Klin Padiatr 2016; 228(03): 103-104
DOI: 10.1055/s-0042-105582
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Editorial

Angelika Eggert
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Prof. Dr. med. Angelika Eggert
Vorstandsvorsitzende der GPOH
Klinik für Pädiatrie m.S. Onkologie und Hämatologie
Charité Universitätsmedizin Berlin
Augustenburger Platz 1
13353 Berlin
Phone: +49/30/450 566 132   
Fax: +49/30/450 566 906   

Publication History

Publication Date:
02 May 2016 (online)

 

Liebe Leserinnen und Leser,

auch in dieser Ausgabe der klinischen Pädiatrie erwarten uns zahlreiche spannende Beiträge zu unterschiedlichen Aspekten der pädiatrischen Onkologie. Bei dieser Gelegenheit darf ich mich im Namen unserer Fachgesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie (GPOH) sehr herzlich für die langjährige extrem engagierte und erfolgreiche Arbeit von Prof. Dr. Dieter Körholz, Universitäts-Kinderklinik Gießen, als Herausgeber der Klinischen Pädiatrie und Spartenherausgeber für die Pädiatrische Onkologie und Hämatologie bedanken! Herr Prof. Körholz möchte sich nach seinem Umzug von Halle nach Gießen in der nächsten Zeit verstärkt dem Aufbau und Ausbau seiner neuen Klinik widmen.


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Daher freuen wir uns sehr über die Bereitschaft von Prof. Dr. Christian Kratz, Universitäts-Kinderklinik der MH Hannover, die Aufgabe des Spartenherausgebers für die Pädiatrische Onkologie und Hämatologie zukünftig zu übernehmen und begrüßen ihn hiermit herzlich in dieser wichtigen neuen Aufgabe! Ein neuer Fokus der pädiatrischen Onkologie in der Klinischen Pädiatrie wird sicherlich die verstärkte Publikation etablierter Therapieempfehlungen im Sinne von Register-Protokollen sein. Wir möchten alle Kolleginnen und Kollegen herzlich dazu einladen, entsprechende Manuskripte einzureichen!

Im Februar wurde in Berlin der Deutsche Krebskongress 2016 – diesmal unter erheblicher Beteiligung pädiatrisch-onkologischer Kolleginnen und Kollegen mit insgesamt 51 Vorträgen und 29 Posterpräsentationen – mit einem Besucherrekord von mehr als 11 000 Teilnehmern erfolgreich durchgeführt. Als Kongresspräsidentin hatte ich dazu das Motto der „P4-Medizin“ gewählt, das auch in der pädiatrischen Onkologie von besonderer Aktualität und Wichtigkeit ist und daher hier kurz beleuchtet werden soll. Der Begriff der P4-Medizin wurde bereits vor einigen Jahren von dem amerikanischen Biologen Leroy Hood geprägt und enthält die Kernworte präventiv, prädiktiv, personalisiert und partizipativ, die den Wechsel von einer reaktiven zu einer mehr proaktiven und individualisierten Medizin beschreiben sollen. Die P4 Krebsmedizin verfolgt die folgenden Ziele:

  • die möglichst frühe Erkennung einer Krebserkrankung, um eine erfolgreiche Therapie zu ermöglichen

  • die Aufteilung von Patienten in biologisch ähnliche Gruppen, die die Auswahl einer gezielten und möglichst optimalen Behandlung erlauben

  • die Reduktion von Nebenwirkungen durch frühe Analysen des individuellen Ansprechens auf Medikamente

  • die verbesserte Identifikation molekularer Zielstrukturen für die Entwicklung neuer Medikamente

  • die Reduktion von Zeit, Kosten und Versagensquoten klinischer Studien

  • den Wechsel von reaktiver Medizin zu effizienter Prävention

Prädiktiv

Die prädiktive Medizin fokussiert sich dabei darauf, das individuelle genetische Risiko für eine Krebserkrankung noch vor dem Auftreten klinischer Symptome zu erkennen, um aufzuklären oder präventive Interventionen zu ermöglichen. Erste Daten aus molekularen Analysen kindlicher Tumorrezidive weisen darauf hin, dass bei ca. 10% der Kinder Veränderungen von Krebsprädispositionsgenen in der Keimbahn vorliegen. Da diese Zahl wesentlich höher ist als erwartet, ist es ein wichtiges Anliegen der GPOH, zeitnah eine große Kohorte von Kindern mit einer Krebs-Erstdiagnose systematisch durch eine genomweite Analyse des Erbgutes zu untersuchen, um diese Zahl zu validieren und ggf. Konsequenzen für eine veränderte Krebsfrüherkennungsstrategie in den betroffenen Familien zu ziehen. Geplant ist die flächendeckende Untersuchung aller Kinder mit einer Krebserkrankung über den Zeitraum von 2 Jahren in ganz Deutschland.


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Präventiv

Unter Krebsprävention verstehen wir sowohl die Krebsvorbeugung durch gesunde Lebensführung, die in der Kindheit natürlich von ganz besonderer Wichtigkeit auch im Hinblick auf viele Krebserkrankungen des Erwachsenenalters ist, als auch die Krebsvorsorge durch effiziente Früherkennungsprogramme, die in der pädiatrischen Onkologie bislang weniger im Vordergrund stehen. Umso wichtiger ist in der pädiatrischen Onkologie die Tertiärprävention – die Früherkennung eines Rezidivs und von Spätfolgen im Rahmen strukturierter Nachsorgeprogramme für Überlebende einer kindlichen Krebserkrankung.


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Personalisiert

Das Schlagwort „Personalisiert“ steht wie kein anderes für die Hoffnung auf einen durchschlagenden Fortschritt in der Krebstherapie. Jede Person und jeder individuelle Tumor ist genetisch einzigartig. Diese Einzigartigkeit muss bei der Auswahl der richtigen Therapie berücksichtigt werden. In der personalisierten Krebstherapie geht es darum, auf der Basis molekularer Analysen des Tumorgewebes ausgewählte Patientengruppen mit Medikamenten zu behandeln, die auf das genetische Profil ihrer Zellen zugeschnitten sind. Personalisierte Therapieansätze bedeuten einen fundamentalen Wandel in der systemischen Krebstherapie: im Unterschied zur weitgehend empirischen Ära der Chemotherapie steht bei der personalisierten Krebstherapie die Entwicklung biologisch rationaler Therapien im Vordergrund. Eine enge Interaktion von Grundlagenforschern und Klinikern ist hierfür unabdingbar.

Ein wegweisendes Beispiel einer solchen personalisierten Medizin ist in Deutschland sicherlich das Anfang 2015 gestartete INFORM-Register (INFORM steht für Individualized Treatment For Relapsed Malignancies in Childhood) der pädiatrischen Onkologie: https://www.dkfz.de/de/inform/ueber-inform.html.

Es handelt sich in der ersten Phase zunächst um eine Machbarkeitsstudie, in der die erforderliche Logistik molekularer Analysen optimiert und die Sammlung molekularer und klinischer Daten als Basis für eine zukünftige klinische Studie aufgebaut wird. Bislang wurde an>260 Kindern mit einem Erkrankungsrezidiv untersucht, in wieweit das molekulare Profil eines Tumors hinsichtlich der Identifizierung von Mutationen und anderer genetischer Veränderungen informativ ist und dazu beitragen kann, eine gezielte Behandlung auszuwählen. Bislang zeigten sich in etwa 2/3 der Proben medizinisch potentiell relevante genetische Veränderungen. Unter dem Dach der GPOH sind deutschlandweit 11 Studiengruppen und>50 Rekrutierungszentren am INFORM-Register beteiligt. Koordiniert wird INFORM von Wissenschaftlern des DKFZ, des Universitätsklinikums Heidelberg sowie der Charité in Berlin. Im Rahmen der Registerstudie geben die INFORM-Forscher keine Therapieempfehlungen, sondern lediglich die molekularen Informationen weiter. Nach Abschluss der Register-Phase soll in einer klinischen Studie nach dem Arzneimittelgesetz in mehreren Behandlungsarmen geprüft werden, ob ausgewählte Kombinationen von individualisierten Therapien bessere Heilungserfolge erzielen als die konventionelle Behandlung.


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Partizipativ

Das Motiv des informierten, selbstbestimmten und in jeder Hinsicht aktiv an relevanten Entscheidungen teilnehmenden Patienten hat in den letzten Jahren besonders in der Onkologie an Wichtigkeit gewonnen und wird unter dem Schlagwort „partizipativ“ zusammengefasst. In diesem Themenfeld werden auch in der pädiatrischen Onkologie die folgenden Fragen adressiert: welche Maßnahmen eignen sich für ein individuelles „Empowerment“ der Patienten und ihrer Eltern? In welcher Hinsicht sind Patienten und Patienteneltern heute aktiver, selbstbestimmter oder besser informiert als früher? Was erwartet der aufgeklärte Patient bzw. seine Eltern von seinem Kinderonkologen? Welchen ethischen und regulatorischen Herausforderungen gilt es zu begegnen? Wie wird sich die personalisierte Medizin auf die Gesundheitskompetenz und die Selbstbestimmung des Patienten auswirken?

Zusätzlich zu den genannten „4 P“ ergeben sich in der Krebsmedizin noch 3 weitere „P“:


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Präzise

Die Krebsbehandlung erfolgt nicht nur in der systemischen Krebsmedizin zunehmend zielgenau. „Präzisionsmedizin“ beschreibt auch sehr gut die aktuellen Entwicklungen in der Strahlentherapie, wie die Protonentherapie und die Schwerionentherapie. Ebenso machen neue chirurgische Techniken wie die Fluoreszenz-gestützte Mikrochirurgie die operative Behandlung von Tumoren zunehmend präzise. Besonders bei der operativen Entfernung von Hirntumoren müssen die Neurochirurgen sehr exakt arbeiten, damit die Patienten möglichst wenig neurologische Folgeschäden davontragen.


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Palliativ

Eine wichtige Säule der kinderonkologischen Therapie stellen auch die Kinderpalliativteams dar. Sie betreuen aktiv und umfassend Kinder, Jugendliche und deren Familien, wenn die Erkrankung das Leben frühzeitig begrenzt. Zum Team gehören Kinderonkologen und Kinderpflegekräfte mit Fachweiterbildung in Palliativmedizin sowie Sozialpädagogen, Psychologen und Seelsorger mit „palliative care“ Ausbildung. Hauptziel einer kinderonkologischen Palliativversorgung ist eine umfassende Betreuung im ambulanten/stationären Bereich, die auf die Bedürfnisse und Ressourcen der Kinder, Jugendlichen und ihrer Familien eingeht. Durch effiziente Symptomkontrolle soll ein hohes Maß an Lebensqualität und Selbstbestimmung erhalten werden. Zudem soll eine Betreuung in der vertrauten häuslichen Umgebung der Patienten und ihrer Familien sichergestellt werden.


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Psychosoziale Versorgung

Heute sind psychosoziale Mitarbeiter an mehr als 70 kinderonkologischen Zentren in Deutschland, Österreich und der Schweiz tätig. Sie beraten, begleiten, unterstützen und intervenieren. Sie geben den Betroffenen Anleitungen und ggf. therapeutische Hilfestellungen. Ihre Aufgaben liegen dabei in der Stützung der vorhandenen Ressourcen und Kompetenzen sowie in der Bewältigung, Bearbeitung und Verhinderung von Belastungen und Problemen der Familien. Die Art der Hilfestellung orientiert sich dabei an den Erfordernissen, Bedingungen und Wünschen des Einzelnen und seines Umfeldes. Die psychosoziale Versorgung ist ein essentieller und anerkannter Teil der Behandlung onkologisch und hämatologisch erkrankter Kinder.

Die „P4+3 – Medizin“ wird in den kommenden Jahren sicherlich auch weiterhin einen hohen Stellenwert in der Versorgung kinderonkologischer Patienten haben. Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen beim Lesen der interessanten Beiträge in dieser Ausgabe der Klinischen Pädiatrie!


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Prof. Dr. med. Angelika Eggert
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