Der früher im englischen Sprachgebrauch gängige Begriff weaning könnte leicht als Abstillen
verstanden werden und dann mit den Absichten des BLW kollidieren. International ist
weaning mehr und mehr durch den Begriff complementary feeding abgelöst worden,
welcher eindeutiger die Ergänzung des Stillens bezeichnet, ähnlich dem deutschen Begriff
Beikost.
Prinzipien und Erwartungen
Prinzipien und Erwartungen
Beim BLW soll sich der Säugling selbst mit Lebensmitteln füttern, die im Rahmen der
Familienernährung bereitstehen. Mit einer solchen Handhabung der Beikost „nach Bedarf“
würden
Vorteile des Stillens „nach Bedarf“ übernommen, bei dem sich die Milchbildung durch
das Saugen
des Kindes an der Brust physiologisch-hormonell gesteuert dem individuellen Bedarf
des Kindes
anpasst [[2]].
Muttermilch als alleiniges Nahrungsmittel in den ersten Lebensmonaten ist in ihrer
Zusammensetzung
auf den Bedarf des Säuglings zugeschnitten. Mit der Beikost kommt es dagegen darauf
an, eine
nach Art und Menge passende Auswahl verschiedener Lebensmittel zu treffen, die zusammen
mit der
verbleibenden Milch dem Nährstoffbedarf des Säuglings gerecht wird. Bei strikter Verfolgung
des
BLW-Prinzips müsste demnach eine ausgewogene Familienernährung, zum Beispiel nach
dem Prinzip
der Optimierten Mischkost [[8]], bereitgestellt werden und in
ihrer Beschaffenheit, beispielsweise der Textur, den Essfertigkeiten des Säuglings
entsprechen.
Eine frühe Variation der angebotenen Lebensmittelpalette und die freie Auswahl durch
den
Säugling könnten die Akzeptanz einer ausgewogenen gemischten Kost längerfristig fördern
[[11]].
Die traditionelle Beikost – mit Brei
Die traditionelle Beikost – mit Brei
Lebensmittelbezogene Empfehlungen
In Deutschland ist der „Ernährungsplan für das 1. Lebensjahr“ des Forschungsinstituts
für
Kinderernährung (FKE) seit Jahrzehnten als Standard in der Ernährungsberatung bewährt
[[9], [10]] (Abb.
[
1
]). Er ist unter anderem Grundlage der
Handlungsempfehlungen für die Ernährung von Säuglingen, die von der Initiative „Gesund
ins
Leben“ verbreitet werden unter Mitwirkung des multidisziplinären Netzwerks Junge Familie,
in dem auch die Hebammen (DHV) vertreten sind.
Abb. 1 (© Forschungsinstitut für Kinderernährung
Dortmund)
Der „Ernährungsplan“ umfasst 3 Phasen, ausgerichtet am ernährungsphysiologischen
Bedarf und der senso-motorischen Entwicklung der Kinder:
-
ausschließliche Milchernährung in den ersten 4 bis 6 Lebensmonaten
-
Einführung von Beikost-Breimahlzeiten ab dem 5. bis 7. Lebensmonat
-
Einführung von Familienkost ab dem 10. Lebensmonat
Mit der Beikost werden in etwa monatlichen Abständen nacheinander drei aufeinander
abgestimmte Breie eingeführt, die sich mit den verbleibenden Milchmahlzeiten wie in
einem
Baukastensystem zu einer ausgewogenen Tagesernährung ergänzen.
Sicherung der Nährstoffzufuhr
Die Nährstoffzufuhr mit dem „Ernährungsplan“ wurde berechnet und anhand der aktuellen
Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr der Deutschen Gesellschaft für Ernährung bewertet.
Die EFSA hat dieses Vorgehen bei der Entwicklung lebensmittelbezogener
Ernährungsrichtlinien als vorbildlich für die Kinderernährung in Europa herausgestellt
[[7]]. So konnte gezeigt werden, dass bei Selbstherstellung
der Beikost und fortgeführtem Stillen im 2. Lebenshalbjahr eine empfehlungsgerechte
Nährstoffzufuhr erreicht wird [[10]]. Ausnahmen sind Jod
und Eisen, zwei für die Entwicklung von Säuglingen und Kleinkindern bedeutende
Nährstoffe.
Möglichkeiten zur Sicherung der Jodversorgung sind die Verwendung jodangereicherter
kommerzieller Beikostbreie oder die Supplementierung [[1]].
Aufgrund des hohen Eisenbedarfs im 2. Lebenshalbjahr wird die Beikost mit einer
fleischhaltigen Mahlzeit eingeführt, in den weiteren Mahlzeiten wird eisenreiches
Vollkorngetreide mit Vitamin-C-reichem Obst kombiniert, um die Eisenbioverfügbarkeit
zu
verbessern. Dennoch finden sich bei einem Teil der Säuglinge, die gemäß „Ernährungsplan“
ernährt werden, im Alter von 10 Monaten Anzeichen für erschöpfte Eisenspeicher [[6]]. Eisen gilt europaweit als kritischer Nährstoff bei älteren
Säuglingen und Kleinkindern [[7]]. Allerdings ist die
Interpretation der üblichen Parameter des Eisenstatus im Verlauf des Säuglingsalters
immer
noch schwierig.
Der hohe Energiebedarf pro kg Körpergewicht im 2. Lebenshalbjahr erfordert eine hohe
Energiedichte (kcal/g) der Beikost. Dieser Anforderung wird im „Ernährungsplan“ unter
anderem durch den Milch-Getreide-Brei und durch einen Fettzusatz zu den anderen
Beikostmahlzeiten Rechnung getragen.
Die andere Beikost – mit Fingerfood
Die andere Beikost – mit Fingerfood
Studienergebnisse
Das Baby Led Weaning wurde von einer britischen Hebamme und Stillberaterin entwickelt
und in
Büchern auch in deutscher Übersetzung bekannt gemacht [[16]]. In einem 2014 veröffentlichten strukturierten Literatur-Review des FKE wurden
11 Publikationen (von 7 Arbeitsgruppen) gefunden, die ganz unterschiedliche Fragen
rund um
das BLW untersuchten, zum Beispiel den Gewichtsstatus von Kindern mit BLW im Vergleich
zu
traditioneller Beikost, Einstellungen und Fütterverhalten von Eltern, Essfertigkeiten
der
Kinder. Auch eine systematische Übersichtsarbeit existierte, die sich mit der Machbarkeit
des BLW befasste [[2]]. Kürzlich wurden zwei weitere Studien
aus Neuseeland veröffentlicht, allerdings mit kleinen Kollektiven von 9 bis 26 Kindern
in
den einzelnen Füttergruppen [[3], [15]]. In einer der beiden Studien wurden erstmals Berechnungen der Nährstoffzufuhr
anhand von Ernährungsprotokollen vorgenommen [[15]]. Dabei
nahm die BLW-Gruppe bei gleicher Energiezufuhr signifikant mehr Fett und weniger
Mikronährstoffe (z. B. Eisen, Calcium, Vitamin C) auf als die löffelgefütterte Gruppe.
Typisch in dieser Studie ist, dass die Kinder in der BLW-Gruppe länger ausschließlich
gestillt wurden und später Beikost erhielten. Bemerkenswert in dieser und anderen
Studien
ist weiterhin, dass die Mütter meist beide Füttermethoden, BLW und Löffelfütterung,
nebeneinander angewendet hatten.
Interpretation
Anhand der derzeitigen Studienlage ist es nicht möglich, die tatsächliche Ernährung
und
Entwicklung der Kinder bei strikter Anwendung des BLW in der Praxis zu bewerten. Da
es
keine verbindliche Definition des BLW gibt, ordneten sich die Mütter in den überwiegend
beobachtenden Studien selbst der BLW-Gruppe zu oder wurden nachträglich in die
Studiengruppen eingeteilt.
Bei Befolgung des BLW-Prinzips ist der Beikostanteil an der Ernährung bis weit in
das 2.
Lebenshalbjahr hinein gering und Milch bleibt das Hauptnahrungsmittel. Theoretisch
bestehen bei später Einführung der Beikost Risiken für die Nährstoffzufuhr, da beim
verlängerten ausschließlichen Stillen im 2. Lebenshalbjahr die Zufuhr von Eisen und
dann
auch von weiteren Nährstoffen kritisch wird [[5]].
Muttermilch ist aufgrund des geringen Eisengehaltes keine relevante Eisenquelle, trotz
guter Bioverfügbarkeit. Bei Beikost in Form von Fingerfood gibt es nur wenige
Fleischspeisen, die Säuglinge problemlos kauen und schlucken können. Eisenangereichter
oder jodangereichter Brei kommt bei Fingerfütterung nicht infrage. Eine Verzögerung
der
Beikosteinführung ist auch aus Sicht der Allergieprävention nicht empfehlenswert.
Beikost als Brei und Fingerfood – Vorteile vereinigen
Beikost als Brei und Fingerfood – Vorteile vereinigen
Ausschlaggebend für die Handhabung der Beikost sollten der individuelle Entwicklungsstatus
des
Kindes und die Einbettung in ein ernährungsphysiologisch abgesichertes Ernährungskonzept
sein.
Senso-motorische Entwicklung
Die Entwicklung der Essfertigkeiten bei Säuglingen und Kleinkindern verläuft interindividuell
sehr variabel [[12]]. Deshalb ist im „Ernährungsplan“ seit
jeher ein Zeitfenster im 5. bis 7. Monat für die Einführung der Beikost vorgesehen,
das
sich bei den nächsten Entwicklungsschritten fortsetzt. Die meisten Kinder können mit
5 bis
6 Monaten problemlos Brei essen, manche aber erst mit 9 Monaten. In einer ähnlichen
Spannbreite entwickelt sich das Selberessen. Einige Kinder beginnen schon im Alter
von 5
bis 6 Monaten damit, Lebensmittel wie Brot in den Mund zu nehmen, manche aber erst
mit 1
Jahr. Die Entwicklung des Selberessens und damit der sozialen Teilhabe an der
Familienernährung sollte auch bei breigefütterten Säuglingen gefördert werden. Dass
die
meisten Eltern dies intuitiv umsetzen, lässt sich aus den BLW-Studien interpretieren,
bei
denen die Mütter häufig beide Füttermethoden nebeneinander eingesetzt hatten.
Lebensmittelvariation
Beim Baby Led Weaning wird postuliert, dass die Kinder später beim Essen weniger wählerisch
seien. Dies konnte bisher zwar nicht durch Studien belegt werden. Bei herkömmlicher
Breifütterung wurde aber gezeigt, dass täglicher Wechsel der Gemüsesorte bei Einführung
der Beikost die Akzeptanz neuer Lebensmittel nicht nur in der Beikostphase, sondern
bis in
das Kindesalter anhaltend förderte [[13]].
Wenn sich Säuglinge neben der Löffelfütterung, die weiterhin die Ernährungsgrundlage
bleibt,
auch selbst mit geeigneten Lebensmitteln am Familientisch füttern, kann sich die haptische
und sensorische Vielfalt bei der Ernährung erweitern. In herkömmlicher Beikost ist
die
Variation der Zutaten gering [[14]]. In kommerzieller
Gläschenkost, aber auch bei Selbstherstellung des Gemüse-Kartoffel-Fleisch-Breis,
werden
hauptsächlich Karotten verwendet, mit Abstand gefolgt von Tomaten, Pastinaken und
Kürbis.
Fazit
Das mit dem Baby Led Weaning angestrebte Idealziel, die Eigensteuerung der Nahrungsaufnahme
beim
Stillen mit der Beikost fortzuführen, ist als Konstrukt interessant, hat sich aber
in strikter
Form gegenüber dem natürlichen Verlauf der senso-motorischen Entwicklung der Kinder
offensichtlich nicht durchsetzen können. Die Erkenntnisse aus den vorliegenden Studien
zum BLW,
wonach die Löffelfütterung und das Selberfüttern häufig nebeneinander praktiziert
werden, können
ein willkommener Anlass für eine Lockerung in der Handhabung der Beikost sein. Denn
ausschließliche Breifütterung ist ebenso wenig kindgerecht wie ausschließliches Fingerfood.
Die
Kombination von beidem, je nach Entwicklungsstand des Kindes und mit entsprechendem
Augenmaß der
Eltern, wird dem Kind als Individuum bei der Ernährung am ehesten gerecht.
Das Baby Led Weaning kann Denkanstöße für eine Öffnung der Breiempfehlungen im „Ernährungsplan“
geben. Beikost als Fingerfood und die traditionelle Breieinführung schließen einander
nicht aus.
Auf diese Weise können die Vorteile der Ernährung nach dem „Ernährungsplan“ (ausreichende
Energie- und Nährstoffzufuhr) und des Baby Led Weaning (frühzeitige Gewöhnung an sensorisch
vielfältige Lebensmittel) einander ergänzen zum Vorteil der gesundheitsförderlichen
Kinderernährung.