Dtsch Med Wochenschr 2016; 141(11): 750
DOI: 10.1055/s-0042-107330
Klinischer Fortschritt
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

„Inflammaging“ – Altern als Folge von Entzündungsvorgängen

„Inflammaging“ – aging as consequence of inflammation
Cornel C. Sieber
1   Instituts für Biomedizin des Alterns an der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg
2   Klinik für Allgemeine Innere Medizin und Geriatrie, Krankenhaus Barmherzige Brüder, Regensburg
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Publication Date:
02 June 2016 (online)

Die Frage, was Altern bedingt, beschäftigt die Menschen seit der Antike. So ist es nicht erstaunlich, dass es aktuell Dutzende von Theorien gibt, was sogenanntes normales Altern beeinflusst. Sicher ist, dass das genetische „Make-up“ jedes Menschen quantitativ eher ein untergeordnete Rolle spielt, wenn es um die Frage der individuellen Lebensspanne geht.

Entzündungsphänomene – ob akut oder chronisch – sind aufgrund des damit verbundenen oxidativen Stresses sicherlich mit Katabolismus und Alterungsphänomenen verbunden. Dies war denn auch der Grund, dass der Terminus „Inflammaging“ geprägt wurde, um damit quasi Altern kausal mit Entzündungsvorgängen zu verbinden [1]. Altern ist nach diesem Konzept primär Folge eines meist unterschwelligen Entzündungsvorganges zu sehen. Dabei wäre individuell bedingt, in welchem Organ oder welchen Organsystemen diese Entzündungsphänomene primär auftreten. Neben endogenen sind es nach dieser Theorie auch weiter exogene Ursachen, die diese Vorgänge beschleunigen oder verlangsamen, bisweilen gar verhindern. Diese Theorie hat insofern Charme, als sie die Modulierbarkeit von Alterungsvorgängen sowohl präventiv wie auch therapeutisch impliziert.

Betagte Menschen leiden oft unter einer Multimorbidität, wobei wir aktuell primär (Mono-)Pathologien nach dem ICD-System kodieren. Im Zusammenspiel dieser Palette von parallel meist chronischen Erkrankungen ergeben sich als klinischer Endpunkt Einschränkungen in der Funktionalität und damit Selbstständigkeit, was betagte Menschen in allen Lebensbereichen beeinträchtigt. Auch das Überleben wird durch Behinderungen – und nicht etwa die Anzahl der Krankheiten – bestimmt [2]. Es sind aber jenseits des 75. Lebensjahres vor allem die funktionellen Defizite in den (instrumentellen) Aktivitäten des täglichen Lebens sowie in der Kognition, die an Quantität exponenziell zunehmen [3].

Quasi exemplarisch hierfür stehen zwei Arbeiten in dieser Ausgabe der DMW. Die eine Arbeit befasst sich mit dem Immunsystem und rheumatischen Erkrankungen im Alter. Kollege Schirmer zeigt dabei an häufigen rheumatischen Erkrankungen, dass der Alterung und damit Reduktion der Thymusfunktion eine zentrale Bedeutung zukommt. Eine akzelerierte Alterung der Immunfunktion und der damit verbundenen Entzündungsphänomene stützt hierbei das Konzept des „Inflammaging“, zeigt aber auch auf, dass anti-entzündliche Therapien diese Vorgänge ganz im Sinne der Betroffenen positiv beeinflussen können. Physisches Altern ist somit modulierbar, zugleich ein Wunsch wie ein Erfolg.

Im Artikel von Volkert et al. wird der Frage der Ernährung im Kontext von Demenzkrankheiten eingegangen. Es handelt sich dabei um eine kondensierte Form der kürzlich publizierten europäischen ESPEN-Leitlinien [4]. Anhand von 26 Empfehlungen wird aufgezeigt, dass der Ernährung bei den Demenzerkrankungen nicht nur eine bedeutende Rolle zukommt, sondern dass mit einer ausgewogenen (quantitativ und qualitativ) anti-oxidativen und somit Entzündungs-modulierenden Ernährung auch therapeutische Möglichkeiten existieren.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Entzündungsvorgänge eine zentrale Rolle bei Alterungsvorgängen spielen. Präventive wie auch therapeutische Strategien entpuppen sich hierbei zwar nicht als eigentlicher Jungbrunnen, aber doch als Funktions-erhaltende Quelle.

 
  • Literatur

  • 1 Franceschi C, Bonafè M, Valensin S et al. Inflamm-Aging. An evolutionary perspective on immunosenescence. Ann N Y Acad Sci 2000; 908: 244-254
  • 2 Landi F, Liperoti R, Russo A et al. Disability, more than multimorbidity, was predictive of mortality among older persons aged 80 years and older. J Clin Epidemiol 2010; 63: 752-759
  • 3 Santoli G, Angleman S, Welmer AK et al. Age-Related Variation in Health Status after Age 60. PLoS One 2015; 10: e012007716
  • 4 Volkert D, Chourdakis M, Faxen-Irving G et al. ESPEN Guidelines on Nutrition in Dementia. Clin Nutr 2015; 34: 1052-1073