Fortschr Neurol Psychiatr 2016; 84(S 01): S1-S2
DOI: 10.1055/s-0042-100725
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Die Komplexität des Parkinson-Syndroms

Complexity of Parkinson Syndrome
W. Jost
1   Parkinson-Klinik Ortenau, Wolfach
,
H. Reichmann
2   Klinik für Neurologie, Universitätsklinik Dresden
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Publication Date:
15 August 2016 (online)

Das Parkinson-Syndrom ist ein Krankheitsbild, das in seiner Komplexität die meisten anderen Erkrankungen übertrifft was Ursachen, Diagnostik und Differenzialdiagnostik sowie konservative, medikamentöse und operative Therapie betrifft. Es ist daher nicht verwunderlich, dass sich mehrere internationale Journale weitgehend oder sogar ausschließlich mit dem Syndrom beschäftigen.

Der Begriff Parkinson-Syndrom verbindet viele Krankheiten, die stellenweise nur wenig gemeinsam haben. Zur Begrifflichkeit haben die Symptome Akinese, Rigor und Tremor geführt, die bei einigen Diagnosen nicht oder nur begrenzt auftreten. Auch wenn die atypischen Parkinson-Syndrome, die genetischen Formen und das idiopathische Parkinson-Syndrom in den Lehrbüchern gemeinsam abgehandelt werden, dürften sich Ätiologie und Pathogenese deutlich unterscheiden. In Bezug auf das vaskuläre Parkinson-Syndrom stellt sich die Frage, ob es eine Differenzialdiagnose ist, gemeinsam mit der idiopathischen Form auftreten und/oder verstärken kann oder tatsächlich eine Ursache eines Parkinson-Syndroms sein kann; eine Frage, die man sich in der reinen Lehre selten, in der täglichen Praxis jedoch häufig stellt (siehe Beitrag Winkler).

Die Medikamente stellen die wichtigste Säule der Therapie dar, und die Tiefe Hirnstimulation ist mittlerweile fest etabliert. In den letzten Jahren wurden viele Studien zu konservativen Therapien mit positivem Ergebnis veröffentlicht, und in diesem Bereich dürfen wir noch wichtige und interessante Studien und Therapien erwarten. Dazu gehört auch die konservative Therapie der kognitiven Störungen (siehe Beitrag Kalbe), da die Erfolge der medikamentösen Behandlung ja sehr limitiert sind.

Im Krankheitsverlauf werden die nicht-motorischen Störungen immer bedeutsamer und unsere therapeutischen Möglichkeiten sind sehr begrenzt. Wir können uns hier nicht auf die anderen Fachgebiete verlassen, sondern müssen selbst aktiv werden, egal ob dies neuropsychiatrische oder vegetative Symptome betrifft. Selbst endoskopische Verfahren halten aufgrund der klinischen Dringlichkeit inzwischen Einzug in die Neurologie (siehe Beitrag Warnecke). Ein sehr häufiges Problem, bei dem wir Neurologen auch verstärkt mitarbeiten müssen, ist die perioperative Versorgung (siehe Beitrag Reichmann), einerseits weil Operationen bei Parkinson-Patienten häufig sind, und andererseits, weil immer wieder Probleme auftreten. Auch hier stellt die Komplexität der Symptome und der Therapie der Erkrankung Operateur und Anästhesist vor Probleme.

Die Erkrankung ist chronisch progredient und erfordert eine optimierte Zusammenarbeit der verschiedenen Versorgungsebenen und Fachbereiche. Hier sind die ambulante Betreuung und der Übergang zur stationären Versorgung zu nennen (siehe Beitrag Buhmann). Aufgrund der Vielfalt von Symptomen und Therapien einschließlich Versorgung mit Pumpen und Stimulatoren kommen viele Praxen und Kliniken an ihre Grenzen. Hier ist es sinnvoll, dass sich flächendeckend Schwerpunktpraxen bilden, die der Komplexität der Erkrankung gerecht werden können. Weiterhin können zukünftig auch technische Neuerungen helfen, die eine Symptomerfassung und -kontrolle auch im häuslichen Umfeld und über größere Distanz erlauben (siehe Beitrag Mätzler).

Das Parkinson-Syndrom ist eine Erkrankung mit Häufung im höheren Lebensalter, dementsprechend ergeben sich auch Überschneidungen von Neurologie und Geriatrie. Das Parkinson-Syndrom ist ungeachtet des Patientenalters eine neurologische Erkrankung, und die Psychose oder vegetative Symptome sind krankheitsimmanent und dementsprechend anders zu bewerten als bei anderen geriatrischen Patienten. Trotzdem werden sich immer wieder Probleme ergeben, die nur gut abgestimmt gelöst werden können (siehe Beitrag Lingor).

Seit 16 Jahren organisieren wir jährlich ein Experten-Meeting Parkinson, bei dem jedes Jahr ein anderer Schwerpunkt bearbeitet wird. Im November letzten Jahres war es die Komplexität der Erkrankung in der Versorgung. Die Übersichten sowie Ergebnisse konnten wir dieses Mal in der Zeitschrift Fortschritte der Neurologie Psychiatrie publizieren, wofür wir den Herausgebern und dem Verlag sehr dankbar sind. Unterstützt wurde das 16. Meeting von der Firma AbbVie, Wiesbaden – auch dafür unseren herzlichen Dank.

Wir hoffen sehr, dass Sie als Leser dieser Zeitschrift eine Übersicht, einige Anregungen sowie neue Erkenntnisse gewinnen und die Veranstaltung somit auch für Sie zum Gewinn wird.

Mit freundlichen kollegialen Grüßen

Wolfgang Jost (Wolfach/Freiburg) und Heinz Reichmann (Dresden)

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Prof. Wolfgang Jost
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Prof. Heinz Reichmann