spielen und um
abschalten zu können. Herr Löffler ist sehr zufrieden mit dem Ergebnis. Das spiegelt
sich auch in der Zielüberprüfung im COPM wider ([TAB. 3]).
Professionell sehr gut gewappnet
Professionell sehr gut gewappnet
Im normalen Arbeitsalltag begegnen Ergotherapeuten selten reinen Burnout-Betroffenen,
da im Bereich der Burnout-Therapie auch andere Behandler unterwegs sind. Mit dem Fokus
auf die Handlungsfähigkeit sind wir Ergotherapeuten jedoch professionell sehr gut
gewappnet, diese Klientel zu unterstützen. Wahrscheinlicher ist es, dass wir mit Menschen
in Berührung kommen, die bedingt durch eine andere Erkrankung (z. B. Multiple Sklerose)
nicht mehr genauso leistungsfähig sind wie zu den Zeiten, als sie gesund waren [5].
Manche nehmen diese Veränderung nicht wahr, andere können sie nicht akzeptieren.
In meiner ergotherapeutischen Arbeit habe ich zudem einige Klienten mit rheumatischen
Erkrankungen und eine Klientin mit Magersucht erlebt, die, verursacht durch ihre Erkrankung,
unter einem Burnout-Syndrom litten. Bei dieser Klientel zeigt sich wieder einmal,
dass sich zwei Fachbereiche (z. B. Neurologie und Psychiatrie) überlagern. So sind
wir auf beiden Gebieten unterwegs, damit wir die Klienten professionell therapieren
und begleiten können. Dies garantiert, dass uns unsere Arbeit immer wieder herausfordert
und spannend bleibt.
Regina Roth