Abkürzungen
AWMF:
Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften
ASA-Score:
Klassifikation der American Society of Anesthesiologists
BfArM:
Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte
CDC:
Centers for Disease Control and Prevention
ESBL:
erweitertes Spektrum β-Laktamase
KRINKO:
Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention des Robert Koch-Instituts
MP:
Medizinprodukt
MRE:
multiresistenter Erreger
MRSA:
multiresistenter Staphylococcus aureus
NNIS-Score:
National nosocomial Infections Surveillance Score, Normogramm zur Risikoabschätzung
von SSI, Onlinekalkulation unter www.ohri.ca/SSI_risk_index
PAP:
perioperative Antibiotikaprophylaxe
RKI:
Robert Koch-Institut
SSI:
Surgical Site Infection (Wundinfektion)
ZVK:
zentraler Venenkatheter
Einleitung
Der Schutz des Patienten vor postoperativen Wundinfektionen (Surgical Site Infections,
SSI) ist ein wesentliches Qualitätsmerkmal für das operative Behandlungsergebnis und
entscheidend für die Patientenzufriedenheit. Zusätzlich müssen die Mitarbeiter vor
berufsbedingten Infektionen geschützt werden.
Rangierten 1995 SSI an deutschen Akutkrankenhäusern mit ca. 16 % noch an 3. Stelle
der nosokomialen Infektionen nach nosokomialer Pneumonie und Harnwegsinfektionen, sind sie 2011 mit 24,7 % an die 1. Stelle gerückt
[1]. Da sich im Zeitraum 2010–2014 die SSI-Rate im Vergleich zum Zeitraum 2009–2012 gering reduziert hat, dürfte es sich um eine
Verschiebung der Häufigkeiten handeln. Hierfür kommen v. a. folgende Ursachen in Betracht:
-
Versorgung zunehmend älterer Patienten mit eingeschränkter Immunabwehr
-
Eingriffe aufgrund moderner Operationstechniken, die früher nicht möglich waren
-
Ausbreitung multiresistenter Erreger (MRE) einschließlich der damit verbundenen fehlenden
Effektivität der perioperativen Antibiotikaprophylaxe (PAP), sofern das Vorkommen
des MRE nicht bekannt ist
Durch Fall-Kontroll-Studien konnte gezeigt werden, dass Patienten mit SSI eine 60 % höhere Wahrscheinlichkeit haben, auf der Intensivstation behandelt zu werden,
eine 2-fach höhere Wahrscheinlichkeit haben, zu sterben, sowie die 5-fach höhere Wahrscheinlichkeit
einer erneuten Krankenhausaufnahme. Durchschnittlich entstehen durch eine SSI Kosten
von ca. 3000 Euro, die Aufenthaltsdauer in der Klinik verlängert sich um ca. 6,5 d.
Hochgerechnet bedeutet das eine Mehrbelastung für die Versicherungssysteme von fast
300 Millionen Euro und 614 000 zusätzliche Krankenhausbehandlungstage pro Jahr in
Deutschland.
Definition von SSI. Für SSI gibt es zahllose Definitionen. Die in der internationalen Literatur gängigste
ist die der amerikanischen CDC (Centers for Disease Control and Prevention), die 1992
von Horan et al. [2] publiziert wurde (siehe [Infobox „Prinzipien“]).
Prinzipien
Definition chirurgischer Wundinfektionen
-
Auftreten einer Infektion innerhalb von 30 d nach Operation (bis 1 Jahr, wenn Implantat)
und
-
Vorhandensein mindestens 1 der 3 in Tab. [1] genannten Kriterien und/oder
-
Diagnose einer Infektion durch den Operateur oder behandelnden Arzt.
Tabelle 1 Definition chirurgischer Wundinfektionen.
oberflächliche Wundinfektion
|
tiefe Infektion des Schnittes
|
Organbefall (Körperhöhlen)
|
eitrige Sekretion aus der oberflächlichen Inzision
|
eitrige Sekretion aus der tiefen Inzision
|
eitrige Sekretion aus einer tiefen Drainage
|
Erregerisolierung aus aseptisch entnommenem Material
|
spontane Dehiszenz der tiefen Inzision oder Eröffnung durch den Operateur, wenn der
Patient mindestens 1 der folgenden Symptome hat: Fieber (> 38 °C), lokalisierten Schmerz
oder Druckempfindlichkeit
|
Erregerisolierung aus aseptisch entnommenem Material von Flüssigkeit oder Gewebe im
eigentlichen Operationsgebiet
|
mindestens 1 der Symptome: Schmerz, Druckempfindlichkeit, lokalisierte Schwellung,
Rötung oder Überwärmung und Eröffnung der Wunde
|
Abszess oder andere Anzeichen für eine Infektion, festgestellt bei direkter Untersuchung,
während einer Reoperation oder bei histopathologischer oder radiologischer Untersuchung
|
Abszess oder andere Anzeichen für eine Organ-/Körperhöhleninfektion, festgestellt
bei direkter Untersuchung, während einer Reoperation oder bei histopathologischer
oder radiologischer Untersuchung
|
Risikofaktoren für SSI
Die Tab. [2] gibt einen Überblick über Risikofaktoren, die v. a. bei orthopädischen und viszeralchirurgischen Eingriffen identifiziert wurden. Dazu kommt natürlich bei jedem Patienten die individuelle Disposition
als unwägbarer Faktor hinzu.
Tabelle 2 Risikofaktoren für das Entstehen von SSI.
präoperativ
|
perioperativ
|
eingriffsspezifisch
|
postoperativ
|
ASA: Klassifikation der American Society of Anesthesiologists, MRE: multiresistenter
Erreger, MRSA: multiresistenter Staphylococcus aureus, NNIS: National nosocomial Infections
Surveillance Score, PAP: perioperative Antibiotikaprophylaxe
|
-
ASA-Score > 2
-
längerer präoperativer Krankenhausaufenthalt
-
hohes Lebensalter
-
Vorerkrankungen wie Diabetes mellitus, Hyperglykämie, dialysepflichtige Niereninsuffizienz,
Lebererkrankung, Cholestase, chronisch obstruktive Lungenerkrankung, Gefäßerkrankungen
-
Infektion anderer Lokalisation
-
Infektion/Kolonisation mit MRE
-
nasale Kolonisation mit Staphylococcus aureus/MRSA
-
Mangelernährung
-
Adipositas
-
Nikotin-/Alkoholabusus
-
fortgeschrittene maligne Grunderkrankung
-
Vorbestrahlung
-
Anämie
-
Granulozytopenie
-
Thrombozytose
-
Koagulopathie
|
-
unsachgemäße Operationsfeldvorbereitung
-
falsche Händedesinfektion
-
unwirksame PAP
-
verzögerter Operationszeitpunkt
-
Hypothermie
-
Hypoxie
-
bakterienpermeable Schutzkleidung
-
Handschuhperforation
-
respiratorische Infektion des Operationsteams
|
|
-
Schmerz
-
unsachgemäße Wundversorgung
-
Drainagen
-
verzögerte enterale Ernährung
-
antibiotische Behandlung > 1 d
-
postoperative invasive Maßnahmen, die mit Bakteriämie einhergehen
-
Unterkühlung
|
Präoperative Präventionsmaßnahmen
Präoperative Präventionsmaßnahmen
Überblick
Die Tab. [3] zeigt die präoperativen Präventionsmaßnahmen im Überblick. Bei der vorgeschlagenen
Evidenz werden die von der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention
(KRINKO) definierten Kategorien zugrunde gelegt (Tab. [4]); sie kann im Einzelfall aufgrund neuerer Studien davon abweichen [3].
Tabelle 3 Präoperative Präventionsmaßnahmen.
Maßnahmen
|
Evidenzgrad
|
Basishygiene
|
qualitätsgerechte Aufbereitung von Medizinprodukten
|
IA/IV
|
hygienische Händedesinfektion
|
IA
|
Verbot künstlicher Fingernägel und Fingerringe
|
IB/IV
|
Hautschutz
|
II
|
fachspezifische Präventionsmaßnahmen
|
Sanierung bestehender Infektionen vor elektiven Eingriffen
|
IA
|
Einstellung des Rauchens
|
IB
|
kurze präoperative Verweildauer
|
IB
|
Korrektur metabolischer Abweichungen bei elektiven Eingriffen
|
II
|
Gewichtsreduktion bei elektiven Eingriffen
|
II
|
Probiotika (indikationsabhängig)
|
II
|
Screening und Dekolonisierung von Staphylococcus aureus bei besonderer Gefährdung
|
II
|
risikoadaptiertes Screening auf multiresistente Staphylococcus aureus und Dekolonisierung
|
III
|
risikoadaptiertes Screening auf vancomycinresistente Enterokokken
|
III
|
risikoadaptiertes Screening auf 3- und 4-multiresistente gramnegative Erreger bei
Operationen mit indizierter perioperativer Antibiotikaprophylaxe
|
III
|
Tabelle 4 Übersicht über die Evidenzgrade des Robert Koch-Intituts.
Kategorie
|
Erläuterung
|
IA
|
Diese Empfehlung basiert auf gut konzipierten systematischen Reviews oder einzelnen
hochwertigen randomisierten kontrollierten Studien.
|
IB
|
Diese Empfehlung basiert auf klinischen oder hochwertigen epidemiologischen Studien
und strengen, plausiblen und nachvollziehbaren theoretischen Ableitungen.
|
II
|
Diese Empfehlung basiert auf hinweisenden Studien/Untersuchungen und strengen, plausiblen
und nachvollziehbaren theoretischen Ableitungen.
|
III
|
Hierzu zählen Maßnahmen, über deren Wirksamkeit nur unzureichende oder widersprüchliche
Hinweise vorliegen, deshalb ist eine Empfehlung nicht möglich.
|
IV
|
Hierzu zählen Anforderungen, Maßnahmen und Verfahrensweisen, die durch allgemein geltende
Rechtsvorschriften zu beachten sind.
|
Erläuterung der Maßnahmen
Aufbereitung von Medizinprodukten
Aufgrund der Bedeutung der qualitätsgesicherten Aufbereitung von Medizinprodukten
(MP) für die Patientensicherheit und wiederholt festgestellter Mängel muss bereits
vor der Anschaffung eines MP die Möglichkeit der Aufbereitung überprüft werden. Der
Betreiber muss für jedes MP das Verfahren der Aufbereitung schriftlich festlegen und
bei vom Hersteller begrenzter Anzahl von Aufbereitungen diese dokumentieren. Die Aufbereitung
ist „mit geeigneten validierten Verfahren so durchzuführen, dass der Erfolg dieser
Verfahren nachvollziehbar gewährleistet ist“ [4]. Grundlage für die ordnungsgemäße Aufbereitung ist die gemeinsame Empfehlung der KRINKO und des Bundesinstituts für Arzneimittel
und Medizinprodukte (BfArM) [5].
Für den leitenden Chirurgen ergeben sich folgende Konsequenzen:
-
Sein mit der Hygiene beauftragter Arzt sollte sich durch Vorlage des Qualitätsmanagementhandbuchs
des Aufbereiters vergewissern, dass die Aufbereitung den gesetzlichen Anforderungen
entspricht. Für die fachliche Überprüfung wird er die Expertise des Krankenhaushygienikers
in Anspruch nehmen.
-
Für die Aufbereitung innerhalb der niedergelassenen Praxis besteht die Verpflichtung
zur Qualitätssicherung, es ist jedoch keine Zertifizierung erforderlich.
-
Krankenhäuser, die für sich selbst und zusätzlich für andere Einrichtungen aufbereiten,
müssen nicht zertifiziert und nicht beim Deutschen Institut für medizinische Dokumentation
und Information gemeldet sein. Rechtlich ist die Situation des externen Aufbereiters
aufgrund der Definition des sog. Inverkehrbringens von MP allerdings nicht eindeutig,
sodass einige Juristen eine Zertifizierung empfehlen und viele Krankenhäuser sich
daran orientieren.
-
MP, die bestimmungsgemäß die Haut oder Schleimhaut durchdringen, an Organen zur Anwendung
bzw. in Kontakt mit Blut und Wunden kommen, werden als kritisch eingestuft. Zusätzlich
wird die erforderliche Aufbereitung eingestuft. Für MP der Kategorie „Kritisch A“
(z. B. Wundhaken) wird ein Qualitätsmanagement gefordert, für „Kritisch B“ (z. B.
Laparoskopietrokare) muss eine anerkannte Ausbildung des Aufbereiters nachgewiesen
werden. Für die Kategorie „Kritisch C“ (z. B. Katheter für endoskopische retrograde
Cholangiopankreatikografie) muss zusätzlich die Aufbereitung und das Qualitätsmanagementsystem
durch eine anerkannte Stelle zertifiziert sein.
Händehygiene
Durch Mängel in der hygienischen Händedesinfektion können z. B. MRE übertragen werden. Diese können den Orogastrointestinaltrakt des
Patienten kolonisieren und Ursache einer SSI werden. Das Einbringen nosokomialer Erreger
in die Wunde bei nicht korrekter Versorgung sekundär heilender Wunden ist ein anderes
Beispiel.
Bei den im Rahmen der nationalen Händedesinfektionskampagne 2014 erhobenen Daten wurde
deutlich, dass trotz einer Compliance von durchschnittlich 73 % vor Intervention noch
Verbesserungspotenzial besteht. Verbesserungen sind v. a. durch Schulung und Training, ausreichende Anzahl
von Desinfektionsmittelspendern, Überwachung des Verbrauchs an Händedesinfektionsmittel,
In-Prozess-Überwachung und Einbeziehung des Patienten in die Händehygiene erreichbar.
Künstliche Fingernägel waren wiederholt Ursache von Ausbrüchen. Fingerringe behindern die Durchführung der
Händedesinfektion, sind mit erhöhter Nachweisrate nosokomialer Erreger an den Händen
assoziiert und begünstigen die Handschuhperforation.
Hautschutz
Da bereits kleinste Lazerationen der Epidermis zum Erregerreservoir werden können,
ist eine glatte und gepflegte Haut Voraussetzung einer effektiven Händedesinfektion.
Deshalb empfiehlt es sich, zu Arbeitsbeginn und ggf. in Arbeitspausen Hautschutzpräparate aufzutragen. Hierdurch wird der Hautzustand signifikant verbessert, ohne dass die
Wirksamkeit der Händedesinfektion beeinträchtigt wird. Die Präparate sollen vom Arbeitgeber
allerorts zur Verfügung gestellt werden.
Sanierung von Infektionen vor elektiven Eingriffen
Vor elektiven Eingriffen sollen klinisch manifeste Infektionen außerhalb sowie im
Operationsgebiet als Risikofaktor identifiziert und saniert werden.
Rauchen
Rauchen
-
verzögert die Wundheilung,
-
reduziert die Hautdurchblutung,
-
stört die Hämoglobinfunktion,
-
wirkt immunsuppressiv und
-
beeinträchtigt respiratorische Funktionen.
Der positive Effekt der präoperativen Nikotinkarenz auf Morbidität und Letalität ist nachgewiesen. Es wird empfohlen, Rauchen mindestens
30 d vor einem elektiven Eingriff einzustellen, da erst dann das Risiko pulmonaler
Komplikationen sinkt. Das Risiko von SSI scheint bereits nach 2-wöchiger Abstinenz
verringert. Schon nach einer Karenz von 12–48 h sinkt der myokardiale Sauerstoffverbrauch
und damit die Inzidenz kardialer Ischämien. Daher sollte für kardial erkrankte Patienten
unbedingt ein präoperativer Verzicht von 1–2d eingehalten werden. Allerdings konnte
ein erhöhtes Aspirationsrisiko durch präoperativen Nikotinkonsum ausgeschlossen werden,
sodass Operationen deswegen nicht abgesetzt werden müssen.
Kurze präoperative Verweildauer
Bei elektiven abdominalchirurgischen Eingriffen steigt das SSI-Risiko mit zunehmender
präoperativer Verweildauer. Auch bei orthopädischen Patienten konnte die Verweildauer
als unabhängiger Risikofaktor identifiziert werden.
Korrektur metabolischer Abweichungen
Mangelernährung ist besonders für die Prognose nach Organtransplantation sowie für die postoperative
Morbidität alter Menschen relevant und bei aufschiebbaren Eingriffen 7–14 d präoperativ
auszugleichen. Ob das auch für Tumorerkrankungen zutrifft, ist offen, weil keine Parameter
bekannt sind, in welchem Ausmaß das Fortschreiten der onkologischen Grunderkrankung
bei Verschieben der Operation zu befürchten ist und fraglich ist, ob und in welcher
Zeit der Ernährungszustand verbessert werden kann.
Als Parameter für das Präscreening von Risikopatienten werden ein Body-Mass-Index < 20 kg/m2, Gewichtsverlust innerhalb der letzten 3 Monate, reduzierte Nahrungsaufnahme in der
letzten Woche und schwere Erkrankung empfohlen.
Bei Diabetes mellitus wird prä- und postoperativ die engmaschige Kontrolle des Blutglukosespiegels mit
Vermeidung von Werten > 200 mg/dl bzw. > 11,1 mmol/l empfohlen.
Obwohl Bluttransfusionen ein unabhängiger Risikofaktor für SSI sind, sollte eine präoperative Anämie ausgeglichen werden.
Gewichtsreduktion
Bei Adipositas Grad II und III ist eine Gewichtsreduktion für Eingriffe zu erwägen,
bei denen der Operationserfolg von der Körpermasse beeinflusst wird (z. B. Narbenhernie).
Probiotika
Aussichtsreich ist der prä- und postoperative Einsatz bis zur Stabilisierung der Darmflora.
Eine Reduktion von SSI wurde bei Pankreatoduodenektomie, Lebertransplantation, Hepatektomie
wegen Gallengangskarzinom und kolorektaler Chirurgie erzielt. Kontraindikationen sind
Sepsis, schwere Immunsuppression und akute Pankreatitis.
Dekolonisierung von Staphylococcus aureus bzw. multiresistentem Staphylococcus aureus
Im Unterschied zu orthopädischen und herzchirurgischen Operationen ist die nasale
Kolonisation mit Staphylococcus aureus für viszeralchirurgische Operationen nicht
als unabhängiger Risikofaktor für SSI gesichert. Sofern ein hoher Anteil von SSI durch
Staphylococcus aureus mit zugleich kritischen Folgen verursacht wird, z. B. bei kardiochirurgischen
Operationen, wird ein Screening mit nachfolgender Dekolonisierung (ggf. Dekolonisierung auch ohne Screening) empfohlen. Allerdings wurde ein präventiver Einfluss nur bei präoperativer Dekolonisation über
5 d erzielt. Ist bei MRSA-Nachweis kein Aufschub der Operation bis zur Dekolonisation
möglich, waren Vancomycin oder Teicoplanin gegenüber β-Lactam-Antibiotika bei kardiochirurgischen
Operationen überlegen.
Weiterführende Info
Erregerspektrum der SSI
Das Erregerspektrum, das für die Entstehung der Wundinfektion ursächlich ist, ist
abhängig von der Art des Eingriffs. Insgesamt ist Staphylococcus aureus für etwa 30 %
aller SSI verantwortlich, koagulasenegative Staphylokokken für etwa 13 %. Die verschiedenen
Enterokokkentypen verursachen etwa 10 % der SSI. Somit ist die Mehrheit der auslösenden
Organismen grampositiv. Escherichia coli und Pseudomonas spp. werden seltener nachgewiesen,
müssen aber v. a. in der Abdominalchirurgie unbedingt Berücksichtigung finden.
Risikoadaptiertes Screening auf vancomycinresistente Enterokokken, 3- und 4-multiresistente
gramnegative Erreger
Da keine präoperative Dekolonisation möglich ist, ist ein präoperatives Screening
nur dann sinnvoll, wenn mit einer erhöhten Rate von SSI durch resistente Erreger zu
rechnen ist, die durch die geeignete Wahl eines noch sensiblen Antibiotikums reduziert
werden könnte. Die Datenlage hierzu ist inkonsistent.
Für die USA wurde geschätzt, dass ein 30 %iger Verlust der Effektivität der PAP bei
den 10 häufigsten Operationen durch MRE zu 120 000 zusätzlichen Infektionen und 6300
zusätzlichen Todesfällen pro Jahr führt. In diese Schätzung wurden allerdings auch
die Effekte einer durch Resistenz beeinträchtigten internistisch indizierten Prophylaxe
bei Chemotherapien hämatologischer Erkrankungen miteinbezogen.
Kolorektale Operationen oder andere große abdominalchirurgische Eingriffe gehen mit
den höchsten SSI-Raten einher. Es ist zu vermuten, dass die Rate vorbestehender Resistenzen einen Einfluss auf die SSI-Rate hat, wenn die PAP die Resistenzen nicht abdeckt. Aus der alleinigen Erfassung präoperativer
Resistenzraten kann jedoch nicht ohne Weiteres auf die SSI-Rate geschlossen werden.
Bei einer in den USA üblichen PAP mit Cefazolin plus Metronidazol vor kolorektalen
Eingriffen einschließlich Appendektomien lag beispielsweise der Anteil resistenter
Erreger bei 43,2 % und damit höher als die Rate an SSI.
Die Auswirkungen hoher präoperativer Resistenzraten auf das SSI-Risiko sind nur für wenige Operationen untersucht. So korrelierte die präoperative Fluorchinolonresistenzrate
von Escherichia coli vor Prostatabiopsien bei einer Fluorchinolonprophylaxe mit erhöhten
SSI-Raten.
Nach einem Wechsel der PAP vor Pankreatoduodenektomie (Whipple-Operation) von Cefoxitin/Metronidazol
auf Piperacillin/Tazobactam kam es zur deutlichen Reduktion der SSI-Rate. Die häufigsten
Erreger Enterobacter spp. und Enterococcus spp. waren dabei cefoxitinresistent. Auch
bei Lebertransplantationen wurde ein positiver Zusammenhang von präoperativer ESBL-Kolonisation
(ESBL: erweitertes Spektrum β-Laktamase) und SSI durch ESBL nachgewiesen.
Der Wechsel der PAP vor kardio- und gefäßchirurgischen sowie orthopädischen Eingriffen
von β-Laktam-Antibiotika auf Vancomycin führte zwar zur signifikanten Reduktion von
MRSA- und Enterokokkeninfektionen, die Zahl respiratorischer Infektionen stieg jedoch
deutlich.
Daher kann ein genereller Wechsel der PAP zur Prophylaxe von Infektionen durch resistente
Erreger ohne Nachweis der Effektivität durch kontrollierte Studien nicht empfohlen
werden.
Perioperative Präventionsmaßnahmen
Perioperative Präventionsmaßnahmen
Überblick
Die Tab. [5] zeigt die perioperativen Maßnahmen zur Prävention von SSI im Überblick. Zur Erläuterung
der Evidenzgrade siehe Tab. [4].
Tabelle 5 Perioperative Präventionsmaßnahmen.
Maßnahmen
|
Evidenzgrad
|
Basishygiene
|
Desinfektion patientennaher Flächen
|
IB
|
Körperreinigung des Patienten
|
III
|
Berufs-, Bereichs- und Schutzkleidung
|
II/IV
|
fachspezifische Präventionsmaßnahmen
|
präoperative Hautantiseptik
|
IA
|
Verzicht auf Rasur oder Clipping
|
IA
|
perioperative Antibiotikaprophylaxe
|
IA
|
chirurgische Händedesinfektion
|
IB
|
Begrenzung der Personenanzahl und -bewegung im Operationssaal
|
IB
|
erregerdichte Operationsabdeckung
|
IB
|
Screening des Operationsteams bei Ausbruch von SSI durch Staphylococcus aureus oder
A-Streptokokken
|
IB
|
Wechsel der Operationshandschuhe
|
IB
|
Kombination von Darmreinigung und oraler Antibiose in der Darmchirurgie
|
IB
|
antiseptische Inzisionsfolie
|
II
|
Hautversiegelung
|
III
|
Erläuterung der Maßnahmen
Bettenhygiene und Desinfektion patientennaher Flächen
Beides kann prä- und postoperativ bei Mängeln dazu führen, dass der Patient nosokomiale Pathogene akquiriert, die eine SSI verursachen können.
Körperreinigung des Patienten
Sie wird aus allgemeinhygienischen Gründen vor der Operation oder am Tag der Operation
als Ganzkörperwäsche oder Dusche empfohlen, hat aber keinen direkten Einfluss auf die SSI-Rate. Die wiederholte Körperwaschung
mit antiseptischen Seifen kann die Weiterverbreitung von MRE minimieren, bei einmaliger
präoperativer Waschung ist aber unabhängig von der Waschlotion kein Einfluss auf die
SSI-Rate nachweisbar.
Berufs-, Bereichs- und Schutzkleidung
Vorschriften zur Berufskleidung bewegen die Gemüter fast wie Modefragen. Aufgrund
der Persistenz von Pathogenen auf Textilien und des Nachweises v. a. auf dem Arztkittel
kann Berufskleidung zur Verbreitung nosokomialer Pathogene beitragen. Auch private Oberbekleidung ist nicht in der direkten Patientenversorgung
zu tragen. Zu empfehlen sind Hose und kurzärmliger Kasack, um die Unterarme in die
Händedesinfektion einbeziehen zu können. Bei Tätigkeiten am Patienten (z. B. bei Verbandswechsel,
Abb. [1]) soll der Arztkittel abgelegt werden, ggf. ist ein langärmliger Schutzkittel anzulegen.
Bereichskleidung dient der Verhinderung der Ein- bzw. Ausschleppung kritischer Pathogene
in bzw. aus Risikobereichen und ist nur in dem festgelegten Bereich zu tragen. Ohne
Mund-Nasen-Schutz wurde bei 42 % der Mitarbeiter die Abgabe von Bakterien in die Umgebung nachgewiesen,
was die Bedeutung von Mund-Nasen-Schutz bzw. Gesichtsmaske bei aseptischem Arbeiten
unterstreicht.
Abb. 1 Verbandswechsel mit kurzärmeliger Bereichskleidung, Schürze und aseptischen Kautelen.
Präoperative Hautantiseptik
Sie soll eine Verschleppung der residenten Hautflora in die Tiefe des Operationsfelds verhindern. Entscheidend für die Effektivität sind das initiale Einreiben des Antiseptikums
für 30 s. Die nachfolgende Benetzung soll abhängig von talgdrüsenarmer oder -reicher
Haut für mindestens 1,5 oder 3 min erfolgen, wobei längere Einwirkungszeiten nicht
untersucht wurden.
Alkoholbasierte Formulierungen sind aufgrund ihrer raschen, hohen Wirksamkeit Wirkstoff
der 1. Wahl. Die wässrige Polyvinylpyrrolidon-Iod-Lösung ist wegen geringerer Wirksamkeit
und des Risikos der Schilddrüsenüberfunktion nicht mehr einzusetzen. Durch Zusatz
von Chlorhexidin oder Octenidin zum Alkohol wird die remanente Wirkung signifikant
erhöht. Die Wirkung der zugesetzten Antiseptika setzt langsamer ein als die des Alkohols,
bewirkt allerdings eine deutlich länger anhaltende Reduzierung der Hautflora (Abb. [2]).
Abb. 2 Hautantiseptik auf alkoholischer Basis mit Zusatz eines Antiseptikums mit remanenter
Wirkung.
Als Fazit aller bisherigen Studien einschließlich der Effektivität zur Prävention
ZVK-assoziierter (ZVK: zentraler Venenkatheter) Blutstrominfektionen empfiehlt es
sich, insbesondere bei lang dauernden Eingriffen, Alkohole mit remanentem Zusatz einzusetzen. Weiterhin ist auf eine ausreichende Einwirkzeit zu achten, ein „Trockenwischen“
vor dem Abkleben sollte vermieden werden. Es gibt auch Hinweise, dass die Anwendung
von Antiseptika im zu operierenden Bereich (z. B. durch den Patienten im Rahmen eines
Duschvorgangs vor dem Eingriff) sowie die mehrfache Anwendung frühzeitig vor Operationsbeginn
die Hautflora deutlich reduziert.
Die erneute Antiseptik des Wundrands vor Wundverschluss soll eine infektionspräventive
Wirkung haben, hierzu besteht allerdings nur eingeschränkte Evidenz.
Hautinzision
Die Datenlage gestattet keine Aussage, ob nach dem Hautschnitt das Skalpell getauscht werden muss. Da die Hautflora, insbesondere die der tieferen Schichten, durch die Hautantiseptik
nur unvollständig eliminiert wird, kann das Skalpell bei Durchtrennung der Haut kontaminiert
sein und anhaftende Erreger können in die Tiefe verschleppt werden. Allerdings war
kein Einfluss auf die SSI-Rate ohne Wechsel nachweisbar.
In Anbetracht der geringen Kosten des Wechsels ist dieser solange zu empfehlen, bis
die Unbedenklichkeit des Verzichts nachgewiesen ist.
Elektrische Rasur (Clipping) oder Verzicht
Haare sind präoperativ nur bei operationstechnischer Notwendigkeit zu entfernen. Hierfür ist Clipping die Methode der Wahl (Abb. [3]), da es die Haut mechanisch und biochemisch nicht beeinflusst. Daher kann auch der
Abstand zur Operation beliebig gewählt werden. Allerdings muss eine adäquate Aufbereitung
entsprechend der Herstellerangaben gewährleistet sein.
Abb. 3 Haarentfernung mit dem Clipper.
Adäquate Antibiotikaprophylaxe
Die PAP ist wegen des Resistenzdrucks und möglicher Nebenwirkungen nur bei gesicherter
Indikation gemäß den Empfehlungen der Fachgesellschaften vorzunehmen und ist indiziert bei
-
hoher Erregerexposition im Operationsgebiet (Wundklassifikation sauber-kontaminiert
oder kontaminiert),
-
sauberen Eingriffen und Vorliegen eines zusätzlichen Risikofaktors, z. B. Notfalloperation,
Hochrisikooperation, Einbau oder Ersatz von Gefäßimplantaten, Herzklappen und anderen
alloplastischen Materialien,
-
sauberen Eingriffen und Vorliegen patienteneigener Risiken, z. B. Immunsuppression,
schwere Grunderkrankung, hoher ASA-Score, Vorbestrahlung oder Unterkühlung (Tab. [6]) [6].
Tabelle 6 Kategorisierung der Eingriffe nach Cruse.
Kategorie
|
Beschreibung
|
SSI-Risiko
|
Beispiel
|
aseptische Eingriffe
|
nicht infiziertes Operationsgebiet, in dem keine Entzündung vorhanden ist und weder
der Respirations-, Gastrointestinal- oder Urogenitaltrakt eröffnet wurde. Operative
Wunden nach stumpfen, nicht penetrierenden Traumata werden eingeschlossen, sofern
die o. g. Kriterien erfüllt sind.
|
< 2 %
|
elektive Schilddrüsen-, Herz-, Gelenkoperation
|
bedingt aseptische Eingriffe
|
Eingriffe, bei denen der Respirations-, Gastrointestinal- oder Urogenitaltrakt unter
kontrollierten Bedingungen und ohne ungewöhnliche Kontamination eröffnet wird
|
< 10 %
|
Magen, Galle, Leber, Pankreas, Oropharynx, Lunge, Geschlechtsorgane
|
kontaminierte Eingriffe
|
Operationen mit einem größeren Bruch in der aseptischen Technik (z. B. deutlicher
Austritt von Darminhalt) sowie Eingriffe bei akuter, nicht eitriger Entzündung
|
5–20 %
|
Eingriffe mit intraoperativer Hohlorganeröffnung
|
septische Eingriffe
|
Eingriffe bei bereits vorhandener Infektion oder nach Perforation im Gastrointestinaltrakt.
Bei dieser Wundkontaminationsklasse ist das Operationsfeld schon präoperativ mit Erregern
von möglichen postoperativen Infektionen besiedelt.
|
> 20 %
|
Hohlorganperforation mit Peritonitis
|
Ab dem Zeitpunkt des Hautschnitts muss für die Dauer der Operation ein wirksamer Blut- und Gewebespiegel des Antibiotikums
gewährleistet sein. Bei starkem Blutverlust (> 1 l) oder Operationsdauer länger als die doppelte Halbwertszeit
des Antibiotikums muss eine Folgedosis verabreicht werden. Für die Auswahl sind die
Wirksamkeit gegen die häufigsten Wundinfektionserreger für die jeweilige Operation,
die Gewebegängigkeit und die lokale Resistenzsituation entscheidend. Bei nachgewiesenen
MRE und unzureichender Möglichkeit der Eradikation sollte das Wirkspektrum der PAP
den nachgewiesenen Erreger einbeziehen. Zu beachten ist die Dosierung gemäß Körpergewicht
und bei erhöhten oder erniedrigten Verteilungsräumen.
Die [Infobox „Prinzipien“] stellt Möglichkeiten der Optimierung der perioperativen Infektionsprophylaxe mit
Antibiotika vor.
Prinzipien
Prinzipien zur Optimierung der perioperativen Infektionsprophylaxe mit Antibiotika
-
Eine interdisziplinäre Gruppe soll jährlich die PAP-Medikamente anhand lokaler Erreger-und
Resistenzdaten festlegen. Eingriffe ohne Prophylaxe müssen klar definiert werden.
-
Die konkrete Applikation soll in die Hände der Anästhesie gelegt werden.
-
Die Gabe der Prophylaxe soll zuverlässig 30–60 min vor dem Eingriff erfolgen.
-
Die einmalige Gabe (Single Shot) ist bei einer Operationsdauer unter 3 h völlig ausreichend.
Nur bei längerer Operation oder starkem Blutverlust sollte die Gabe wiederholt werden.
-
Eine über das Operationsende hinausgehende, verlängerte Prophylaxe ist nicht geeignet,
die Zahl an Wundinfekten zu verringern und sollte unterbleiben.
Chirurgische Händedesinfektion
Die Anwendung von Seife und Nagelbürsten sollte lediglich bei Arbeitsaufnahme oder
bei sichtbarer Verschmutzung stattfinden. Die häufige Anwendung führt ansonsten zu
vermehrter Hautreizung. Da bereits kleinste Einrisse Erregerreservoire bilden können,
sollte Hautschutzcreme und bei individuellem Bedürfnis Hautpflegelotion angewendet
werden. Für die Händedesinfektion vor dem operativen Eingriff wird eine Einwirkungszeit
von 1,5 min bei folgendem Prozedere empfohlen [7]:
-
zuerst Benetzung der Hände (10 s), dann der Unterarme (10 s) mit dem alkoholischen
Präparat
-
anschließende Händedesinfektionsphase (70 s): Benetzungslücken sind zu vermeiden,
Hauptaugenmerk auf Fingerkuppen, Nagelfalze und Fingerzwischenräume
Begrenzung der Personenzahl und -bewegung im Operationssaal
Bei Mischströmung steigt mit steigender Personenzahl und -bewegung im Operationssaal
die mikrobielle Belastung der Raumluft im Bereich oberhalb des Operationstischs. Deshalb wird von der KRINKO eine Beschränkung der im Operationssaal anwesenden Personen
empfohlen [8]. Auch der Einfluss von Türöffnungen hat bei orthopädischer Endoprothetik einen Einfluss
auf die SSI-Rate. Die Relevanz für viszeralchirurgische Eingriffe bleibt aufgrund
fehlender Studien allerdings offen.
Operationsabdeckung
Nach präoperativer Antiseptik wird das Operationsfeld mit als MP zertifizierten sterilen
Abdeckmaterialien der Qualität „Standard“ oder „High Performance“ abgedeckt.
Screening des Operationsteams bei Ausbruch von SSI durch Staphylococcus aureus oder
A-Streptokokken
Bei Häufung von SSI ist ein Screening des Operationsteams im Vestibulum nasi durchzuführen.
Sterile Operationshandschuhe
Es ist festzulegen, wann doppelte Handschuhe oder Handschuhe mit Perforationsindikator
getragen bzw. ob bei Verzicht auf Double Gloving die Handschuhe während der Operation
gewechselt werden. Letzteres ist bei mehrstündigen operativen Eingriffen sinnvoll.
Nach dem Ablegen der Handschuhe empfiehlt sich die hygienische Händedesinfektion.
Inzisionsfolie
Bei Verwendung nicht antiseptisch imprägnierter Inzisionsfolie steigt das SSI-Risiko
signifikant, deshalb ist ihr Einsatz kontraindiziert. Durch eine mit Iod imprägnierte
Folie wird die Wundkontamination verringert. Allerdings ist der Einfluss auf die SSI-Rate
marginal.
Darmreinigung und orale Antibiose in der Darmchirurgie
Durch die Kombination von Darmentleerung und oraler Antibiose wurden im Vergleich
zum Verzicht auf beide Maßnahmen SSI, Ileus und Anastomosenleckage signifikant reduziert.
Auch die alleinige Darmantibiose führte zur Reduktion von SSI und zu verkürzter Hospitalisierungsdauer,
wenn auch in geringerem Ausmaß.
Hautversiegelung
Die Versiegelung nach Hautantiseptik kann aufgrund widersprüchlicher Befunde derzeit
nicht empfohlen werden.
Intraoperative Präventionsmaßnahmen
Intraoperative Präventionsmaßnahmen
Die Tab. [7] zeigt die intraoperativen Maßnahmen zur Prävention von SSI im Überblick. Zur Erläuterung
der Evidenzgrade siehe Tab. [4].
Tabelle 7 Intraoperative Präventionsmaßnahmen.
Maßnahmen
|
Evidenzgrad
|
Basishygiene
|
aseptische Disziplin im Operationssaal
|
IB
|
keine ungeschützte Lagerung von Sterilgut außerhalb der Sterilverpackung
|
IB
|
fachspezifische Präventionsmaßnahmen
|
Vermeidung akzidenteller Hypothermie
|
IA
|
laparoskopische Operationstechnik
|
IB
|
strenge Indikationsstellung für Drainagen
|
IB
|
Operationstechnik und chirurgische Erfahrung
|
II
|
Wundretraktor
|
II
|
antiseptisches Nahtmaterial (Evidenz differiert indikationsabhängig)
|
IB, II oder III
|
antiseptische Spülung vor Wundverschluss
|
II
|
Aseptische Disziplin im Operationssaal. Ruhe, Vermeiden unnötiger Personenbewegungen, korrektes Tragen des Mund-Nasen-Schutzes,
allseitige Bedeckung des Haares, sorgfältige Abdeckung des Patienten sowie Double
Gloving und Handschuhwechsel bei Perforation tragen zur Minimierung des SSI-Risikos
bei.
Keine ungeschützte Lagerung von Sterilgut. Die ungeschützte Lagerung von Sterilgut im Operationssaal außerhalb der Sterilverpackung
bzw. die nachträgliche sterile Abdeckung auf dem Instrumententisch soll so kurz wie
möglich erfolgen, sofern sich der Instrumententisch außerhalb des Lüftungsfelds einer
Laminar-Air-Flow-Decke befindet bzw. der Operationssaal mit turbulenter Mischströmung
belüftet wird, weil Erreger aus der Umgebung auf den Instrumententisch aufgewirbelt
werden können.
Vermeidung akzidenteller Hypothermie. Intraoperative Hypothermie ist ein unabhängiger Risikofaktor für SSI. Daher soll
perioperativ der Zustand der Normothermie aufrechterhalten werden, sofern nicht therapeutische
Gründe eine Hypothermie erfordern.
Laparoskopische OP-Technik. Bei laparoskopischer Operation ist das Risiko sowohl für SSI als auch für Harnwegs-
und pulmonale Infektionen aufgrund des kleineren Zugangs, früherer Mobilisation, geringerer
Immunsuppression und geringerer Notwendigkeit zum Einsatz von ZVK signifikant geringer
(Abb. [4]).
Abb. 4 Laparoskopische Eingriffe gehen mit geringerem SSI-Risiko einher.
Strenge Indikationsstellung für Drainagen. Wunddrainagen sind ein unabhängiger Risikofaktor für SSI. Umgekehrt war keine Reduktion
von SSI durch Drainagen nachweisbar. Daher sollen Wunddrainagen nur streng indiziert,
so kurzzeitig wie möglich eingesetzt und über eine separate Inzision ausgeleitet werden.
Offene Drainagen sind wegen des Infektionsrisikos nicht zu verwenden [9]. Die subkutane passive Drainage hatte einen günstigen Einfluss auf die SSI-Rate.
Operationstechnik und chirurgische Erfahrung. Atraumatisches Gewebehandling ist eine wichtige Voraussetzung für die primäre Wundheilung
und damit für die Vermeidung von SSI. Chirurgen mit hoher Fallzahl jenseits der Lernkurve
hatten bei minimalinvasiver Rektumchirurgie deutlich weniger SSI als Kollegen in der
Lernkurve.
Wundretraktor. Durch Anwendung des Folien-Wundretraktors (Abb. [5]) sollen im Inzisionsbereich die Feuchtigkeit aufrechterhalten und durch gleichmäßige
Kräfteverteilung punktuelle Traumen vermieden werden. Zugleich wird durch den gleichmäßigen
Zug an den Wundrändern weniger postoperativer Wundschmerz angegeben. Die Datenlage
zum Einfluss auf SSI ist heterogen. In der jüngsten Metaanalyse konnte nach Laparotomie
die infektionspräventive Wirkung bei kontaminierter, nicht jedoch bei sauber-kontaminierter
und septischer Inzision gesichert werden. Zur Absicherung sind weitere Studien erforderlich.
Abb. 5 Folien-Wundretraktor.
Antiseptisch imprägniertes Nahtmaterial. Durch Imprägnierung mit Triclosan wird die Biofilmbildung auf dem Nahtmaterial unterbunden.
Allerdings besteht eine Wirkungslücke gegen Pseudomonas aeruginosa. In 4 Metaanalysen
wurde die Herabsetzung der SSI-Rate bei abdominellen Eingriffen bestätigt. Dagegen
konnte in der PROUD-Studie bei elektiver medianer abdominaler Laparotomie kein signifikanter
Einfluss auf SSI nachgewiesen werden. Nur das Auftreten einer Fasziendehiszenz, möglicherweise
Folge einer tiefen unentdeckten Wundinfektion, wurde signifikant reduziert. Bei Zusammenführung
der Daten der PROUD-Studie mit 4 weiteren Studien ergab sich eine signifikante Überlegenheit
zugunsten des antiseptischen Nahtmaterials. Tendenziell positive Ergebnisse wurden
in der Brustkrebschirurgie und bei kardiochirurgischen Eingriffen erzielt. Bei gefäßchirurgischen
Eingriffen an der unteren Extremität war kein Einfluss nachweisbar. Zur Absicherung
bedarf es weiterführender Studien.
Nahttechnik. Durch die Naht der Faszie mit kleinen Stichen konnte im Vergleich zu Big Bites eine
Senkung der SSI-Rate erzielt werden. Zugleich erwies sich die Verwendung dünneren
Fadenmaterials als günstig, evtl. als Folge der kleineren Oberfläche und der damit
reduzierten Möglichkeit zur Biofilmbildung.
Antiseptische Spülung vor Wundverschluss. Durch intraoperative Wundspülung ist eine signifikante Reduktion der SSI-Rate erreichbar.
In der Subgruppenanalyse war der stärkste Effekt hierzu bei kolorektaler Chirurgie
nachweisbar. Welches der effektivste Wirkstoff in der klinischen Anwendung ist, ist
noch zu klären.
Postoperative Präventionsmaßnahmen
Postoperative Präventionsmaßnahmen
Die Tab. [8] zeigt die postoperativen Maßnahmen zur Prävention von SSI im Überblick. Zur Erläuterung
der Evidenzgrade siehe Tab. [4].
Tabelle 8 Postoperative Präventionsmaßnahmen.
Maßnahmen
|
Evidenzgrad
|
Basishygiene
|
Desinfektion im Operationssaal
|
IB
|
Bettenhygiene
|
IB
|
fachspezifische Präventionsmaßnahmen
|
aseptisches Wundmanagement
|
IB
|
Desinfektion im Operationssaal. Nach der Operation eines Patienten mit Kolonisation oder Infektion mit MRE wird der
Operationssaal bis zum Ablauf der Einwirkungszeit der Flächendesinfektion als „septisch“
deklariert, wobei auch das patientenferne Umfeld in die Zwischendesinfektion einbezogen
wird. Das Operationsteam schleust sich neu ein und es erfolgt ein kompletter Wechsel
der Reinigungsutensilien und der Bereichskleidung des Reinigungspersonals. Bei Verlegung
auf die Station sind die KRINKO-Empfehlungen zur Isolierung einzuhalten [10], [11].
Einmal täglich werden Verschmutzungen am Bett und Nachtschrank desinfizierend gereinigt.
Nach Entlassung wird das Bett einschließlich Kopfkissen und Decke aufbereitet. Aus
infektionspräventiven Gründen muss der frisch operierte Patient kein frisch bezogenes
Bett bekommen.
Aseptisches Wundmanagement. Die Operationswunde wird am Ende der Operation mit einer sterilen Wundauflage versorgt.
Der 1. Verbandswechsel erfolgt nach etwa 48 h, sofern nicht Hinweise auf eine Komplikation
zu früherem Verbandswechsel Anlass geben. Ist die Wunde trocken und verschlossen,
kann unter hygienischen Aspekten auf die erneute sterile Wundabdeckung verzichtet
werden. Die regelmäßige ärztliche Inspektion der Wunde und die Befragung des Patienten
auf Schmerzen im Wundbereich ist Teil der sachgerechten Nachsorge.
In der S1-Leitlinie „Anforderungen der Hygiene bei chronischen und sekundär heilenden
Wunden“ [12] werden die Grundprinzipien der aseptischen Wundversorgung erläutert. Daher soll
der Hinweis genügen, dass bei sekundär heilenden postoperativen Wunden die Indikationsstellung
zur Wundantiseptik sorgfältig abgewogen werden muss, weil andernfalls die Wundheilung
verzögert werden kann.
Rahmenbedingungen
Die Tab. [9] zeigt die Rahmenbedingungen zur Prävention von SSI im Überblick. Zur Erläuterung
der Evidenzgrade siehe Tab. [4].
Tabelle 9 Rahmenbedingungen.
Maßnahmen
|
Evidenzgrad
|
Qualitätsmanagement der Hygiene und Surveillance
|
IA/IV
|
Einführung eines SSI-Bündels
|
IB
|
Fehleranalyse
|
II
|
Einbeziehung des Patienten in den Infektionsschutz
|
II
|
Qualitätsmanagement der Hygiene und Surveillance. Da ein relevanter Anteil von SSI durch Einhaltung von Hygieneregeln verhindert werden
kann, muss von allen Verantwortungsträgern das Mögliche unternommen werden, um das
Qualitätsmanagement der Krankenhaushygiene auszugestalten und durchzusetzen. Hierzu
bedarf es klarer Regelungen mit fortlaufender Evaluation der Maßnahmen.
Hintergrund
Novellierung 2011
Mit der Novellierung des Infektionsschutzgesetzes im Jahr 2011 wurden die Rahmenbedingungen
zur Umsetzung der Krankenhaushygiene weiter verbessert und zugleich erhöhte Anforderungen
an die Struktur- und Prozessqualität, sowie an Planungs- und Dokumentationspflichten
gestellt, die Infektionsprävention sektorenübergreifend in Angriff genommen und Meldepflichten
erweitert. Alle Gesundheitseinrichtungen sind zur Einhaltung der Infektionshygiene
verpflichtet.
Die Ermittlung der Ergebnisqualität ist als prospektive Surveillance gesetzlich verpflichtend;
dabei sind die Einrichtungen für das ambulante Operieren bei der Aufzeichnung und
Bewertung bestimmter SSI den stationären Einrichtungen bereits seit 2001 gleichgestellt.
Einführung eines SSI-Bündels. Zur Verbesserung der Compliance hat es sich als effektiv erwiesen, besonders wichtige
Maßnahmen zu einem Maßnahmenbündel zusammenzufassen, dieses zu trainieren und die
Einhaltung zu überwachen. Zweckmäßigerweise sollten 3–5 besonders wirksame Maßnahmen
zu einem Bündel zusammengefasst werden, z. B. indikations-, zeit- und resistenzgerechte
PAP, standardisierte präoperative Hautantiseptik, Normothermie und Surveillance. Dagegen
bedarf die Einführung von Medizinprodukten wie Clipper, antiseptisches Nahtmaterial
oder Wundretraktor außer der Entscheidung keiner Compliance.
Fehleranalyse. Wurden mehr als 2 Fehler bei der PAP (z. B. falscher Zeitpunkt, falsche Auswahl des
Antibiotikums) festgestellt, hatte das signifikanten Einfluss auf die SSI-Rate. Allein
durch die Kontrolle der Einhaltung der PAP mittels Checkliste war eine signifikante
Senkung der SSI erreichbar.
Einbeziehung des Patienten in die Infektionsprävention. Selbst wenn die Gesundheitseinrichtung alle Präventionsmaßnahmen korrekt umsetzt,
können der Patient und seine Angehörigen durch falsches Hygieneverhalten diese Bemühungen
durchkreuzen. Deshalb ist es wichtig, den Selbstschutz des Patienten durch Vermittlung
von Grundwissen zum Infektionsschutz zu fördern. Daher findet die Einbeziehung des
Patienten und seiner Angehörigen in den Behandlungsprozess immer stärkere Beachtung.
Gezielte Aufklärung (z. B. mittels Merkblatt, digitaler Informationsmaterialien, Patientenvideo)
zu hygienegerechtem Verhalten während des Aufenthalts im Krankenhaus können das persönliche
Gespräch nicht ersetzen, aber vor- und nachbereiten.
Hintergrund
Lernendes Team
Ein lernendes Team ist am Eindruck der Patienten zur Einhaltung der Basishygienemaßnahmen
im Betreuungsprozess durch Bewertung ausgewählter Hygieneindikatoren, z. B. mittels
Fragebogen, interessiert. Die freiwillige, für Patient und Behandlungsteam anonymisierte
Einbeziehung des Patienten als Monitor hat sich als praktikabel erwiesen, die Compliance
des Behandlungsteams positiv zu beeinflussen. Allein durch die Frage nach der Durchführung
der Händedesinfektion in vom Patienten nachvollziehbaren Situationen stieg der Verbrauch
an Händedesinfektionsmittel um 15–40 % an. Zugleich fühlen sich die Patienten ernst
genommen. Durch die Möglichkeit des direkten Feedbacks des Patienten zur Einhaltung
der Basishygienemaßnahmen in der Betreuung wird eine zusätzliche Sicherheitsbarriere
für die Infektionsprävention aufgebaut.
Schlussfolgerungen
Analysen über Defizite bei Umsetzung evidenzgesicherter Standards unterstreichen,
dass Basishygiene und die fachspezifischen Präventionsmaßnahmen unter Berücksichtigung
ihrer Evidenz zu einer Multibarrierenstrategie zusammengeführt und umgesetzt werden
müssen. Aus- und Weiterbildung sowie Training im Arbeitsalltag sind dafür eine wichtige
Voraussetzung. Dabei kommt der Surveillance von SSI einschließlich von MRE essenzielle Bedeutung zu, um aufgrund der Ist-Situation notwendige Interventionen ohne Zeitverzug einleiten
zu können.
Bei allem Engagement ist zu berücksichtigen, dass sich Krankheitserreger an offensichtlichen
wie an unerwarteten Lokalisationen finden können, denn es gibt weder das sterile Krankenhaus
noch den nicht mikrobiell besiedelten Patienten und Besucher. Daher gibt es kein Nullrisiko für SSI, sondern nur eine Nulltoleranz gegenüber Hygienemängeln.
Die permanente Herausforderung besteht darin, jedes Teammitglied zu motivieren, anzuleiten
und ggf. zu korrigieren, damit die Maßnahmen der Basishygiene und die fachspezifischen
Präventionsmaßnahmen adäquat umgesetzt werden. Sicherheitskultur im Sinne des Infektionsschutzes
bedeutet die schöpferische Umsetzung der Krankenhaushygiene durch fachkompetente, motivierte Mitarbeiter. Dabei kommt es darauf an, die Hygienestandards
auf allen Verantwortungsebenen zu etablieren und ständig zu überarbeiten. Hygiene
und Qualitätsmanagement sind unternehmenskritisch und Chefsache auf Krankenhausleitungsebene,
Klinikebene, Abteilungsebene und Stationsebene. Dabei muss die Selbstverpflichtung
zu einem optimalen Hygienemanagement von den Verantwortlichen konsequent vorgelebt
werden.
Weiterführende Info
Relevante Institutionen für hygienische Belange
Robert Koch-Institut
Bundesinstitut für Infektionskrankheiten und nicht übertragbare Krankheiten. Aufgabe
ist die Beobachtung des Auftretens von Krankheiten und relevanter Gesundheitsgefahren
in der Bevölkerung als auch das Ableiten und wissenschaftliche Begründen der erforderlichen
Maßnahmen zum wirkungsvollen Schutz.
Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention des Robert Koch-Instituts
erstellt Empfehlungen zur Prävention nosokomialer Infektionen sowie zu Maßnahmen der
Hygiene in medizinischen Einrichtungen
Kommission Antiinfektiva, Resistenz und Therapie des Robert Koch-Instituts
Empfehlungen für Standards zu Diagnostik und Therapie von Infektionskrankheiten nach
aktuellem Stand der medizinischen Wissenschaft
Deutsche Antibiotika-Resistenzstrategie des Bundesministeriums für 2020
wurde im Mai 2015 beschlossen. Ziel ist die Verhinderung der Verbreitung und Entstehung
von Resistenzen sowie die Förderung von Forschung und Entwicklung zum Thema.
Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF)
koordiniert die Entwicklung von medizinischen Leitlinien für Diagnostik und Therapie
durch die einzelnen wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften.
Centers for Disease Control and Prevention
Behörde der Vereinigten Staaten zum Schutz der öffentlichen Gesundheit. Ein wichtiges
Aufgabengebiet der CDC sind Infektionskrankheiten, entspricht in etwa dem Robert Koch-Institut.
Europäisches Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten
Ähnliche Institution auf europäischer Ebene. Aufgabenschwerpunkt ist die Beratung
und Sammlung von Krankheitsvorkommen.
Paul-Ehrlich-Gesellschaft
bezweckt die Förderung von Forschung und Lehre auf den genannten Gebieten durch Erfahrungsaustausch,
Abhaltung von wissenschaftlichen Veranstaltungen und gemeinschaftliche wissenschaftliche
Untersuchungen.
Krankenhaus-Infektions-Surveillance-System
System zur systematischen Erfassung nosokomialer Infektionen des RKI, an dem Krankenhäuser
freiwillig teilnehmen können.