Aktuelle Urol 2016; 47(02): 118-119
DOI: 10.1055/s-0042-106003
Referiert und kommentiert
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Traumatische Harnröhrenverletzung – Primär endoskopische versus konservative Therapie

Contributor(s):
Judith Lorenz
Johnsen et al.
J Urol 2015;
194: 1022-1026
Further Information

Publication History

Publication Date:
14 April 2016 (online)

 

Ein Urethraabriss infolge eines Beckentraumas beim Mann kann mittels primärem endoskopischem Realignment (PER) oder durch die alleinige Anlage eines suprapubischen Katheters (SPK) versorgt werden. Es wird angenommen, dass nach endoskopischem Verletzungsmanagement schneller eine unbehinderte Miktion möglich ist und dass im weiteren Verlauf seltener eine Harnröhrenplastik erforderlich wird. Johnsen und Kollegen haben untersucht, welches Vorgehen zu besseren klinischen Ergebnissen führt.
J Urol 2015; 194; 1022–1026

mit Kommentar

Die US-amerikanische Arbeitsgruppe der urologischen Klinik der Vanderbilt-Universität in Nashville / Tennessee hat retrospektiv die Daten von 41 männlichen Patienten, die zwischen 2000 und 2014 eine durch ein stumpfes Beckentrauma verursachte isolierte posteriore Urethraverletzung erlitten hatten, ausgewertet. 27 Patienten waren initial mittels PER und 14 mittels SPK behandelt worden. Die Studienendpunkte umfassten

  • die Rate erfolgreicher endoskopischer Eingriffe (keine interventionsbedürftige Urethrastriktur nach Katheterentfernung),

  • die Rate rekonstruktiver Harnröhren-Eingriffe,

  • die Zeit bis zur Harnröhrenplastik,

  • die Erfolgsrate nach Harnröhrenplastik,

  • periinterventionelle Komplikationen,

  • das langfristige funktionelle Outcome.

Die PER- und die SPK-Behandlungsgruppe zeigten bezüglich des Alters der Patienten (34 ± 14,3 vs. 42 ± 14,4 Jahre), des Verletzungsmechanismus sowie des Grads der Urethraschädigung eine vergleichbare Zusammensetzung. In 18 (66,7 %) bzw. 10 (71,4 %) Fällen lag ein vollständiger Harnröhrenabriss vor. Das durchschnittliche Follow-up betrug 40 Monate (median 24; range 1–152). Bei endoskopischem Management betrug die durchschnittliche Zeit bis zum Realignment 1,5 Tage (median 0,5; range 0–13) und die durchschnittliche Liegedauer des Katheters 60,9 Tage (median 48; range 18–186).

Meist weitere Intervention notwendig

Bei 10 der 27 primär endoskopisch behandelten Patienten (37 %) führte der Eingriff nach einem durchschnittlichen Follow-up von 67,3 Wochen (median 27,3; range 4–284) zum gewünschten Erfolg. In 17 Fällen (63 %) wurde jedoch nach einem durchschnittlichen Follow-up von 9,7 Wochen (median 8,5; range 1–26) eine weitere Intervention notwendig. Der Erfolg des primären endoskopischen Realignments war unabhängig vom Schweregrad der Urethraverletzung.

Bei 7 (25,9 %) der endoskopisch und bei 11 (78,6 %) der mittels SPK behandelten Patienten wurde eine Harnröhrenplastik notwendig (p = 0,0023). Die Zeit zwischen dem Trauma und der Urethroplastik war hierbei in der Endoskopie-Gruppe signifikant länger als in der Katheter-Gruppe (durchschnittlich 14,6 ± 7,6 vs. 5,8 ± 1,6 Monate; p = 0,003). Bezüglich der durchschnittlichen Dauer des operativen Eingriffs, der chirurgischen Erfolgsrate, der periinterventionellen Komplikationen sowie der Häufigkeit einer postoperativen erektilen Dysfunktion bzw. einer Urininkontinenz unterschieden sich die beiden Gruppen hingegen nicht.

Fazit

Bei etwa jedem dritten Patienten mit einer Urethraschädigung nach stumpfem Beckentrauma, so das Fazit der Autoren, ist mittels einmaligem PER eine erfolgreiche Behandlung möglich. Obwohl im Studienkollektiv bei der Mehrheit der Patienten aufgrund einer therapiebedürftigen Harnröhrenstriktur eine weitere urologische Intervention – meist ein erneuter endoskopischer Eingriff – erforderlich wurde, konnte bei etwa jedem zweiten dieser Patienten eine sekundäre chirurgische Harnröhrenrekonstruktion vermieden werden.


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Kommentar

Primäres Realignment ersetzt spätere Harnröhren-rekonstruktion nicht

Johnsen et al. nehmen sich in dieser retrospektiven Studie eines seit langem und immer noch kontrovers diskutierten Themas an. Sollte bei einer traumatischen Harnröhrenverletzung ein primäres Realignment oder lediglich die suprapubische Harnableitung in der Akutsituation erfolgen? In den AUA Guidelines wird das primäre Realignment mit einer Grad-C-Evidenz empfohlen, was die Unsicherheit mit dieser Therapie widerspiegelt. In dieser Studie handelt es sich um Ergebnisse aus einem einzelnen Zentrum mit einer kleinen Fallzahl.

Über den langen Beobachtungszeitraum von 15 Jahren wurden letztlich 41 Patienten behandelt, wovon 27 ein primäres Realignment und 14 primär eine suprapubische Harnableitung erhielten. Die Autoren teilen uns leider nicht mit, nach welchen Kriterien das entsprechende Vorgehen gewählt wurde. Dies wäre aber für die richtige Einordnung der Ergebnisse von entscheidender Bedeutung.

Ein erfolgreiches Realignment wurde bei 10/27 (37 %) erreicht. Dazu war aber im Durchschnitt eine sehr lange transurethrale Katheterableitung für im Durchschnitt 61 Tage erforderlich. Erfolgskriterien wie zum Beispiel Uroflowmetrie und Restharn geben die Autoren nicht an. Das Follow-up in dieser Gruppe beträgt lediglich 67 Wochen, sodass die Spätstrikturen nicht erfasst sind. Von den Patienten in der Gruppe des primären Realignments erhielten nur 25 % eine spätere Urethroplastik, während in der anderen Gruppe fast 80 % eine Urethroplastik bekamen.

Die Studie kann deutlich zeigen, dass durch das primäre Realignment zum einen ein hoher Prozentsatz der Patienten keiner definitiven Therapie zugeführt wird, zum anderen die definitive Therapie statistisch signifikant später durchgeführt wird. Durch das primäre Realignment wird die Kontinuität zwischen Harnröhre und Blase wiederhergestellt, sodass endoskopische Verfahren oder ein Selbstkatheterismus bevorzugt verwendet werden. Die offene OP mit hohen Erfolgsraten im Langzeitverlauf tritt dadurch in den Hintergrund.

Längere OP-Zeit nach primärem Realignment nicht zu erklären

Die längere OP-Zeit nach primärem Realignment, wie sie von den Autoren berichtet wird, ist in unseren Augen nicht erklärbar. Die offene OP wird dadurch eher vereinfacht, da die Kontinuität der Harnröhre wiederhergestellt ist. Unsere Erfahrung deckt sich auch mit denen anderer Arbeitsgruppen [ 1 ]. Im eigenen Patientengut gibt es keine Unterschiede bezüglich der Erfolgsrate oder der OP-Zeit zwischen den beiden Verfahren. Andere Arbeitsgruppen sehen bei ihren Patienten eine niedrigere Erfolgsrate für die offene OP nach primären Realignment [ 2 ], [ 3 ].

Hohe Rate an erektiler Dysfunktion und Harninkontinenz

Die hohe ED-Rate von 80–90 % sowie die hohe Rate an Stressharninkontinenz von 8–9 % sind unabhängig von den gewählten Verfahren. Hauptursache hierfür ist die Schwere des Beckentraumas. Nur die zusätzliche Verletzung des Blasenhalses führt bei diesen Traumata zur Harninkontinenz. Leider fehlen genauere Angaben zu dieser wichtigen Thematik.

Fazit

Auch diese Publikation kann die Frage Primäres Realignment oder suprapubische Harnableitung als erste Maßnahme nach traumatischer Harnröhrenverletzung nicht abschließend beantworten. Die Studie macht aber deutlich, dass eine hohe Misserfolgsrate bei primärem Realignment besteht und diese Therapie zu einer signifikanten Verzögerung der definitiven Therapie führt. Sie ersetzt auch nicht die spätere offene Rekonstruktion. Aus diesem Grunde führen wir in der eigenen Klinik primär die suprapubische Harnableitung durch. Drei Monate später erfolgt danach die offene Harnröhrenrekonstruktion mittels bulboprostatischer Reanastomose.

PD Dr. Roland Dahlem, Hamburg


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PD Dr. Roland Dahlem


ist Leitender Oberarzt der Klinik und Poliklinik für Urologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

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  • Literatur

  • 1 Koraitim MM. Effect of early realignment on length and delayed repair of postpelvic fracture urethral injury. Urology 2012; 79: 912-915
  • 2 Tausch TJ, Morey AF, Scott JF et al. Unintended negative consequences of primary endoscopic realignment for men with pelvic fracture urethral injuries. J Urol 2014; 192: 1720-1724
  • 3 Singh BP, Andankar MG, Swain SK et al. Impact of prior urethral manipulation on outcome of anastomotic urethroplasty for post-traumatic urethral stricture. Urology 2010; 75: 179-182

  • Literatur

  • 1 Koraitim MM. Effect of early realignment on length and delayed repair of postpelvic fracture urethral injury. Urology 2012; 79: 912-915
  • 2 Tausch TJ, Morey AF, Scott JF et al. Unintended negative consequences of primary endoscopic realignment for men with pelvic fracture urethral injuries. J Urol 2014; 192: 1720-1724
  • 3 Singh BP, Andankar MG, Swain SK et al. Impact of prior urethral manipulation on outcome of anastomotic urethroplasty for post-traumatic urethral stricture. Urology 2010; 75: 179-182

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