Schwanzdarmzysten sind seltene kongenitale Läsionen des Präsacralraumes. Sie weisen
typischerweise eine polyzystische Morphologie auf und sind eine wichtige Differenzialdiagnose
der insgesamt seltenen isolierten Raumforderungen des Präsacralraumes [Krones CJ et
al. Der Chirurg 2002; 73: 1123–1126, Jain P et al. Australian Radiology 1997; 41:
207–210]. Die Seltenheit dieses Krankheitsbildes stellt für die Radiologen und Kliniker
eine Herausforderung dar.
Einleitung
Der präsacrale Raum wird nach ventral durch das Rektum und nach dorsal durch das Os
sacrum begrenzt. Die peritoneale Umschlagsfalte bildet das Dach, der Musculus levator
ani und die coccygeale Muskulatur den Boden. Die laterale Grenze formen die Ureteren
und die Iliacalgefäße [Krones CJ et al. Der Chirurg 2002; 73: 1123–1126, Jain P et
al. Australian Radiology 1997; 41: 207–210]. Eine isolierte präsakrale Raumforderung
ist selten [Krones CJ et al. Der Chirurg 2002; 73: 1123–1126]. Ihre Differenzialdiagnose
umfasst eine breite Spanne insgesamt seltener Entitäten. Eine mögliche Ursache sind
die raren congenitalen Schwanzdarmzysten, die ein Residuum des in der Embryogenese
ausgebildeten Schwanzdarms darstellen [Krones CJ et al. Der Chirurg 2002; 73: 1123–1126,
Jain P et al. Australian Radiology 1997; 41: 207–210]. Sie besitzen häufig eine polyzystische
Struktur [Lim K et al. AJR Am J Roentgenol 1998; 170: 1488–1490, Shetty AS et al.
Abdominal Imaging 2015; 40: 2783–2795]. Es existieren viele Synonyme für dieses Krankheitsbild:
Retrorectale Zyste; Retrorectales zystisches Hamartom; Mucus sezernierende Zyste;
Myoepitheliales Hamartom des Rectums; Postanaldarmzyste [Abukar AA et al. Case Reports
in Surgery 2014; 2014: 454502]. Seltenere Lokalisationen von Schwanzdarmzysten sind
die Fossa iliaca und der perirenale Retroperitonealraum. Es wird aber auch bei diesen
Läsionen davon ausgegangen, dass sie primär präsacral lagen und während der Migration
der Ureterknospe mittransportiert wurden [Jain P et al. Australian Radiology 1997;
41: 207–210].
Embryologie
Es wird angenommen, dass die Schwanzdarmzyste ein Residuum des in der Embryogenese
ausgebildeten Schwanzdarmes ist. In der 3,5–8 mm Phase der Entwicklung um den 35.
Schwangerschaftstag besitzt der Embryo einen echten Schwanz. Der distale embryonale
Enddarm dehnt sich um den sich entwickelnden Anus in diese Schwanzregion aus und wird
Schwanzdarm genannt. Er wird von 2–4 Schichten Epithel ausgekleidet und ist mit Mucus
und Debris gefüllt. Normalerweise bildet sich der Schwanzdarm in der 8 mm Phase um
den 56. Schwangerschaftstag zurück. In der Rückbildungsphase kommt es zur Ausbildung
des Anus mit Verbindung zum Darm und zur Auflösung des embryonalen Schwanzes. Bei
inkompletter Rückbildung entstehen aus Residuen Schwanzdarmzysten [Krones CJ et al.
Der Chirurg 2002; 73: 1123–1126, Jain P et al. Australian Radiology 1997; 41: 207–210,
Abukar AA et al. Case Reports in Surgery 2014; 2014: 454 502, Shetty AS et al. Abdominal
Imaging 2015; 40: 2783–2795]. Eine alternative Theorie behauptet, dass Schwanzdarmzysten
Relikte des Canalis neuroentericus sind, welcher das Amnion mit dem Dottersack verbindet
und üblicherweise während der Entwicklung der Chorda dorsalis obliteriert [Shetty
AS et al. Abdominal Imaging 2015; 40: 2783–2795].
Pathologie
Schwanzdarmzysten sind mehrere Zentimeter große, nicht abgekapselte polyzystische
Raumforderungen, seltener findet man solitäre Zysten. Typischerweise sind die scharf
begrenzt mit Adhärenz und reaktiven Veränderungen des umgebenden Binde- und Fettgewebes.
Die Zysten können mit verschiedenen Typen Epithelzellen ausgekleidet sein, z. B. Flimmerepithel,
Zylinderepithel, Plattenepithel oder Übergangsepithel. Die meisten Zysten enthalten
in ihrer Wand fokale, unorganisierte Bündel von glatter Muskulatur ([Abb. 1]). Die Binnenstruktur der Zysten besteht üblicherweise aus durchsichtiger muköser
oder seröser Flüssigkeit. Bei maligner Transformation können Adenokarzinome und Karzinoide,
seltener Keimzelltumore nachgewiesen werden ([Abb. 2]) [Krones CJ et al. Der Chirurg 2002; 73: 1123–1126, Charalampakis V et al. Surg
Today 2014; 44: 961–966, Abukar AA et al. Case Reports in Surgery 2014; 2014: 454502].
Abb. 1 Nicht tumoröser Anteil einer Schwanzdarmzyste mit Auskleidung durch kolonisches Epithel.
HE x50.
Abb. 2 Schwanzdarmzyste mit Abschnitten einer intraepithelialen Neoplasie in Übergang zu
einem Adenocarcinom vom intestinalen Typ G2.
Epidemiologie
Obwohl die Schwanzdarmzyste eine congenitale Erkrankung ist, wird sie meistens im
mittleren Lebensalter (30.–60. Lebensjahr) und zufällig diagnostiziert. Dabei sind
Frauen drei- bis vierfach häufiger betroffen als Männer. Eine familiäre Häufung wird
nicht beobachtet [Jain P et al. Australian Radiology 1997; 41: 207–210, Abukar AA
et al. Case Reports in Surgery 2014; 2014: 454 502, Lim K et al. AJR Am J Roentgenol
1998; 170: 1488–1490, Shetty AS et al. Abdominal Imaging 2015; 40: 2783–2795].
Klinik
Nahezu 50% der Patienten mit Schwanzdarmzysten sind asymptomatisch. Die Diagnose erfolgt
zufällig während Routineuntersuchungen oder der Entbindung [Charalampakis V et al.
Surg Today 2014; 44: 961–966, Jain P et al. Australian Radiology 1997; 41: 207–210,
Abukar AA et al. Case Reports in Surgery 2014; 2014: 454502]. Die restlichen Patienten
leiden an Symptomen, die durch den raumfordernden Effekt der Schwanzdarmzyste auf
Nachbarorgane hervorgerufen werden. So klagen die Patienten über einen unter Sitzbelastung
zunehmen lokalen Druckschmerz, Tenesmen, ständigen Defäkationsreiz, Stuhlverformung
oder Pollakisurie [Krones CJ et al. Der Chirurg 2002; 73: 1123–1126, Jain P et al.
Australian Radiology 1997; 41: 207–210, Abukar AA et al. Case Reports in Surgery 2014;
2014: 454 502]. Schwanzdarmzysten können auch zu Komplikationen wie Blutungen, Infektionen
oder bei ca. 10% der Fälle zur malignen Entartung führen [Krones CJ et al. Der Chirurg
2002; 73: 1123–1126, Charalampakis V et al. Surg Today 2014; 44: 961–966, Jain P et
al. Australian Radiology 1997; 41: 207–210, Abukar AA et al. Case Reports in Surgery
2014; 2014: 454502]. Die Infektionen können als Pilonidalzyste, Abszedierung oder
anorektale Fistelung fehldiagnostiziert werden. Bei maligner Entartung stehen Adenokarzinome
und Karzinoide im Vordergrund, seltener liegen Keimzelltumore vor [Charalampakis V
et al. Surg Today 2014; 44: 961–966, Abukar AA et al. Case Reports in Surgery 2014;
2014: 454502].
Radiologische Diagnostik
Konventionelle Röntgenaufnahmen zeigen üblicherweise ein unauffälliges Kreuzbein.
Allerdings können zusätzliche sacrococcygeale Fehlbildungen koexistieren. Es wurden
Zusammenhänge zwischen der Schwanzdarmzyste und der Kreuzbeinagenesie beschrieben.
In Kolonkontrasteinläufen kann eine Pelottierung des Rectums von dorsal bei unauffälliger
Rectumschleimhaut nachgewiesen werden. Konventionelle Röntgenaufnahmen und Kolon-KE
können mittlerweile für die Diagnose der Schwanzdarmzyste als obsolet betrachtet werden
[Jain P et al. Australian Radiology 1997; 41: 207–210]. Mit der transabdominellen
und transrectalen Sonografie kann die polyzystische Läsion im Präsacralraum dargestellt
werden und besonders bei der transrectalen Sonografie eine Rectuminfiltration ausgeschlossen
und solide von zystischen Läsionen differenziert werden ([Abb. 3]). Bei Vorliegen von Detritus oder inflammatorischem Debris in den Zysten kann ein
Binnenecho vorhanden sein [Krones CJ et al. Der Chirurg 2002; 73: 1123–1126, Jain
P et al. Australian Radiology 1997; 41: 207–210].
Abb. 3 Endosonografie-Aufnahmen (a+b) sowie Farbdoppler von verschiedenen komplizierten
Schwanzdarmzysten. Die Binnenreflexe stellen sich heterogen vorwiegend echoram dar.
Die Trennung von der Darmwand fehlt generell schwer. Die polyzyklische Kontur und
die zum Teil schwer abgrenzbare Außenwand lassen einen soliden Tumor (z. B. CA) vermuten.
Es lässt sich keine sichere Durchblutung nachweisen (c).
Die Computertomografie ist eine sensitive Untersuchungsmethode bei der Diagnostik
der Schwanzdarmzyste. Typischerweise zeigt sich eine rundliche oder ovale, multizystische
präsacrale Raumforderung mit scharfer Randbegrenzung ([Abb. 4], [5]). Die Zysten weisen flüssigkeits- oder weichgewebsähnliche Dichtewerte auf. Bei
Randunschärfe oder Invasion von Nachbarstrukturen muss an eine Infektion oder maligne
Transformation gedacht werden. Eine hohe Kontrastmittelaffinität kräftigt diesen Verdacht
[Krones CJ et al. Der Chirurg 2002; 73: 1123–1126, Jain P et al. Australian Radiology
1997; 41: 207–210, Shetty AS et al. Abdominal Imaging 2015; 40: 2783–2795].
Abb. 4 Retrorectale Raumforderung bei 6–7 Uhr im axialen nativen CT mit enger Beziehung
zur Rectumhinterwand und der M- levator ani-Schlinge.
Abb. 5 Typische Lokalisation einer Schwanzdarmzyste über dem M. levator ani im koronaren
nativen CT.
Die Kernspintomografie spielt bei der Differenzierung und Ausbreitungsdiagnostik von
pelvinen Pathologien eine große Rolle. Das MRT-Signal bei der Schwanzdarmzyste hängt
davon ab, ob unkomplizierte oder komplizierte, also entzündete bzw. maligne transformierte
Zysten vorliegen. Dabei sind unkomplizierte Zysten T1 hypointens und T2 hyperintens
([Abb. 6]–[8]). Die Zysten zeigen zudem meistens eine eingeschränkte Wasserdiffusion in der DWI.
Komplizierte Zysten hingegen stellen sich aufgrund des hohen Proteinanteils, einer
evtl. Hämorrhagie und der damit verbunden hohen Viskosität des Zysteninhaltes T1 hyperintens
und T2 hypointens dar. Eine erhöhte Kontrastmittelanreicherung spricht ebenfalls für
eine Infektion oder maligne Transformation [Krones CJ et al. Der Chirurg 2002; 73:
1123–1126, Jain P et al. Australian Radiology 1997; 41: 207–210, Lim K et al. AJR
Am J Roentgenol 1998; 170: 1488–1490, Shetty AS et al. Abdominal Imaging 2015; 40:
2783–2795].
Abb. 6 Axiale T2fs Aufnahme einer komplizierten Schwanzdarmzyste mit gemischtem, überwiegend
niedrigem Signal. Ursache dafür können stattgehabte Hämorrhagien wie auch ein erhöhtes
Keratin- oder Proteingehalt oder gesteigerte Viskosität sein.
Abb. 7 Axiale native T1-gewichtete MR-Aufnahme zeigt ebenfalls ein inhomogenes Signal dieser
Zyste.
Abb. 8 Axiale post-KM Aufnahmen zeigen kein sicheres KM-Enhancement.
Differenzialdiagnosen
Schwanzdarmzysten müssen von anderen Läsionen des Präsacralraumes differenziert werden.
Differenzialdiagnostisch kommen neben primär soliden, zentral nekrotisierenden Tumoren
wie kolorektalen Karzinomen, Lymphomen, Chordomen, kolorektalen Leiomyosarkomen oder
Fibromen insbesondere zystische Läsionen infrage. Mögliche Verwechslungsgefahr besteht
z. B. mit Duplikationszysten, Dermoidzysten, Epidermoidzysten oder Abszessen. Fernen
kommen Teratome oder anteriore sacrale Meningozelen differenzialdiagnostisch in Betracht
[Krones CJ et al. Der Chirurg 2002; 73: 1123–1126, Jain P et al. Australian Radiology
1997; 41: 207–210, Shetty AS et al. Abdominal Imaging 2015; 40: 2783–2795].
Therapie
Die Therapie der Schwanzdarmzyste besteht in der kompletten chirurgischen Exzision.
In der Literatur werden verschiedene Operationsverfahren beschrieben. Der retrorektale
Zugang hat sich bei tief gelegenen Läsionen aufgrund der Komplikationsarmut etabliert.
Bei maligner Entartung sollten kombinierte transabdominelle und retrorektale Operationsverfahren
favorisiert werden, um eine ausreichende Radikalität zu erreichen. Transanale bzw.
transvaginale Verfahren gelten als obsolet. In der Vorbereitung der Therapie sollte
auf eine Biopsie verzichtet werden, um eine iatrogene Infizierung oder bei einer evtl.
malignen Transformation Impfmetastasen im Biopsiekanal zu vermeiden [Krones CJ et
al. Der Chirurg 2002; 73: 1123–1126, Jain P et al. Australian Radiology 1997; 41:
207–210].
Kurucay M, Bösmüller H, Ioanoviciu SD [IMFT], Horger M, Tübingen