Zeitschrift für Phytotherapie 2016; 37(05): 189
DOI: 10.1055/s-0042-116534
Editorial
© Haug Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Editorial

Phytotherapie bei Kindern
Bernhard Uehleke
Further Information

Publication History

Publication Date:
10 November 2016 (online)

 
Zoom Image
 

Schon vom Säuglingsalter an bekommen fast alle Kinder bei Blähungen einen entspannenden, entschäumenden und beruhigenden Fencheltee. Dieser wird aber heute von den gestressten Eltern kaum noch als Aufguss eines Arzneimitteltees, sondern oftmals als Lösung aus einem gesüßten Extrakt zubereitet. Auch in der Hautpflege (Windeldermatitis) sind Heilpflanzen wie Kamille, Ringelblume usw. sehr verbreitet - allerdings eher in entsprechenden Pflegeprodukten als in topischen Arzneimitteln. Bei Neurodermatitis kommt Nachtkerze innerlich und äußerlich zum Einsatz. Bei den im Kindergartenalter so häufigen „Common colds“ wird symptomorientiert wieder der ganze Heilpflanzenschatz für Erkältungen eingesetzt. Nicht alle der an Erwachsenen klinisch belegten Heilkräuter sind jedoch für die Anwendung beim Kleinkind zugelassen.

Auch bei Schlafstörungen, psychischen Störungen, funktionellen Störungen im Magen-Darm-Bereich bis hin zu dysmenorrhoischen Beschwerden beim heranwachsenden Mädchen sind nach unserer Lehrmeinung zunächst Phytopharmaka gegenüber chemisch definierten Alternativen vorzuziehen - insbesondere wenn es sich um leicht ausgeprägte Beschwerden handelt, wie sie naturgemäß am häufigsten vorkommen.

Eine Reihe von Publikationen [1]-[3] aus in Deutschland erhobenen Stichproben zur Anwendung von Arzneimitteln bei Kindern lässt nun Zweifel an unserer oben dargestellten „Welt“ aufkommen!

Offenbar verschreiben Pädiater und Hausärzte bei kleinen und älteren Kindern überwiegend chemische Arzneimittel - und auch immer noch erheblich häufiger Homöopathika als Phytopharmaka! Dies spiegelt sich in der Selbstmedikation innerhalb und außerhalb der Apotheke wider: Die Selbstmedikation bleibt bei jüngeren und älteren Kindern fast unverändert mit einer 4-Wochen-Prävalenz von ca. 40 % [2]. Geradezu alarmierend für die Anhänger der Phytotherapie könnte ein Ergebnis der in diesem Heft vor­gestellten Longitudinal-Studie von Italia et al. (2016) sein: 15-jährige Kinder verwenden insgesamt weniger Phytopharmaka bei höherem Gebrauch chemisch definierter Pharmaka (insbes. Antiphlogistika / Analgetika bei Mädchen), wie es dieselben 5 Jahre zuvor im Alter von 10 Jahren angegeben hatten [3]. Die Abnahme der Phytopharmaka-Prävalenz mit steigendem Alter wird auch in einer anderen Auswertung deutlich [1].

Über Ursachen dieser für die Phytotherapie ungünstigen Entwicklung kann man diskutieren: Gibt es zu wenig Kinderärzte mit Interesse an Phytopharmaka? Gibt es zu wenig klinische Studien zu Nutzen und Risiko von Phytopharmaka bei Kindern? Oder finden Jugendliche Phytotherapie (Teetrinken!) „uncool“ (vielleicht weil ihre Eltern dieses so toll finden)?

 

Bernhard Uehleke


#
  • Literatur

  • 1 Du Y, Wolf IK, Zhuang W et al. Use of herbal medicinal products among children and adolescents in Germany. BMC Complement Altern Med 2014; 14: 21-8
  • 2 Du Y, Knopf H. Self-medication among children and adolescents in Germany: results of the National Health Survey for Children and Adolescents (KiGGS). Br J Clin Pharmacol 2009; 68: 599-608
  • 3 Italia S, Brüske I, Heinrich J et al. A longitudinal comparison of drug use among 10-year-old children and 15-year-old adolescents from the German GINIplus and LISAplus birth cohorts. Eur J Clin Pharmacol 2016; 72: 301-310

  • Literatur

  • 1 Du Y, Wolf IK, Zhuang W et al. Use of herbal medicinal products among children and adolescents in Germany. BMC Complement Altern Med 2014; 14: 21-8
  • 2 Du Y, Knopf H. Self-medication among children and adolescents in Germany: results of the National Health Survey for Children and Adolescents (KiGGS). Br J Clin Pharmacol 2009; 68: 599-608
  • 3 Italia S, Brüske I, Heinrich J et al. A longitudinal comparison of drug use among 10-year-old children and 15-year-old adolescents from the German GINIplus and LISAplus birth cohorts. Eur J Clin Pharmacol 2016; 72: 301-310

Zoom Image