Einleitung
Der Wunsch nach Gründung einer Familie, Zeugung und Empfängnis eines Kindes sowie
Schwangerschaft und Geburt sind primär natürlich. Eine ungewollte Kinderlosigkeit
bedeutet für viele Paare eine schwere und belastende Lebenssituation. Zahlreiche Betroffene
nehmen daher medizinische Hilfe in Anspruch, um einerseits die Ursachen der Kinderlosigkeit
zu ergründen und andererseits mittels der vielfältigen Möglichkeiten der modernen
Medizin ein Kind bekommen zu können.
Dieser Weg verläuft meist nicht geradlinig, sondern ist mit Entbehrungen, psychischen
Belastungen und Strapazen für die zunächst kinderlosen Frauen und Männer bzw. das
Paar verbunden. Besonders, wenn trotz aufwendiger, hochmoderner Kinderwunschtherapie
kein Kind zur Welt gebracht wird, ist mit psychischen Störungen zu rechnen [1]. Die 2014 publizierte Leitlinie „Psychosomatische Diagnostik und Therapie bei Fertilitätsstörungen“
nimmt darauf ausführlich Bezug und schildert, welche psychischen Störungen auftreten
können und welche Konsequenzen sich daraus neben der organmedizinischen Behandlung
für die psychosomatische Beratung und Mitbehandlung ergeben [2].
Im folgenden Artikel möchten wir praxisrelevant darstellen, welche Herausforderungen
sich in konkreten Behandlungssituationen für die behandelnden (organmedizinisch, psychosomatisch
bzw. psychiatrisch tätigen) Ärzte und Psychologen ergeben und wie diese interdisziplinär
zum Wohle der Betroffenen gemeistert werden können. Wir präsentieren hierzu anonymisierte
Kasuistiken, die aus der gynäkologisch-psychosomatischen Ambulanz der Medizinischen
Hochschule Hannover stammen.
Sterilität und Infertilität
Sterilität und Infertilität
Definition
Sterilität wird als Ausbleiben einer Schwangerschaft trotz regelmäßigen ungeschützten
Geschlechtsverkehrs innerhalb eines Zeitraums von einem Jahr definiert [3]. Bei Infertilität tritt eine Schwangerschaft zwar ein, die betroffene Frau kann
das Kind aber nicht bis zur Lebensfähigkeit austragen, d. h. es kommt zur Fehlgeburt
oder zum intrauterinen Fruchttod.
Weltweit leiden 3,5–16,7 % der Paare im reproduktionsfähigen Alter unter ungewollter
Kinderlosigkeit [2], [4].
Ursachen
Die Ursachen der Kinderlosigkeit sind vielfältig, eine eindeutige Trennung der weiblichen
und männlichen Sterilitätsursachen ist nicht immer möglich [4].
Weibliche Ursachen. Sie betreffen in ca. 40–50 % die Frau allein. Hierzu zählen ovarielle Pathologien
wie Eizellreifungsstörungen, häufig eileiterbedingte Pathologien (meist Folge von
Infektionen oder Voroperationen im kleinen Becken) und Gebärmutteranomalien wie Myomknoten
oder intrauterine Adhäsionen [5]. Als weitere Sterilitätsursachen sind Gebärmutterhalspathologien wie Stenosen nach
Konisationen oder Infektionen an der Zervix zu nennen sowie Endometriose, extragenitale
Pathologien wie Schilddrüsenfunktionsstörungen, Diabetes mellitus, Über- und Untergewicht
oder gesundheitsschädliches Verhalten wie Nikotin- und Alkoholabusus.
Aufgrund psychischer Störungen können hormonelle oder sexuelle Störungen auftreten,
die die Umsetzung des Kinderwunsches beeinträchtigen oder verhindern. Hormonelle Störungen
können sich z. B. in Form einer Amenorrhö bei Anorexie bemerkbar machen.
Männliche Ursachen. In ca. 30 % liegen rein männliche Sterilitätsursachen vor. Hierbei ist die Samenqualität
des Mannes betreffend der Anzahl, Beweglichkeit und Morphologie der Spermien eingeschränkt.
Ursachen hierfür können Fehlbildungen, Varikozelen, Infektionen und Hormonstörungen
sein. Funktionelle Sterilitätsursachen des Mannes wie Erektions- oder Orgasmusstörungen
sind überwiegend psychischer Genese.
Ursachen bei beiden Partnern. In ca. 10–15 % treten die Fruchtbarkeit negativ beeinträchtigende Faktoren bei beiden
Partnern auf.
Weitere Ursachen. Eine besondere Gruppe von sterilen Paaren ist in ca. 10–15 % diejenige mit idiopathischer
Sterilität; hierbei handelt es sich um die ungeklärte Kinderlosigkeit, bei der keine
organischen bzw. psychischen Gründe für das Ausbleiben der Schwangerschaft eruiert
werden können [6]. Von einer verhaltensbedingten Fruchtbarkeitsstörung wird gesprochen, wenn ein Paar
trotz Kinderwunsch und ärztlicher bzw. psychologischer Aufklärung weiter fertilitätsschädigendes
Verhalten wie gestörtes Essverhalten, Genuss- und Arzneimittelmissbrauch usw. praktiziert
bzw. die Schwangerschaftschancen nicht nutzt, indem am Konzeptionsoptimum kein Geschlechtsverkehr
ausgeübt wird [2].
Kasuistik 1
Endometriose, wiederholte Fehlgeburtsneigung
Frau T., zum 4. Mal schwanger, stellte sich nach insgesamt 7 IVF-Therapien und 3 Fehlgeburten
in der Frühschwangerschaft vor. Aufgrund der 3 Schwangerschaftsverluste hatte sie
große Angst vor einem erneuten Abort. In den ersten psychosomatischen Interventionen
gelang eine deutliche Stabilisierung der Patientin, sodass ihre Angst subjektiv abnahm
und die „gute“ Hoffnung überwog. Leider kam es in der 9. Schwangerschaftswoche erneut
zu einer Fehlgeburt. Die Trauer war zunächst sehr groß. In einem Paargespräch gelang
es dem Paar auszusprechen, welche Situationen für sie schwer erträglich waren: „Wenn
wir Elternpaare mit Babys und Schwangere sehen.“ Darüber hinaus war es auch zum Rückzug
von befreundeten Paaren mit Kindern gekommen. Das Paar berichtete von einem 3-jährigen
Zeitraum, der von Hoffnung, Enttäuschung und aber auch großer „Einmischung“ von Ärzten
in ihr Leben bestimmt war. Bei einem psychosomatischen Nachsorgetermin 4 Monate nach
dem Abort berichtete die Patientin: „Ich bin lange damit alleine schwanger gegangen,
dann habe ich meinem Ehemann den Entschluss mitgeteilt, auf weitere IVF-Versuche zu
verzichten. Seitdem kann ich die Kinder von anderen als eigenständig und nicht mehr
bezogen auf mich sehen. Wir haben begonnen, uns wieder mehr über unser Leben zu freuen
und die Freiheiten, die wir ohne Kinder haben, zu genießen.“
Rein weibliche Sterilität
-
Ovarfunktionsstörungen (Follikelreifungsstörung, Anovulation, Gelbkörperschwäche),
Eileiterverschlüsse, uterine Pathologien (Myome, Synechien, Zervixstenose), Endometriose,
schwere internistische Erkrankungen
Rein männliche Sterilität
Kombinierte Sterilität
Weitere Formen
-
Sterilität aufgrund psychischer Störungen, sexueller (inkl. Erektions-/Orgasmusstörungen)
oder hormoneller Störungen
-
idiopathische (ungeklärte) Sterilität: keine organischen bzw. psychischen Ursachen
der Sterilität feststellbar
-
verhaltensbedinge Sterilität: bei fertilitätsschädigendem Verhalten
Altersabhängig abnehmende Konzeptionsfähigkeit der Frau
Die Konzeptionsfähigkeit der Frau nimmt bereits nach dem 25. Lebensjahr ab [7], [8]. Die Anzahl an antralen, in der frühen Entwicklungsphase befindlichen Follikeln,
die sich zu einer befruchtungsfähigen Eizelle entwickeln können, nimmt mit zunehmendem
Alter kontinuierlich ab. Ist die Eizellreserve aufgebraucht, tritt die Menopause,
die letzte vom Eierstock gesteuerte Menstruationsblutung ein. Das durchschnittliche
Menopausenalter liegt in Deutschland bei ca. 48,5 Jahren [4]. Anschließend ist eine Schwangerschaft per via naturalis nicht mehr möglich. Auch
wenn die Fertilität bei Männern über 40 Jahren abnimmt, können sie prinzipiell noch
in höherem Lebensalter Kinder zeugen [9].
Das durchschnittliche Alter der Frau bei Geburt des 1. Kindes hat sich im Lauf der
letzten Jahrzehnte aus Gründen längerer Ausbildungszeiten, Berufstätigkeit, sozioökonomischer
Faktoren, späterer Entscheidung für Partnerschaft und weiterhin noch nicht ausreichenden
Angeboten an Kinderbetreuungseinrichtungen immer weiter nach hinten verschoben und
ist zum Teil mit für eine Sterilität verantwortlich [4], [10]. Im Jahr 2012 lag das Alter der Frau bei Geburt des 1. Kindes bei 29,2 Jahren, in
den 1960er-Jahren bei rund 25 Jahren. Insbesondere in Westdeutschland zeigte sich
2009 ein Zusammenhang zwischen Kinderlosigkeit und höherem Bildungsstand der Frau
[11].
„Social Freezing“
Wenngleich der Sterilitätsfaktor „Alter“ von vielen Menschen unterschätzt wird [12]–[14], hat in den letzten Jahren das Interesse am „Social Freezing“ zugenommen. Frauen,
die in jüngeren Jahren noch keine Familie gründen wollen, keinen Partner haben und
sich aber der altersbedingten abnehmenden Fruchtbarkeit bewusst sind, lassen unbefruchtete
Eizellen nach hormoneller Stimulation operativ entnehmen und für spätere Kinderwunschtherapien
(künstliche Befruchtungen) kryokonservieren. Bei fertilitätsmindernden Erkrankungen
wie einer vorzeitigen Ovarialerschöpfung oder Endometriose kann eine Fertilitätsreserve
angelegt werden.
Die Erfolgsaussichten hinsichtlich späterer Schwangerschaften hängen erheblich vom
Alter der Frau zum Zeitpunkt der Entnahme, von der Zahl gewonnener Eizellen und der
Erfahrung der behandelnden Ärzte und Biologen ab. Die Vitrifikation, eine neue Einfriertechnik,
ermöglicht die Kryokonservierung der ansonsten sehr empfindlichen unbefruchteten Eizellen
mit hohen Überlebensraten. In spezialisierten Zentren werden Schwangerschaftsraten
erzielt, die mit den Ergebnissen künstlicher Befruchtungen im „frischen“ System ohne
Kryokonservierung vergleichbar sind [15].
Tipp für die Praxis
Bei der Option Kryokonservierung zum Zweck einer späteren Schwangerschaft ist jedoch
zu beachten, dass Schwangere über 40 Jahre ein höheres Risiko für die Entstehung von
Schwangerschaftsdiabetes und Präeklampsie haben [16].
Die Vor- und Nachteile des „Social Freezings“ werden derzeit weltweit – sowohl von
Medizinern als auch von Ethikern, Philosophen und Angehörigen anderer Professionen
– sehr kontrovers diskutiert [16].
Vorteile. Als größter Vorteil kann gesehen werden, dass Frauen zu einem späteren Zeitpunkt
als vom biologischen Alter her möglich schwanger werden können. Dies macht sie sowohl
unabhängiger vom altersbedingten Rückgang der Furchtbarkeit als auch ggf. vom aktuellen
„Partnerschaftsstatus“.
Nachteile. Als Nachteil kann benannt werden, dass gesunde Frauen primär nicht notwendige medizinische
Behandlungen mit Komplikationsmöglichkeiten durchführen lassen. Es bleibt zu bedenken,
dass soziale Probleme, die eine Schwangerschaft in jüngeren Jahren unmöglich machen,
durch das „Social Freezing“ nicht unbedingt gelöst, sondern womöglich nur verschoben
werden [16]. Zu diskutieren ist ferner, ob Frauen aus dem beruflichen Umfeld nicht sogar unter
Druck gesetzt werden, ihre Lebensplanung bzw. den Kinderwunsch auf ihr Erwerbsleben
abzustimmen.
Neue Technologien können auch zu Abhängigkeiten führen.
In einem Artikel der TAZ vom April 2015 kritisiert der Arzt und Philosoph Urban Wiesing
das Angebot einiger großer Unternehmen wie Facebook und Apple, ihren Mitarbeiterinnen
die Kosten für das Einfrieren von Eizellen zu erstatten. Auf „tückisch normative Weise“
würden 2 Lebensbereiche vermischt, die eigentlich getrennt seien: Familien- und Berufsleben
[17].
Fertilitätserhalt bei Krebserkrankungen
Fertilitätserhalt bei Krebserkrankungen
Eine spezielle Situation hinsichtlich einer möglichen Fertilitätsreduktion entsteht
bei Frauen und Männern, die sich noch vor der Familiengründung aufgrund einer Krebserkrankung
chemo- oder strahlentherapeutischen Maßnahmen unterziehen müssen. Hierbei kann es
in Abhängigkeit von Art, Dosis und Dauer der Chemotherapie bzw. Bestrahlung zu einer
partiellen oder kompletten Eierstockerschöpfung bzw. zum Ausbleiben der Spermienreifung
kommen.
2006 wurde das Netzwerk FertiPROTEKT gegründet (www.fertiprotekt.de), das Betroffene vor Beginn der Therapie über Möglichkeiten der Fertilitätsprotektion
berät. Hierzu zählen Kryokonservierungen (Einfrieren in flüssigem Stickstoff) von
Spermien und Hodengewebe aufseiten des Mannes. Bei Frauen können unbefruchtete oder
befruchtete Eizellen (nach Durchführung einer künstlichen Befruchtung im Reagenzglas
wie der intrazytoplasmatischen Spermieninjektion [ICSI]) und Ovargewebe eingefroren
werden. Darüber hinaus können die Ovarien operativ aus dem Strahlenfeld heraus luxiert
werden oder mittels GnRH-Analoga die Vulnerabilität der Ovarien reduziert werden [18].
Kasuistik 2
Diagnose Mammakarzinom bei bereits geplanter Kinderwunschbehandlung
Bei der 31-jährigen Frau A. war bereits aufgrund eingeschränkter Spermienqualität
des Ehemanns eine ICSI-Therapie geplant, als sie einen Knoten in der linken Brust
ertastete. Dieser stellte sich nach histologischer Sicherung als maligne heraus. Die
Lebensperspektiven von Frau A. änderten sich schlagartig. Von der Situation überfordert
stellte sie sich in der gynäkologischen Psychosomatik vor. Die Psychotherapeutin und
zugleich Gynäkologin hatte zunächst die Aufgabe, empathisch die nahezu unerträglichen
Gefühle der Patientin und ihres Partners (Angst und tiefe Verunsicherung) auszuhalten.
Im Folgenden wurde das Paar unterstützt bei der Entscheidungsfindung für oder gegen
mögliche fertilitätsprotektive Maßnahmen (Hormonstimulation mit Eizellentnahme, Kryokonservierung
befruchteter Eizellen oder Ovarkryokonservierung) vor Durchführung einer ovartoxischen
primären Chemotherapie [19]. Trotz vorher ausgeprägten Kinderwunsches entschied sich das Paar angesichts des
möglichen Risikos eines hormoninduzierten Tumorprogresses und einer möglichen genetischen
Tumorerkrankung (BRCA-Mutation) gegen eine Fertilitätsprotektion und für einen raschen
Beginn der Chemotherapie [20]. Der Verarbeitungsprozess der Brustkrebserkrankung war für die Patientin sehr schmerzhaft.
Aufgrund ausgeprägter depressiver Verstimmungen, massiver Angst vor Tumorprogress,
sekundär aber auch der Enttäuschung über den Verlust der gesamten Lebensperspektive
und eines sich zuspitzenden Paarkonflikts konnte die Patientin nach der Krisenintervention
zu einer ambulanten Psychotherapie motiviert werden.
Jungen Frauen muss nach lokal begrenzter Brustkrebserkrankung nicht primär von einer
Schwangerschaft abgeraten werden, da die Schwangerschaft keinen negativen Einfluss
auf die Prognose des weiteren Erkrankungsverlaufs zu haben scheint. Teilweise zeigt
sich sogar eine höhere Überlebensrate bei den Frauen, die nach abgeschlossener onkologischer
Therapie ein Kind bekommen haben.
Tipp für die Praxis
Eine Schwangerschaft sollte frühestens 2 Jahre nach der Erkrankung angestrebt und
die individuelle Situation mit den behandelnden Onkologen/Senologen besprochen werden
[21].
Eine Schwangerschaft während einer Krebserkrankung, das Auftreten einer Krebserkrankung
im Wochenbett oder ein Kinderwunsch nach überstandener Krebstherapie stellen hohe
und spezifische Herausforderungen an die Medizin dar. Das Setting einer Universitätsklinik
mit allen Fachdisziplinen vor Ort ist ideal, um spezifische individuelle Risiken sowie
auch den psychosozialen und psychosomatischen, ggf. auch psychiatrischen Behandlungsbedarf
zu berücksichtigen und entsprechend reagieren zu können.
Tipp für die Praxis
Gute interdisziplinäre Absprachen machen es möglich, für die betreffende Patientin
ein individuell abgestimmtes Behandlungskonzept zu erstellen [22].
Betreuung und Therapie bei Kinderwunsch
Betreuung und Therapie bei Kinderwunsch
Reproduktionsmedizin: therapeutische Möglichkeiten bei Sterilität
Vonseiten der Frau. Bei ovarbedingter Sterilität bzw. hormonellen Störungen kommen medikamentöse Strategien
wie z. B. hormonelle Stimulationstherapien mit Geschlechtsverkehr zum Konzeptionsoptimum
infrage. Bei uteriner Sterilität oder Endometriose sind meist operative Interventionen
notwendig. Bei eileiterbedingter Kinderlosigkeit ist die Realisierung des Kinderwunsches,
wenn überhaupt, nur durch aufwendige Therapien wie eileiterrekonstruierende Operationen
oder künstliche Befruchtungen außerhalb des Körpers (In-vitro-Fertilisation/IVF) möglich.
Die IVF geht mit einer hormonellen Hyperstimulation der Eierstöcke einher. Es reifen
mehrere Eizellen heran, die mittels sonografisch gesteuerter vaginaler Punktion entnommen
werden. Nach der In-vitro-Kultivierung durch Zusammenbringen von Ei- und Samenzellen
bilden sich Embryonen, die nach 2–5 Tagen in die Gebärmutterhöhle transferiert werden.
Die Anzahl an Embryonen, die eingesetzt werden dürfen, ist in Deutschland nach dem
1991 verabschiedeten Embryonenschutzgesetz auf maximal 3 pro Therapiezyklus begrenzt.
Überzählig befruchtete Eizellen dürfen für spätere Therapien kryokonserviert werden.
Bei wiederholten Fehlgeburten (Infertilität) wird zunächst eine ausgiebige Diagnostik
gemäß der Leitlinien durchgeführt (u. a. Gerinnungsdiagnostik, Hysteroskopie, Hormonanalyse).
Bei Zervixverschlussinsuffizienz kommt die Durchführung eines totalen Muttermundverschlusses
sowie Cerclage infrage.
Vonseiten des Mannes. Ist die Spermienqualität hochgradig eingeschränkt, sind ebenfalls IVF-Therapien in
Kombination mit einer intrazytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI) indiziert. Bei
leicht eingeschränkter Spermienqualität können Samenübertragungen in die Gebärmutter
zum Ovulationszeitpunkt (intrauterine Inseminationen) erfolgreich sein. Hierbei –
wie auch bei IVF- oder ICSI-Therapien – dürfen in Deutschland Samen des Lebenspartners
(homologes System) oder auch Fremdsamen (donogenes/heterologes System) verwendet werden.
Die Verwendung fremder Eizellen (Eizellspende) ist wie auch die Leihmutterschaft in
Deutschland gesetzlich untersagt.
Die Durchführung von künstlichen Befruchtungen ist Gynäkologen vorbehalten, welche
die Schwerpunktbezeichnung „gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin“
besitzen.
Adoption. Die Adoption als Option zur Familiengründung ist in den letzten Jahren in den Hintergrund
getreten, da nur wenig Neugeborene für eine Adoption zur Verfügung stehen. Auf die
Besonderheit der Familienbildung nach Gametenspende werden wir später näher eingehen.
Therapieoptionen bei Sterilität
-
ovarielle Sterilität: medikamentöse Therapie/Hormonstimulationen
-
uterine Sterilität (Myome, intrauterine Adhäsionen): operative Intervention
-
Endometriose: operative Intervention, medikamentöse Therapie, IVF
-
tubare Sterilität: eileiterrekonstruierende Operation, IVF
-
leicht eingeschränkte Spermienqualität: intrauterine Insemination (homologes System/Spermien
des Partners)
-
stark eingeschränkte Samenqualität: IVF/ICSI (homologes System)
-
komplette Zeugungsunfähigkeit bzw. genetische Erkrankung des Mannes: intrauterine
Insemination oder IVF/ICSI mit Fremd-/Spendersamen (heterologes/donogenes System)
-
komplette Ovarerschöpfung der Frau: Eizellspenden im Ausland (in Deutschland gesetzlich
verboten)
-
Adoption/Pflegschaft
Psychosomatische Betreuung
Vor Durchführung einer invasiven Sterilitätsdiagnostik oder -therapie ist neben der
nicht invasiven Diagnostik des weiblichen Zyklus und des Samenbefundes des Mannes
(Spermiogramm), die durch Gynäkologen, Urologen und Reproduktionsmediziner durchgeführt
wird, eine psychosomatische Abklärung und ggf. Behandlung sinnvoll. Dies betrifft
v. a. auch Frauen bzw. Paare, die wiederholt Fehlgeburten erlitten haben.
Die psychosomatische Grundversorgung ist in der Weiterbildungsordnung für Frauenärzte
integriert. In der Musterrichtlinie der Bundesärztekammer zur Durchführung der assistierten
Reproduktion von 2006 ist festgelegt, dass neben medizinischen und humangenetischen
Aspekten auch aufgeklärt und beraten werden muss über
-
psychische Belastungen unter der Therapie,
-
mögliche Auswirkungen auf die Paarbeziehung und die Sexualität,
-
mögliche depressive Reaktionen bei Misserfolgen oder die Steigerung des Leidensdrucks
bei erfolgloser Behandlung,
-
alternative Perspektiven (Adoption, Pflegekind, Verzicht auf Therapie etc.) und
-
mögliche psychosoziale Belastungen bei Mehrlingen [23].
Psychosomatische Behandlungen können vor, während und nach einer Kinderwunschbehandlung
erfolgen.
Psychosomatische Betreuung im Rahmen von Kinderwunschtherapien
-
Beratung und psychosomatische Diagnostik vor der Behandlung: psychische Störungen werden erkannt und ggf. behandelt; in Fällen von schwerer psychischer
oder psychosomatischer Beeinträchtigung wie z. B. Suizidalität, Drogenabhängigkeit,
Psychose oder Anorexie, ausgeprägte posttraumatische Belastungsstörung muss ggf. auch
von einer Kinderwunschbehandlung abgesehen werden.
-
Während der Behandlung: meist in Form einer Krisenintervention mit dem Ziel der psychischen Stabilisierung;
dies kann zu vorübergehendem Pausieren der Behandlung oder zur besseren Compliance
aufgrund erworbener Skills (Entspannungsmöglichkeiten, Distanzieren von Ängsten, Einordnen
depressiver Verstimmungen, Mobilisieren von Gefühlen, Mobilisierung von Ressourcen)
führen.
-
Nach Kinderwunschtherapie:
-
bei nicht erfolgreicher Kinderwunschtherapie und psychischen Folgestörungen (v. a.
Ängsten, depressiven Verstimmungen [24]) zur psychischen Stabilisierung und Entwicklung neuer sinngebender Lebensperspektiven
-
bei eingetretener Schwangerschaft und fortbestehenden Ängsten vor Verlust der Schwangerschaft
(besonders nach Aborten) zur Resilienzstärkung und psychischen Stabilisierung bisweilen
bis zur Geburt und darüber hinaus im Wochenbett.
Psychosomatische Behandlungen können durch behandelnde Gynäkologen oder die psychosomatisch
tätigen Ärzte und Psychologen angeregt und empfohlen werden (Modell Medizinische Hochschule
Hannover, Gynäkologische Psychosomatik).
Bedeutsam für ein fruchtbares Leben und eine gute Lebensqualität auch ohne eigene
Kinder ist die Entscheidung, anderes im Leben als gleichwertig anzusehen. Nicht selten
geht dieser Entscheidung ein Trauerprozess voraus, in dem Gefühle von Wut, Enttäuschung
und Neid, aber auch Angst, versagt zu haben, durchlebt und bearbeitet werden, damit
sie innerpsychisch integriert werden können. Psychotherapeutische Einzel- oder Paargespräche
können diesen Prozess sinnvoll unterstützen, insbesondere bei psychischen Störungen
[25].
Spezielle Herausforderungen der Kinderwunschbehandlung
Spezielle Herausforderungen der Kinderwunschbehandlung
Therapie mit Fremdsamen und Eizellspenden
Spendersamen. Gründe für eine Behandlung mit Spendersamen sind überwiegend männliche Sterilität
oder genetische Erkrankungen des Partners.
In Deutschland werden jährlich bis zu 1000 Kinder durch donogene Behandlungen (Insemination
oder IVF/ICSI) gezeugt [26].
Eine Behandlung homosexueller oder alleinstehender Frauen ist rechtlich problematisch,
da der Samenspender das Risiko einer juristischen Vaterschaft eingeht [27], wohingegen bei heterosexuellen Paaren und Verwendung einer Samenspende der Partner
nach Geburt des Kindes zum juristischen Vater wird. In Deutschland führen aufgrund
dieser statusrechtlichen Unsicherheiten daher nur wenige Kinderwunschzentren Behandlungen
homosexueller bzw. alleinstehender Frauen durch. Eine Vielzahl der Betroffenen lässt
eine entsprechende Therapie im Ausland, beispielsweise in Dänemark, durchführen. In
Zeiten des Internets ist der Zugang der betroffenen Frauen zu ausländischen Kinderwunschzentren,
die sich auf deutschsprachige „Kundschaft“ eingestellt haben, recht einfach geworden.
Bei Verwendung von Fremdsamen hat das so gezeugte Kind in Deutschland spätestens mit
Vollendung des 18. Lebensjahres das Recht, den biologischen Vater kennenzulernen.
In einem aktuellen Urteil des Bundesgerichtshofs vom 28. 1. 2015 (BGH Az: XII ZR 201/13)
wurde 2 Minderjährigen das Recht zugesprochen, Auskunft über ihren biologischen Vater
zu erhalten.
Die donogene Therapie kann mit psychischen Belastungen aufseiten des Elternpaares,
des Kindes und des Samenspenders verbunden sein.
Tipp für die Praxis
Bei Verwendung von Fremdsamen ist eine umfassende psychosomatische Beratung vor Durchführung
der Intervention ratsam und notwendig.
Häufig wird die Frage der Potenz thematisiert und die Aufgabe der Männer ist es, zu
antizipieren, nicht der leibliche Vater zu sein.
Die körperliche und psychische Entwicklung der mittels donogener Insemination gezeugten
Kinder in heterosexuellen Beziehungen ist unauffällig und die Beziehung zu ihren Eltern
stabil [28], [29]. Es zeigt sich, dass eine frühzeitige Aufklärung ab etwa dem Kindergarten- oder
Grundschulalter sowohl für die Kinder als auch für die Eltern mit geringer bis keiner
Belastung verbunden zu sein scheint [28], [30].
Bezüglich der Entwicklung der in lesbischen Beziehungen geborenen Kinder gibt es leider
nur wenige Daten. Insgesamt wird die psychologische und soziale Entwicklung der Kinder
als unauffällig beschrieben, ebenso die psychosexuelle Entwicklung [31], [32]. Die Kinder zeigen darüber hinaus ein breiteres, geschlechtsunabhängigeres Verhaltensmuster
als Kinder aus heterosexuellen Beziehungen [33].
Alleinstehende Frauen mit Kinderwunsch sind in der Regel nicht gewollt alleinstehend,
sie haben ein reproduktionsbiologisch fortgeschrittenes Alter erreicht, jedoch keinen
passenden Partner zur Familiengründung gefunden [34]. Die Entwicklung der Kinder von alleinstehenden Müttern ist nach Studien von Murray
und Golombok in sozialer, emotionaler und kognitiver Hinsicht ebenso gut wie die von
Kindern aus heterosexuellen Partnerschaften [35], [36].
Eizellspende. Die aktive Teilnahme an Behandlungen mit donogenen Eizellen (Eizellspende) oder Leihmutterschaften
ist Frauenärzten in Deutschland prinzipiell gesetzlich untersagt. Frauen, die z. T.
schon im fortgeschrittenen Alter über 45 oder sogar 50 Jahren sind und eine stark
reduzierte oder nicht mehr existente Eizellreserve haben, begeben sich daher nicht
selten für eine Eizellspende ins Ausland. Exakte Zahlen hierzu existieren nicht, Schätzungen
sprechen von bis zu 4200 Behandlungszyklen an deutschen Paaren [37]. Eine reproduktionsmedizinische Behandlung im Ausland kann jedoch mit Problemen
verbunden sein, die die Paare vorab bedenken sollten. Hierzu zählen neben Sprachbarrieren
auch juristische Vorgaben des Behandlungslandes, die das Auskunftsrecht der Kinder
auf biologische Abstammung regeln.
Tipp für die Praxis
Aus geburtshilflicher Sicht ist zu beachten, dass Schwangere nach Eizellspende ein
erheblich erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer hypertensiven Schwangerschaftserkrankung
(Hypertonus, Prä-/Eklampsie) aufweisen [38].
Psychische Belastungen. Abgesehen von körperlichen Risiken in der Schwangerschaft nehmen Risiken für psychische
Störungen zu. Frauen, die sich auf eine Eizellspende einlassen, kommen aufgrund ihres
in der Regel fortgeschrittenen Alters oder sogar postmenopausalen Zustands mit dem
Kind nach der Geburt leichter in Erschöpfungszustände als jüngere Frauen und haben
häufiger depressive Episoden. Ein besonderes Problem besteht auch darin, die befruchtete
Eizelle einer fremden Frau in sich auszutragen. Biologisch gesehen ist der Samen des
Mannes immer „fremd“, unabhängig davon, ob es sich um den Samen des eigenen Partners
oder eines fremden Spenders handelt. Die Eizelle hingegen ist biologisch immer „eigen“.
Die psychische/psychosomatische Anpassungsleistung einerseits und daraus resultierend
die psychische/psychosomatische Störanfälligkeit andererseits ist im Falle einer Eizellspende
ungleich höher [39].
Bisweilen sind bereits antizipierte Ängste bis hin zur tiefen Verunsicherung im Hinblick
auf die potenziell mütterliche Identität und die Identitätsentwicklung des Kindes
Auslöser für psychische Krisenzustände.
Kasuistik 3
Vorhaben einer Eizellspende
Eine 44-jährige Patientin stellte sich aufgrund von Sterilität mit dem Wunsch nach
psychosomatischer Begleitung im Rahmen einer geplanten Kinderwunschbehandlung zunächst
alleine, dann in 2 folgenden Gesprächen gemeinsam mit ihrem Partner vor. Es stellt
sich heraus, dass aufgrund einer Eierstockerschöpfung eine Eizellspende im Ausland
geplant war. Frau F. wirkte deutlich depressiv, sprach über Erschöpfungszustände mit
Schlafstörungen und erhöhter Reizbarkeit sowie Anspannung auch im Berufsalltag. Der
Wunsch nach einem Kind war bei ihrem jüngeren Partner stärker ausgeprägt als bei ihr
selbst. Frau F. befürchtete, ihren Partner zu verlieren, sofern sie sich nicht auf
die „einzige“ noch verbliebene Therapieoption der Eizellspende einließ. Es wurde deutlich,
dass sich Frau F. in verschiedener Hinsicht überfordert fühlte: „Ich halte den Gedanken
kaum aus, dass eine fremde Frau in meinem Bauch sein wird, die gemeinsam mit meinem
Mann ein Kind hat, welches ich austrage und mein Kind seine leibliche Mutter nicht
kennenlernen wird. All das verwirrt mich und lässt mich nicht mehr zur Ruhe kommen.“
Es wurde darüber hinaus deutlich, dass sich Frau F. gut ein Leben gemeinsam mit ihrem
Partner ohne Kind vorstellen konnte. Im Paargespräch gelang es, dies zu thematisieren
und Frau F. empathisch in den nachvollziehbar komplizierten Gefühlen anzunehmen. Sie
entschied sich schließlich gemeinsam mit ihrem Partner gegen eine Eizellspende. Wir
einigten uns aufgrund der ausgeprägten Lebens- und Partnerschaftskrise mit deutlich
depressiver Symptomatik und der ausgeprägten Angst, verlassen zu werden, auf einen
teilstationären Aufenthalt in unserer Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie.
Ziel des Aufenthaltes war es auch, die getroffene Entscheidung gegen eine Eizellspende
und ein gemeinsames Kind innerpsychisch zu integrieren und ggf. bereits neue tragfähige
Lebensperspektiven zu entwickeln.
Embryonenspende
Im Gegensatz zur Eizellspende ist eine nicht kommerzielle Weitergabe von Embryonen,
die während einer Kinderwunschbehandlung rechtmäßig entstanden und anschließend nicht
mehr verwendet werden, erlaubt. Es gibt diesbezüglich weder im Embryonenschutzgesetz
noch im Bürgerlichen Gesetzbuch ablehnende Aussagen [40].
Nützliche Links im Internet
Die Embryonenspende ist für Paare gedacht, bei denen jegliche Behandlung mit eigenen
Ei- und Samenzellen nicht mehr sinnvoll bzw. möglich ist.
Paare, die imprägnierte Eizellen nicht mehr für sich selbst verwenden, jedoch auch
nicht vernichten lassen wollen, können diese nach ausführlicher Beratung freigeben
und spenden. Das Spenderpaar verzichtet nach Aufklärung durch den behandelnden Arzt
auf die Herausgabe der Daten des nach dem Embryotransfer geborenen Kindes. Die Freigabe
erfolgt ohne materielle Gegenleistung. Die Spende erfolgt anonym, für die Einhaltung
der Anonymität zwischen Embryonenspenderpaar und Empfängereltern sorgt das Kinderwunschzentrum.
Die Identität der Spendereltern wird bei einem Notariat hinterlegt, da die geborenen
Kinder (wie auch bei der Samenspende) das Recht haben, auf Wunsch die Identität der
biologischen Eltern zu erfahren. Nach persönlichen Informationen von am Netzwerk Beteiligten
sind bereits die ersten Kinder nach Embryonenspende geboren.
Problematik künstlicher Befruchtungen
Erfolgsaussichten in Deutschland. Die Erfolgsaussichten künstlicher Befruchtungen sind über die letzten Jahre nahezu
konstant geblieben. Im Jahr 2013 lag die Schwangerschaftsrate pro Embryotransfer bei
54 237 IVF- bzw. ICSI-Therapien bei 30,7 %. Die Geburtenrate (Baby-take-Home-Rate)
lag bei rund 22 % [41]. Dies bedeutet, bei aller Freude über eingetretene Schwangerschaften, dass ein Großteil
der Paare zunächst mit einer nicht erfolgreichen Therapie umgehen muss.
Kasuistik 4
3 Jahre ungewollte Kinderlosigkeit, 4 bereits erfolgte Inseminationen, 3 IVF-Therapien
Die 36-jährige Frau S. kam im Zustand der psychischen Erschöpfung einhergehend mit
Depressivität und Zukunftsängsten in die gynäkologisch-psychosomatische Ambulanz.
Sie war im Kontakt reflexions- und schwingungsfähig, ihr Leidensdruck spürbar. Von
einer weiteren Kinderwunschbehandlung wollte sie absehen. Es gelang, sie in ihren
selbstquälerischen Insuffizienzgefühlen und dem Unvermögen, schwangeren Frauen oder
Müttern mit Babys zu begegnen, anzunehmen und dahinterliegende unangenehme Gefühle
wie Wut und Neid so zu benennen, dass eine innerpsychische Integration beginnen konnte.
Frau S. mobilisierte alte und entdeckte neue Ressourcen durch bewusste Veränderungen
ihres Lebens. Ein entscheidender Faktor war für Frau S. der Umzug in eine Gegend,
die sie und ihr Partner schon lange liebten. Sehr schambesetzt wurde von ihr – nachdem
sie bereits zu insgesamt guter Lebensqualität zurückgekehrt war – davon berichtet,
dass sie lustlos geworden war, Geschlechtsverkehr vermied und wegen der ausbleibenden
Sexualität mit ihrem Partner sehr besorgt war. Es gelang, mit ihr über die Eingriffe
in das Intimleben während der Kinderwunschbehandlung und über die sexuelle Distanz,
die zwischen ihr und ihrem Partner entstanden war, zu reflektieren. Vorsichtig fragte
sie, ob eine Sexualtherapie notwendig sei. Es wurde aber deutlich, dass sie dies als
erneuten Eingriff in die Intimsphäre erleben und eine Sexualtherapie ihre Insuffizienzgefühle
verstärken würde. Tatsächlich erlebte sie es als sehr entlastend und ermutigend, auch
im Bereich Sexualität auf „verschüttete“ Ressourcen vertrauen zu können. Darüber hinaus
nahm es ihr den Druck, „funktionieren zu müssen“. Das „Leben nach Plan“ während der
Kinderwunschbehandlung hatte sie mehr und mehr belastet. Es gelang Frau S. in der
Folge, mit ihrem Ehemann an die vor der Kinderwunschbehandlung erlebte Sexualität
anzuknüpfen.
Einfluss auf die Sexualität. Störungen der Sexualität sind ebenso wie Angst und Depression nach Kinderwunschbehandlung
häufig anzutreffen [2], [42]. Es stellt sich die Frage, ob eine Sexualtherapie indiziert ist. Zu berücksichtigen
ist dabei, dass Depressionen nicht selten mit Sexualstörungen verbunden sind. In Bezug
auf sexuelle Störungen im Zusammenhang von Kinderwunschbehandlung sollte aus Sicht
der Autorinnen nach ausführlicher Sexualanamnese empathisch abgewogen werden, ob eine
Sexualtherapie notwendig ist oder nicht. Unnötige weitere Eingriffe in die Intimsphäre
und die Kompetenzbereiche des Paares sollten insbesondere nach erfolgloser Kinderwunschbehandlung
vermieden werden, um das ohnehin dann oft gestörte Körpergefühl und Selbstvertrauen
nicht noch weiter zu destabilisieren.
Die Entscheidung für eine Sexualtherapie muss wegen des zusätzlichen Eingriffs in
die Intimsphäre sorgfältig abgewogen werden.
Das Paar sollte in seiner Autonomie durch Anknüpfen an vorhandene Ressourcen der Paarbeziehung
oder Entwicklung neuer Ressourcen gestärkt werden. Gelingt dies nicht, droht aufgrund
geringer Veränderungs- und Anpassungskompetenz des Paares eine Chronifizierung der
Störung. In diesem Fall sollte eine sexualmedizinische Abklärung erfolgen und es sollten
ggf. (sexual-)therapeutische Schritte eingeleitet werden [43].
Weitere Problembereiche
Probleme künstlicher Befruchtungen liegen (neben physischer und psychischer Belastung
v. a. der behandelten Frau) insbesondere in folgenden Bereichen:
-
die methodenbedingte hohe Rate an Mehrlingsschwangerschaften mit entsprechenden Komplikationsmöglichkeiten
-
Fehlgeburten
-
Frühgeburtlichkeit
-
eine etwas höhere Rate an kindlichen Fehlbildungen (Odds Ratio 1,28 nach ICSI-Therapien)
[44], [45]
Es ist bislang unklar, ob die höhere Rate an fetalen Malformationen auf die Sterilität
an sich oder die Anwendung der assistierten Reproduktion zurückzuführen ist [16], [45].
Mehrlingsschwangerschaften. Im Jahr 2013 erwarteten die nach IVF/ICSI schwangeren Frauen in 76,8 % der Fälle
einen Einling. Die Zwillings- bzw. Drillingsschwangerschaftsrate lag bei 22,3 bzw.
0,8 % [41]. Zu den Risikofaktoren für den Eintritt einer Mehrlingsschwangerschaft gehören ein
eher jüngeres Alter der behandelten Frau sowie die steigende Anzahl der transferierten
Embryonen [46].
Langfristige Gesundheitsbeeinträchtigungen und Entwicklungsstörungen beispielsweise
durch intrakranielle Hirnblutungen oder bronchopulmonale Dysplasien (neurologisch,
mental, sprachlich) sind mit der Zahl der Kinder assoziiert.
Gemini und Drillinge haben im Vergleich zu Einlingen ein 1,7- bis 2,9-faches Risiko,
eine langfristige Beeinträchtigung zu entwickeln [47].
Nach einer Mehrlingsgeburt findet die Entwicklung der Eltern-Kind-Beziehung unter
erschwerten Bedingungen statt, da die Kinder möglicherweise noch auf einer neonatalen
Station behandelt werden müssen und die Belastungen bei der häuslichen Pflege deutlich
erhöht sind. Die Risiken einer Mehrlingsgravidität und insbesondere die möglichen
kindlichen Gesundheitsbeeinträchtigungen und Entwicklungsstörungen werden von vielen
Paaren oft deutlich unterschätzt. Gelegentlich besteht vor Beginn einer Therapie sogar
der Wunsch nach einer Zwillingsschwangerschaft (man möchte ohnehin 2 Kinder, das wäre
ein „Abwasch“). Insbesondere wiederholte Frustration nach misslungenen Kinderwunschtherapien
wirken sich auf die Entscheidung aus, eine höhere Anzahl an Embryonen in die Gebärmutter
einsetzen zu lassen oder sogar eine Mehrlingsschwangerschaft zu erhoffen [48], [49].
Vor jeder Therapie muss eine umfangreiche Risikoaufklärung zur Mehrlingsproblematik
erfolgen.
Embryoreduktion. Hier sei auf die Sondersituation Embryoreduktion hingewiesen, bei der – im Rahmen
der gesetzlichen Vorgaben – vitale Embryonen mittels Kaliuminjektion getötet werden,
um das Risiko von Mehrlingsschwangerschaften zu minimieren. Im Falle einer Entscheidung
dafür und gesicherter Rechtslage gemäß § 218 StGB stellt sich jeweils die brisante
Frage, welcher Embryo bzw. welche Embryonen der Reduktion zum Opfer fallen sollen.
Der „selektive“ Schwangerschaftsabbruch ist nicht nur für das Paar, sondern auch für
die behandelnden Ärzte eine besondere Belastung [50].
Spontane „natürliche“ Schwangerschaft. In den Leitlinien [2] ist vermerkt, dass selbst nach Durchführung der ICSI-Methode Schwangerschaften spontan
eintreten können. Hintergrund ist, dass ein großer Teil der Paare in Kinderwunschbehandlung
subfertil und nicht infertil ist. Die frauenfachärztlichen und psychosomatischen Erfahrungen
der Autorinnen und betroffener Frauen sprechen dafür, diesem Phänomen Beachtung zu
schenken. Die tägliche Praxis zeigt ebenfalls, dass Frauen durchaus auch dann noch
spontan schwanger werden, wenn sie den Kinderwunsch nicht mehr aktiv zu erfüllen versuchen
bzw. ihr Lebensglück nicht mehr von der Geburt eines Kindes abhängig gemacht wird
und ein neuer Lebensentwurf in ähnlicher Weise attraktiv erscheint. Allerdings ist
der Umkehrschluss nicht zulässig, dass sich durch ein gezieltes Sich-Abfinden mit
der Kinderlosigkeit Schwangerschaften einstellen.
Kasuistik 5
Spontane Schwangerschaft nach Beendigung der Kinderwunschtherapie
Die 32-jährige Frau B. kam nach einer sehr belastend empfundenen Kinderwunschbehandlung
und einem Abort in die gynäkologisch-psychosomatische Ambulanz. Sie litt unter depressiven
Verstimmungen und konnte sich ein Leben ohne Kind nicht vorstellen. Erschwerend kam
eine akute Krebserkrankung des Ehemanns hinzu und die Angst, dessen Erkrankung könnte
voranschreiten. Das Paar hatte zahlreiche gemeinsame Interessen, Frau B. hatte das
Gefühl, hinsichtlich der Gesundheit und des Kinderwunsches „Pech zu haben“. Zu einem
Paargespräch kam es nicht, da sich Herr B. darauf nicht einließ. Frau B. arbeitete
hart daran, Perspektivwechsel auf ihr Leben vorzunehmen, das sie für sich selbst –
ebenso wie ihre Partnerschaft – schließlich als interessant, vielfältig und entwicklungsfähig
bewertete. Ein „Durchbruch“ gelang ihr jedoch erst, als ihr Herz im Urlaub für ein
neues „Projekt“ entflammte. In der dem Urlaub folgenden Therapiestunde äußerte sie:
„Es gibt im Leben immer einen Plan B, davon bin ich jetzt endlich überzeugt.“ Zu diesem
Zeitpunkt wusste sie noch nicht, dass sie bereits frühschwanger war. Inzwischen, nach
Geburt des Kindes, hat das Elternpaar die gleichen alltäglichen Sorgen und Freuden
wie viele andere Eltern. Die innerseelische Erfahrung einer als gleichwertig erlebten
Lebensperspektive sieht Frau B. heute als sehr bedeutsam an: „Da habe ich offenbar
losgelassen und bin dann schwanger geworden.“
Psychosomatische Therapie unter Berücksichtigung der Leitlinien
Psychosomatische Therapie unter Berücksichtigung der Leitlinien
Diagnostik. Angesichts des hohen Leidensdrucks und der psychischen Belastungen bei ungewollter
Kinderlosigkeit ist bereits im Vorfeld von Kinderwunschbehandlungen eine psychosomatische
Diagnostik sinnvoll. Patientinnen bzw. Paare mit behandlungsbedürftigen psychischen
Störungen können frühzeitig erfasst und psychotherapeutischen Interventionen zugeführt
werden. Mitunter kann eine ambulante oder (teil-)stationäre Psychotherapie notwendig
werden.
Zeitnahe Intervention. Zu bedenken ist, dass psychische Störungen zu jedem Zeitpunkt der Kinderwunschtherapie
auftreten können, sodass das Angebot zeitnaher Interventionen wünschenswert ist (Modell
MHH, s. Abb. [1]). Insbesondere nach erfolgloser Kinderwunschbehandlung, bei Schwangerschaftsverlusten
und/oder zusätzlichen psychosozialen Belastungsfaktoren mit Zusammenbruch der ersehnten
Lebensperspektive der Elternschaft ist das Risiko für die Entwicklung psychischer
Störungen besonders hoch. Langfristig scheint sich die Lebensqualität nach gelungener
Trauerarbeit bei kinderlos gebliebenen Paaren aber wieder zu verbessern [39], [51].
Abb. 1 Modell MHH. Multidirektionale Versorgungsstruktur im „Modell Hannover“ für Kinderwunsch-
und psychosomatische Behandlung.
Elemente der Psychotherapie. In den psychotherapeutischen Interventionen sind das Zulassen, Durcharbeiten und
Integrieren der häufig assoziierten Gefühle von Angst, Verunsicherung, Enttäuschung,
Wut und Neid wesentlich. Vor allem Letzteres wird von den Betroffenen oft sehr schwer
ausgehalten. Nicht selten verhindern Schamgefühle gegenüber Paaren mit Kindern das
Zulassen von Neid.
Tipp für die Praxis
Wichtig ist im psychotherapeutischen Prozess, dass dem starken Wunsch nach einem Kind
Raum gegeben wird.
Der Wunsch nach einem Kind sollte keineswegs ausgeredet oder bagatellisiert werden,
selbst dann nicht, wenn keine realistische Hoffnung mehr auf ein Kind besteht. Allerdings
sollte nicht suggeriert werden, dass durch psychotherapeutische Interventionen Schwangerschaften
induziert werden können. Keinesfalls sollte durch Sätze wie „Lassen Sie los, dann
wird sich der Kinderwunsch erfüllen“ zusätzlicher emotionaler Druck aufgebaut werden.
Auch sollte man sich umgekehrt als Behandler nicht von dem Wunsch des Paares nach
einem Kind unter Druck setzen lassen. Es ist nicht zielführend, die Erwartung zu bestärken,
durch eine psychotherapeutische Intervention den Kinderwunsch erfüllbar zu machen.
Suizidalität als Drohung. Es sei auf die brisante therapeutische Situation hingewiesen, dass einer der Partner
mit Suizidalität droht im Falle einer fortbestehenden Kinderlosigkeit. Der antizipierte
Suizid ist zu verstehen als extremer Ausdruck von Verzweiflung, gleichzeitig zeugt
er von hoher Aggressivität sich selbst, dem Partner, dem potenziellen Kind und auch
dem Therapeuten gegenüber. Darüber hinaus verhindert eine Suiziddrohung im benannten
Kontext, dass der Raum für kreative andere Möglichkeiten des Lebens geöffnet und daran
gearbeitet werden kann. Die Blockierung des psychotherapeutischen Prozesses muss in
Kontakt gebracht und gespiegelt werden mit dem Ziel der Distanzierung vom angedrohten
Suizid.
Paarkonflikte. Viele auch weniger herausfordernde psychotherapeutische Prozesse bergen Konfliktpotenzial
zwischen den Partnern, das es aufzugreifen und zu bearbeiten gilt. Eine nicht geringe
Rolle spielen die (körperlichen, sexuellen) Entbehrungen, die Paare gerade auch während
einer Kinderwunschbehandlung auf sich nehmen. Je nach Paarkonstellation können Schuldgefühle
und Schuldzuweisungen auftreten. Häufige Fragen, die strittig zur Sprache kommen,
sind z. B.:
-
Wer ist fruchtbarer?
-
Wer setzt sich mehr für ein gemeinsames Kind jetzt und ggf. in Zukunft ein?
-
Wer entscheidet zuerst über die Beendigung von Therapien, wer, ob es ggf. zu einem
späteren Zeitpunkt weitergeht?
Auseinandersetzungen darüber sollen in der Psychotherapie gefördert und begleitet
werden, um das Paar im Klärungsprozess zu unterstützen.
Aktivieren neuer Ressourcen. Die Auseinandersetzung mit dem Ende der Hoffnung auf ein leibliches Kind und die
Akzeptanz einer veränderten Lebensperspektive gehen im psychotherapeutischen Prozess
der Aktivierung neuer kreativer Potenziale voraus. Erfahrungsgemäß sind die Patientinnen
dazu unterschiedlich in der Lage, je nachdem welche Ressourcen bereits im Vorfeld
bestanden. Im Falle des Sich-darauf-Einlassens kann der Prozess zu neuer Lebensfreude
und -qualität führen.
Vermieden werden sollte seitens der Behandler:
-
den Kinderwunsch ausreden
-
vorzugeben, durch Psychotherapie den Kinderwunsch erfüllbar machen zu können
-
sich durch den Kinderwunsch des Paares unter Druck setzen zu lassen
-
Suiziddrohungen zu übergehen
Kernaussagen
Ungewollte Kinderlosigkeit führt nicht selten zu einer Lebenskrise. Bestehen bereits
unabhängig vom aktuellen „Life Event“ im Vorfeld unbehandelte psychische Störungen,
ist mit einer erhöhten Vulnerabilität und einer Zuspitzung der psychischen Symptomatik
zu rechnen [52].
Psychische Belastungen sollten frühzeitig erkannt und im Falle von psychischen Störungen
dringend psychotherapeutisch behandelt werden. Bisweilen ist währenddessen ein Pausieren
der Kinderwunschbehandlung sinnvoll, insbesondere bei ausgeprägten Erschöpfungszuständen.
Ambulante Kriseninterventionen, oft sinnvoll als Paarinterventionen, sind bei leichteren
Störungen, wie Anpassungsstörungen, leichter bis mittelgradiger depressiver Episode
und leichter Angststörung indiziert. Bei schwerwiegenden Störungen ist eine längerfristige
ambulante Psychotherapie oder eine teil-/stationäre psychosomatische Behandlung, bei
schwersten Störungen, wie akute Suizidalität, Psychose oder Suchterkrankungen, eine
stationäre psychiatrische Behandlung indiziert.
Zu berücksichtigen im Umgang mit den Betroffenen ist, dass unerfüllter Kinderwunsch
ein kritisches Lebensereignis darstellt. Bereits vor und während einer Kinderwunschbehandlung
kann es daher für das Paar bedeutsam sein, Ressourcen und gemeinsame Interessen zu
stärken und damit den Blick auch für alternative, sinngebende Lebensperspektiven zu
öffnen. Dies trifft v. a. auf Situationen zu, in denen eine Vielzahl an Kinderwunschtherapien
durchgeführt wurde, ohne dass eine Schwangerschaft eingetreten ist bzw. nach mehrfachen
Fehlgeburten. Eine ergebnisoffene, gelassene Haltung dem ersehnten Kind gegenüber
kann in jedem Fall zur Verbesserung der Lebensqualität führen. Treten Schwangerschaft
und Geburt eines (gesunden) Kindes darüber hinaus ein, ergibt sich ein weiterer in
die Zukunft wirkender konstruktiver Begleiteffekt für das Paar und auch für das Kind:
Das Kind ist nicht mehr das einzig Sinnstiftende. Dies wiederum ist für vielfältige
Entwicklungen der Familie als positiv zu werten.
Deutschlandweit gibt es ein Beratungsnetzwerk (BKID) für Paare, Männer und Frauen
mit unerfülltem Kinderwunsch. Hier engagieren sich neben Ärzten und Psychologen auch
Sozialpädagogen und Juristen, um Betroffene individuell zu beraten und ggf. zu behandeln
[1]. Eine entsprechende Kontaktliste ist unter www.bkid.de frei zugänglich.
Wir sind nach Jahren klinischer Erfahrung und sehr konstruktiver Zusammenarbeit zwischen
Gynäkologie und gynäkologischer Psychosomatik daher der Überzeugung, dass ein guter
interdisziplinärer ärztlicher Dialog mit professioneller Expertise unabdingbar ist,
um Patientinnen und ihren Partnern individuelle Therapieoptionen anbieten zu können.