Neben dem Bücken ist das Vorwärtsneigen für Patienten mit Rückenschmerzen häufig mit
Schmerzen und Einschränkungen verbunden. Es ist eine funktionelle Alltagsbewegung,
die bei verschiedenen Aktivitäten in Beruf und Freizeit gebraucht wird. Wie gut Patienten
ein Gewicht nach vorne reichen können, lässt sich mit dem Loaded-Reach-Test beurteilen,
der in den 1990er Jahren speziell für Patienten mit chronischen Rückenschmerzen entwickelt
wurde [1]. Laut seiner Entwickler beurteilt er die funktionelle Kraft eines Menschen
relativ zu dessen Körpergewicht und empfiehlt sich teilweise für den Befund und die
Diagnostik, jedoch nicht zur Verlaufskontrolle oder Prognose.
Einfache Durchführung
Der Loaded-Reach-Test geht schnell und einfach. Therapeuten benötigen ein Gewicht
oder eine Hantel von circa fünf Prozent des Körpergewichts (maximal fünf Kilogramm),
ein Maßband und eine Wandtafel oder Ähnliches für die Markierung. Der Patient hält
das Gewicht mit beiden Händen auf Schulterhöhe, so nah wie möglich am Körper, seine
Füße stellt er hüftbreit nebeneinander (ABB. 1). Aus dieser Position bewegt er das
Gewicht so weit wie möglich horizontal nach vorne, wobei er seinen Rumpf, seine Schulter-
und Ellenbogengelenke einbezieht (ABB. 2). Die Fersen bleiben am Boden, die Kniegelenke
gestreckt. Der Therapeut misst die Differenz zwischen Ausgangs- und Endposition in
Zentimetern [1, 2]. Messpunkt ist das Gewicht oder die Hantel.
Der Loaded-Reach-Test lässt sich leicht mit dem Functional-Reach-Test verwechseln.
Dieser misst ebenfalls die maximale Distanz, welche die Patienten mit sicherem Stand
erreichen können, wenn sie ihre Arme ohne Zusatzgewichte nach vorne strecken. Messpunkt
ist die Spitze des Mittelfingers. Ziel des ausführlich validierten Functional-Reach-Tests
ist es, das Sturzrisiko und Gleichgewicht bei neurologischen und geriatrischen Patienten
anhand von Normdaten zu beurteilen.
Beim Loaded-Reach-Test hat der Patient ein Gewicht in der Hand, beim Functional-Reach-Test
nicht.
Schwierige Interpretation
Schwierige Interpretation
Für den Loaded-Reach-Test liegen hingegen keine Normdaten vor. So einfach die Durchführung
auch sein mag, so anspruchsvoll und vielseitig ist die Interpretation des Ergebnisses.
Es ist zum Beispiel unklar, was es bedeutet, wenn ein 50-jähriger Mann mit 80 kg Körpergewicht
und einer Größe von 1,75 m einen Score von 60 cm erreicht. Ebenso schwierig ist es
zu interpretieren, wenn sich ein Patient nach einer Serie Physiotherapie beim Retest
10 cm weiter nach vorne neigen kann. Liegt das im Bereich des Standardmessfehlers?
Oder sind die 10 cm Verbesserung für den Patienten klinisch relevant? Eleonor I. Andersson
und ihr Team haben 2010 die Responsivität (das Maß für die Empfindlichkeit eines Assessments
für Veränderungen) untersucht sowie die minimal klinisch relevante Veränderung (minimal
clinically important difference, MCID). Aufgrund der schlechten Resultate konnten
die Wissenschaftler den Loaded-Reach-Test nicht empfehlen [8].
Gute Reliabilität, ungeklärte Validität
Gute Reliabilität, ungeklärte Validität
Die Intratester-Reliabilität haben Studien bei verschiedenen Gruppen von Patienten
mit chronischen Rückenschmerzen untersucht. Sie ist als sehr gut einzustufen. Vergleichbar
gute Werte zeigten sich auch für die Intertester-Reliabilität [2, 4, 7].
ABB. 1 Ausgangsstellung: Die Patientin hält ein Gewicht beidhändig auf Schulterhöhe, die
Füße stehen hüftbreit nebeneinander.
Abb.: T. Läser
ABB. 2 Endstellung: Die Patientin bewegt das Gewicht so weit wie möglich horizontal nach
vorne.
Abb.: T. Läser
Doch ist der Loaded-Reach-Test auch valide? Misst er, was er behauptet zu messen?
Die Konstruktvalidität des Assessments für Patienten mit chronischen Rückenschmerzen
haben verschiedene Studien untersucht, unter anderem anhand des Timed-up-and-go-Tests
(PHYSIOPRAXIS 7-8/16, S. 56), des Roland and Morris Disability Questionnaire (PHYSIOPRAXIS
7-8/08, S. 36), der Schmerzintensität (VAS) und des Sörensen-Tests [2, 3, 5, 6]. Die
Korrelation fiel lediglich moderat aus. Daraus lässt sich schließen, dass nicht sichergestellt
ist, welche Funktionen der Loaded-Reach-Test eigentlich genau beurteilt. Misst er
wirklich nur die funktionelle Kraft der Rückenmuskulatur, so wie die Testentwickler
es ursprünglich beschrieben hatten? Oder könnte ein Patient beim Retest einen besseren
Score erreichen, weil sich die Extension in den Ellenbogen- oder die Elevation in
den Schultergelenken verbessert hat, ohne dass sich etwas im Rückenbereich verändert
hat? Oder testet das Assessment vielleicht primär die Motivation, die mentale Leistungsbereitschaft
oder das Ausmaß des Angstvermeidungsverhaltens des Patienten? Gegebenenfalls beurteilt
der Loaded-Reach-Test auch eine mögliche Bewegungskontrolldysfunktion in der LWS.
All diese Fragen können die aktuell vorliegenden Forschungsergebnisse nicht abschließend
beantworten.
Bessere Alternativen
Da es in Fachkreisen mittlerweile akzeptiert ist, dass eine einzige Testbewegung die
Belastungstoleranz der LWS ohnehin nicht umfassend evaluieren kann, ist der Loaded-Reach-Test
nicht als alleiniger Test zu empfehlen. Stattdessen sind Testbatterien sinnvoll. Es
sind verschiedene Assessments entwickelt worden, die aus einer Kombination verschiedener
Einzeltests bestehen. Gute Beispiele für solche Testbatterien sind die Back Performance
Scale (PHYSIOPRAXIS 11-12/09, S. 50) und die Movement-Control-Tests (PHYSIOPRAXIS 5/09, S. 24). Diese haben Shirley Sahrmann, Peter O’Sullivan und Mark Comerford zusammengestellt,
Hannu Luomajoki und Kollegen haben sie validiert [8–13]. Sie beinhalten sechs einfach
durchführbare klinische Tests, welche Dysfunktionen im lumbosakralen Abschnitt als
Extensions-, Flexions- und/oder Rotationskontrolldysfunktion einstufen. Die Inter-
und Intratester-Reliabilität der Motor-Control-Tests ist als gut bis sehr gut einzustufen
[12]. Martin L. Verra, Balz Winteler