Schlüsselwörter
Vertragsärztliche Versorgung - Kommune - Öffentlicher Gesundheitsdienst
Key words
service by panel doctors - municipality - public health service
Einleitung
Trotz einer sehr guten Ausgangslage steht die Gesundheitsversorgung in Deutschland
vor vielfältigen Herausforderungen. Vor diesem Hintergrund sind neue Strategien, Modelle,
Strukturen und Rahmenbedingungen für die Gesundheitsversorgung erforderlich [1]
[2]
[3]. Besonders diskutiert wird das Thema eines drohenden Fachkräftemangels [3]. Neben einem prognostizierten Mangel in den Pflegeberufen droht ein Ärztemangel
– insbesondere hinsichtlich der hausärztlichen Versorgung in ländlichen, strukturschwachen
Räumen [3]
[4]
[5]. In den letzten Jahren wurden auf Bundesebene mehrfach die gesetzlichen Rahmenbedingungen
angepasst, um die wohnortnahe und flächendeckende vertragsärztliche Versorgung zu
erhalten und weiterzuentwickeln[1]. Die Neufassung der Bedarfsplanungs-Richtlinie zum 1. Januar 2013 durch den Gemeinsamen
Bundesausschuss zielte auf die Flexibilisierung, Weiterentwicklung und Verbesserung
wohnortnaher Versorgung über z. B. die Definition von Versorgungsebenen, die Weiterentwicklung
des Demografiefaktors sowie die Einbeziehung von Arztgruppen, die bisher nicht in
die Bedarfsplanung einbezogen waren [6]. Außerdem ermöglicht die überarbeitete Richtlinie verstärkt regionale Entscheidungsspielräume
bei der Bedarfsplanung.
Für die Sicherstellung, Verbesserung und Förderung der ambulanten ärztlichen Versorgung
sind nach § 75, 105 SGB V grundsätzlich die Kassenärztlichen Vereinigungen zuständig.
Aber auch auf kommunaler Ebene wird die Thematik der medizinischen Versorgung, besonders
im ländlichen Raum, von politischen Mandatsträgern und Verwaltungen in den letzten
Jahren vermehrt behandelt [7]
[8]
[9] und zunehmend v. a. hinsichtlich des Beitrags zur Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen
als „mögliches Handlungsfeld für die Kommunalpolitik“ ([10], S. 49) gesehen. Dies deckt sich mit Befragungsergebnissen, die andeuten, dass die
Attraktivität eines Standortes und „weiche Standortfaktoren“ wie Rahmenbedingungen
für die Familie oder die Lebensqualität im Umfeld bei der Niederlassungsentscheidung
von Ärzten eine zentrale Rolle spielen (vgl.: [11]).
Viele Kommunen befassen sich erstmals intensiv mit der aufgrund von Selbstverwaltung,
Korporatismus und sektoraler Abgrenzung des deutschen Gesundheitssystems sehr komplexen
Thematik. Sie stehen vor großen Herausforderungen. Zudem sind viele der Gemeinden
sehr klein und haben geringe Personalressourcen. Bisher mangelte es an neutralen,
qualitativ hochwertigen und auf den Einzelfall bezogenen Unterstützungs- und Beratungsangeboten
für die kommunale Ebene. Für die Unterstützung der Kommunen wurde deshalb das Kommunalbüro
für ärztliche Versorgung auf Grundlage der Regierungserklärung „Gesundheitsland Bayern
– neue Strategien für eine menschliche Medizin“ (20.10.2011) vom Bayerischen Staatsministerium
für Gesundheit und Pflege (StMGP) im Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit
(LGL) in Nürnberg eingerichtet. Nach konzeptioneller Vorarbeit werden seit September
2012 die Dienstleistungen des Kommunalbüros angeboten.
Nachfolgend werden zunächst Ziele, Aufgaben, Zielgruppen und Interventionsansatz dieser
deutschlandweit bisher einzigartigen Einrichtung vorgestellt. Darauf aufbauend werden
Handlungsoptionen und Gestaltungsmöglichkeiten im kommunalen Gesundheitsmanagement
diskutiert sowie die Inanspruchnahme und die Erfahrungen des Kommunalbüros berichtet.
Schließlich wird ein kritisches Resümee für die Implementierungsphase gezogen.
Ziele, Aufgabe und Zielgruppe des Kommunalbüros für ärztliche Versorgung
Ziele, Aufgabe und Zielgruppe des Kommunalbüros für ärztliche Versorgung
Das Beratungs- und Unterstützungsangebot des Kommunalbüros für ärztliche Versorgung
zielt darauf ab, Lösungsmöglichkeiten für Herausforderungen der künftigen gesundheitlichen
Versorgung auf kommunaler Ebene gemeinsam mit Kommunen, der Kassenärztlichen Vereinigung
Bayerns (KVB), Krankenhäusern und öffentlichem Gesundheitsdienst zu entwickeln – unbeschadet
der gesetzlich normierten Sicherstellungsverpflichtung der Kassenärztlichen Vereinigung.
Aufgabenschwerpunkt des Kommunalbüros ist es, als Kompetenzzentrum im Auftrag des
StMGP die Verantwortlichen vor Ort im Sinne der „Hilfe zur Selbsthilfe“ bei der Weiterentwicklung
der Gesundheitsversorgung zu unterstützen. Zielgruppe des Kommunalbüros für ärztliche
Versorgung sind politische Mandatsträger und Verwaltungen der 3 kommunalen Ebenen
in Bayern (Bezirke, Landkreise und Gemeinden) – insbesondere Bürgermeister von Gemeinden.
Das Land Bayern besteht insgesamt aus 2 056 politisch selbständigen Gemeinden, 96
Landkreisen und kreisfreien Städten sowie 7 Bezirken. Über eine Antragsberatung zum
„Förderprogramm zum Erhalt und zur Verbesserung der ärztlichen Versorgung“ des Landes
unterstützt das Kommunalbüro zudem die Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung
durch Modellprojekte.
Interventionsansatz
Assessment
Als Basis der Arbeit des Kommunalbüros für ärztliche Versorgung dient ein systematisches und objektives Assessment zur Identifikation der Ausgangslage im Sinne quantitativer und qualitativer Erhebung
und Analyse der jeweiligen regionalen Versorgungsstrukturen. Das Assessment wird durch
das Kommunalbüro unter Einbeziehung der Verantwortlichen vor Ort (z. B. Bürgermeister,
Kommunalverwaltungen, niedergelassene Ärzte, weitere Leistungserbringer) durchgeführt.
Eine Grundlage der regionalen Analysen bilden 23 Indikatoren zu Demografie, Sozialstruktur,
Gesundheit, Gesundheitsversorgung und Zukunftsperspektive ([Tab. 1]). Das Monitoring der Gesundheitsindikatoren wird ergänzt durch Befunde aus Gesprächen,
Vor-Ort-Begutachtungen von Strukturen und Prozessen sowie der qualitativen Auswertung
von Dokumenten (z. B. Informationsmaterialien der Gemeinde oder von Leistungserbringern),
die das Kommunalbüro durchführt. Wenn bspw. die Übergabe einer Hausarztpraxis geplant
ist, dann werden Stärken und Schwächen der Organisation, Struktur und (Personal-)Ausstattung
der Praxis, sowie die Attraktivität des Praxisstandortes (u. a. Lage, Infrastruktur,
Umfeld) analysiert. Zudem werden gegebenenfalls bereits eingeleitete Aktivitäten erhoben
und in Bezug auf Erreichtes und zu erwartende Erfolgsaussichten ausgewertet.
Tab. 1 Übersicht über 23 Indikatoren zu Demografie, Sozialstruktur, Gesundheit, Gesundheitsversorgung
und Zukunftsperspektive.
Indikatorengruppe
|
Indikatoren
|
Rahmendaten (Demografie, Sozialstruktur, Gesundheit)
|
-
Bevölkerung
-
Einwohner je km2
-
Anteil der unter 18-jährigen
-
Anteil der 18–64-jährigen
-
Anteil der 65-jährigen oder älter
-
Verfügbares Einkommen je Einwohner in Euro
-
Arbeitslosenquote auf Basis aller zivilen Erwerbspersonen (in%)
-
Wanderungssaldo über Gemeindegrenzen
-
Zahl der genehmigten Plätze in Kindertageseinrichtungen absolut
-
Frauen: Lebenserwartung bei der Geburt (in Jahren, 3-Jahres-Mittelwerte)
-
Männer: Lebenserwartung bei der Geburt (in Jahren, 3-Jahres-Mittelwerte)
-
Vorzeitige Sterblichkeit bis unter 65 Jahre je 100 000 Einwohner unter 65 Jahre
-
Pflegebedürftige je 100 000 Einwohner
|
Gesundheitsversorgung (Struktur, Morbidität)
|
-
Einwohner je Arzt in ambulanten Einrichtungen
-
Einwohner je Hausarzt
-
Hausärzte: Versorgungsgrad (in%)
-
Anzahl Krankenhäuser
-
Krankenhausbettendichte je 1 000 Einwohner
-
Entfernung zum nächsten Krankenhaus (in km)a
-
Bösartige Neubildungen je 100 000 Einwohner, altersstandardisiert
-
Krankenhausfälle je 100 000 Einwohner
|
Zukunftsperspektive
|
|
Fachberatung und Vernetzung
Aufbauend auf der Analyse finden ausführliche Beratungsgespräche – in der Regel vor Ort – statt. Zu Beginn stehen dabei zunächst die Vermittlung relevanter
Informationen über Hintergründe, Strukturen und Ansprechpartner der Versorgung sowie
präventive Handlungsstrategien im Vordergrund. Zentrale Themen sind z. B. die vertragsärztliche
Bedarfsplanung, die jeweils aktuelle Versorgungssituation, Zuständigkeiten oder mögliche
Organisationsformen von Arztpraxen. Zudem ist die Sensibilisierung für und Schärfung
des Problembewusstseins, z. B. für aktuelle Trends in der Versorgung und daraus abzuleitende
Entwicklungen und Herausforderungen fester Bestandteil der Beratungsaktivitäten. Gleiches
gilt für die Entwicklung individueller und maßgeschneiderter Lösungsoptionen bei Problemen
zur Verbesserung der Versorgungssituation. Ziel ist jeweils die Entwicklung einer
passgenauen Strategie mit Festlegung konkreter Schritte und zeitlicher Abläufe sowie
die Begleitung, Bewertung und ggf. Weiterentwicklung oder Anpassung entsprechender
Umsetzungsprozesse durch das Kommunalbüro für ärztliche Versorgung. Bspw. kann ein
erster Schritt darin bestehen, vertrauliche Gespräche mit dem/den vor Ort niedergelassenem/n
Hausarzt/Hausärzten zu führen, um Details zu dessen Ideen und Zeitläufen einer anstehenden
Praxisübergabe zu erfahren. Aufbauend auf den Gesprächen kann erneut mit dem Kommunalbüro
gesprochen werden, um die Gesprächsergebnisse zu bewerten und die nächsten konkreten
Schritte zu planen (z. B. das gemeinsame Werben von Kommune und Arzt um einen Nachfolger
inkl. der Erstellung einer geeigneten Kommunikationsstrategie mit Inhalten, Form und
Verbreitungswegen).
Die Unterstützungsleistungen des Kommunalbüros sind Prozess begleitend und erstrecken
sich in der Regel über längere, nicht selten mehrjährige Zeiträume. Sie orientieren
sich konsequent am jeweiligen Bedarf vor Ort. Das Angebot des Kommunalbüros basiert
auf den Prinzipien Objektivität, Neutralität, Systematik, Einzelfallbezug, Kompetenz
und Gemeinwohlorientierung. Es steht für die Kommunen landesweit kostenfrei zur Verfügung.Das
Kommunalbüro setzt auf die Beteiligung und Integration der jeweils relevanten Akteure
aus Politik und Verwaltung sowie der Leistungserbringer. Es wirkt darauf hin, dass
im Sinne eines konzertierten Vorgehens zuständige Ressorts und Personen in die Entwicklung
lösungsorientierter potentieller Handlungsstrategien einbezogen werden. Insbesondere
für ländliche Gemeinden bietet es sich zudem an, sich mit Nachbargemeinden auf ein
abgestimmtes Vorgehen zu verständigen, nach gemeindeübergreifenden Lösungen im Sinne
regionaler Ansiedlungsförderung und Attraktivität zu suchen und (kostenintensive)
Doppelstrukturen oder -aktivitäten zu vermeiden. Das Kommunalbüro unterstützt die
Verantwortlichen vor Ort deshalb bei der Weiterentwicklung und Verbesserung gemeindenaher
Vernetzungsaktivitäten in der Gesundheitsversorgung. Die unteren Behörden für Gesundheit
wirken dabei idealerweise als fachkundige Stellen sowohl bei der Beobachtung und Analyse
als auch in der Politikberatung und gegebenenfalls bei der Maßnahmenentwicklung vor
Ort im Sinne gesundheitspolitischer Steuerung mit. Um die regionalen Versorgungsstrukturen
besser zu koordinieren und eine nachhaltige, regionale Förderungsstruktur zu implementieren,
können „Regionale Gesundheitskonferenzen“ auf Kreisebene dienlich sein. Durch die
Einbindung von stationären Leistungserbringern haben diese das Potenzial, sowohl einer
verbesserten regionalen als auch sektorenübergreifenden Kooperation zwischen ambulantem
und stationärem Sektor wichtige Impulse zu geben [12]
[13]
[14]. Das Kommunalbüro empfiehlt deshalb entsprechende Strukturbildungen auf Kreisebene
– bspw. Gesundheitsregionenplus
[2] [13] – und wirkt bei Gesundheitskonferenzen mit.
Transfer
Über die Analyse, Sensibilisierung, Beratung und Unterstützung im Einzelfall hinaus,
führt das Kommunalbüro für ärztliche Versorgung die in einzelnen Kommunen entwickelten
Ansätze systematisch zusammen und leitet daraus allgemeingültige Empfehlungen für Lösungsstrategien ab. Fester Bestandteil der Arbeit des Kommunalbüros für ärztliche Versorgung ist auch
die fortlaufende Analyse aktueller Problemlagen, Forschungsergebnisse und gesetzlicher
Rahmenbedingungen des Gesundheitssystems und der Versorgungspraxis sowie deren Verbreitung
(z. B. über Informationsmaterialien oder Veranstaltungen wie Versorgungskonferenzen,
Bürgermeisterdienstbesprechungen, Arbeitskreissitzungen und Workshops). Hierzu finden
u. a. regelmäßig Fachgespräche mit dem StMGP, kommunalen Verantwortungsträgern, Akteuren
der Gesundheitsversorgung und weiteren Fachleuten statt. Das Kommunalbüro für ärztliche
Versorgung versteht sich in diesem Zusammenhang zudem als Dienstleister für die beratenen
Kommunen, indem es aktuelle Entwicklungen auf den einzelnen Beratungsfall bezogen
auswertet und entsprechende Konsequenzen und Handlungsbedarfe oder (neu eröffnete)
Handlungsoptionen ableitet und zeitnah kommuniziert. So können sich bspw. durch neue
gesetzliche Regelungen oder die Fortschreibung der Bedarfsplanung (z. B. sich ändernde
Versorgungsgrade oder Zuschnitte von Planungsbereichen) zusätzliche Möglichkeiten
ergeben, oder es müssen bereits entwickelte Strategien angepasst werden. Die Transferaktivitäten
dienen zudem der Vernetzung und sie leisten einen wichtigen Beitrag zur Förderung
des Informationsflusses und des Know-how-Transfers zwischen Landes-, Bezirks- und
regionaler Ebene sowie zwischen Wissenschaft und Praxis.
Handlungsoptionen und Gestaltungsmöglichkeiten im kommunalen Gesundheitsmanagement
Handlungsoptionen und Gestaltungsmöglichkeiten im kommunalen Gesundheitsmanagement
Wegen Zuständigkeitsbereichen von kommunaler Ebene auf der einen und Selbstverwaltungsorganen
sowie Leistungserbringern auf der anderen Seite sind ein erfolgversprechendes kommunales
Gesundheitsmanagement, ein gelingendes Zusammenwirken und die enge Abstimmung des
Vorgehens wichtig. Bei der Suche nach einem Nachfolger für einen frei werdenden Kassensitz
bspw. bilden Gemeinde, Landkreis, Region und die Arztpraxis eine „eng verwobene“ Einheit
von (günstigen oder weniger günstigen) Standortfaktoren.
Handlungsoptionen der Kommunen
Handlungsoptionen der kommunalen Hand liegen dabei zuständigkeitshalber insbesondere
in der Gestaltung und Beeinflussung von Rahmenbedingungen und Lebensqualität im Wohn-
und Arbeitsumfeld. Denn diese scheinen die Niederlassungsentscheidung von Ärzten stark
zu beeinflussen. So verdichten sich die Hinweise darauf, dass die sogenannten „weichen
Standortfaktoren“ durchaus „harte“ Einflussgrößen auf Niederlassungsentscheidungen
darstellen [11]. Die kommunale Hand hat demnach über die Gestaltung von Standortfaktoren durchaus
relevante Einflussmöglichkeiten auf die Weiterentwicklung lokaler und regionaler Gesundheitsversorgung.
Das Kommunalbüro sensibilisiert die beratenen Kommunen hinsichtlich diesbezüglicher
zentraler Standortfaktoren wie Betreuungs- und Schulangebote für die Kinder, berufliche
Möglichkeiten für den Lebenspartner, Wohnqualität, Freizeitmöglichkeiten, kulturelles
Angebot, infrastrukturelle Anbindung (inkl. des ÖPNV) sowie – bei Bedarf – die Bereitstellung
mietgünstiger Praxisräume oder geeigneten Baulandes und die Unterstützung bei der
Suche nach Investoren. Bei Bedarf können Kommunen darüber hinaus – auch gemeindeübergreifend
– kooperative Niederlassungsoptionen und familienfreundliche Formen der Berufsausübung
oder Kooperationen fördern sowie Hol- und Bringdienste für Patienten unterstützen
[11]. Das Kommunalbüro unterstützt die Kommunen bei der Analyse der Stärken und Schwächen
und der Entwicklung einer geeigneten Strategie zur Steigerung der Attraktivität des
Standortes. Die angesprochenen Handlungsoptionen zeigen, dass Fragen des Gesundheitsmanagements
mehrere Zuständigkeiten berühren und ein konzertiertes Vorgehen erfordern. Idealerweise
arbeiten dazu unterschiedliche Ressorts und Sektoren wie Gesundheit und Soziales,
Bildung und Wissenschaft, Bauen und Verkehr sowie Kultur und Sport zusammen.
Handlungsoptionen der Leistungserbringer
Neben Rahmenbedingungen und Lebensqualität haben bekanntermaßen die Ausstattung von
Arztpraxen sowie ihre Struktur und Organisation nicht unerhebliche Auswirkungen auf
die Attraktivität und Niederlassungsfreundlichkeit [15]. Das Kommunalbüro informiert und sensibilisiert die am Beratungsprozess beteiligten
Ärzte deshalb bspw. hinsichtlich veränderter beruflicher Rollenvorstellungen von Ärzten:
So kommt der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, der Etablierung familienfreundlicher
(Arbeits-)Konzepte sowie der Work-Life-Balance eine immer stärkere Bedeutung zu [16]
[17]
[18]
[19]. In der Folge werden kooperative, flexible und an der jeweiligen Lebensphase orientierte
Formen der Praxisorganisation wie Praxisgemeinschaften, Berufsausübungsgemeinschaften
oder Medizinische Versorgungszentren erheblich stärker als in der Vergangenheit nachgefragt
[18]
[20]. Mittlerweile entscheiden sich 46,2% der hausärztlichen Existenzgründer für eine
Kooperation. Der Einstieg in eine Berufsausübungsgemeinschaft ist dabei die häufigste
Kooperationsform [21]. Gleiches gilt für Möglichkeiten als angestellter Arzt im ambulanten Bereich tätig
zu sein [19]
[22]
[23]. Kooperative Organisationsformen bieten darüber hinaus häufig auch wirtschaftliche
Vorteile, sie begünstigen den fachlichen Austausch [24] und können zu einer Steigerung der Arbeitszufriedenheit beitragen [25]. Im Beratungsprozess werden diese Aspekte bspw. mit dem Praxis abgebenden Arzt vor
Ort gemeinsam diskutiert und mit der jeweiligen Praxissituation abgeglichen. Darauf
aufbauend werden konkrete Möglichkeiten und Grenzen der Weiterentwicklung der Praxis
im Sinne der Attraktivitätssteigerung eruiert und wenn möglich in konkrete Handlungsstrategien
überführt. Neben den organisationsbezogenen Aspekten entscheiden auch „ausstattungsbezogene“
Kriterien über den Attraktivitätsgrad bestehender Arztpraxen: Weist die zur Übergabe
stehende Praxis einen Investitionsstau auf? Kann die Organisation der Praxis noch
optimiert werden? [26]
[27] Ist die Praxis barrierefrei ausgestattet oder zugänglich? [27]
[28] Auch die Qualifikation des Praxispersonals gilt es in den Blick zu nehmen. Abgabewillige
Ärzte sind demnach aufgerufen, rechtzeitig entsprechende Aspekte kritisch zu hinterfragen
und ggf. eine Kurskorrektur einzuleiten, um die Attraktivität der Praxis günstig zu
beeinflussen [15]. Nicht zuletzt gilt es für den Praxis abgebenden Arzt in einem „klassischen Käufermarkt“
[15] auch die eigenen finanziellen Forderungen kritisch zu hinterfragen und wenn nötig
zu korrigieren. Das Kommunalbüro moderiert die entsprechenden Prozesse und gibt –
wenn nötig – Unterstützung, z. B. durch Nennung geeigneter Ansprechpartner für Ärzte.
Selbstverständlich stellen die vorangegangenen Handlungsoptionen und -felder nur eine
Auswahl von Möglichkeiten dar. Es ist jeweils im Einzelfall – nach eingehender Analyse
von Ausgangslage, Rahmenbedingungen, Möglichkeiten und Zielen – in Abstimmung mit
den jeweils handelnden Akteuren und unter Berücksichtigung der bestehenden Rahmenbedingungen,
wie sie bspw. durch die Bedarfsplanung, aber auch kommunal- und wettbewerbsrechtliche
Regelungen vorgegeben sind, nach passgenauen und zielführenden Lösungswegen zu suchen.
Idealerweise greifen die Aktivitäten der kommunalen Hand und der (regionalen) Leistungserbringer
bei der Vorbereitung einer Praxisübergabe oder dem Bemühen um eine Neuansiedlung abgestimmt
ineinander, um die Attraktivität des Standortes zu erhalten, weiterzuentwickeln und
nach außen zu bewerben.
Inanspruchnahme des Kommunalbüros und Beratungsanlässe
Inanspruchnahme des Kommunalbüros und Beratungsanlässe
Das Kommunalbüro wurde in den zurückliegenden gut dreieinhalb Jahren sehr gut nachgefragt:
Bis 30.11.2015 waren 233 Beratungsfälle und 155 intensive Beratungsfälle zu verzeichnen.
[Abb. 1] zeigt die dynamisch gestiegene Anzahl der Beratungsfälle vom 1.1.2013 bis 30.11.2015.
Abb. 1 Beratungsfälle des Kommunalbüros für ärztliche Versorgung (kumuliert) vom 1.1.2013
bis 30.11.2015.
68% aller im Rahmen der intensiven Beratungsfälle vorgebrachten Anlässe im Themengebiet
der vertragsärztlichen Versorgung betrafen die hausärztliche Versorgung, 29% die „Allgemeine
Fachärztliche Versorgung“. Die „Spezialisierte Fachärztliche Versorgung“ hingegen
war mit 3% nur selten, die „Gesonderte Fachärztliche Versorgung“ bisher überhaupt
kein Anlass in der Beratung. Eine detailliertere Auswertung aller Beratungsanlässe
der Intensivberatungen ergibt, dass die Themengebiete „Nachfolgesuche im Rahmen der
Vorbereitung einer Übergabe einer Vertragsarztpraxis“ mit 33%, „Neuansiedlung von
Vertragsärzten“ mit 23% sowie „Gründung einer Zweigpraxis“ mit 18% die Interessensschwerpunkte
bildeten. Weitere Anlässe betrafen die Themengebiete „Ärztehäuser/medizinische Versorgungszentren/Berufsausübungsgemeinschaften“
(14%), Bereitschaftsdienst (2%) sowie „Sonstiges“ (9%), wie stationäre, pflegerische
und pharmazeutische Versorgung. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Anlässe
die wahrgenommenen Herausforderungen, den empfundenen „Leidensdruck“ und die Art der
Probleme auf kommunaler Ebene wiederspiegeln.
Aufgrund der relativ langen Zeitläufe – z. B. im Kontext der Vorbereitung und Abwicklung
der Übergabe von Arztpraxen – gestalten sich die Beratungsprozesse langfristiger.
Sie erstrecken sich in der Regel über mehrere Jahre. Von den 155 intensiven Beratungsfällen
wurden bis Ende November 2015 34 abgeschlossen, da auf Nachfrage des Kommunalbüros
kein weiterer Beratungs- und Unterstützungsbedarf seitens der beratenen Kommune mehr
geäußert wurde. In 19 Fällen konnten bereits konkrete Lösungen gefunden werden: So
konnte bspw. in 11 Fällen die Nachfolge einer bestehenden Praxis geregelt werden,
in 4 Fällen konnten Hausarztpraxen erfolgreich neu angesiedelt werden und bei 3 Fällen
konnte über die Etablierung einer Filialpraxis die Versorgung weiterentwickelt werden.
Zudem konnten (häufig zusätzlich) neue Strukturen erfolgreich etabliert werden, indem
z. B. Ärztehäuser oder überörtliche Zusammenschlüsse realisiert wurden.
In 13 Fällen wurde der Beratungsfall abgeschlossen, weil sich die Kommunen sehr gut
beraten fühlten, um anstehende Aktivitäten selbstständig einzuleiten und weiter zu
betreiben. Hier ist dem Kommunalbüro für ärztliche Versorgung nicht bekannt, ob und
mit welchem Ergebnis erarbeitete Strategien zwischenzeitlich umgesetzt werden konnten.
Zum Teil handelt es sich dabei auch um langfristig angelegte, „präventive“ Strategien
zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung ohne akuten Handlungsdruck vor Ort.
In 2 der abgeschlossenen Beratungsfälle zeigten sich die beratenen Kommunen unzufrieden
mit den prinzipiell bestehenden Lösungsmöglichkeiten vor Ort (z. B. aufgrund bestehender
„Restriktionen“ durch die Bedarfsplanung). In beiden Fällen wurde jedoch unabhängig
davon betont, dass die Beratungsleistungen des Kommunalbüros sehr positiv bewertet
werden.
Resümee
Mit dem Kommunalbüro haben die Kommunen in Bayern erstmals einen direkten Ansprechpartner
für Fragen der ärztlichen Versorgung von Landesseite erhalten. Das Beratungsangebot
wird stark nachgefragt. Zentrales Thema ist dabei die wohnortnahe hausärztliche Versorgung.
Ergebnisse bisher abgeschlossener Beratungsfälle weisen darauf hin, dass die empfohlenen
Strategien erfolgreich sein können.
Die Einrichtung des Kommunalbüros kann als Unterstützungsangebot für die kommunale
Ebene und als Maßnahme zur Strukturverbesserung auf Landesebene Modellcharakter auch
für andere Bundesländer haben. Das Fachkonzept scheint geeignet, dabei zu unterstützen,
vorhandene Gestaltungsmöglichkeiten zur Verbesserung der gesundheitlichen Versorgung
zu erkennen und zielgerichtet wahrzunehmen. Empfohlen wird diesbezüglich eine Anbindung
an den öffentlichen Gesundheitsdienst auf Landesebene oder – falls nicht mit entsprechendem
Zuschnitt vorhanden – an die Landesvereinigungen oder Landeszentralen für Gesundheit
sowie eine Vernetzung mit bestehenden Strukturen wie regionalen oder Landesgesundheitskonferenzen.
Die Zusammenarbeit mit der für die Sicherstellung zuständigen KVB hat sich als fruchtbar
für die Beratungsprozesse herausgestellt. Dies gilt auch für die Kooperation mit dem
öffentlichen Gesundheitsdienst. Die Aktivitäten sind darüber hinaus in hohem Maße
anschlussfähig an die kommunale Gesundheitsberichterstattung und Gesundheitszieleprozesse
des öffentlichen Gesundheitsdienstes auf kommunaler Ebene. Über die Beteiligung an
Versorgungskonferenzen auf Bezirksebene wird zudem ein Beitrag zur Verzahnung zwischen
Land und kommunaler Ebene geleistet. Die Verbindung mit Förderprogrammen des Landes
eröffnet die Möglichkeit Gesundheitsversorgung durch Modellprojekte weiterzuentwickeln
oder regionale Vernetzungsaktivitäten, wie Gesundheitsregionenplus, zu flankieren.