Einführung
Die Einführung des Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) durch das Gesundheitsmodernisierungsgesetz
(GMG) vom 14.11.2003 bedeutete einen Paradigmenwechsel in der Struktur der ambulanten
Versorgung, da seitdem die vertragsärztliche Versorgung nicht mehr ausschließlich
durch freiberuflich tätige niedergelassene Vertragsärzte bzw. ermächtigte Ärzte, sondern
nunmehr auch durch MVZ sichergestellt wird. Die Tatsache, dass zugelassene Krankenhäuser
und zunächst auch zugelassene Leistungserbringer, die Gründungsberechtigung erhalten
haben, führte anfänglich zu einer emotionalen Ablehnung von MVZ in der niedergelassenen
Ärzteschaft.
Mittlerweile wird das MVZ jedoch auch bei niedergelassenen Ärzten als eine denkbare
Kooperationsform ärztlicher Berufsausübung angesehen, die aufgrund der besonderen
gesetzlichen Ausgestaltung im Verhältnis zur klassischen Berufsausübungsgemeinschaft
zunehmend an Bedeutung gewinnt. Insbesondere für das gerätebezogene und daher kapitalintensive
Fachgebiet der Radiologie bietet das MVZ sowohl gesellschaftsrechtlich, als auch haftungsrechtlich
größere Gestaltungsmöglichkeiten als eine Gemeinschaftspraxis, die nur in der Rechtsform
einer Personengesellschaft, also einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts oder Partnerschaftsgesellschaft
betrieben werden darf. Zudem ist das MVZ die einzige Organisationsform, die es Ärzten
erlaubt, sich an anderen MVZ gesellschaftsrechtlich zu beteiligen, ohne dort zwingend
ärztlich tätig sein zu müssen. Vor dem Hintergrund, dass die Vergütungssituation in
der vertragsärztlichen Versorgung für kleine radiologische Praxen kaum noch Überlebenschancen
bietet, stellt das MVZ zudem eine Option für Radiologen dar, gemeinsam mit Krankenhäusern
eine finanzstärkere Plattform zu bilden.
Es verwundert daher nicht, dass das Fachgebiet der Radiologie in MVZ stark vertreten
ist. Nach der Auswertung der KBV vom 31.12.2014 waren zu diesem Zeitpunkt insgesamt
771 Radiologen in MVZ tätig. Das Fachgebiet war darüber hinaus in 216 MVZ vertreten.
Die Attraktivität des MVZ dürfte aufgrund der gesetzlichen Änderungen in Bezug auf
die Gründung von MVZ durch das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VSG) vom 11.06.2015
zugenommen haben, jedoch ist festzustellen, dass diese Änderungen für die gründungsberechtigten
und angestellten Ärzte nicht nur Vorteile bieten. Zudem hat aktuell das Bundessozialgericht
(BSG) durch ein Urteil vom 04.05.2016 (Az.: B 6 KA 24/15 R) zu erheblichen Rechtsunsicherheiten
im Zusammenhang mit den Möglichkeiten der Übertragung von Zulassungen auf ein MVZ
geführt, obwohl die schriftlichen Urteilsgründe bisher noch nicht einmal vorliegen.
Nachfolgend werden die aktuellen Änderungen für MVZ dargestellt, die durch das GKV-VSG
und die aktuelle BSG-Rechtsprechung entstanden sind.
Ärztlicher Leiter
Bei einem MVZ handelt es sich gemäß § 95 Abs. 1 SGB V um eine ärztliche geleitete
Einrichtung, in der Vertragsärzte bzw. angestellte Ärzte tätig werden können. Hinsichtlich
der Tätigkeit angestellter Ärzte gilt, dass diese ebenso, wie die Vertragsärzte, über
eine Arztregistereintragung verfügen müssen. Ferner müssen mindestes 2 personenverschiedene
Ärzte im Umfang von mindestens 1 Zulassung mit hälftigem Versorgungsauftrag bzw. einer
halben Anstellungsstelle im MVZ tätig sein. Das MVZ bedarf eines ärztlichen Leiters,
der gemäß § 95 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 SGB V in dem MVZ selbst als angestellter Arzt oder
als Vertragsarzt tätig sein muss. Damit soll sichergestellt werden, dass die vom MVZ
zu erbringenden Leistungen den vertragsarztrechtlichen Anforderungen genügen und eine
tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit auf die im MVZ vorherrschenden Abläufe gegeben
ist. Gegenüber einer Einzelpraxis oder einer Berufsausübungsgemeinschaft stellt die
Rechtsfigur des ärztlichen Leiters eine Privilegierung dar, denn während die Anzahl
der angestellten Ärzte in einem MVZ nicht begrenzt ist, dürfen niedergelassene Ärzte
nach § 14a Abs. 1 BMV-Ä nicht mehr als 3 vollzeitbeschäftigte oder teilzeitbeschäftigte
Ärzte in einer Anzahl, welche im zeitlichen Umfang ihrer Arbeitszeit 3 vollzeitbeschäftigten
Ärzten entspricht, anstellen. Radiologen sind, wie andere Vertragsärzte, welche überwiegend
medizinisch-technische Leistungen erbringen, etwas besser gestellt, da sie bis zu
4 vollzeitbeschäftigte Ärzte anstellen dürfen.
Ferner muss gewährleistet sein, dass der ärztliche Leiter in medizinischen Fragen
weisungsfrei ist, § 95 Abs. 1 S. 3 Hs. 2 SGB V. Die konkreten Aufgaben und Verantwortlichkeiten
des ärztlichen Leiters sind im Gesetzeswortlaut nicht enthalten. Nach der Rechtsprechung
des BSG trifft den ärztlichen Leiter zwar keine fachliche Verantwortung für jede Behandlungsmaßnahme,
wohl aber die Verantwortung für die ärztliche Steuerung der Betriebsabläufe und eine
Gesamtverantwortung gegenüber der KV (vgl. BSG, MedR 2012, 695, 696 ff.). Dies beinhaltet
auch die Sicherstellung der ordnungsgemäßen Abrechnung der im MVZ erbrachten ärztlichen
Leistungen. Der ärztliche Leiter trägt somit die Gesamtverantwortung für die von den
angestellten Ärzten erbrachten Leistungen in vertragsarztrechtlicher Hinsicht (vgl.
BSG, Urt. v. 14.12.2011, Az.: B 6 KA 33/10).
Aus dieser Gesamtverantwortung leitete jüngst das LSG Nordrhein-Westfalen (Beschl.
v. 24.02.2016, Az.: L 11 KA 58/15 BER) die Pflicht des ärztlichen Leiters ab, die
Abrechnungs-Sammelerklärung zu unterschreiben, sofern der HVM der Kassenärztlichen
Vereinigung (KV) dies dem ärztlichen Leiter überträgt. Gegenstand des Verfahrens war
die Frage, ob es ausreicht, dass die Sammelerklärung von dem Geschäftsführer des MVZ
unterschrieben wird, obwohl der HVM die Unterschrift des ärztlichen Leiters vorsieht.
Das LSG NRW sieht den ärztlichen Leiter des MVZ in der Pflicht, die Sammelerklärung
zu unterschreiben. Zur Begründung führte das LSG NRW aus, dass Voraussetzung für eine
rechtswirksame Abrechnung vertragsärztlicher Leistungen unter anderem sei, dass der
Unterzeichner die Verantwortung für die Erfüllung der Abrechnungsvoraussetzungen trage.
Bei einem MVZ sei daher die Unterschrift des ärztlichen Leiters erforderlich. Die
Unterschrift des Geschäftsführers des MVZ reiche insoweit nicht aus. Das MVZ trage
dabei die Verantwortung dafür, einen geeigneten ärztlichen Leiter zu bestellen und
über diesen eine wahrheitsgemäße Sammelerklärung abzugeben. Demzufolge sei eine der
Kassenärztlichen Vereinigung vorgelegte Abrechnungs-Sammelerklärung eines MVZ, die
entgegen den Vorgaben des jeweiligen HVM nicht von dessen ärztlichem Leiter unterschrieben
ist, fehlerhaft. Insbesondere seien die KVen im Rahmen ihrer Gestaltungsfreiheit befugt,
dem ärztlichen Leiter des MVZ die Pflicht zur Unterschrift der Sammelerklärung aufzuerlegen.
Sollte dieses formale Erfordernis fehlen, ist der vom MVZ geltend gemachte Vergütungsanspruch
nicht entstanden. Sofern die KV die Vergütung schon ausgezahlt hat, ist das MVZ zur
Rückzahlung verpflichtet.
Fachgruppengleiches MVZ
Vor dem Inkrafttreten des GKV-VSG war gemäß § 95 Abs.1 S. 2 SGB V a. F. Voraussetzung
für die Gründung eines MVZ, dass es sich hierbei um eine fachgruppenübergreifende
ärztlich geleitete Einrichtung handelt. Demnach mussten mindestens 2 Vertragsärzte
mit verschiedenen Fachgebieten und mindestens halber Arztstelle im MVZ tätig sein.
Dabei genügten bereits verschiedene Schwerpunktbezeichnungen nach den weiterbildungsrechtlichen
Vorgaben, um die Voraussetzung „fachgruppenübergreifend“ zu erfüllen. Der Wegfall
des Kriteriums „fachübergreifend“ ermöglicht nunmehr die Gründung fachgruppengleicher
MVZ unter Hausärzten, Zahnärzten oder sonstigen Facharztgruppen. Bezweckt wird damit
die weitere Flexibilisierung der Zusammenarbeit unter Vertragsärzten, indem die Gründungsmöglichkeiten
für MVZ erweitert werden. Bei dem Erfordernis, dass mindestens 2 Ärzte mit halben
Zulassungen ein MVZ gründen können, bleibt es jedoch weiterhin.
Angestellte Ärzte als Gründungsgesellschafter im MVZ
Angestellte Ärzte als Gründungsgesellschafter im MVZ
Die Gründereigenschaft von Vertragsärzten hängt von ihrem Zulassungsstatus ab. Nach
§ 95 Abs. 1a SGB V können MVZ nur von „zugelassenen Ärzten“ gegründet werden. Angestellte
Ärzte verfügen demgegenüber nicht über eine Gründungsberechtigung. Dies ist bisher
konsequent, da der angestellte Arzt nach § 95 Abs. 1 S. 1 SGB V an der vertragsärztlichen
Versorgung nicht teilnimmt. Sein Status leitet sich vielmehr von dem anstellenden
Arzt oder MVZ ab. Vertragsärzte, die daher bisher einem MVZ als angestellte Ärzte
beitraten, konnten dies nur aufgrund des Verzichts auf die Zulassung nach § 103 Abs.
4 a SGB V tun. Damit entfiel aber nach alter Rechtslage die Berechtigung zugleich
Gesellschafter des MVZ zu sein und sich an der Gründung weiterer MVZ zu beteiligen.
Mit der durch das GKV-VSG eingeführten Regelung in § 95 Abs. 6 S. 4 SGB V lässt der
Gesetzgeber nunmehr die „Gründungseigenschaft für angestellte Ärzte bestehen, die
auf ihre Zulassung zugunsten der Anstellung in einem medizinischen Versorgungszentrum
verzichtet haben, solange sie in dem medizinischen Versorgungszentrum tätig sind und
Gesellschafter des medizinischen Versorgungszentrums sind.“ Nach dieser Regelung entfällt
die Gründereigenschaft von ehemals zugelassenen Vertragsärzten dann nicht, wenn der
Vertragsarzt aufgrund seiner Anstellung im MVZ auf seine Zulassung verzichtet. Dies
gilt sowohl für den mitgründenden Vertragsarzt als auch den Vertragsarzt, der später
unter Verzicht auf seine Zulassung das bereits bestehende MVZ erweitert. Die Gründereigenschaft
bleibt jedoch nur solange bestehen, wie der ehemalige Vertragsarzt in dem MVZ als
Angestellter tätig ist und Gesellschaftsanteile an der Trägergesellschaft hält (vgl.
BT-Drs. 18/5123, S. 128). Zu berücksichtigen ist indes, dass der angestellte Arzt
als Gründungsgesellschafter nicht mehr als 50% der Gesellschaftsanteile halten darf,
da ansonsten nicht mehr von einer Anstellung ausgegangen werden kann. Außerdem ist
zu beachten, dass der Gründungsgesellschafter keine weiteren MVZ gründen kann, da
dieser aufgrund seiner Anstellung und der fehlenden Zulassung nicht mehr zu dem Kreis
der Gründungsberechtigten des § 95 Abs. 1a S. 1 SGB V gehört und zudem immer Voraussetzung
ist, dass er in dem MVZ selbst tätig sein muss. Ferner dürfte sich die Regelung ausschließlich
auf das MVZ in der Rechtsform der GmbH beziehen. Denn für die Partnerschaftsgesellschaft
ist erforderlich, dass die Gesellschafter weiterhin freiberuflich tätig sind, was
bei dem angestellten Arzt gerade nicht der Fall wäre. Auch kann ein Gesellschafter
einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts nach §§ 705 ff. BGB nicht zugleich deren Arbeitnehmer
sein (vgl. Hess. LAG, Urt. v. 07.08.2001, Az.: 2 Sa 106/01; LAG Rheinland-Pfalz, Urt.
v. 19.10.2007, Az.: 6 Sa 332/07).
Bei der Gründung eines MVZ in der Rechtsform der GmbH kann es sich daher anbieten,
dass Vertragsärzte als angestellte Ärzte tätig sind und zugleich Gesellschafter werden.
Soweit jedoch alle Gesellschafter einer GmbH Gründungsgesellschafter sind, führt dies
dazu, dass nur noch das MVZ selbst und nicht die Ärzte an der vertragsärztlichen Versorgung
nach § 95 Abs. 1 SGB V teilnehmen. Dies wiederum hat zur Folge, dass sich die Ärzte
des MVZ an keinem weiteren MVZ beteiligen und auch keine anderweitige Niederlassung
eingehen können. Insoweit stellt die Rechtsfigur des Gründungsgesellschafters im Hinblick
auf ein etwaiges Wachstum des MVZ eine Sackgasse dar.
Ebenfalls problematisch ist die Rechtsauffassung einiger Kassenärztlicher Vereinigungen
in Bezug auf die Tätigkeitsform in einem MVZ, welches als GmbH geführt wird. Danach
sollen in einer MVZ-GmbH keine zugelassenen Vertragsärzte tätig sein können, sondern
lediglich angestellte Ärzte. Die Auffassung wird damit begründet, dass der Vertragsarzt
nach § 32 Abs. 1 S. 1 Ärzte-ZV seine Tätigkeit „in freier Praxis“ auszuüben hat. Diese
Vorgabe freiberuflicher Tätigkeit sei mit einer Tätigkeit in einer juristischen Person
nicht zu vereinbaren. Dies hat zur Folge, dass ein solches MVZ nur mit angestellten
Ärzten betrieben werden kann. Wollen Vertragsärzte sich hieran als Gesellschafter
beteiligen, bleibt ihnen nur die Möglichkeit, ihre vertragsärztliche Tätigkeit außerhalb
des MVZ in einer Einzelpraxis oder Berufsausübungsgemeinschaft auszuüben und sich
an dem MVZ als Gründer zu beteiligen, ohne ärztlich tätig zu werden. Soweit Vertragsärzte
in einer MVZ-GmbH ärztlich tätig werden möchten, könnten sie dies nur noch als Gründungsgesellschafter
im Anstellungsverhältnis nach § 95 Abs. 6 S. 4 SGB V tun.
Verlegung von genehmigten Anstellungen
Verlegung von genehmigten Anstellungen
Eine weitere Neuregelung des GKV-VSG ist, dass nunmehr innerhalb eines Planungsbereichs
auch genehmigte Anstellungen von einem MVZ auf ein anderes MVZ desselben Trägers bzw.
mit identischen Gesellschaften verlegt werden können, soweit keine Versorgungsgründe
entgegenstehen. Insoweit wurde § 24 Abs. 7 S. 2 Ärzte-ZV ergänzt und sichergestellt,
dass MVZ bei Zulassung und Betrieb nicht gegenüber Vertragsärzten benachteiligt werden.
Dies begründet der Gesetzgeber damit, dass MVZ und Vertragsärzte gleiche Gestaltungsmöglichkeiten
haben müssen (vgl. BT-Drs. 18/4095, S. 146). Eine Übertragung der Anstellungsgenehmigung
sei daher analog der Sitzverlegung bei der Zulassung zulässig, sofern Gründe der vertragsärztlichen
Versorgung dem nicht entgegenstehen. Ob in diesem Zusammenhang eine neue Anstellungsgenehmigung
des Zulassungsausschusses vorliegen muss, ist unklar. Das Gesetz gibt darauf keine
Antwort und vermittelt vielmehr den Eindruck, dass die Genehmigung zu einem anderen
MVZ mit wechselt, ohne dass es einer erneuten Genehmigung bedarf (vgl. Steinhilper,
GuP 2016, 15, 18). Die Gleichbehandlung von MVZ mit Vertragsärzten bedeutet für das
MVZ in Zukunft eine flexiblere Handhabung der zur Verfügung stehenden Arztstellen
und kann einen klaren Wettbewerbsvorteil bieten. In jedem Fall wird die Gleichstellung
eine Verschärfung der Wettbewerbssituation zur Folge haben, da Einzelpraxen und BAGs
künftig verstärkt in den Wettbewerb mit großen MVZ-Strukturen mit hohen finanziellen
Mitteln treten werden. Es ist zudem zu erwarten, dass die Anstellungsdichte in der
Ärzteschaft weiter steigen wird.
Andererseits stellt man sich angesichts der gegenwärtigen Genehmigungspraxis der KVen
bei Verlegungsanträgen nach § 24 Abs. 7 Ärzte-ZV die Frage, ob diese den verfassungsrechtlichen
Anforderungen an die Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG gerecht wird. Die Möglichkeit
der Sitzverlegung ist seit dem GKV-VStG vom 22.12.2011 mit der Bedingung verbunden,
dass „Gründe der vertragsärztlichen Versorgung dem nicht entgegenstehen“ dürfen. Für
die Verlegung von Vertragsarztsitzen bedeutet dies grundsätzlich, dass sich die Sitzverlegung
auf denselben Planungsbereich der betreffenden Fachgruppe beziehen muss. Weiter ist
zu prüfen, ob durch die Sitzverlegung eine Versorgungslücke an dem bisherigen Standort
entsteht und welche Versorgungsvorteile durch die Verlegung an dem neuen Praxisstandort
entstehen. Lediglich in den Fällen, in denen ein Sitztausch vorgenommen wird, d. h.
keinerlei Änderungen bzgl. des Versorgungsgrads eintreten („Nullsummenspiel“), kann
die Verlegung unproblematisch genehmigt werden.
Bei Klärung der Frage, ob der Verlegung eines Vertragsarztsitzes keine Gründe der
vertragsärztlichen Versorgung entgegenstehen, steht den Zulassungsgremien ein gerichtlich
nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu (LSG NRW, Urt. v. 04.03.2015,
Az.: L 11 KA 110/13; LSG Nds., Beschluss vom 15.10.2009, Az.: L 3 KA 73/09 B ER).
Als Begründung wird hervorgehoben, dass die „ortsnahen und fachkundigen Zulassungsinstanzen
nämlich nur ungefähr entscheiden können, ob und inwieweit durch die Verteilung der
bereits niedergelassenen Vertragsärzte in einem Planungsbereich eine ausreichende
medizinische Versorgung der Versicherten unter Berücksichtigung der Bevölkerungs-
und Morbiditätsstruktur und der Verkehrsverbindungen gewährleistet ist.“ Dies rechtfertige
es, den Zulassungsgremien einen Beurteilungsspielraum zuzugestehen und deren Entscheidung
hinzunehmen, solange sie sich im Rahmen der Beurteilungsermächtigung halte. Soweit
die Ausschüsse die durch Auslegung des Begriffs „Gründe der vertragsärztlichen Versorgung“
zu ermittelnden Grenzen eingehalten haben und die Erwägungen hinreichend in der Begründung
der Entscheidung verdeutlicht wurden, dass im Rahmen des Möglichen die zutreffende
Anwendung der Beurteilungsmaßstäbe erkennbar und nachvollziehbar ist, können die Sozialgerichte
die Entscheidung nicht beanstanden.
Die Folge ist, dass die Zulassungsausschüsse trotz der teilweise erheblichen Vergrößerung
der Planungsbereiche durch die Bedarfsplanungsrichtlinie des G-BA (z. B. für Radiologen
nach § 13 BPlRi im Rahmen der spezialisierten fachärztlichen Versorgung) und auch
in übersorgten Planungsbereichen Verlegungsanträge mit der Begründung ablehnen, dass
dies zu einer Verschlechterung der Versorgung führen würde.
Bewerbung von MVZ im Nachbesetzungsverfahren
Bewerbung von MVZ im Nachbesetzungsverfahren
Erhebliche Änderungen wurden durch das GKV-VSG hinsichtlich des Nachbesetzungsverfahrens
nach § 103 Abs. 3a und 4 SGB V vorgenommen. Im Bereich der Auswahlkriterien für die
Bewerber auf einen ausgeschriebenen Vertragsarztsitz wurden MVZ privilegiert. Ursprünglich
fand im Rahmen des Nachbesetzungsverfahrens eine personengebundene Auswahl nach den
Qualifikationen des jeweiligen konkreten Bewerbers statt. Wollte sich daher ein MVZ
auf eine ausgeschriebene Zulassung bewerben, war dies nur möglich, wenn das MVZ im
Nachbesetzungsverfahren bereits einen Arzt benennen konnte. Die Gesetzesbegründung
verweist an dieser Stelle auf die einst gelebte Praxis, dass MVZ meistens erst dann
einen Arzt akquiriert haben, wenn auch tatsächlich eine Zulassung bzw. Anstellungsgenehmigung
vorlag (vgl. BT-Drs. 18/4095, S. 109). Um dieses Problem zu lösen, hat das GKV-VSG
einen neuen § 103 Absatz 4 Satz 10 SGB V eingefügt, der bestimmt, dass für den Fall,
dass „[…]sich ein medizinisches Versorgungszentrum auf die Nachbesetzung des Vertragsarztsitzes
beworben [hat], kann auch anstelle der in Satz 5 genannten Kriterien die Ergänzung
des besonderen Versorgungsangebots des medizinischen Versorgungszentrums berücksichtigt
werden.“
Die Zulassungsausschüsse haben nunmehr im Rahmen des Nachbesetzungsverfahrens bei
der Bewerbung eines MVZ neben der personengebundenen Auswahl zu berücksichtigen, inwieweit
durch die Erteilung der Zulassung das besondere Versorgungsspektrum des MVZ zugunsten
der Patientenversorgung verbessert wird (vgl. BT-Drs. 18/4095, S. 109). Dies könne
laut der Gesetzesbegründung insbesondere dann der Fall sein, wenn mit der neuen Zulassung
ein besonderes Versorgungskonzept des MVZ ermöglicht oder ergänzt werde. Das MVZ erfülle
als eigenständiger Leistungserbringer einen wichtigen Beitrag zur Versorgung der Versicherten,
insbesondere soweit durch das MVZ ein fachübergreifendes ärztliches Leistungsspektrum
angeboten werde. Im Vordergrund stehe beim MVZ die „Versorgung unter einem Dach“.
Diesem Versorgungszweck müsse Rechnung getragen werden. Daher bedürfe es einer Regelung,
die es dem MVZ ermögliche, sich mit ihrem besonderen Versorgungskonzept auf einen
ausgeschriebenen Vertragsarztsitz zu bewerben (vgl. BT-Drs. 18/4095, S.109).
Die neue Regelung ist nach der Gesetzesbegründung so zu interpretieren, dass sich
ein MVZ zunächst auf einen ausgeschriebenen Vertragsarztsitz vorsorglich bewerben
kann, ohne dass ein konkreter Kandidat zur Verfügung steht. Ein entsprechender Kandidat
kann nachgemeldet werden. Zu beachten sind dabei jedoch die entsprechenden Fristen.
So bestimmt § 19 Abs. 3 Ärzte-ZV, dass die vertragsärztliche Tätigkeit in einem von
Zulassungsbeschränkungen betroffenen Planungsbereich innerhalb von 3 Monaten nach
Zustellung des Beschlusses über die Zulassung aufgenommen werden muss. Ansonsten endet
die Zulassung. Einzelpraxen und BAGs können dagegen weiterhin nur mit einem konkreten
Bewerber am Nachbesetzungsverfahren teilnehmen.
Zulassungsverzicht zugunsten einer Anstellung im MVZ
Zulassungsverzicht zugunsten einer Anstellung im MVZ
Da bundesweit in den meisten Planungsbereichen für Fachärzte Zulassungsbeschränkungen
angeordnet sind, besteht für ein MVZ nur die Möglichkeit bestehende Vertragsarztsitze
einzubinden. Dies kann gemäß § 103 Abs. 4a S. 1 SGB V in der Form geschehen, dass
ein Arzt auf seine Zulassung verzichtet und als angestellter Arzt in das MVZ eintritt.
Daneben kann sich ein MVZ für den Fall, dass ein Vertragsarzt seine Praxis veräußern
will und seinen Vertragsarztsitz zur Nachbesetzung gemäß § 103 Abs. 4 SGB V ausschreibt,
um diesen Sitz im Nachbesetzungsverfahren offiziell bewerben. Endet die Zulassung
eines Arztes und will dieser nicht weiterhin tätig sein, kann die Praxis gemäß § 103
Abs. 4 c S. 1 SGB V auch in der Form weitergeführt werden, dass ein MVZ den Vertragsarztsitz
übernimmt und die vertragsärztliche Tätigkeit durch einen angestellten Arzt in der
Einrichtung weiterführt.
In dem Fall des Zulassungsverzichts zugunsten einer Anstellung im MVZ muss der Zulassungsausschuss
die Anstellung genehmigen. Seit dem GKV-VStG wird jedoch wie bei der Verlegung verlangt,
dass der Anstellung Gründe der vertragsärztlichen Versorgung nicht entgegenstehen.
Sollte demnach die Übernahme einer Praxis in ein MVZ zu Versorgungsproblemen am bisherigen
Praxissitz führen, kann dies einer Übernahme durch das MVZ entgegenstehen. Gelöst
werden könnte die Problematik durch die Errichtung einer Zweigpraxis durch das MVZ
am bisherigen Praxissitz. Eine Fortführung der ursprünglichen Praxis durch das MVZ
ist dagegen gemäß § 103 Abs. 4 SGB V nicht möglich.
Die Regelungen über Verzicht und Anstellungen gegenüber Ärzten und MVZ wurden bisher
als Gestaltungsoptionen zur Umgehung des Nachbesetzungsverfahrens genutzt, da dieses
für den Zulassungsinhaber mit nicht unerheblichen Risiken verbunden ist. Nach einer
kurzen Beschäftigungsdauer von 1 oder 2 Quartalen beendete der angestellte Arzt seine
Tätigkeit und konnte parallel mit dem MVZ die Abfindung frei vereinbaren, ohne eine
Festsetzung des „Praxiskaufpreises“ auf der Grundlage des Verkehrswertes nach § 103
Abs. 3a S. 8 SGB V befürchten zu müssen.
In einer aktuellen Entscheidung vom 04.05.2016 (Az.: B 6 KA 24/15 R – Urteilsgründe
noch nicht veröffentlicht) hat das BSG für den Verzicht zugunsten eines MVZ nach §
103 Abs. 4a SGB V nun entschieden, dass die zu fordernde Absicht des (ehemaligen)
Vertragsarztes, im MVZ tätig zu werden, sich zukünftig grundsätzlich auf eine Tätigkeitsdauer
in dem MVZ von 3 Jahren beziehen muss. Unschädlich soll lediglich die schrittweise
Reduzierung des Tätigkeitsumfangs um ¼ Stelle in Abständen von 1 Jahr sein. Die Regelung
dürfte für Anstellungen zugunsten eines Arztes nach § 103 Abs. 3b SGB V gelten. Das
BSG führt als Begründung folgendes aus:
„Die Nachbesetzung der Stelle in einem MVZ kann nur dann und nur insoweit erfolgen,
wie der Vertragsarzt tatsächlich als angestellter Arzt im MVZ tätig geworden ist.
Damit wird auch verhindert, dass die Entscheidungen, die die Zulassungsgremien bei
der Nachbesetzung im Falle der Beendigung der vertragsärztlichen Tätigkeit zu treffen
haben, umgangen werden, indem ein Arzt zwar zunächst erklärt, auf seine Zulassung
zu verzichten, „um in einem MVZ tätig zu werden“, die Tätigkeit dort tatsächlich aber
nicht antritt, um dem MVZ sogleich die „Nachbesetzung“ durch einen selbst gewählten
Angestellten zu ermöglichen. Die zu fordernde Absicht des (ehemaligen) Vertragsarztes,
im MVZ tätig zu werden, wird sich – wie der Senat für die Zukunft klarstellt – grundsätzlich
auf eine Tätigkeitsdauer im MVZ von 3 Jahren beziehen müssen, wobei die schrittweise
Reduzierung des Tätigkeitsumfangs um ¼ Stelle in Abständen von 1 Jahr unschädlich
ist. Bereits bestandskräftig erteilte Anstellungsgenehmigungen bleiben davon unberührt
und können auch Grundlage einer späteren Stellennachbesetzung werden. Wenn ein Vertragsarzt,
der auf seine Zulassung verzichtet, um in einem MVZ tätig zu werden, seine Tätigkeit
im MVZ allerdings – wie vorliegend – von Anfang an nur im Umfang einer ¾ Stelle antritt,
dann kann auch nur diese ¾ Stelle nachbesetzt werden.“
Die Entscheidung des BSG hat zur Folge, dass
-
bei der Übertragung einer Zulassung auf einen Arzt oder ein MVZ, der verzichtende
Arzt grds. für 3 Jahre als angestellter Arzt tätig sein muss,
-
eine vorzeitigen Beendigung des Anstellungsverhältnisses zum Verlust des Nachbesetzungsverfahrens
für die Anstellung führt,
-
für den Fall, dass der angestellte Arzt von Anfang an nur im Umfang einer ¾ Stelle
oder weniger tätig wird, auch nur diese ¾ Stelle oder weniger nachbesetzt werden kann,
-
eine vorzeitige Beendigung des Anstellungsverhältnisses aus autonomen Gründen, wie
z. B. einer Kündigung, keinen Einfluss auf den Ausschluss des Nachbesetzungsverfahrens
hat; bei heteronomen Gründen, wie Krankheit, kommt es voraussichtlich auf den Schweregrad
an. Bei einer schweren Erkrankung, die zur Arbeitsunfähigkeit führt und bei Tod, dürfte
das Nachbesetzungsrecht erhalten bleiben. Für den Fall leichterer Erkrankungen kann
alternativ ein vorübergehendes Ruhen der Anstellung oder eine Vertretung in dem zulässigen
zeitlichen Umfang nach § 32 Abs. 1 Ärzte-ZV in Betracht kommen,
-
eine Reduzierung der ärztlichen Tätigkeit erst nach einer Tätigkeitsdauer von 1 Jahr
in einem Umfang von ¼ möglich ist.
Für den Fall, dass Ärzte daher zugunsten eines MVZ auf ihre Zulassungen verzichten
wollen, um diese zu übertragen, bedeutet dies grundsätzlich, dass die nachgelagerten
Anstellungen in Vollzeit ausgeübt werden und eine Laufzeit von 3 Jahren haben müssen.
Nach diesem Urteil ist eine Praxisabgabe über den Weg des Zulassungsverzichts zugunsten
einer MVZ-Anstellung nur unter Inkaufnahme einer längeren Tätigkeit als angestellter
Arzt möglich. Der schnelle Ausstieg ist damit für den Vertragsarzt jedenfalls nicht
mehr gewährleistet und auch das MVZ muss eine längerfristige Planung vornehmen.
Ergebnis
Der Wegfall des Merkmals „fachübergreifend“ ist insbesondere für bestehende Berufsausübungsgemeinschaften
attraktiv, da diese ohne Weiteres in ein MVZ umgewandelt werden können, soweit keine
Ärzte in der Berufsausübungsgemeinschaft angestellt sind. Das Schicksal vorhandener
Anstellungssitze ist dagegen bei der Umwandlung in ein MVZ bislang nicht abschließend
geklärt. Angesichts der Tatsache, dass die Anstellungen an die Zulassung des MVZ gebunden
sind, könnte im Falle der Beendigung des MVZ die Verpflichtung zur Durchführung des
Nachbesetzungsverfahrens bzgl. der Anstellungen bestehen.
Das Urteil des BSG vom 04.05.2016 zum Zulassungsverzicht des niedergelassenen Vertragsarztes
zugunsten einer MVZ-Anstellung wird praktisch dazu führen, dass eine planmäßige Praxisveräußerung
nur noch über längere Zeiträume möglich sein wird. Angesichts der Tatsache, dass auch
die Anforderungen an das Nachbesetzungsverfahren nach § 103 Abs. 3a, 4 SGB V erheblich
verschärft worden sind und das BSG auch hier Vertragsgestaltungen, die einer Umgehung
dienen, durch eine Missbrauchskontrolle eine Absage erteilt, ist im Rahmen der Praxisveräußerung
zukünftig frühzeitig und genau zu überlegen, welche rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten
den Beteiligten noch verbleiben.
Prof. Dr. Peter Wigge
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Medizinrecht
Stefanie Broß
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