Klin Padiatr 2016; 228(05): 233-234
DOI: 10.1055/s-0042-115367
Editorial
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Risikofaktoren peri- und intraventrikulärer Blutungen bei sehr unreifen Frühgeborenen

Risk Factors for Peri- and Intraventricular Hemorrhage in Very Preterm Neonates
Ludwig Gortner
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Prof. Dr. Ludwig Gortner
Kliniken für Kinder- und Jugendmedizin
Universitätsklinikum des Saarlandes Homburg
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Publication History

Publication Date:
12 September 2016 (online)

 

Peri- und intraventrikuläre Blutungen werden in der internationalen Literatur nach Papile LA in 4 Schweregrade klassifiziert [10]. Obschon diese Klassifikation auf den zu diesem Zeitpunkt gebräuchlichen computertomografischen Befunden fußt, hat sie bis heute ihre Wertigkeit in der internationalen Literatur. Diese Blutungsentität bei sehr unreifen Frühgeborenen stellt sowohl für die akute Überlebensprognose als auch für die langfristige Entwicklung einer der wichtigsten Risikofaktoren dar. Zahlreiche klinische Kohortenstudien belegen die dargestellten Zusammenhänge bis in die aktuelle Literatur hinein bereits seit Dekaden [8]. Daher war die Erfassung von Risikofaktoren und deren jeweilige Aktualisierung für entsprechende Behandlungsperioden eine Säule der neonatologischen Forschung. Diesem Thema widmet sich die in der aktuellen Ausgabe die Untersuchung an eine bundesdeutschen Kohorte aus Ulm [15].


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Im Kontext der aktuellen Literatur sind die Ergebnisse übereinstimmend zum gegenwärtigen Wissenstand einzustufen, fügen jedoch darüber hinaus einen zuletzt eher in den Hintergrund getretenen Risikofaktoren wie den der Hyperkapnie unserem aktuellen Konzept wieder hinzu. Die Prävention periventrikulärer und intraventrikulärer Blutungen ist einerseits auf dem Hintergrund beschriebener Risikofaktoren durch deren Minimierung beziehungsweise Vermeidung sowie mittels medikamentöser Therapien möglich:

Pränatalen Strategien

Hierbei kommen einer atraumatischen Geburt mit Vermeidung von Asphyxie, Hypothermie und Azidose sowie dem späten Abnabeln als allgemeine geburtsmedizinsiche Ansätze eine grundlegende Bedeutung zu. Auf der Ebene der medikamentösen Prävention ist der Stellenwert der pränatalen Kortikoidapplikation als bedeutsamste Maßnahme völlig unbestritten [4]. Die Strategie des späten Abnabels zur Autotransfusion des Frühgeborenen ist hierbei während der vergangenen Dekade in mehreren Studien als wirkungsvolle Prävention von peri- und intraventrikulären Blutungen beschrieben worden [6] und sollte ohne Einschränkung Anwendung finden.

Die einmalige pränatale Applikation von Kortikosteroiden ist Standard in der Geburtsmedizin. Repetitive Applikationen von Kortikosteroiden – unter dem Aspekt der erweiterten medikamentösen Prävention nach Überschreiten einer Zeitgrenze von mehr als 1 Woche nach erster Gabe - scheinen entsprechend neuen Metaanalysen hierbei möglich und sinnvoll [4]. Alternativen zu den beiden meist eingesetzten Präparaten Betamethason und Dexamethason sind gegenwärtig nicht erkennbar. Diese Therapie wird seit den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts eingesetzt und ist auch bei langfristiger Nachsorge intrauterin behandelter Kinder eine als sicher einzustufende Intervention. In die unten zitierte Metaanalyse wurden allerdings nur Studien einbezogen, die eine einmalige Kortikosteroidapplikation als Intervention erhalten hatten [12]. Der protektive Effekt der genannten Medikation wird in der vorliegenden Ulmer Studie bestätigt [15].


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Postnatale Strategien

Einheitlich wird die Rolle der postnatalen Asphyxie als der primäre postnatale Risikofaktor für die Entstehung einer peri- oder intraventrikulären Blutung angesehen, dies wird auch in der Publikation der Ulmer Gruppe bestätigt. Der Ansatz zur Vermeidung einer postnatalen Asphyxie, üblicherweise gemessen an der Apgar-Scores ist einer der Kernelemente einer kompetenten perinatalen Versorgung und liegt somit an der Schnittstelle von Geburtsmedizin und Neonatologie. Es sollte auch in komplexen geburtsmedizinischen Situationen und bei schwieriger postnataler Primärversorgung möglich sein, diesen Standard zu halten. Hierfür bieten sich Zentren mit einer adäquaten Anzahl zu versorgender Risikokinder an, um strukturelle Voraussetzungen zu optimieren [3].

Medikamentöse Ansätze zur Prävention von peri- und intraventrikulären Blutungen setzen üblicherweise an 2 Kernpunkten der Pathogenese an: Einerseits der Unreife und damit verbundenen erhöhten Fragilität der germinalen Matrixgefäße, wo diese Blutungen typischerweise ihren Ausgang nehmen sowie einer reduzierten Kapazität zur Autoregulation der zerebralen Durchblutung [2]. Darüber hinaus sind Störungen der Gerinnung als Risikofaktoren beschrieben [2]. Ansätze in der medikamentösen Therapie zu Prävention von peri- und intraventrikulären Blutungen mittels gefäßstabilisierender Substanzen sind trotz intensiver Forschungen bislang ohne Erfolg geblieben. Somit konzentrieren sich die medikamentösen Maßnahmen auf die Aufrechterhaltung der korpuskulären und plasmatischen Gerinnung durch entsprechende Transfusionsstrategien sowie die Gabe von Vitamin K [2].

Damit verbleiben die nicht-medikamentösen Ansätze für die Neonatologie in der Prävention dieser Blutungsereignisse als weitere Option. Die Beatmung per se, bzw. die damit assoziierten Komplikationen sind etablierte Risikofaktoren von peri- und intraventrikulären Blutungen. Schon zu Beginn der Ära der neonatologischen Intensivmedizin wurde der Zusammenhang des Auftretens eines Pneumothorax und den genannten Blutungen beschrieben. Damit ist die Vermeidung eines Pneumothorax bei beatmeten sehr unreifen Frühgeborenen eine der Grundlagen der intensivmedizinischen Versorgung dieser Kinder [11]. Strategien zur Vermeidung der maschinellen Beatmung insgesamt, unter anderem durch den primären Einsatz eines kontinuierlichen positiven Atemwegsdrucks (CPAP) konnten jedoch nicht die erhoffte Reduktion der Rate von schweren peri- und intraventrikulären Blutungen bewirken. Siehe hierzu Metanalyse von Fischer und Bührer [5].

Bleibt der seitens der Autoren der Ulmer Studie nachgewiesene Risikofaktor der Hyperkapnie zu diskutieren. Nur ein Teil der hierzu publizierten Arbeiten konnten in der Vergangenheit die Hyperkapnie als Risikofaktor für die zur Diskussion stehenden intrakraniellen Blutungen bei sehr unreifen Frühgeborenen in Kohorten- und Beobachtungsstudien nachweisen [2]. Darüber hinaus wurde in einer jüngst publizierten kontrollierten Studie mit der Intervertionsvariable der kontrollierten Hyperkapnie (permissive Hyperkapnie) im Rahmen des respiratorischen Managements keine erhöhte Rate von Blutungen in der Interventionsgruppe beschrieben (PHELBI-Studie; [14]). Es wurden in der PHELBI-Studie Kohlendioxidpartialdrucke von zwischen 55 bis 75 mm Hg zwischen Tag 1 und 14 postnatal angestrebt. Allerdings war die primäre Zielvariable der Studie die Reduktion des kombinierten Ausgangs bronchopulmonale Dysplasie oder Tod. Das Auftreten einer schweren intraventrikulären Hämorrhagie war als sekundäre Zielvariable definiert worden. Es bleibt somit weiter zu diskutieren, inwieweit die Daten beider zuvor diskutierter Studie miteinander zu vereinbaren sind. Die Pathophysiologie intrakranieller Blutungen bei Frühgeborenen beinhaltet wie zuvor dargestellt die eingeschränkte Fähigkeit zur Autoregulation der zerebralen Durchblutung, welche noch weiter durch eine Hyperkapnie beeinträchtigt werden kann [2]. Fluktuationen des Kohlendioxidpartialdrucks sowie des systemischen Blutdrucks vermögen weiter die Blutungsrisiken unter anderem durch Reperfusionsereignisse zu erhöhen. Somit könnte bei gezielter und kontrollierter Hyperkapnie ohne relevante Schwankungen des Kohlendioxidpartialdrucks diese modifizierende Komponente der Pathophysiologie in der PHELBI-Studie weitgehend entfallen sein und somit zumindest zum Teil den scheinbaren Widerspruch der Ulmer Daten im Vergleich zu denen der PHELBI-Studie erklären. Weitere Komplikationen und Interventionen, die als beatmungs- und kreislaufwirksam zu klassifizieren sind, wie beispielhaft aufgeführt, Infektionen [9], pathologische stark fluktuierende Blutzuckerkonzentrationen [7] sowie die intravenöse Behandlung z. B. mit Sildenafil [13] sind hier als Modifikatoren der intrakraniellen Durchblutung zu diskutieren.

Daher sind weitere Studien nötig, die oben skizzenhaft diskutierten Zusammenhänge weiter klären, um präventive Strategien für peri- und intraventrikuläre Blutungen bei sehr unreifen Frühgeborenen zu verfeinern und damit die kurz- und langfristige Prognose dieser Kinder zu verbessern. Wie eingangs erwähnt, ist bei einer eingetretenen schweren peri- oder intraventrikulären Blutung derzeit klinisch keine Akutintervention möglich, welche primär die Prognose verbessert. Inwieweit die Applikation mesenchymaler Stammzellen, wie in einer ersten tierexperimentellen Studie mit einer signifikanten morphologischen und klinischen Verbesserung der Befunde an Nagern nach induzierter intraventrikulärer Hämorrhagie beschrieben wurde [1], hier eine therapeutische Option für die Zukunft darstellt, bleibt weiteren experimentellen und danach sorgfältig kontrollierten klinischen Studien vorbehalten.


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