Schlüsselwörter:
Einwilligung - Aufklärung - Dokumentation - Transportverweigerung
Bildnachweis: Romy Greiner / Thieme Verlagsgruppe
Dürfen Patienten eine Versorgung ablehnen?
Zumindest wenn der begründete Verdacht besteht, dass eine ernsthafte Verletzung oder
Erkrankung vorliegt, erscheint es unklug, sich nicht behandeln oder in ein Krankenhaus
transportieren zu lassen. Dennoch:
-
Vor jeder medizinischen Maßnahme ist eine Einwilligung des Patienten einzuholen (§ 630d
Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)).
-
Verweigert der Patient diese Einwilligung, ist dies grundsätzlich verbindlich – und
medizinische Maßnahmen haben zu unterbleiben.
Dabei geht die Rechtsprechung grundsätzlich davon aus, dass eine Einwilligungsfähigkeit
beim Erwachsenen die Regel ist [1]. Entsprechend kann der Patient medizinisch indizierte Maßnahmen ablehnen, auch wenn
dies nicht sinnvoll erscheint.
Entscheidungsfähigkeit ist relevant
Der Patient muss zunächst grundsätzlich und in der konkreten Situation in der Lage
sein, Entscheidungen über seinen Gesundheitszustand zu treffen.
Einwilligungsfähig bzw. entscheidungsfähig ist, wer Bedeutung und Tragweite – auch
die Risiken – der Maßnahme bzw. der Ablehnung der Versorgung erfassen und seinen Willen
hiernach zu bestimmen vermag [2].
An der grundsätzlichen Einwilligungsfähigkeit bzw. Entscheidungsfähigkeit können sich
verletzungs-, erkrankungs- oder situationsbedingt Zweifel ergeben. Um solche Zweifel,
auch vorsorglich, auszuräumen, empfiehlt es sich, hierzu Feststellungen zu treffen
und diese zu dokumentieren.
Wann ist man einwilligungsfähig?
Eine einfache Dokumentation „Patient ist zurechnungsfähig“ o. ä. ist im Nachhinein
wenig nachvollziehbar und kaum belastbar. Vielmehr sollte die Dokumentation anhand
nachvollziehbarer Kriterien erfolgen.
-
Prüfen Sie, ob der Patient zu allen 4 Qualitäten (persönlich, zeitlich, örtlich, situativ)
orientiert ist.
-
Fehlen dann noch Befunde, die auf eine akute neurologische oder psychiatrische Erkrankung
oder eine Intoxikation schließen lassen, wird i. d. R. eine Entscheidungsfähigkeit
gegeben sein.
Bei einem bewusstlosen Patienten, der aktiv keine Entscheidung mitteilen kann, ist
grundsätzlich davon auszugehen, dass der Patient versorgt werden möchte.
Aufklärung tut Not
Um sicherzustellen, dass der Patient eine zutreffende Vorstellung von seiner gesundheitlichen
Situation und den möglichen Folgen einer Verweigerung der Versorgung hat, sollte er
entsprechend informiert werden. Dabei ist dem Patienten zu erklären,
Zurückhaltung ist hier fehl am Platz. Sprechen Sie einfach und deutlich und verzichten
Sie auf medizinische Fachausdrücke.
-
So sollte etwa ein Patient mit einer Kopfplatzwunde auch darüber informiert werden,
dass ohne weitere Untersuchung eine intrakranielle Blutung (für den Patienten „Hirnblutung“)
nicht sicher auszuschließen ist und letztlich Bewusstlosigkeit, dauernde Schäden oder
der Tod drohen können.
Der Patient würde ansonsten seine Kopfverletzung möglicherweise nur für einen „kleinen
Kratzer“ halten, um „den die Sanitäter soviel Aufriss machen“.
Wer darf bzw. muss aufklären?
Auch heute herrscht teilweise noch die Auffassung, die Aufklärung vor einem medizinischen
Eingriff könne nur durch einen Arzt erfolgen [3]. Dies geht zum einen auf das ärztliche Berufsrecht [4], zum anderen auf eine über 40 Jahre alte Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH)
[5] zurück. Das ärztliche Berufsrecht ist für Rettungsfachpersonal nicht bindend, bei
der genannten Entscheidung spielten noch andere Faktoren eine Rolle. Dennoch wird
die Meinung vertreten, die Aufklärung müsse auch durch einen Arzt erfolgen, wenn der
Patient eine Versorgung bzw. einen Transport ablehnt.
Aufklärung durch Notarzt: nicht immer praktikabel
Dies hätte zur Folge, dass zu jedem verweigernden Patienten ein Notarzt oder anderer
Arzt nachgefordert werden müsste, damit dieser den Patienten über die Folgen seiner
Verweigerung aufklärt.
-
Schon praktisch scheint eine derartige Bindung der Ressource Notarzt bei oft knapper
Verfügbarkeit sehr fraglich.
-
Auch sehen diverse Notarztindikationskataloge, z. B. der Bundesärztekammer [6], eine solche Situation nicht als Notarztindikation an.
Argumente für die Aufklärung durch den Rettungsdienst
Das BGB sieht im Patientenrechtegesetz seit 2013 zudem vor, dass
-
die Aufklärung vor einem medizinischen Eingriff durch eine Person erfolgen muss, die
über die zur Durchführung der Maßnahme notwendige Ausbildung verfügt.
-
Dem Rettungspersonal mutet man zu, viele Verletzungen und Erkrankungen präklinisch
alleine zu versorgen. Dazu ist es durch die entsprechende Ausbildung regelhaft tatsächlich
befähigt.
Hierfür ist eine entsprechende Kommunikation nebst Aufklärung und Einwilligung des
Patienten nötig, auch wenn man dies in Ausbildung und Praxis oft nicht so bezeichnet.
Wieso ein Notarzt erforderlich sein soll, nur weil der Patient sich nicht versorgen
lassen möchte, ist nicht schlüssig.
Rechtlich ist zur Aufklärung im Rettungsdienst nicht immer ein Arzt erforderlich.
Die Aufklärung des verweigernden Patienten kann auch durch das Rettungspersonal erfolgen,
sofern es zur Durchführung der eigentlich notwendigen Maßnahme ausgebildet ist.
Wann doch ein Arzt aufklären muss
Etwaige entgegenstehende lokale Regelungen, die in einem solchen Fall das Hinzuziehen
eines Notarztes vorsehen, sind natürlich zu beachten. Auch wenn sich am Einsatzort
herausstellt, dass der Patient an einer Verletzung oder Erkrankung leidet, die eine
Notarztindikation darstellt, sollte der Notarzt hinzugezogen werden. Dies gilt auch,
wenn der Patient die Versorgung voraussichtlich ablehnen wird.
Ablehnung und Dokumentation
Konsequenzen der Ablehnung
Ein Patient, der sowohl entscheidungsfähig als auch hinreichend aufgeklärt ist, kann
eine Versorgung ablehnen.
-
Der Patient trägt dann aber die volle medizinische und rechtliche Verantwortung.
-
Problematisch sind Situationen, in denen dem Patienten, der eine Versorgung abgelehnt
hat, ein Schaden entsteht.
Unter derartigen Umständen kann es sein, dass der Patient seine Ablehnung bedauert
und die Schuld beim Rettungspersonal sucht. Noch unglücklicher sind Situationen, in
denen der Patient nach dem ersten Kontakt mit dem Rettungsdienst verstirbt – und Dritte
Anschuldigungen erheben.
Dadurch können sich straf- und zivilrechtlich (Schadenersatz / Schmerzensgeld) Fälle
ergeben, in denen man dem Rettungspersonal vorwirft, den Patienten „einfach nicht
behandelt oder transportiert zu haben“. Die Folgen eines solchen Vorwurfs können gravierend
sein.
Rechtliche Konsequenzen für die Mitarbeiter
Aufgrund der Garantenstellung des Rettungsfachpersonals (§ 13 Strafgesetzbuch, StGB)
zählt das Unterlassen einer Versorgung so, als habe das Personal dem Patienten selbst
aktiv geschadet.
-
Der Tatvorwurf wird daher auf Körperverletzung lauten, im Todesfall zumindest auf
eine fahrlässige Tötung.
-
Parallel dazu können arbeitsrechtliche Folgen bis zur Kündigung auftreten.
Bei einer Tätigkeit im öffentlichen Dienst ist in den meisten Bundesländern ausgeschlossen,
dass der Geschädigte oder seine Erben die Retter persönlich zivilrechtlich in Anspruch
nehmen (zweifelhaft für Baden-Württemberg). Schadenersatzansprüche sind gegenüber
dem Träger des Rettungsdienstes geltend zu machen. Allerdings:
Was tun bei Vorwürfen?
Aufgrund der möglichen Folgen des Vorwurfs, einen Patienten nicht versorgt zu haben,
ist es klug,
-
keine Angaben gegenüber Ermittlungsbehörden (z. B. Polizei, Staatsanwaltschaft) zu
machen.
-
Als Beschuldigter müssen Sie nie etwas aussagen.
-
Als Zeuge muss man nur vor dem Staatsanwalt oder dem Gericht aussagen, nicht vor der
Polizei – Angaben zu den eigenen Personalien ausgenommen.
-
Vermeiden Sie auch einen „unverbindlichen Plausch“ mit Polizeibeamten: Dieser findet
sich später sorgfältig dokumentiert in der Ermittlungsakte wieder.
-
Sinnvoll kann es dagegen sein, frühzeitig einen Anwalt zu kontaktieren.
Auch aus diesen Gründen gilt: Bemühen Sie sich aktiv um eine Versorgung und ggf. den
Transport des Patienten und kommunizieren Sie dies an der Einsatzstelle auch so deutlich.
Richtig dokumentieren
Schadensfälle klären Gerichte später über Wochen und Monate, i. d. R. durch Hinzuziehen
externer Sachverständiger. Eine vollständige Dokumentation, im Idealfall mit einer
vom Patienten unterzeichneten Ablehnungserklärung, ist dann Gold wert.
-
Sie sollte nicht nur auf das Erkrankungs- bzw. Verletzungsbild des Patienten an sich
bezogen sein, sondern auch
-
Ausführungen zur Entscheidungsfähigkeit des Patienten,
-
zur Aufklärung und
-
zur dennoch erfolgten Ablehnung der Versorgung enthalten.
Viele Einsatzprotokolle sehen auf der Rückseite ein Feld vor, auf dem der Patient
und Zeugen nochmals ausdrücklich Aufklärung und Ablehnung dokumentieren können. Zur
Unterzeichnung kann man den Patienten aber nicht zwingen.
-
Sofern er sich weigert, das Formular zu unterzeichnen, muss die sonstige Dokumentation,
ggf. nebst der Unterschrift unbeteiligter Zeugen, ausreichen.
Sich simpel eine Unterschrift auf dem Ablehnungsformular geben zu lassen, ist im Schadensfall
nicht ausreichend. Wichtig ist eine korrekte und umfangreiche Dokumentation.
Ablehnung durch den Rettungsdienst: besser nicht!
Es mag auch Fälle geben, in denen Sie eine Versorgung oder einen Transport des Patienten
nicht für erforderlich halten. Der Patient nachts um 3 Uhr, der seit mehreren Wochen
unter Rückenschmerzen leidet, ist hier ein schönes Beispiel.
-
Die Versuchung, dem Patienten zu empfehlen, am nächsten Morgen den Hausarzt aufzusuchen,
und zur Wache zurückzukehren, ist groß.
-
Praktisch sind solche Fälle aber sowohl zivil- als auch strafrechtlich äußerst haftungsanfällig:
Mit den beschränkten Möglichkeiten vor Ort lassen sich ernsthafte Erkrankungen selten
vollständig ausschließen.
Was, wenn der Patient ablehnt, aber nicht entscheidungsfähig erscheint?
Wenn ein Patient die Versorgung ablehnt, man aber Zweifel an seiner Entscheidungsfähigkeit
hat, besteht Handlungsbedarf.
-
Zur besseren Beurteilung der Frage der Einsichtsfähigkeit des Patienten sollte man
dann einen (Not-)Arzt hinzuziehen.
-
Versuchen Sie stets, den Patienten von einer Einwilligung in die Versorgung zu überzeugen.
Bei einem organisch erkrankten Patienten, der entscheidungsunfähig ist, kommt perspektivisch
die Einrichtung einer rechtlichen Betreuung (§§ 1896 ff. BGB) durch das zuständige
Amtsgericht infrage. Diese Entscheidung kann man aber in einer akuten Notfallsituation
nicht kurzfristig abwarten.
Verhalten bei psychiatrischen Patienten
Sofern der Patient primär psychiatrisch behandlungsbedürftig ist, muss man
Hierbei handelt es sich um Gesetze des jeweiligen Bundeslands. In der Regel wird hier
das Vorliegen einer psychiatrischen Erkrankung, eine Eigen- / Fremdgefährdung und
ein Eilbedarf erforderlich sein.
Keinesfalls mit Gewalt
Besonderen Wert muss auf die Eigensicherung des Rettungsfachpersonals gelegt werden.
-
Versuchen Sie niemals, den Patienten gewaltsam mitzunehmen.
-
Sofern ein Transport gegen den erklärten Willen des Patienten unabwendbar ist, müssen
Sie die Polizei / Ordnungsbehörde rufen.
Diese kann den Patienten ggf. in Gewahrsam nehmen, um ihn ins Krankenhaus zu bringen
[8]. Das kommt aber nur in Betracht, wenn der Patient akut erkrankt und entscheidungsunfähig
ist.
Fazit
Ein verweigernder Patient kann medizinisch und juristisch herausfordernd sein. Mit
einem gewissen Problembewusstsein und umfangreicher Dokumentation lässt sich der Lage
aber gelassener entgegensehen.
-
Verweigert ein Patient die Versorgung, sollte sichergestellt sein, dass er entscheidungsfähig
ist.
-
Eine gründliche Dokumentation einschließlich der Aufklärung des Patienten ist wichtig.
-
Bestehen Zweifel an der Entscheidungsfähigkeit des Patienten, sollte ein Notarzt,
ggf. auch die Polizei oder Ordnungsbehörde, hinzugezogen werden.