Einleitung
Das Atemnotsyndrom (ANS) des Frühgeborenen stellt eine akut lebensbedrohliche Erkrankung
dar und ist auch heute noch für einen großen Teil der neonatalen Morbidität und Mortalität
sehr kleiner Frühgeborener verantwortlich [1]. Zusätzlich verursachen das ANS selbst sowie die notwendigen therapeutischen Maßnahmen
Folgezustände, die mit einer Langzeitmorbidität einhergehen, insbesondere mit der
sog. chronischen Lungenerkrankung des Frühgeborenen (CLD), die auch als bronchopulmonale
Dysplasie (BPD) bezeichnet wird. Man unterscheidet eine überwiegend durch Beatmung
induzierte alte Form (old BPD) und eine weitgehend beatmungsunabhängige neue Form
(new BPD), die in erster Linie durch eine mangelnde strukturelle Ausreifung ausgelöst
wird [2]
[3]. Letztere tritt auf, wenn sich die Lunge außerhalb des Mutterleibs unter unphysiologischen
Bedingungen weiterentwickeln muss.
In der Pathogenese der CLD spielen also sowohl die Unreife der Lunge selbst als auch
die maschinelle Beatmung eine Rolle. Um die Möglichkeit der Schädigung durch maschinelle
Beatmung zu minimieren, wurden in den letzten Jahrzehnten schonende Beatmungsformen
sowie Strategien zur Beatmungsvermeidung entwickelt. Dazu gehört die Anwendung eines
kontinuierlichen positiven Atemwegsdrucks (CPAP: Continuous Positive Airway Pressure)
von Geburt an.
Neben der strukturellen Unreife der Lunge mit deutlich verminderter respiratorischer
Oberfläche kommt der biochemischen Unreife mit einer stark eingeschränkten Fähigkeit
zur Surfactant-Bildung bzw. Surfactant-Release eine erhebliche Bedeutung zu. Daher
ist die Substitution von exogenem natürlichem Surfactant seit der Verfügbarkeit entsprechender
Präparate ein maßgebliches Therapieprinzip. Die Substitution von Surfactant war bis
vor Kurzem in der Regel an Intubation und maschinelle Beatmung gebunden, da Surfactant
über den Endotrachealtubus appliziert wurde.
Neben einer pränatalen Lungenreifungsinduktion durch die Gabe von Steroiden an die
Mutter, die heute als Standardtherapie bei drohender Frühgeburt gilt, stellen sowohl
die Surfactant-Substitution als auch die Vermeidung maschineller Beatmung entscheidende
Therapierichtlinien zur Vermeidung der CLD dar. Deshalb wird neuerdings neben den
beiden klassischen therapeutischen Wegen zur Behandlung des ANS – reine CPAP-Anwendung
oder maschinelle Beatmung über einen Endotrachealtubus, verbunden mit endotrachealer
Gabe von Surfactant – die Kombination von CPAP mit einer wenig invasiven Gabe von
Surfactant unter CPAP-unterstützter Spontanatmung diskutiert.
Merke: Die antenatale Gabe von Steroiden, die Vermeidung maschineller Beatmung und die Substitution
von Surfactant sind entscheidende Therapieprinzipien zur Vermeidung der CLD des Frühgeborenen.
Um diese therapeutische Option einordnen zu können, ist das Verständnis der Physiologie
der neonatalen pulmonalen Transition und der Pathophysiologie des ANS, die Kenntnis
unterschiedlicher therapeutischer Ansätze sowie ein Wissen um die Studienlage zur
Anwendung eines isolierten CPAP im Vergleich zu Intubation und Surfactant-Gabe erforderlich.
Diese Aspekte sollen im Folgenden zunächst dargestellt werden, bevor die Methoden
für weniger invasive Surfactant-Gaben erläutert und diskutiert werden.
Physiologie des Atemnotsyndroms
Physiologie des Atemnotsyndroms
Das ANS des Frühgeborenen wird häufig auch mit dem Synonym „Surfactant-Mangel-Syndrom“
bezeichnet. Diese Bezeichnung ist nicht ganz korrekt, da sie suggeriert, dass es sich
bei diesem Krankheitsbild ausschließlich um einen Mangel an Surfactant handele. Je
unreifer die Frühgeborenen jedoch sind, desto mehr tritt zu der sog. biochemischen
Unreife der Lunge, die sich im Surfactant-Mangel manifestiert, eine strukturelle Unreife
hinzu. Bei Kindern mit einem Schwangerschaftsalter unter 25 Wochen befindet sich die
Lunge noch in der „kanalikulären Phase“ ihrer feingeweblichen Differenzierung, bei
etwas reiferen in der „sakkulären Phase“. Dies bedeutet, dass lediglich die Vorläufer
der Alveolen angelegt sind.
Insgesamt ist die strukturelle Unreife der Lunge gekennzeichnet durch eine Verbreiterung
des Interstitiums und eine noch mangelnde Alveolarisierung, verbunden mit einer noch
raren Vaskularisierung. In der Konsequenz steht als respiratorische Oberfläche, bezogen
auf die Körperoberfläche, nur etwa 60 % derjenigen eines reifen Neugeborenen zur Verfügung.
Über die Unreife der Lunge selbst hinaus besteht bei Frühgeborenen eine Unreife des
gesamten respiratorischen Systems. Dazu gehören neben der Lunge auch die oberen Luftwege,
die Atemmuskulatur und Atemhilfsmuskulatur sowie der knöcherne Thorax. Während die
Lunge selbst noch eine sehr geringe Compliance aufweist, sind der Kehlkopf, die Trachea,
der Bronchialbaum und der knöcherne Thorax noch sehr weich und gut dehnbar, die Atemmuskulatur
ist noch schwach.
Durch den Mangel an Surfactant weisen die Alveolen bzw. ihre Vorläufer eine verminderte
Dehnbarkeit auf, bei gleichzeitig erhöhten Rückstellkräften. Deshalb müssen in der
Inspiration erhebliche transpleurale Drucke aufgebaut werden, um die Lunge mit Luft
zu füllen, was zusätzlich durch die sehr dehnbare Thoraxwand erschwert wird. Am Ende
der Exspiration kommt es zudem durch die hohen Rückstellkräfte zu einem vollständigen
endexspiratorischen Alveolarkollaps. Es gelingt somit nicht, eine funktionelle Residualkapazität
(FRC) aufzubauen, die gewährleistet, dass auch während der Exspiration ein gewisser
Gasaustausch möglich ist.
Bei der Wiedereröffnung im Rahmen der folgenden Inspiration werden Scherkräfte im
interstitiellen Gewebe und an der Alveolaroberfläche wirksam, wodurch Gewebeflüssigkeit
in die Alveole eindringt. Dadurch wird ein Inflammationsprozess angestoßen und es
bilden sich die sog. hyalinen Membranen, die die Alveolen auskleiden. In der Folge
kommt es zu einer Verdickung der alveolokapillären Membran und zu einer Verlängerung
der Diffusionssstrecke, sodass sich eine progrediente respiratorische Insuffizienz
entwickeln kann.
Cave: Das ANS des Frühgeborenen ist nicht ausschließlich durch einen Surfactant-Mangel,
sondern durch die Unreife des gesamten respiratorischen Systems bedingt.
Durch diese Unreife des respiratorischen Systems des Kindes lässt sich die klinische
Symptomatik des ANS erklären. Um die notwendigen transpleuralen Drucke für die Inspiration
aufbauen zu können, ist eine heftige Tätigkeit der Atemmuskulatur, insbesondere des
Zwerchfells, notwendig. Da die Lunge sehr steif und wenig dehnbar ist, tritt mit der
Kontraktion des Zwerchfells nur eine geringe Menge von Luft in die Lunge ein, gleichzeitig
wölbt sich durch die Kontraktion des Zwerchfells der Bauch vor. Eine aktive Versteifung
der Thoraxwand über die Atemhilfsmuskulatur ist wegen der Schwäche dieser Muskulatur
und der Weichheit des knöchernen Thorax nur begrenzt möglich, sodass es zu interkostalen
Einziehungen kommt. Durch Engstellen der Stimmritze versucht der Organismus, dem endexspiratorischen
Alveolarkollaps entgegenzuwirken, was in dem Phänomen des Stöhnens resultiert. Ebenso
ist die häufig beobachtete ausgeprägte Tachypnoe ein endogener Kompensationsmechanismus.
Wenn nämlich durch eine Beschleunigung der Atmung eine erneute Inspiration begonnen
wird, bevor die Exspiration beendet war, gelingt es leichter, schrittweise eine FRC
aufzubauen.
Der klinische Verlauf eines ANS (Tab. [1]) ist somit gekennzeichnet durch eine progrediente respiratorische Insuffizienz mit
Hyperkapnie und Hypoxämie, die sich in Blässe oder Zyanose ausdrücken. Weitere klinische
Zeichen sind eine Tachypnoe, eine paradoxe Atmung mit Vorwölbung des Bauches ohne
gleichzeitige Vorwölbung des Thorax in der Inspiration, ventrale und dorsale interkostale
Einziehungen und exspiratorisches Stöhnen. Der 1956 beschriebene Silverman-Score [4] ist ein gutes Instrument zur Quantifizierung dieser Symptomatik (Tab. [2]).
Tabelle 1
Klinische Zeichen des ANS.
Symptom
|
Pathophysiologische Grundlage
|
Blässe, Zyanose
|
unzureichender Gasaustausch durch verlängerte Diffusionsstrecke und unzureichende
FRC
|
paradoxe Atmung
|
verminderte Dehnbarkeit der Lunge
|
interkostale Einziehungen
|
weicher knöcherner Thorax, fehlende Fähigkeit der Interkostalmuskulatur zur aktiven
inspiratorischen Versteifung
|
exspiratorisches Stöhnen
|
Engstellung der Stimmritze als endogener Kompensationsmechanismus zum Aufbau einer
FRC
|
Tachypnoe
|
Beginn erneuter Inspiration vor Ende der Exspiration als endogener Kompensationsmechanismus
zum Aufbau einer FRC
|
Tabelle 2
Silverman-Score [5].
|
Score = 0
|
Score = 1
|
Score = 2
|
Thorax-/Abdomenbewegung
|
synchron und gleich
|
synchron und ungleich
|
Schaukelatmung
|
interkostale Einziehungen
|
keine
|
wenig
|
ausgeprägt
|
sternale Einziehungen
|
keine
|
wenig
|
ausgeprägt
|
Nasenflügeln
|
keine
|
wenig
|
ausgeprägt
|
„Knorksen“
|
keine
|
wenig
|
ausgeprägt
|
Therapie des Atemnotsyndroms
Therapie des Atemnotsyndroms
Die Hypoxämie ist das häufig primär führende Symptom des ANS, das zugleich eine erhebliche
Bedrohung für das Leben des Kindes darstellt. Ein erster therapeutischer Ansatz zur
Behandlung des ANS war daher die Beimischung von Sauerstoff zur Atemluft. Diese wurde
bereits Ende des 18. Jahrhunderts in der Reanimation Neugeborener eingesetzt und verbreitete
sich in der Folgezeit sehr schnell auch für Frühgeborene mit ANS. Die Therapie rettete
vielen Kindern das Leben, führte aber gleichzeitig zur Entwicklung eines neuen Krankheitsbilds,
der „retrolentalen Fibroplasie“ oder auch Retinopathia praematurorum (ROP), deren
Zusammenhang mit einer unkritischen Sauerstofftherapie Anfang der 1950er-Jahre entdeckt
wurde [6]
[7]
[8].
Mittlerweile ist die Sauerstofftoxizität insbesondere für Früh- und Neugeborene sehr
gut bekannt und eine unkritische, nicht exakt dosierte Sauerstofftherapie gilt heute
als obsolet. In Bezug auf das ANS ist zudem von Bedeutung, dass die reine Sauerstoffzufuhr
nicht in den oben beschriebenen Pathomechanismus der Progredienz des Krankheitsbilds
eingreift und somit allenfalls vorübergehend symptomatisch wirken kann.
Cave: Eine nicht exakt dosierte Sauerstofftherapie bei Früh- und Neugeborenen ist heute
obsolet.
Um das Jahr 1968 konnte Harrison nachweisen, dass das exspiratorische Stöhnen der
Kinder ein aktiver Kompensationsmechanismus ist, der zur Überwindung der respiratorischen
Insuffizienz beim ANS beiträgt [9]. Durch die Engstellung der Stimmritze wird ein positiver endexspiratorischer Druck
in den unteren Luftwegen erzeugt, wodurch der endexspiratorische Alveolarkollaps verhindert
wird. Basierend auf dieser Erkenntnis, entwickelte Gregory die Therapie durch CPAP
[10], d. h. die Applikation eines Gasflows in der Exspiration. Im Gegensatz zur reinen
Sauerstoffapplikation greift dieser therapeutische Ansatz in den Pathomechanismus
des ANS ein und verhindert über die endexspiratorische Stabilisierung der Alveolen
den Austritt von Gewebeflüssigkeit in die Alveole und damit die Ausbildung von hyalinen
Membranen. Die CPAP-Therapie verbreitete sich in den 1970er-Jahren als Therapie des
ANS und wurde vor allem in den skandinavischen Ländern zur Standardtherapie [11].
Mit der Entwicklung von modernen Ventilatoren zur Beatmung Neugeborener trat zeitgleich
vor allem in Mitteleuropa und in den angelsächsischen Ländern die Beatmung von Früh-
und Neugeborenen ihren Siegeszug an. Die maschinelle Beatmung ermöglicht über einen
sicheren Atemweg die Anwendung von wechselnden positiven Druckniveaus, wodurch ein
Atemzugvolumen appliziert wird. Sie eignet sich vor allem bei schwerer respiratorischer
Insuffizienz zur Sicherstellung eines Gasaustauschs, hat aber insbesondere bei sehr
unreifen Frühgeborenen mit strukturell unreifer Lunge ein erhebliches Schädigungspotenzial.
Auch unter den heute angewandten „lungenschonenden“ Beatmungsregimes ist eine längere
kumulative Beatmungsdauer mit einem höheren Risiko für ein schlechteres pulmonales
Outcome verbunden [12]. Die sog. „old BPD“ ist eine Form der CLD, die in erster Linie durch maschinelle
Beatmung verursacht wird.
Merke: Eine längere kumulative Dauer maschineller Beatmung geht mit einem erhöhten Risiko
für eine CLD einher.
Im Jahre 1959 erkannte Mary Ellen Avery den Mangel an Surfactant als führende Ursache
für die respiratorische Insuffizienz frühgeborener Kinder [13]. Daraufhin standen die biochemische und funktionelle Charakterisierung von Surfactant
sowie die Präparation von Surfactant als Medikament im Fokus neonatologischer Forschung.
Im Jahre 1980 publizierte Fujiwara erstmals die Gabe von exogenem natürlichem Surfactant
zur Behandlung des ANS frühgeborener Kinder [14]. In der Folge wurden verschiedene Surfactant-Präparationen aus Lavageflüssigkeit
aus Rinderlungen oder zerkleinerten Rinder- oder Schweinelungen hergestellt. Eine
Vielzahl kontrollierter Multicenter-Studien konnte die Wirksamkeit des endotracheal
verabreichten Surfactants unter maschineller Beatmung nachweisen.
Surfactant als Medikament
Kaum ein Medikament ist in der Neonatologie so gut durch klinische Studien untersucht
wie die Surfactant-Präparationen. Zugleich hat kaum ein Medikament einen solch ausgeprägten
Effekt auf die Überlebensrate frühgeborener Kinder gehabt. Auf diesem Hintergrund
gilt die endotracheale Gabe von Surfactant an das beatmete Kind als Goldstandard in
der Therapie des ANS frühgeborener Kinder, um Mortalität und Morbidität zu senken
[15].
Tab. [3] zeigt die verschiedenen therapeutischen Prinzipien zur Behandlung des ANS im Überblick.
Tabelle 3
Therapie des ANS.
Therapie
|
Wirkungsprinzip
|
Risiken
|
Sauerstoff
|
|
|
CPAP
|
-
Vergrößerung der Gasaustauschfläche → Verbesserung von Oxygenierung und Ventilation
-
Stabilisierung der Atemwege → Verringerung der Atemarbeit → Verringerung von Energie-
und Sauerstoffverbrauch
-
Verhinderung des endexspiratorischen Alveolarkollapses → Reduktion des Austritts von
Flüssigkeit in die Alveole → Reduktion des Risikos für hyaline Membranen
|
|
maschinelle Beatmung
|
|
|
Surfactant
|
-
Auskleidung der Alveole
-
Erhöhung der Dehnbarkeit (Compliance)
-
Erhöhung der Gasaustauschfläche
-
Verhinderung des Austritts von Gewebsflüssigkeit in die Alveole
-
Reduktion von Atemarbeit, Sauerstoffbedarf und Ventilationsbedarf
|
k. A.
|
Studienlage zur primären respiratorischen Therapie von Kindern mit Atemnotsyndrom
Während in den angelsächsischen Ländern in den 1970er- und 1980er-Jahren die Intubation
und Beatmung als Goldstandard in der Therapie des ANS galt, wurde auch in diesem Zeitraum
in den skandinavischen Ländern konsequent CPAP als primäre Therapie angewandt. Da
aus historischen Gründen die Gabe von Surfactant an die endotracheale Intubation,
wie sie zur maschinellen Beatmung erfolgt, geknüpft war, entwickelte sich in den angelsächsischen
Ländern eine Standardtherapie für das ANS, die aus früher Intubation und Surfactant-Gabe
bestand. In den skandinavischen Ländern hingegen wurde weiterhin CPAP angewandt und
die Surfactant-Gabe galt als Rescue-Therapie nach CPAP-Versagen. Die Surfactant-Gabe
erfolgte dann aber auch in diesem Therapiekonzept nach Intubation über den Endotrachealtubus
und unter Beatmung mit positivem Druck.
Erst Anfang dieses Jahrhunderts wurden mehrere prospektiv randomisiert-kontrollierte
Studien durchgeführt, um die beiden therapeutischen Ansätze miteinander zu vergleichen
[16]
[17]
[18]:
Die erste dieser Studien war die australische COIN-Studie [16]. Hier wurden Frühgeborene mit einem Schwangerschaftsalter von 25 + 0 bis 28 + 6
(Wochen + Tage) eingeschlossen, die innerhalb der ersten 5 Minuten nach der Geburt
zur Spontanatmung kamen. Die Kinder in der Interventionsgruppe erhielten anschließend
CPAP. Surfactant bekamen die Patienten in dieser Gruppe nur, wenn sie nach definierten
Intubationskriterien intubiert werden mussten. Die Kinder der Kontrollgruppe wurden
intubiert und nach zentrumsspezifischen Standards beatmet. Surfactant erhielten sie
ebenfalls nach zentrumsspezifischen Standards. Primäres Outcome-Kriterium war „Tod
oder BPD“ mit 36 Wochen. Bezüglich dieses Outcomes unterschieden sich die Kinder der
Kontroll- und der Interventionsgruppe nicht, die Kinder der Interventionsgruppe erlitten
jedoch häufiger einen Pneumothorax, benötigten aber seltener mit 28 Tagen noch eine
zusätzliche Sauerstoffzufuhr.
In die SUPPORT-Studie [17] wurden Frühgeborene mit einem Gestationsalter von 24 + 0 bis 27 + 6 (Wochen + Tage)
eingeschlossen. Hierbei wurden die Kinder der Interventionsgruppe nach der Primärversorgung
mit CPAP behandelt. Bei Erreichen definierter Kriterien erfolgte die Intubation. Wenn
diese Intubation innerhalb der ersten 48 Stunden nach Geburt notwendig wurde, erhielten
die Kinder Surfactant. In der Kontrollgruppe wurden die Patienten intubiert und bekamen
Surfactant. Primäres Zielkriterium war auch in dieser Studie „Tod oder BPD“ mit 36
Wochen, wobei sich wie in der COIN-Studie kein Unterschied in Bezug auf dieses primäre
Outcome nachweisen ließ. Die primär mit CPAP behandelten Kinder zeigten jedoch einen
geringeren Beatmungsbedarf.
In der VON-DRM-Studie [18] wurden 3 verschiedene Wege der primären respiratorischen Stabilisierung miteinander
verglichen: die alleinige Anwendung von CPAP, die Anwendung von CPAP mit einer prophylaktischen
Surfactant-Gabe über eine kurzfristige Intubation und die primäre Intubation mit maschineller
Beatmung und prophylaktischer Surfactant-Gabe. Eingeschlossen wurden Kinder mit einem
Schwangerschaftsalter von 26 + 0 bis 29 + 6 (Wochen + Tage). Auch in dieser Studie
zeigten sich keine signifikanten Unterschiede in Bezug auf das Outcome-Kriterium „Tod
oder BPD“, die Anwendung von CPAP war jedoch mit einer Reduktion der Notwendigkeit
maschineller Beatmung verbunden.
Tab. [4] gibt einen Überblick über die Ergebnisse der 3 Studien. Insgesamt ist durch die
genannten Studien die Gleichwertigkeit von CPAP und primärer Intubation und Beatmung
als initiale respiratorische Therapie bewiesen.
Tabelle 4
Vergleichende Studien: CPAP versus Intubation als primäre respiratorische Therapie
bei ANS.
Studie
|
Gestationsalter (Wochen)
|
Eingeschlossene Patienten (n)
|
Anteil der eingeschlossenen Patienten an gescreenten Patienten (%)
|
Tod oder BPD
|
Tod
|
CPAP (%)
|
Kontrolle (%)
|
CPAP (%)
|
Kontrolle (%)
|
SUPPORT
|
24 0/7 bis 27 6/7
|
1316
|
37
|
48
|
51
|
14
|
18
|
COIN
|
25 0/7 bis 28 6/7
|
610
|
28
|
34
|
39
|
7
|
6
|
VON
|
26 0/7 bis 29 6/7
|
648
|
20
|
30
|
37
|
6
|
7
|
Merke: CPAP einerseits und Intubation, maschinelle Beatmung und Surfactant-Gabe andererseits
gelten als gleichwertige Methoden in der Therapie des ANS Frühgeborener.
Kombination von CPAP und Surfactant
CPAP ist also, wie zuvor dargestellt, eine sinnvolle Therapieoption für das ANS frühgeborener
Kinder und gilt mittlerweile auf hohem Evidenzniveau als der primären Intubation und
Surfactant-Gabe gleichwertig. Dennoch besteht weiterhin eine kontroverse Diskussion
über die primäre Therapie des ANS mit CPAP, da Surfactant die kausale Therapie des
ANS darstellt und die primäre CPAP-Therapie mit dem Vorenthalten einer frühen Surfactant-Therapie
einhergeht.
Die Kombination der kausalen Therapie durch Surfactant-Applikation mit der wirksamen
symptomatischen Therapie des ANS durch CPAP könnte eine Verbindung von 2 höchst wirksamen
Therapieprinzipien darstellen und somit die Prognose der Kinder günstig beeinflussen.
Intubate-Surfactant-Extubat
Vor diesem Hintergrund beschrieb Verder im Jahre 1992 erstmals die Kombination von
Surfactant unter CPAP-unterstützter Spontanatmung [19]. In dieser Untersuchung wurden verschiedene Strategien für diese Kombination angewandt.
Zum einen wurde Surfactant über einen dünnen endotrachealen Katheter gegeben, zum
anderen wurden die Kinder kurzfristig ausschließlich für die Surfactant-Gabe intubiert.
Beide Ansätze wurden in hierbei gleichwertig dargestellt. Ziel der Studie war es,
bei reiferen Frühgeborenen, bei denen ein CPAP-Versagen infolge eines schweren ANS
drohte, dieses durch eine Surfactant-Gabe zu verhindern. Der Weg der Surfactant-Applikation
über eine dünne endotracheale Sonde erwies sich in der Untersuchung von Verder als
ebenso machbar und wirksam wie jener der Surfactant-Gabe über einen Endotrachealtubus.
Dieser wurde jedoch nicht weiter verfolgt, da unter den Neonatologen damals verbreitet
die Auffassung herrschte, Surfactant müsse mit positivem Druck in der Lunge verteilt
werden.
Deshalb setzte sich zu diesem Zeitpunkt die sog. InSurE-Methode (Intubate-Surfactant-Extubate)
durch und wurde in einer Folgestudie [20] als Standard definiert und beschrieben. InSurE hat sich seit Anfang der 1990er-Jahre
sehr weit verbreitet. Es liegt eine Vielzahl von prospektiv randomisierten kontrollierten
Studien vor, die alle eine Wirksamkeit im Hinblick auf die Vermeidung maschineller
Beatmung zeigen. Bislang konnte in keiner einzelnen Studie eine eindeutige Wirksamkeit
im Hinblick auf eine BPD-Vermeidung nachgewiesen werden. Eine neuerlich erschienene
Meta-Analyse [21] zeigt ebenso unter diesem Gesichtspunkt keine Überlegenheit von InSurE gegenüber
einer alleinigen CPAP-Therapie. Es bestand allerdings ein deutlicher Trend zur Risikoreduktion,
für BPD, das kombinierte Outcome „Tod oder BPD“ und für Air Leaks. Daher ist die Methode
heute als adäquate Alternative zur Intubation und maschinellen Beatmung sowie zur
alleinigen CPAP-Therapie akzeptiert und gilt als eine etablierte Routinetherapie.
Merke: Die InSurE-Methode ist eine etablierte Therapieoption des ANS und geht mit einer Reduktion
der Notwendigkeit maschineller Beatmung einher.
Bei InSurE handelt es sich nicht um eine besonders wenig invasive Art der Surfactant-Applikation,
da die Kinder für die Surfactant-Applikation genauso wie für die konventionelle Art
der Applikation endotracheal intubiert werden. Die geringere Invasivität besteht in
der Beschränkung der positiven Druckbeatmung auf das minimal Notwendige nach erfolgter
Intubation. Dennoch birgt die Methode das Risiko, dass sie zumindest mit einer sehr
kurzen Phase der positiven Druckbeatmung verbunden ist. Gerade extrem unreife und
extrem kleine Frühgeborene können bereits durch eine kurze Beatmungsphase mit einigen
Beatmungshüben eine pulmonale Schädigung erfahren.
Cave: Auch bei der Anwendung der InSurE-Methode sind kurze Phasen von positiver Druckbeatmung
notwendig, die potenziell lungenschädigend sein können.
Aus diesem Grunde wird schon seit Langem nach Wegen gesucht, CPAP und Surfactant-Applikation
miteinander zu kombinieren. Die dafür angewandten Methoden werden als „Less Invasive
Surfactant Application“ (LISA) oder „Minimal Invasive Surfactant Therapy“ (MIST) bezeichnet,
wobei sich LISA als Bezeichnung stärker durchgesetzt hat.
LISA-Methoden
In den letzten Jahrzehnten wurden mehrere Strategien beschrieben, eine Surfactant-Gabe
mit der primären Atemunterstützung über CPAP zu verbinden, die More et al. 2015 in
einem „Meta-narrativ Review“ beschrieben haben [22]. Tab. [5] gibt einen Überblick über die einzelnen Ansätze.
Tabelle 5
LISA-Methoden.
Applikationsweg
|
Merkmale
|
pharyngeale Applikation
|
Gabe von Surfactant in den Oropharynx unmittelbar nach Geburt, möglichst vor dem ersten
Atemzug
|
Vernebelung
|
Verneblung von Surfactant in das Atemgas unter Spontanatmung, CPAP oder maschineller
Beatmung
|
Larynxmaske
|
Applikation von Surfactant über eine Larynxmaske, ggf. mit kurzfristiger positiver
Druckbeatmung über die Larynxmaske
|
Endotrachealsonde
|
Applikation von Surfactant über eine dünne, unter laryngoskopischer Sicht gelegte
endotracheale Sonde unter Spontanatmung, mit oder ohne gleichzeitige CPAP-Atemunterstützung
|
Im Folgenden soll die Studienlage zu den verschiedenen Methoden der Surfactant-Applikation
im Detail dargestellt werden.
Pharyngeale Applikation
Bei dieser Methode wird unmittelbar nach der Geburt, möglichst vor den ersten Atemzügen,
Surfactant in den Oropharynx appliziert. Dieser Art der Applikation lag die Idee zugrunde,
Surfactant werde mit den ersten Atemzügen des Kindes unter Spontanatmung eingeatmet
und verteile sich damit ideal an der Flüssigkeits-Luft-Grenzfläche. Die Applikation
ist in der Tat sehr wenig invasiv, da lediglich ein dünner Katheter ohne weitere instrumentelle
Manipulation in den Oropharynx eingeführt wird, um dort den Surfactant-Bolus zu platzieren.
Zur pharyngealen Applikation liegen 3 Studien vor. Die erste und größte dieser Studien
wurde bereits 1987 durchgeführt [23]. Es handelte sich um eine relativ große randomisierte Studie mit einem proteinfreien
künstlichen Surfactant-Präparat, in die 328 Kinder mit einem Gestationsalter von 25 – 29
abgeschlossenen Wochen eingeschlossen wurden. Endotracheale Folgegaben von Surfactant
waren möglich. Es zeigte sich eine Reduktion des Schweregrads des RDS, der Beatmungsdauer
und eine Senkung der Mortalität. Es bleibt jedoch unklar, wie viel von diesen Effekten
durch die endotrachealen Folgeapplikationen bedingt war.
In einer zweiten randomisierten Studie, bei der ein porcines Surfactant-Präparat unter
den Bedingungen eines Entwicklungslands angewandt wurde [24], zeigte sich ebenfalls eine Besserung der ANS-Symptomatik, jedoch ohne Auswirkung
auf Morbidität und Mortalität, was auf das Fehlen weiterer intensivmedizinischer Therapieoptionen
zurückgeführt wurde.
In einer dritten, relativ kleinen Beobachtungsstudie erhielten 23 Kinder mit einem
Gestationsalter von 27 – 30 Wochen unmittelbar nach Geburt des Kopfes und vor Entwicklung
der Schultern ein natürliches Surfactant-Präparat [25]. In dieser Studie zeigte sich eine gewisse Wirksamkeit bei vaginal geborenen Kindern,
nicht jedoch bei denen, die durch Sectio geboren wurden.
Eine unlängst publizierte Cochrane-Analyse zu diesem Thema fand keine Studien, die
die Qualitätskriterien für eine Cochrane-Analyse erfüllten [26]. Dennoch ist dieser therapeutische Ansatz nicht vollständig zu verwerfen, da bislang
Studien fehlen, in denen moderne, proteinhaltige Surfactant-Präparate konsequent mit
modernen Strategien zur Beatmungsvermeidung (z. B. CPAP) kombiniert wurden.
Merke: Die Surfactant-Applikation in den Pharynx ist bislang nicht hinreichend unter Anwendung
moderner Surfactant-Päparationen und in Kombination mit weiteren Strategien zur Beatmungsvermeidung
untersucht.
Applikation über Larynxmaske
Seit 2004 bestehen Ansätze, Surfactant über eine Larynxmaske (LMA) zu applizieren
[27]. Dieser Weg ist effizient und technisch leicht umsetzbar, hat jedoch Limitationen,
da Larynxmasken nicht bei Kindern mit einem Geburtsgewicht unter 1000 g angelegt werden
können. Gerade diese Kinder benötigen aber sehr häufig eine Surfactant-Applikation.
Die Applikation über LMA wurde erstmals im Jahre 2004 von Brimacombe bei 2 Kindern
beschrieben [27]. Trevisanuto publizierte 2005 eine Fallserie [28], auf die 2008 eine Machbarkeitsstudie derselben Arbeitsgruppe folgte [29]. In dieser Machbarkeitsstudie konnte deutlich nachgewiesen werden, dass Surfactant
über LMA so appliziert werden kann, dass es bei den Kindern in der Folge zu einer
Verbesserung der Oxygenierung kommt. Dieser Befund konnte in einer kleinen randomisierten
Studie an Frühgeborenen mit einem Geburtsgewicht über 1200 g bestätigt werden [30].
In einer aktuell publizierten Studie, in der die Häufigkeit des CPAP-Versagens nach
Surfactant-Applikation über LMA mit der Häufigkeit des CPAP-Versagens nach InSurE
verglichen wurde, fand sich eine signifikant niedrigere Rate an CPAP-Versagen in der
LMA-Gruppe [31]. Dies war auf eine niedrigere Rate an frühem CPAP-Versagen zurückzuführen. Das Ergebnis
wurde erklärt durch den geringeren Atemantrieb der Kinder in der InSurE-Gruppe, die
für die Durchführung der Prozedur eine Analgosedierung erhalten hatten.
Insgesamt erscheint die Methode vielversprechend für Kinder mit einem Gewicht über
1000 oder 1200 g; sie ist jedoch nicht einsetzbar bei Kindern mit einem Geburtsgewicht
unter 1000 g, die durch das ANS und seine Langzeitkomplikationen besonders gefährdet
sind.
Merke: Die Surfactant-Applikation über LMA kann für Frühgeborene über 1200 g eine Therapieoption
darstellen, ist aber für extrem kleine Frühgeborene ungeeignet.
Surfactant-Verneblung
Ein weiterer sehr wenig invasiver Ansatz, Surfactant zu applizieren, besteht theoretisch
in der Verneblung von Surfactant. Diese Methode ist seit mehreren Jahrzehnten Gegenstand
intensiver neonatologischer Forschung. Die Surfactant-Verneblung wäre die vergleichsweise
eleganteste und wenigste invasive Art der Surfactant-Applikation. Es bleibt aber das
technische Problem, dass hohe Mengen vernebelt werden müssen, damit adäquate Mengen
pulmonal deponiert werden. Neuere Verneblungsarten lassen eine bessere Disposition
erhoffen.
Es liegen mehrere Studien seit dem Jahre 1997 vor, in denen auch eine gewisse Effektivität
des Applikationswegs nachgewiesen werden konnte [32]
[33]
[34]. Wegen der technischen Probleme hat sich dieser Weg der Applikation bislang nicht
durchsetzen können. Nach wie vor erscheint jedoch die Surfactant-Verneblung attraktiv
und wird weiterhin Gegenstand neonatologischer Forschung bleiben.
Merke: Die Verneblung von Surfactant erscheint sehr vielversprechend, ist jedoch bislang
technisch noch nicht befriedigend umgesetzt.
Katheterapplikation
Extrem früh geborene Kinder haben das höchste Risiko, an einem ANS und den Folgekomplikationen
zu erkranken, und können daher theoretisch am meisten von einer Kombination von CPAP
und Surfactant profitieren. Sie weisen eine hohe Rate an CPAP-Versagen auf und sind
nach einer InSurE-Prozedur häufig nicht schnell zu extubieren.
Die Applikation über LMA kommt aus technischen Gründen nicht infrage, die Verneblung
ist technisch noch nicht ausgereift. Deshalb wurde im Jahre 2001 für diese Gruppe
der Kinder in Köln der Ansatz von Hendrik Verder – die Surfactant-Applikation über
einen dünnen endotrachealen Katheter unter CPAP-unterstützter Spontanatmung – wieder
aufgegriffen und im Weiteren in Beobachtungsstudien untersucht. Nach Vorlage der ersten
Studie verbreitete sich insbesondere in Deutschland die Surfactant-Applikation über
Sonde relativ schnell. Mittlerweile liegen zu diesem Ansatz mehrere prospektiv randomisierte
kontrollierte Studien vor.
Es wurden inzwischen unterschiedliche Techniken zur Durchführung der Methode beschrieben.
Die im Jahre 2007 von unserer Gruppe beschriebene Methode [35] bietet den Vorteil, dass während der Surfactant-Applikation die CPAP-Unterstützung
der Spontanatmung weiter fortgeführt wird. Dies unterscheidet die Kölner Methode von
der in der Folge beschriebenen Hobat-Methode [36], bei der die CPAP-Unterstützung während der Applikation des Surfactants kurzfristig
unterbrochen wird.
Ein weiterer Unterschied liegt in der Art der Sonde. Während in der Kölner Methode
ein sehr flexibler Katheter mit einer Magill-Zange unter laryngoskopischer Sicht eingeführt
wird, erfolgt bei der Hobat-Methode die Einführung eines relativ starren Gefäßkatheters
ohne weitere instrumentelle Unterstützung, ebenfalls unter laryngoskopischer Sicht.
In einer Anfang dieses Jahres erschienenen Studie wurde ein eigens für die Surfactant-Applikation
entwickelter Katheter beschrieben, der steif genug ist, um ohne Magill-Zange eingeführt
zu werden, aber eine sehr weiche Spitze hat, um Verletzungen zu vermeiden [37].
Unter Berücksichtigung der unterschiedlichen kleineren technischen Differenzen ist
die Surfactant-Applikation über einen dünnen endotrachealen Katheter mittlerweile
die neben der InSurE-Methode am weitesten verbreitete und am besten untersuchte Art
der weniger invasiven Surfactant-Applikation. Neben einer Vielzahl von Beobachtungsstudien
[37]
[38]
[39]
[40]
[41]
[42]
[43]
[44]
[45]
[46] (Tab. [6]) liegen mittlerweile 6 prospektiv randomisierte kontrollierte Studien in unterschiedlichen
Gestationsaltergruppen vor [47]
[48]
[49]
[50]
[51]
[52] (Tab. [7]). Die Studien liefern weitgehend konsistente Ergebnisse hinsichtlich Sicherheit
und Wirksamkeit der Methode.
Tabelle 6
Beobachtungs- und Machbarkeitsstudien zur Surfactant-Applikation über Sonde: Studiencharakteristika
und Hauptergebnisse.
|
Studientyp
|
Zahl Patienten mit Intervention
|
Einschlusskriterien
|
Kontrollgruppe
|
Surfactant-Präparat und Dosis
|
Hauptergebnisse
|
Kribs [35]
|
monozentrische Beobachtungsstudie
|
29
|
≤ 27 Wochen
|
historische Kontrolle, Standardtherapie
|
Survanta 100 mg/kg
|
niedrigere Mortalität, weniger IVH > II°, weniger PIE, verglichen mit historischer
Kontrolle
|
Kribs [38]
|
monozentrische Beobachtungsstudie
|
150
|
≤ 1000 g
|
n.a.
|
Survanta 100 mg/kg
|
weniger CPAP-Versagen nach Einführung der Methode, niedrigere Mortalität bei Kindern
mit CPAP-Erfolg, unabhängig, ob mit oder ohne Surfactant
|
Kribs [39]
|
multizentrische Beobachtungsstudie
|
319
|
< 31 Wochen und ≤ 1500 g
|
jegliche Art von Standardtherapie
|
Curosurf, Survanta, Alveofact, variable Dosis
|
niedrigere Rate maschineller Beatmung, weniger BPD, verglichen mit Standardtherapie
|
Dargaville [36]
|
monozentrische Beobachtungsstudie
|
25
|
≤ 34 Wochen
|
historische Kontrolle, CPAP
|
Curosurf 100 mg/kg
|
Anstieg der SPO2 nach Durchführung der Prozedur, Reduktion von FiO2 und CPAP-Druck
|
Mehler [40]
|
monozentrische Beobachtungsstudie
|
164
|
< 26 Wochen
|
historische Kontrolle, Standardtherapie
|
Survanta 100 mg/kg
|
verbessertes Überleben und reduzierte Morbidität bei Kindern unter 26 Wochen nach
Einführung der Methode
|
Dargaville [41]
|
Machbarkeit, 2 Zentren
|
61
|
25 – 32 Wochen
|
historische Kontrolle, CPAP
|
Curosurf 100 – 200 mg/kg
|
Anstieg der SPO2 nach Durchführung der Prozedur, Reduktion von FiO2 und CPAP-Druck
|
Klebermass-Schrehoff [42]
|
monozentrische Beobachtungsstudie
|
224
|
23 – 27 Wochen
|
historische Kontrolle, Standardtherapie
|
Curosurf 200 mg/kg
|
niedrigere Mortalität insbesondere bei Kindern unter 26 Wochen, weniger IVH, weniger
schwere IVH, weniger zystische PVL, aber mehr ROP und schwere ROP, mehr PDA, weniger
Tod oder BPD
|
Aguar [43]
|
monozentrische Beobachtungsstudie
|
44
|
24 – 35 Wochen
|
historische Kontrolle, InSurE
|
Curosurf 100 mg/kg
|
Prozedur machbar ohne Unterschied im Outcome zu InSurE
|
Canals Candela [44]
|
monozentrische Beobachtungsstudie
|
19
|
25 – 34 Wochen
|
historische Kontrolle, CPAP
|
Curosurf 200 mg/kg
|
Prozedur machbar ohne unerwünschte Ereignisse, weniger Intubation und Beatmung in
den ersten 72 Stunden, verglichen mit historischer Kontrolle
|
Goepel [45]
|
Matched Pairs aus dem German Neonatal Network
|
1103
|
< 32 Wochen und ≤ 1500 g
|
Matched Pairs aus dem German Neonatal Network
|
Curosurf, Survanta, Alveofact, variable Dosis
|
niedrigere Rate maschineller Beatmung und weniger BPD
|
Krajewski [46]
|
monozentrische Beobachtungstudie
|
26
|
Mittelwert 29,5 Wochen
|
historische Kontrolle, maschinelle Beatmung, Surfactant, Frühextubation
|
Curosurf
|
Prozedur machbar und verbunden mit weniger Intubation und maschineller Beatmung, verglichen
mit maschineller Beatmung und Frühextubation
|
Ramos-Navarro [37]
|
monozentrische Machbarkeitsstudie
|
30
|
< 32 Wochen
|
historische Kontrolle, maschinelle Beatmung, Surfactant, Frühextubation nach definierten
Extubationskriterien
|
Survanta
|
Prozedur machbar und verbunden mit weniger Beatmung in den ersten Lebenstagen
|
FiO2: Sauerstoffkonzentration; IVH: intraventrikuläre Hämorrhagie; PDA: persistierender
Ductus arteriosus
; PIE: pulmonal-interstitielles Emphysem; PVL: periventrikuläre Leukomalazie; SPO2: Sauerstoffsättigung
Tabelle 7
Prospektiv kontrolliert-randomisierte Studien zur Surfactant-Applikation über Sonde:
Studiencharakteristika und Hauptergebnisse.
|
Gestationsalter (Wochen)
|
Kontrollgruppe
|
Zahl eingeschl. Patienten
|
Zahl Patienten mit Intervention
|
Surfactant-Präparat und Dosis
|
Primäres Zielkriterium
|
Hauptergebnisse
|
Göpel [47]
|
26 – 28
|
jegliche Standardtherapie
|
220
|
65
|
Curosurf, Survanta oder Alveofact nach zentrumsspezifischem Standard, 100 mg/kg
|
Notwendigkeit MV oder zwar ohne MV, aber pCO2 > 65 mmHg oder FiO2 > 0,6 oder beides für mehr als 2 Stunden zwischen Lebensstd. 25 und 72
|
niedrigere Rate des primären Zielkriteriums in der Interventionsgruppe (28 % vs. 46 %),
signifikant kürzere Dauer von MV und O2-Bedarf in der Interventionsgruppe
|
Kanmaz [48]
|
< 32
|
InSurE
|
200
|
100
|
Curosurf 100 mg/kg
|
Notwendigkeit früher MV
|
niedrigere Rate MV während der ersten 72 Stunden in der Interventionsgruppe (30 %
vs.45 %), signifikant Dauer von MV und CPAP in der Interventionsgruppe, weniger BPD
in der Interventionsgruppe
|
Heidarzadeh [49]
|
≤ 32
|
InSurE
|
80
|
38
|
Curosurf 200 mg/kg
|
Machbarkeit, Beschreibung des Outcomes
|
niedrigere Rate von NEC und kürzere Dauer von CPAP und Klinikaufenthalt in der Interventionsgruppe,
keine weiteren Unterschiede
|
Kribs [50]
|
23 – 26
|
Intubation und MV
|
211
|
107
|
Curosurf 100 mg/kg
|
Überleben ohne BPD mit 36 Wochen
|
kein signifikanter Unterschied im Überleben ohne BPD (67 % in der Interventionsgruppe
vs. 59 % in der Kontrollgruppe), höhere Rate an Überleben ohne schwere Morbidität
in der Interventionsgruppe (51 % vs. 36 %)
|
Mohammadizadeh [51]
|
≤ 34
|
InSurE
|
38
|
19
|
Curosurf 200 mg/kg
|
Notwendigkeit MV und Dauer der O2-Therapie
|
kein Unterschied in Notwendigkeit von MV, aber Dauer der O2-Therapie signifikant kürzer in Interventionsgruppe
|
Bao [52]
|
28 – 32
|
InSurE
|
90
|
47
|
Curosurf 200 mg/kg
|
Machbarkeit, Rate MV in den ersten 72 Stunden, Dauer MV, CPAP und Sauerstoff, neonatale
Morbidität
|
kein Unterschied in Rate MV in den ersten 72 Stunden, Dauer der O2-Therapie und neonatalen Morbiditäten, aber Dauer von MV und CPAP signifikant kürzer
in Interventionsgruppe
|
FiO2: Sauerstoffkonzentration; MV: maschinelle Beatmung; NEC: nekrotisierende Enterokolitis;
pCO2: Kohlendioxidpartialdruck
Hinsichtlich der Wirksamkeit konnte in allen Studien nach der Surfactant-Gabe eine
Senkung sowohl der Sauerstoffkonzentration (FiO2) als auch des CPAP-Drucks erreicht werden. Die Notwendigkeit einer maschinellen Beatmung
in den ersten 72 Stunden nach der Geburt war seltener und es gab zumindest einen Trend
zu einer kürzeren Dauer der unterschiedlichen Arten der respiratorischen Unterstützung
(maschinelle Beatmung, CPAP, Sauerstoff). Insbesondere für extrem unreife Frühgeborene
mit einem Schwangerschaftsalter unter 27 Wochen wurden eine niedrigere Mortalität,
eine niedrigere Rate höhergradiger Hirnblutungen und weniger Luftlecks (pulmonal interstitielles
Emphysem, Pneumothorax) beschrieben.
Merke: Die Anwendung der Surfactant-Applikation über einen endotrachealen Katheter reduziert
die Notwendigkeit maschineller Beatmung sowie die Dauer der unterschiedlichen Arten
respiratorischer Unterstützung.
Hinsichtlich der beobachteten unerwünschten Ereignisse wird in 10 – 25 % der Fälle
über die Notwendigkeit von mehr als einem Versuch der Sondenplatzierung berichtet.
Ferner treten Apnoen unter der Applikation auf, die eine Maskenbeatmung notwendig
machen (10 – 45 %) oder Bradykardien unter 80/min und Entsättigungen auf Werte unter
80 % von mehr als 10 s Dauer (10 – 35 %). Alle diese Ereignisse können aber durch
Maskenbeatmung gut beherrscht werden. Dislokationen des Katheters oder ein Reflux
des Surfactants aus der Stimmritze werden beobachtet, sind aber von der Erfahrung
der Person abhängig, die die Prozedur durchführt, und insgesamt relativ selten.
Cave: Bei der Anwendung der Surfactant-Applikation über einen endotrachealen Katheter können
während der Prozedur Apnoen, Bradykardien und Entsättigungen auftreten, die eine Maskenbeatmung
erforderlich machen.
Insgesamt lassen die vorhandenen Studien die Anwendung der Surfactant-Applikation
über Sonde unter den jeweils berichteten Bedingungen als sicher erscheinen. Die Methode
ist wirksam mit Blick auf Beatmungsvermeidung und die Studien zeigen auch einen deutlichen
Trend zur Verminderung des Auftretens verschiedener neonataler Komplikationen der
Frühgeburtlichkeit. Eine Meta-Analyse zur Surfactant-Applikation über Sonde liegt
bislang noch nicht vor.
Praxis der Surfactant-Applikation über Sonde
Praxis der Surfactant-Applikation über Sonde
Mehrere der verfügbaren Beobachtungsstudien zur Surfactant-Applikation über Sonde
demonstrieren deutlich, dass es sich bei dieser Methode um ein Element eines Gesamtpakets
von Maßnahmen handelt, das darauf abzielt, die Frühgeborenen unabhängig vom Grad der
Unreife im Rahmen der Primärversorgung zu einer suffizienten Spontanatmung unter CPAP-Unterstützung
zu bringen [40]
[42]. Dazu gehören verschiedenen Maßnahmen, die eine enge Kooperation mit den Geburtshelfern
erfordern. Dies sind vor allem die Durchführung einer Lungenreifungsbehandlung, eine
sorgfältige zeitgerechte Indikationsstellung für die Entbindung, wodurch manifeste
Infektionen und Asphyxien vermieden werden, eine großzügige Sectio-Indikation sowie
die Spätabnabelung mit Ausstreichen der Nabelschnur.
Die Primärversorgung selbst muss das Ziel haben, dem Kind möglichst schonend den Übergang
von der flüssigkeitsgefüllten auf die luftgefüllte Lunge zu ermöglichen. Dies wird
am ehesten durch eine CPAP-Atemunterstützung von Beginn an erreicht, wobei vergleichsweise
hohe CPAP-Drucke angewandt werden (8 – 10 cm H2O). Bei persistierender Apnoe kann der CPAP-Druck vorübergehend auch weiter erhöht
werden oder es können Atemzüge mit definiertem Druck und definierter Dauer appliziert
werden.
Da das Kind während der pulmonalen Transition durch ein Ungleichgewicht zwischen der
reduzierten Fähigkeit zur Sauerstoffaufnahme und einem relativ hohen Sauerstoffverbrauch
gefährdet ist (Abb. [1]), sollten während dieser Phase neben den Maßnahmen zur Unterstützung der Sauerstoffaufnahme
alle weiteren Maßnahmen so gestaltet werden, dass dem Kind so wenig Stress wie möglich
zugemutet und seine Spontanatmung so gut wie möglich unterstützt wird. Dazu gehören
die Vermeidung von Schmerz, der Schutz vor Kälte, Licht und Lärm sowie eine Positionsunterstützung
in einer bequemen Beugelage der Extremitäten.
Abb. 1 Ungleichgewicht während der pulmonalen Transition: reduzierte Sauerstoffaufnahme bei
gleichzeitig hohem Sauerstoffverbrauch.
Bei fortbestehenden Zeichen des ANS trotz dieser Maßnahmen erfolgt die Surfactant-Applikation
dann sehr früh im Krankheitsverlauf, noch bevor der oben beschriebene Alveolarkollpas
entsteht.
Merke: Die Surfactant-Applikation über einen endotrachealen Katheter ist ein Element eines
Maßnahmenpakets, das auf die Vermeidung maschineller Beatmung abzielt.
Abb. [2] zeigt ein Primärversorgungsschema, wie es an unseren Zentren praktiziert wird und
bei dem die Surfactant-Applikation über Sonde lediglich den letzten definierten Therapieschritt
unter vielen darstellt.
Abb. 2 Flussschema zum Ablauf der Primärversorgung sehr kleiner Frühgeborener in der Universitätskinderklinik
Köln (HF: Herzschlagfrequenz; sO2: Sauerstoffsättigung).
Die vorliegenden Studien wurden alle unter definierten organisatorischen Rahmenbedingungen
durchgeführt. Es war jeweils festgelegt, welche Voraussetzungen vor Durchführung der
Maßnahme erfüllt sein mussten. Die Studien erfolgten unter Beachtung der Regeln guter
klinischer Praxis für die Durchführung klinischer Studien (GCP-Guidelines). Daher
kann die Methode bislang auch nur unter diesen Bedingungen als sicher angesehen werden.
Jede Klinik, die die Surfactant-Applikation über Sonde einführen möchte, muss deshalb
die Rahmenbedingungen festlegen, unter denen am jeweiligen Zentrum die Prozedur durchgeführt
werden darf. Tab. [8] liefert einen Überblick über die aus unserer Sicht wesentlichen kindlichen und organisatorischen
Voraussetzungen.
Tabelle 8
Vorausetzungen für die Surfactant-Applikation über einen endotrachealen Katheter.
Sektor
|
Voraussetzungen
|
kindliche Voraussetzungen
|
|
organisatorische Voraussetzungen
|
generell
|
|
apparativ
|
-
Monitor zur Überwachung von Herzfrequenz, Sättigung und Blutdruck
-
Intubationsbesteck (Laryngoskop, Magill-Zange)
-
Tuben in adäquater Größe
-
Absauger
-
Ambubeutel oder gleichwertiges Gerät für Maskenbeatmung
-
CPAP-Gerät, Beatmungsgerät
-
Sauerstoff und Druckluft
-
Notfallmedikamente
|
personell
|
|
Durchführung der Katheterapplikation
Die Katheterapplikation selbst erfolgt nach initialer Stabilisierung des Kindes unter
Fortführung der CPAP-Therapie. Abb. [3] zeigt das notwendige Material.
Abb. 3 Material für die Surfactant-Applikation über einen endotrachealen Katheter: Laryngoskop,
Magill-Zange, Surfactant, Katheter mit Markierung, Tubus in adäquater Größe und eine
Größe kleiner.
Die Applikation wird von einer in der Intubation frühgeborener Kinder erfahrenen Person
unter Assistenz einer weiteren Person durchgeführt, die auch für die Dokumentation
verantwortlich ist. Das Frühgeborene sollte bereits vor Beginn der Applikation an
einen Monitor zur Überwachung der Herzfrequenz und der Sauerstoffsättigung angeschlossen
sein und die beobachteten Werte sollten unter einer festen Einstellung von FiO2 und CPAP-Druck über mehrere Minuten stabil sein. Das Kind sollte vor der Prozedur
mit einem venösen Zugang und einer Magensonde versorgt sein. Dann wird es in Rückenlage
wie zur Intubation gelagert. Es wird anschließend in Facilitated-Tucking-Stellung
gehalten (Abb. [4]), um eine nicht pharmakologische Sedierung zu erzielen.
Abb. 4 „Facilitated Tucking“ als nicht pharmakologische Analgosedierung.
Anschließend wird der Katheter vorbereitet. Genutzt wird ein 5F-Katheter mit endständiger
Öffnung (z. B. Absaugkatheter, Nabelgefäßkatheter). Zunächst wird die mit dem Surfactant-Präparat
gefüllte Spritze aufgesetzt und der Katheter mit dem Surfactant durchgespült. Mit
einem sterilen Filzstift, wie er für die Festlegung der Schnittführung vor Operationen
auf dem Markt verfügbar ist, erfolgt eine Markierung, bis zu der der Katheter in die
Trachea eingeführt werden soll (1,5 cm für Kinder < 1000 g, 2 cm für Kinder > 1000 g).
Anschließend wird der Katheter in eine Magill-Zange in einem Winkel von ca. 120° eingespannt.
Wenn das Kind nach Lagerung ganz zur Ruhe gekommen ist, beginnt die Laryngoskopie.
Die Stimmritze wird eingestellt, der Katheter wird bis zur Markierung in die Stimmritze
eingeführt, die Magill-Zange wird aus dem Mund entfernt, der Katheter im Mundwinkel
des Kindes festgehalten und unter CPAP-unterstützter Spontanatmung wird anschließend
die Surfactant-Präparation langsam möglichst synchron zu den Atemzügen appliziert.
Dabei hängt es von der angewandten Surfactant-Präparation und dem notwendigen Volumen
ab, in welcher Geschwindigkeit das Präparat appliziert werden muss. In der Regel handelt
es sich um eine Zeitspanne von etwa 30 – 120 s.
Nach der Surfactant-Applikation kann es ggf. notwendig sein, den CPAP-Druck vorübergehend
zu erhöhen oder das Kind, auch wenn es zu einer Apnoe oder Bradykardie kommt, kurzfristig
mit der Maske zu beatmen. Zum Abschluss der Applikation wird die Magensonde aspiriert,
um eine Fehlapplikation auszuschließen.
Sehr verbreitet hat sich auch der Zugang des Applikationskatheters über den nasalen
Weg. Dabei kann die Sonde entweder an einem Prong des binasalen CPAP vorbeigeschoben
werden oder es wird ein mononasaler Rachentubus verwendet, der den Weg auf der kontralateralen
Seite für den Surfactant-Katheter freilässt. Die Intubation mit dem Katheter erfolgt
dann analog einer nasotrachealen Intubation.
Im Anschluss an die Surfactant-Gabe muss das Kind ebenso engmaschig und streng überwacht
werden wie nach einer endotrachealen Surfactant-Applikation über einen Endotrachealtubus,
da es sehr schnell zu einer Veränderung der Compliance kommen kann und CPAP-Druck
und Sauerstoffkonzentration kontinuierlich an den Bedarf angepasst werden müssen.
In dieser Phase ist auch eine engmaschige Dokumentation von Herzfrequenz und Sättigung
sowie von CPAP-Druck und FiO2 sinnvoll. Eine akzidentelle Dislokation des CPAP-Systems ist zwingend zu vermeiden.
Sie entspricht in ihren Konsequenzen einer akzidentellen Extubation eines intubierten
Kindes.
Wesentliche Aspekte bei der weiteren Behandlung des Kindes
Mit der Applikation von Surfactant ist das ANS noch nicht überwunden. Surfactant muss
sich zunächst in der Lunge verteilen, die FRC muss etabliert werden, die Lungenstrombahn
muss sich vollständig eröffnen, das Lungenwasser, das während der unmittelbar postnatalen
Phase ins Interstitium resorbiert worden ist, muss von Blut- und Lymphgefäßen abtransportiert
werden. Bis zum Abschluss dieser Prozesse ist es extrem wichtig, die Lunge vor einem
erneuten Kollaps zu schützen. Der CPAP-Druck muss durchgehend aufrechterhalten bleiben.
Das Kind muss engmaschig beobachtet werden.
Es sollte festgelegt werden, in welchen Abständen Dyspnoezeichen (z. B. anhand des
Silverman-Scores), Sauerstoffbedarf, pulsoxymetrisch bestimmte Sauerstoffsättigung
und Atemfrequenz dokumentiert werden. Mittels dieser Größen kann ein Algorithmus definiert
werden, anhand dessen die Therapie eskaliert oder deeskaliert werden kann. Auch kurzfristige
Unterbrechungen des CPAP beim Wechsel der CPAP-Prongs oder -Masken müssen unbedingt
vermieden werden.
In der Praxis hat es sich bewährt, den CPAP-Druck nicht zu senken, bevor die FiO2 unter 0,25 reduziert wurde. Diskonnektiert werden sollte der CPAP erst, wenn die
FiO2 bei 0,21 liegt und der CPAP-Druck < 5 cm H2O beträgt.
Cave: Bis zur vollständigen Überwindung des ANS kommt eine Unterbrechung des CPAP in ihren
Konsequenzen der akzidentellen Extubation eines intubierten Kindes gleich und muss
daher zwingend vermieden werden.
Wenn die FiO2 und der CPAP-Druck im Verlauf der ersten 2 Stunden nach Surfactant-Gabe nicht zu
senken sind, müssen differenzialdiagnostisch eine Fehlapplikation sowie andere Ursachen
als ein ANS ausgeschlossen werden. Zu diesem Zweck sollte eine Röntgenaufnahme des
Thorax großzügig indiziert werden, um einen Pneumothorax oder eine Atelektase sowie
eine inhomogene Belüftung auszuschließen. Sollte sich keine andere Pathologie als
das ANS zeigen, kann im Anschluss eine Wiederholungsgabe erwogen werden. Gerade bei
sehr unreifen Kindern ist jedoch gegebenenfalls auch eine Eskalation der nicht invasiven
Beatmung im Sinne einer nasalen positiven Druckbeatmung (NIPPV) sinnvoll – insbesondere,
um den mittleren Atemwegsdruck zu erhöhen. Bei unzureichendem Atemantrieb ist der
Einsatz von Coffein zur Atemstimulation sehr hilfreich.
Nach Überwinden des ANS muss mit dem Auftreten eines hämodynamisch relevanten Ductus
arteriosus Botalli gerechnet werden. Dies kommt nach der Katheterapplikation unter
CPAP erfahrungsgemäß früher und häufiger vor als unter maschineller Beatmung oder
CPAP alleine, da einerseits sehr viel rascher als unter CPAP alleine der pulmonale
Widerstand bei Anwendung dieser Methode abfällt und andererseits der Druck im Thorax
niedriger ist als unter endotrachealer Beatmung. In der Praxis haben sich daher ein
frühes echokardiographisches Screening nach 12 Stunden und der frühe therapeutische
medikamentöse Ductusverschluss bewährt.
Mögliche Komplikationen und Risiken der Katheterapplikation
Wie oben beschrieben, kann es während oder unmittelbar im Anschluss an die Surfactant-Applikation
über Sonde zu Apnoen, Bradykardien und Entsättigungen kommen. Diese Komplikationen
werden in mehr als 10 % der Applikationen beobachtet, ihr Auftreten wird in allen
vorliegenden Studien beschrieben. Sie können jedoch durchweg durch kurzfristige Maskenbeatmung
oder Erhöhung des Druckes behoben werden.
Eine weitere mögliche Komplikation der Methode ist ihr Versagen. Daher müssen in einem
Therapiekonzept, in dem Surfactant über Sonde appliziert wird, sorgfältig Kriterien
festgelegt werden, anhand derer das Versagen der Methode rechtzeitig erkannt und der
Entschluss zur Therapieeskalation bis hin zu Intubation und Beatmung gefasst wird.
Die vorliegenden Studien geben diesbezüglich unterschiedliche Intubationskriterien
an. Es ist jedoch dringend empfehlenswert, in jedem Zentrum eigene spezifische Kriterien
für eine Therapieeskalation und die jeweiligen Maßnahmen (Coffeingabe, NIPPV, Intubation
und invasive Beatmung) zu definieren, bevor die Methode eingeführt wird.
Langzeitbeobachtungen
Bei allen Methoden, die in der Neonatologie neu eingeführt werden, ist es zwingend
erforderlich, Langzeitauswirkungen zu untersuchen. Bislang liegen erst 2 Berichte
über Nachuntersuchungen von Kindern vor, die mit der Katheterapplikation behandelt
wurden [53]
[54].
Bei der ersten Beobachtung handelt es sich um die Nachuntersuchung der Kinder aus
der ersten Kölner Kohorte im Alter von 6 Jahren [53]. Bedingt durch die niedrigere Mortalität waren das mittlere Gestationsalter sowie
das Geburtsgewicht in der Gruppe der überlebenden Kinder, die mit Katheterapplikation
behandelt worden waren, niedriger als in der Gruppe der Überlebenden der historischen
Kontrolle. Dennoch zeigte die Interventionsgruppe einen Trend zu einer niedrigeren
Rate an Beeinträchtigungen als die vergleichsweise reiferen Kinder der Kontrollgruppe.
Bei dem zweiten Bericht handelt es sich um die Nachuntersuchung mit 36 Monaten in
einem anderen deutschen Zentrum [54]. In dieser Untersuchung zeigten die Kinder der Interventionsgruppe bessere Ergebnisse
in den Bayley-Scales als die historische Kontrolle (MDI: 98 vs. 89, p = 0,16; und
PDI: 91 vs. 83, p = 0,03). Die Aussagekraft dieser Nachuntersuchung ist jedoch wegen
einer niedrigen Follow-up-Rate von nur 51 % bzw. 53 % begrenzt.
Offene Fragen
Die Surfactant-Applikation über Sonde verbreitet sich zusehends vor allem in Europa.
Eine Reihe von Fragen bezüglich dieser Applikationsart ist jedoch noch unbeantwortet:
-
In den vorliegenden Studien wurden verschiedene Surfactant-Präparationen eingesetzt.
Es ist ungeklärt, welche dieser Präparationen unter welchem Gesichtspunkt am besten
geeignet ist. Vergleichende Untersuchungen diesbezüglich liegen nicht vor.
-
Ebenso werden verschiedene Katheter eingesetzt, es wird sowohl der nasale als auch
der orale Weg gewählt. Es ist unklar, welcher Katheter am geeignetsten ist. Während
die starren Katheter den Vorteil haben, ohne weitere Applikationshilfen eingeführt
werden zu können, haben sie den Nachteil, dass durch sie eine vergleichsweise größere
Irritation des Kehlkopfs ausgelöst wird. Es ist nicht vergleichend untersucht, inwiefern
sich solche Effekte auf die Effizienz der Methode auswirken.
-
Eine weiterer, bislang ungeklärter und nicht systematisch untersuchter Aspekt, der
auch immer wieder zu kontroversen Diskussionen führt, ist die Frage nach einer Prämedikation
durch Vagolyse und Analgosedierung.
-
Eine Vagolyse wird an einigen Zentren als Routinemaßnahme vor der Katheterapplikation
durchgeführt, systematisch erhobene Daten, ob dadurch das Auftreten von Bradykardien
reduziert wird, liegen jedoch nicht vor.
-
Eine Analgosedierung für die Durchführung der Applikation muss kontrovers diskutiert
werden. Einerseits ist sicherlich eine Analgosedierung unter dem Gesichtspunkt der
Stressminimierung wünschenswert, andererseits erfordert aber die Surfactant-Applikation
über Sonde die Spontanatmung des Kindes, die durch jede Form der pharmakologischen
Sedierung negativ beeinflusst wird. Die nicht pharmakologische Sedierung durch Facilitated
Tucking stellt hier eine denkbare Alternative dar, die aber bislang nicht systematisch
untersucht ist. Nach unserer klinischen Erfahrung wird mit zunehmendem Gestationsalter
und ansteigendem Gewicht die Anwendung der Surfactant-Applikation über Katheter ohne
pharmakologische Analgosedierung schwieriger. Da aber gleichzeitig die Anlage einer
LMA leichter wird, muss diskutiert werden, ob nicht u. U. für Kinder mit einem Gestationsalter
über 32 Wochen und/oder einem Gewicht über 1200 g der Applikationsweg über LMA günstiger
ist als der über die endotracheale Sonde.
-
Grundsätzlich muss, wie bei allen Therapieformen in der Neonatologie, nach den Langzeiteffekten
der Methode gefragt werden. Hierzu ist die Datenlage derzeit noch spärlich. Eine systematische
Nachuntersuchung der in die Studien eingeschlossenen Kinder sollte dringend erfolgen.
Zusammenfassung
Sofort nach Geburt begonnener CPAP wird zunehmend als primäre respiratorische Therapie
bei Frühgeborenen mit ANS eingesetzt, da durch mehrere prospektive randomisierte Studien
nachgewiesen wurde, dass diese Therapie der primären Intubation mit Surfactant-Gabe
gleichwertig ist. Da Surfactant die einzige kausale Therapie des ANS ist, bleibt die
Hypothese, dass CPAP mit Surfactant, aber ohne jegliche Beatmung, eine weitere Optimierung
der Therapie darstellen könnte. Daraus ergibt sich ein Bedarf für weniger invasive
Applikationswege für Surfactant, durch die jegliche tracheale Beatmung vermieden werden
kann.
Die Applikation in den Pharynx, die Verneblung von Surfactant, die Gabe über eine
LMA und die Applikation über einen dünnen endotrachealen Katheter sind als solche
Wege beschrieben worden. Die Katheterapplikation ist hierbei die mittlerweile am besten
untersuchte Methode, für die bislang 6 randomisierte Studien vorliegen. Sie geht mit
einer Reduktion des Beatmungsbedarfs und einer geringeren Rate neonataler Komplikationen
einher. Für Kinder mit einem Gewicht über 1200 g liegen Daten zur Applikation über
eine LMA vor, die diesen Weg vielversprechend erscheinen lassen.
Insgesamt sind für die Katheterapplikation viele technische Details noch ungeklärt.
Dazu gehört die Frage nach dem idealen Präparat, dem idealen Katheter und der bestmöglichen
Anwendung unterstützender Therapien wie der Coffeintherapie zur Steigerung des Atemantriebs
oder der Anwendung eskalierender nicht invasiver Beatmungsformen (z. B. NIPPV). Alle
diese Themen erfordern weitere Studien. Ebenso muss untersucht werden, ob für reifere
Frühgeborene die Applikation über LMA der Katheterapplikation gleichwertig oder unter-
bzw. überlegen ist.
Letztlich ist ein Follow-up der in die Studien eingeschlossenen Kinder zwingend erforderlich,
um Langzeitauswirkungen zu evaluieren.