Aktuelle Urol 2016; 47(06): 439-440
DOI: 10.1055/s-0042-116734
Referiert und kommentiert
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Blasenkarzinom – Überlebenszeiten nach neoadjuvanter Chemo-therapie


J Urol 2016;
195: 886-893
Further Information

Publication History

Publication Date:
29 December 2016 (online)

 

Bei Blasenkarzinom mit Invasion der Muskelschicht empfehlen die derzeitigen Leitlinien vor der radikalen Zystektomie eine neoadjuvante Chemotherapie – die allerdings oft nicht erfolgt. Eine internationale Arbeitsgruppe hat nun untersucht, wie das im Operationspräparat gefundene Ansprechen auf die Zytostatika die Überlebenszeiten beeinflusst.


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mit Kommentar

Eine komplette Remission nach neoadjuvanter Chemotherapie bei muskelinvasivem Blasenkarzinom ist für einen Nutzen der medikamentösen Behandlung nicht unbedingt erforderlich. Diesen Schluss ziehen Homayoun Zargar und Kollegen, die Daten von 873 zwischen 2000 und 2013 in 19 Zentren weltweit behandelten Patienten retrospektiv ausgewertet haben.

Eingeschlossen wurden Patienten mit histologisch gesichertem Blasenkarzinom mit einem klinischen Stadium T2–T4aN0M0, die vor einer radikalen Zystektomie eine neoadjuvante Zytostatikatherapie erhalten hatten. Diese Therapien umfassten MVAC (Methotrexat, Vinblastin, Adriamycin, Cisplatin), GC (Gemcitabin, Cisplatin) und „sonstige“ Regime ohne Cisplatin-Gabe.

Für die jetzige Analyse teilten die Wissenschaftler die Patienten anhand der endgültigen pathohistologischen Befunde im Zystektomiepräparat ein in

  • pT0N0 (Gruppe 1: n = 257, 29,4%)

  • pTa / Tis / T1N0 (Gruppe 2: n = 207; 23,7%) und

  • pT2N0 und höher (Gruppe 3: n = 409; 46,9%)

und ermittelten anhand von Kaplan- Meier-Kurven die Überlebenszeiten für die 3 Gruppen.

Die Auswertung ergab eine mediane Gesamtüberlebenszeit von 187 Monaten in Gruppe 1, von 138 Monaten in Gruppe 2 und von 84 Monaten in Gruppe 3. Dabei errechnete sich kein statistisch signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen 1 und 2, aber ein hoch signifikanter Vor- teil für beide Gruppen gegenüber Gruppe 3.

In der Regressionsanalyse erwiesen sich das Stadium pT2N0 ebenso wie positive Absetzungsränder im Operationspräparat als Prädiktoren für kürzere Überlebenszeiten. Die Behandlung mit dem MVAC-Schema ging dagegen mit deutlich besseren Überlebenschancen einher. Zwischen den Stadien pT0 und PTa / Tis / T1 fand sich auch hier kein relevanter Unterschied.

Fazit

Nach diesen Daten steht das Ausmaß des Ansprechens auf eine neoadjuvante Chemotherapie bei muskelinvasivem Blasenkarzinom in engem Zusammenhang mit den Überlebenszeiten, meinen die Autoren. Dabei ist aber eine komplette Remission – im Sinne eines Stadiums pT0 – anscheinend nicht erforderlich: Sind keine Lymphknotenmetastasen nachweisbar, ist ein pT1- bzw. pTis- oder pTa-Stadium mit den gleichen Überlebensvorteilen verbunden. Wünschenswert wären aber weiterhin frühe Marker, die noch vor der neoadjuvanten Behandlung eine Aussage darüber erlauben, welche Patienten darauf ansprechen werden und bei welchen es nur zu einer unnötigen Verzögerung der Operation kommt.

Dr Elke Ruchalla, Bad Dürrheim

Kommentar

Prognostischer Vorteil größer als bisher angenommen?

In dieser retrospektiven Arbeit wurde der prognostische Einfluss des pathologischen Tumordownstagings nach neoadjuvanter Chemotherapie und radikaler Zystektomie an einer großen multizentrischen Kohorte untersucht. Die Hypothese der Arbeit fußte auf der Annahme, dass ein Tumordownstaging eines primär histopathologisch gesicherten muskelinvasiven Harnblasenkarzinoms in ein nicht muskelinvasives Stadium einen vergleichbaren prognostischen Vorteil erzielen kann wie ein komplettes Downstaging (pT0). In den Analysen dieser Arbeit konnte in der Tat nachgewiesen werden, dass kein statistisch signifikanter Unterschied zwischen einem pT0 und einem ≤pT1 Stadium vorlag, wohingegen Patienten mit persistierendem muskelinvasiven Stadium eine deutlich geringere Überlebenswahrscheinlichkeit hatten [1].

Was lässt sich aus diesen Daten für das klinische Management von Patienten mit muskelinvasiven Blasenkarzinomen ableiten? Die pathologische Response nach neoadjuvanter Chemotherapie gilt als starker Surrogatmarker für einen Überlebensvorteil [2]. Im Zeitalter der Checkpoint-Inhibitor-Therapie und einer damit einhergehenden zunehmenden Anzahl an klinischen Studien im neoadjuvanten Bereich [3], legen die Beobachtungen der vorliegenden Studie nahe, dass möglicherweise ein größerer Anteil von Patienten einen prognostischen Vorteil von einer neoadjuvanten Systemtherapie erzielen kann als bisher angenommen. Allerdings vermag diese Studie keine Antwort auf die Frage zu liefern, welcher Patient ein Tumordownstaging nach Chemotherapie entwickeln wird.

In diesem Zusammenhang konnte die vorliegende Arbeit auch nicht aufzeigen, ob eine Abhängigkeit der Response von der Anzahl der Chemotherapiezyklen besteht. Ein weiterer Punkt, der einer Erwähnung bedarf, ist die Frage, inwieweit das operative Ausmaß der vorgeschalteten transurethralen Blasentumorresektion ein Tumordownstaging begünstigt haben könnte oder ob überhaupt bei Patienten mit residualem ≤ T1 Stadium ein weiterer prognostischer Vorteil durch die Einleitung einer neoadjuvanten Chemotherapie generiert werden kann.

Interessanterweise haben bereits frühere Analysen am Memorial Sloan Kettering Cancer Center ergeben, dass Patienten mit Nachweis eines Stadiums ≤ pT1 nach Durchführung einer frühen Nachresektion trotz primär muskelinvasiven Harnblasenkarzinoms und anschließender Surveillance-Strategie vergleichbare Überlebensraten aufwiesen wie Patienten, die trotz ≤ T1-Stadium in der Nachresektion mittels radikaler Zystektomie behandelt worden waren [4]. Das Ausmaß der TURB bei der Behandlung muskelinvasiver Harnblasenkarzinome mittels einer kurativ intendierten Radiochemotherapie hat sich in zahlreichen Studien von hoher prognostischer Wertigkeit gezeigt [5], wohingegen eine fundierte Analyse dieses Qualitätskriteriums bei zystektomierten Patienten bisher nicht hinreichend untersucht worden ist.

In diesem Zusammenhang zeigte sich in einer rezenten Untersuchung, dass die Durchführung einer Hexaminolävulinat-basierten TURB bei Patienten, die sich einer radikalen Zystektomie bei invasivem oder high-grade Harnblasenkarzinom unterzogen hatten, einen signifikanten Einfluss auf das rezidivfreie, krebsspezifische- und Gesamtüberleben hatte [6]. Zudem ergab eine kürzlich publizierte Metaanalyse aus vornehmlich randomisierten Studiendaten, dass die Durchführung einer Hexaminolävulinat-basierten TURB beim NMIBC mit einer signifikant niedrigeren Progressionsrate im Vergleich zur Weißlichtresektion einhergeht [7].

Als Fazit lässt sich daher festhalten, dass durch die vorliegende Arbeit die Annahme unterstützt wird, dass ein prognostischer Vorteil einer neoadjuvanten Chemotherapie bereits bei einem Tumordownstaging in ein nicht muskelinvasives Stadium besteht. Um diesen Vorteil zu maximieren, könnte es daher vielversprechend sein, im Rahmen zukünftiger randomisierter Studien nicht nur das therapeutischen Potenzial der systemischen Therapie im neoadjuvanten Ansatz, sondern auch das der endoskopischen Therapie bei der Behandlung von Patienten mit muskelinvasiven Harnblasenkarzinom näher zu untersuchen.

Take Home Message Ein prognostischer Vorteil einer neoadjuvanten Chemotherapie kann beim muskelinvasiven Harnblasenkarzinom bereits bei einem pathologischen Tumordownstaging in ein nicht muskelinvasives Stadium angenommen werden.

Prof. Dr. Georgios Gakis, Tübingen


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Prof. Dr. Georgios
Gakis ist Oberarzt an
der Klinik für Urologie,
Universitätsklinikum
Tübingen

  • Literatur

  • 1 Gakis G. Editorial Comment. J Urol 2016; 195: 892
  • 2 Witjes JA, Comperat E, Cowan NC et al. EAU guidelines on muscle-invasive and metastatic bladder cancer: summary of the 2013 guidelines. Eur Urol 2014; 65: 778-792
  • 3 Fahmy O, Khairul-Asri MG, Stenzl A, Gakis G. The current status of checkpoint inhibitors in metastatic bladder cancer. Clin Exp Metastasis 2016; DOI: 10.1007/s10585-016–9807–9.
  • 4 Herr HW. Transurethral resection of muscle-invasive bladder cancer: 10-year outcome. J Clin Oncol 2001; 19: 89-93
  • 5 Gakis G, Efstathiou J, Lerner SP et al. ICUD-EAU International Consultation on Bladder Cancer 2012: Radical cystectomy and bladder preservation for muscle-invasive urothelial carcinoma of the bladder. Eur Urol 2013; 63: 45-57
  • 6 Gakis G, Ngamsri T, Rausch S et al. Fluorescence-guided bladder tumour resection: impact on survival after radical cystectomy. World J Urol 2015; 33: 1429-1437
  • 7 Gakis G, Fahmy O. Systematic Review and Meta-Analysis on the Impact of Hexaminolevulinate- Versus White-Light Guided Transurethral Bladder Tumor Resection on Progression in Non-Muscle Invasive Bladder Cancer. Bladder cancer 2016; 2: 293-300

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  • 2 Witjes JA, Comperat E, Cowan NC et al. EAU guidelines on muscle-invasive and metastatic bladder cancer: summary of the 2013 guidelines. Eur Urol 2014; 65: 778-792
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  • 6 Gakis G, Ngamsri T, Rausch S et al. Fluorescence-guided bladder tumour resection: impact on survival after radical cystectomy. World J Urol 2015; 33: 1429-1437
  • 7 Gakis G, Fahmy O. Systematic Review and Meta-Analysis on the Impact of Hexaminolevulinate- Versus White-Light Guided Transurethral Bladder Tumor Resection on Progression in Non-Muscle Invasive Bladder Cancer. Bladder cancer 2016; 2: 293-300

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