Rofo 2016; 188(08): 719-721
DOI: 10.1055/s-0042-110678
Bildessay
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Imaging of the Tailgut Cyst – Bildgebung der Schwanzdarmzyste

M Kurucay
,
H Bösmüller
,
S D Ioanoviciu [IMFT]
,
M Horger , Tübingen
Further Information

Publication History

Publication Date:
26 July 2016 (online)

 

Schwanzdarmzysten sind seltene kongenitale Läsionen des Präsacralraumes. Sie weisen typischerweise eine polyzystische Morphologie auf und sind eine wichtige Differenzialdiagnose der insgesamt seltenen isolierten Raumforderungen des Präsacralraumes [Krones CJ et al. Der Chirurg 2002; 73: 1123–1126, Jain P et al. Australian Radiology 1997; 41: 207–210]. Die Seltenheit dieses Krankheitsbildes stellt für die Radiologen und Kliniker eine Herausforderung dar.

Einleitung

Der präsacrale Raum wird nach ventral durch das Rektum und nach dorsal durch das Os sacrum begrenzt. Die peritoneale Umschlagsfalte bildet das Dach, der Musculus levator ani und die coccygeale Muskulatur den Boden. Die laterale Grenze formen die Ureteren und die Iliacalgefäße [Krones CJ et al. Der Chirurg 2002; 73: 1123–1126, Jain P et al. Australian Radiology 1997; 41: 207–210]. Eine isolierte präsakrale Raumforderung ist selten [Krones CJ et al. Der Chirurg 2002; 73: 1123–1126]. Ihre Differenzialdiagnose umfasst eine breite Spanne insgesamt seltener Entitäten. Eine mögliche Ursache sind die raren congenitalen Schwanzdarmzysten, die ein Residuum des in der Embryogenese ausgebildeten Schwanzdarms darstellen [Krones CJ et al. Der Chirurg 2002; 73: 1123–1126, Jain P et al. Australian Radiology 1997; 41: 207–210]. Sie besitzen häufig eine polyzystische Struktur [Lim K et al. AJR Am J Roentgenol 1998; 170: 1488–1490, Shetty AS et al. Abdominal Imaging 2015; 40: 2783–2795]. Es existieren viele Synonyme für dieses Krankheitsbild: Retrorectale Zyste; Retrorectales zystisches Hamartom; Mucus sezernierende Zyste; Myoepitheliales Hamartom des Rectums; Postanaldarmzyste [Abukar AA et al. Case Reports in Surgery 2014; 2014: 454502]. Seltenere Lokalisationen von Schwanzdarmzysten sind die Fossa iliaca und der perirenale Retroperitonealraum. Es wird aber auch bei diesen Läsionen davon ausgegangen, dass sie primär präsacral lagen und während der Migration der Ureterknospe mittransportiert wurden [Jain P et al. Australian Radiology 1997; 41: 207–210].


#

Embryologie

Es wird angenommen, dass die Schwanzdarmzyste ein Residuum des in der Embryogenese ausgebildeten Schwanzdarmes ist. In der 3,5–8 mm Phase der Entwicklung um den 35. Schwangerschaftstag besitzt der Embryo einen echten Schwanz. Der distale embryonale Enddarm dehnt sich um den sich entwickelnden Anus in diese Schwanzregion aus und wird Schwanzdarm genannt. Er wird von 2–4 Schichten Epithel ausgekleidet und ist mit Mucus und Debris gefüllt. Normalerweise bildet sich der Schwanzdarm in der 8 mm Phase um den 56. Schwangerschaftstag zurück. In der Rückbildungsphase kommt es zur Ausbildung des Anus mit Verbindung zum Darm und zur Auflösung des embryonalen Schwanzes. Bei inkompletter Rückbildung entstehen aus Residuen Schwanzdarmzysten [Krones CJ et al. Der Chirurg 2002; 73: 1123–1126, Jain P et al. Australian Radiology 1997; 41: 207–210, Abukar AA et al. Case Reports in Surgery 2014; 2014: 454 502, Shetty AS et al. Abdominal Imaging 2015; 40: 2783–2795]. Eine alternative Theorie behauptet, dass Schwanzdarmzysten Relikte des Canalis neuroentericus sind, welcher das Amnion mit dem Dottersack verbindet und üblicherweise während der Entwicklung der Chorda dorsalis obliteriert [Shetty AS et al. Abdominal Imaging 2015; 40: 2783–2795].


#

Pathologie

Schwanzdarmzysten sind mehrere Zentimeter große, nicht abgekapselte polyzystische Raumforderungen, seltener findet man solitäre Zysten. Typischerweise sind die scharf begrenzt mit Adhärenz und reaktiven Veränderungen des umgebenden Binde- und Fettgewebes. Die Zysten können mit verschiedenen Typen Epithelzellen ausgekleidet sein, z. B. Flimmerepithel, Zylinderepithel, Plattenepithel oder Übergangsepithel. Die meisten Zysten enthalten in ihrer Wand fokale, unorganisierte Bündel von glatter Muskulatur ([Abb. 1]). Die Binnenstruktur der Zysten besteht üblicherweise aus durchsichtiger muköser oder seröser Flüssigkeit. Bei maligner Transformation können Adenokarzinome und Karzinoide, seltener Keimzelltumore nachgewiesen werden ([Abb. 2]) [Krones CJ et al. Der Chirurg 2002; 73: 1123–1126, Charalampakis V et al. Surg Today 2014; 44: 961–966, Abukar AA et al. Case Reports in Surgery 2014; 2014: 454502].

Zoom Image
Abb. 1 Nicht tumoröser Anteil einer Schwanzdarmzyste mit Auskleidung durch kolonisches Epithel. HE x50.
Zoom Image
Abb. 2 Schwanzdarmzyste mit Abschnitten einer intraepithelialen Neoplasie in Übergang zu einem Adenocarcinom vom intestinalen Typ G2.

#

Epidemiologie

Obwohl die Schwanzdarmzyste eine congenitale Erkrankung ist, wird sie meistens im mittleren Lebensalter (30.–60. Lebensjahr) und zufällig diagnostiziert. Dabei sind Frauen drei- bis vierfach häufiger betroffen als Männer. Eine familiäre Häufung wird nicht beobachtet [Jain P et al. Australian Radiology 1997; 41: 207–210, Abukar AA et al. Case Reports in Surgery 2014; 2014: 454 502, Lim K et al. AJR Am J Roentgenol 1998; 170: 1488–1490, Shetty AS et al. Abdominal Imaging 2015; 40: 2783–2795].


#

Klinik

Nahezu 50% der Patienten mit Schwanzdarmzysten sind asymptomatisch. Die Diagnose erfolgt zufällig während Routineuntersuchungen oder der Entbindung [Charalampakis V et al. Surg Today 2014; 44: 961–966, Jain P et al. Australian Radiology 1997; 41: 207–210, Abukar AA et al. Case Reports in Surgery 2014; 2014: 454502]. Die restlichen Patienten leiden an Symptomen, die durch den raumfordernden Effekt der Schwanzdarmzyste auf Nachbarorgane hervorgerufen werden. So klagen die Patienten über einen unter Sitzbelastung zunehmen lokalen Druckschmerz, Tenesmen, ständigen Defäkationsreiz, Stuhlverformung oder Pollakisurie [Krones CJ et al. Der Chirurg 2002; 73: 1123–1126, Jain P et al. Australian Radiology 1997; 41: 207–210, Abukar AA et al. Case Reports in Surgery 2014; 2014: 454 502]. Schwanzdarmzysten können auch zu Komplikationen wie Blutungen, Infektionen oder bei ca. 10% der Fälle zur malignen Entartung führen [Krones CJ et al. Der Chirurg 2002; 73: 1123–1126, Charalampakis V et al. Surg Today 2014; 44: 961–966, Jain P et al. Australian Radiology 1997; 41: 207–210, Abukar AA et al. Case Reports in Surgery 2014; 2014: 454502]. Die Infektionen können als Pilonidalzyste, Abszedierung oder anorektale Fistelung fehldiagnostiziert werden. Bei maligner Entartung stehen Adenokarzinome und Karzinoide im Vordergrund, seltener liegen Keimzelltumore vor [Charalampakis V et al. Surg Today 2014; 44: 961–966, Abukar AA et al. Case Reports in Surgery 2014; 2014: 454502].


#

Radiologische Diagnostik

Konventionelle Röntgenaufnahmen zeigen üblicherweise ein unauffälliges Kreuzbein. Allerdings können zusätzliche sacrococcygeale Fehlbildungen koexistieren. Es wurden Zusammenhänge zwischen der Schwanzdarmzyste und der Kreuzbeinagenesie beschrieben. In Kolonkontrasteinläufen kann eine Pelottierung des Rectums von dorsal bei unauffälliger Rectumschleimhaut nachgewiesen werden. Konventionelle Röntgenaufnahmen und Kolon-KE können mittlerweile für die Diagnose der Schwanzdarmzyste als obsolet betrachtet werden [Jain P et al. Australian Radiology 1997; 41: 207–210]. Mit der transabdominellen und transrectalen Sonografie kann die polyzystische Läsion im Präsacralraum dargestellt werden und besonders bei der transrectalen Sonografie eine Rectuminfiltration ausgeschlossen und solide von zystischen Läsionen differenziert werden ([Abb. 3]). Bei Vorliegen von Detritus oder inflammatorischem Debris in den Zysten kann ein Binnenecho vorhanden sein [Krones CJ et al. Der Chirurg 2002; 73: 1123–1126, Jain P et al. Australian Radiology 1997; 41: 207–210].

Zoom Image
Abb. 3 Endosonografie-Aufnahmen (a+b) sowie Farbdoppler von verschiedenen komplizierten Schwanzdarmzysten. Die Binnenreflexe stellen sich heterogen vorwiegend echoram dar. Die Trennung von der Darmwand fehlt generell schwer. Die polyzyklische Kontur und die zum Teil schwer abgrenzbare Außenwand lassen einen soliden Tumor (z. B. CA) vermuten. Es lässt sich keine sichere Durchblutung nachweisen (c).

Die Computertomografie ist eine sensitive Untersuchungsmethode bei der Diagnostik der Schwanzdarmzyste. Typischerweise zeigt sich eine rundliche oder ovale, multizystische präsacrale Raumforderung mit scharfer Randbegrenzung ([Abb. 4], [5]). Die Zysten weisen flüssigkeits- oder weichgewebsähnliche Dichtewerte auf. Bei Randunschärfe oder Invasion von Nachbarstrukturen muss an eine Infektion oder maligne Transformation gedacht werden. Eine hohe Kontrastmittelaffinität kräftigt diesen Verdacht [Krones CJ et al. Der Chirurg 2002; 73: 1123–1126, Jain P et al. Australian Radiology 1997; 41: 207–210, Shetty AS et al. Abdominal Imaging 2015; 40: 2783–2795].

Zoom Image
Abb. 4 Retrorectale Raumforderung bei 6–7 Uhr im axialen nativen CT mit enger Beziehung zur Rectumhinterwand und der M- levator ani-Schlinge.
Zoom Image
Abb. 5 Typische Lokalisation einer Schwanzdarmzyste über dem M. levator ani im koronaren nativen CT.

Die Kernspintomografie spielt bei der Differenzierung und Ausbreitungsdiagnostik von pelvinen Pathologien eine große Rolle. Das MRT-Signal bei der Schwanzdarmzyste hängt davon ab, ob unkomplizierte oder komplizierte, also entzündete bzw. maligne transformierte Zysten vorliegen. Dabei sind unkomplizierte Zysten T1 hypointens und T2 hyperintens ([Abb. 6]–[8]). Die Zysten zeigen zudem meistens eine eingeschränkte Wasserdiffusion in der DWI. Komplizierte Zysten hingegen stellen sich aufgrund des hohen Proteinanteils, einer evtl. Hämorrhagie und der damit verbunden hohen Viskosität des Zysteninhaltes T1 hyperintens und T2 hypointens dar. Eine erhöhte Kontrastmittelanreicherung spricht ebenfalls für eine Infektion oder maligne Transformation [Krones CJ et al. Der Chirurg 2002; 73: 1123–1126, Jain P et al. Australian Radiology 1997; 41: 207–210, Lim K et al. AJR Am J Roentgenol 1998; 170: 1488–1490, Shetty AS et al. Abdominal Imaging 2015; 40: 2783–2795].

Zoom Image
Abb. 6 Axiale T2fs Aufnahme einer komplizierten Schwanzdarmzyste mit gemischtem, überwiegend niedrigem Signal. Ursache dafür können stattgehabte Hämorrhagien wie auch ein erhöhtes Keratin- oder Proteingehalt oder gesteigerte Viskosität sein.
Zoom Image
Abb. 7 Axiale native T1-gewichtete MR-Aufnahme zeigt ebenfalls ein inhomogenes Signal dieser Zyste.
Zoom Image
Abb. 8 Axiale post-KM Aufnahmen zeigen kein sicheres KM-Enhancement.

#

Differenzialdiagnosen

Schwanzdarmzysten müssen von anderen Läsionen des Präsacralraumes differenziert werden. Differenzialdiagnostisch kommen neben primär soliden, zentral nekrotisierenden Tumoren wie kolorektalen Karzinomen, Lymphomen, Chordomen, kolorektalen Leiomyosarkomen oder Fibromen insbesondere zystische Läsionen infrage. Mögliche Verwechslungsgefahr besteht z. B. mit Duplikationszysten, Dermoidzysten, Epidermoidzysten oder Abszessen. Fernen kommen Teratome oder anteriore sacrale Meningozelen differenzialdiagnostisch in Betracht [Krones CJ et al. Der Chirurg 2002; 73: 1123–1126, Jain P et al. Australian Radiology 1997; 41: 207–210, Shetty AS et al. Abdominal Imaging 2015; 40: 2783–2795].


#

Therapie

Die Therapie der Schwanzdarmzyste besteht in der kompletten chirurgischen Exzision. In der Literatur werden verschiedene Operationsverfahren beschrieben. Der retrorektale Zugang hat sich bei tief gelegenen Läsionen aufgrund der Komplikationsarmut etabliert. Bei maligner Entartung sollten kombinierte transabdominelle und retrorektale Operationsverfahren favorisiert werden, um eine ausreichende Radikalität zu erreichen. Transanale bzw. transvaginale Verfahren gelten als obsolet. In der Vorbereitung der Therapie sollte auf eine Biopsie verzichtet werden, um eine iatrogene Infizierung oder bei einer evtl. malignen Transformation Impfmetastasen im Biopsiekanal zu vermeiden [Krones CJ et al. Der Chirurg 2002; 73: 1123–1126, Jain P et al. Australian Radiology 1997; 41: 207–210].

Kurucay M, Bösmüller H, Ioanoviciu SD [IMFT], Horger M, Tübingen


#
#
Zoom Image
Abb. 1 Nicht tumoröser Anteil einer Schwanzdarmzyste mit Auskleidung durch kolonisches Epithel. HE x50.
Zoom Image
Abb. 2 Schwanzdarmzyste mit Abschnitten einer intraepithelialen Neoplasie in Übergang zu einem Adenocarcinom vom intestinalen Typ G2.
Zoom Image
Abb. 3 Endosonografie-Aufnahmen (a+b) sowie Farbdoppler von verschiedenen komplizierten Schwanzdarmzysten. Die Binnenreflexe stellen sich heterogen vorwiegend echoram dar. Die Trennung von der Darmwand fehlt generell schwer. Die polyzyklische Kontur und die zum Teil schwer abgrenzbare Außenwand lassen einen soliden Tumor (z. B. CA) vermuten. Es lässt sich keine sichere Durchblutung nachweisen (c).
Zoom Image
Abb. 4 Retrorectale Raumforderung bei 6–7 Uhr im axialen nativen CT mit enger Beziehung zur Rectumhinterwand und der M- levator ani-Schlinge.
Zoom Image
Abb. 5 Typische Lokalisation einer Schwanzdarmzyste über dem M. levator ani im koronaren nativen CT.
Zoom Image
Abb. 6 Axiale T2fs Aufnahme einer komplizierten Schwanzdarmzyste mit gemischtem, überwiegend niedrigem Signal. Ursache dafür können stattgehabte Hämorrhagien wie auch ein erhöhtes Keratin- oder Proteingehalt oder gesteigerte Viskosität sein.
Zoom Image
Abb. 7 Axiale native T1-gewichtete MR-Aufnahme zeigt ebenfalls ein inhomogenes Signal dieser Zyste.
Zoom Image
Abb. 8 Axiale post-KM Aufnahmen zeigen kein sicheres KM-Enhancement.