CC BY-NC-ND 4.0 · Gesundheitswesen 2018; 80(03): 278-285
DOI: 10.1055/s-0042-100624
Übersichtsarbeit
Eigentümer und Copyright ©Georg Thieme Verlag KG 2018

Umsetzung Betrieblicher Gesundheitsförderung/Betrieblichen Gesundheitsmanagements in Deutschland: Stand und Entwicklungsbedarfe der einschlägigen Forschung

Implementation of Workplace Health Promotion/Workplace Health Management in Germany: State-of-the Art and Need for Further Research
G. Faller
1   Department of Community Health, Hochschule für Gesundheit Bochum, Bochum
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Weitere Informationen

Korrespondenzadresse

Prof. Gudrun Faller
Department of Community Health
Hochschule für Gesundheit Bochum
Universitätsstraße 105
44789 Bochum

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
23. März 2016 (online)

 

Zusammenfassung

Ziel der Studie: Zur Frage der Verbreitung von Gesundheitsförderung/Gesundheitsmanagement in deutschen Betrieben liegen heterogene Ergebnisse vor. Das Ziel der Studie besteht darin, mehr Transparenz über die Ursachen dieser Diskrepanzen sowie zu möglichen Einflussfaktoren auf die Bereitschaft zur Umsetzung von BGF/BGM zu gewinnen.

Methodik: Auf Basis einer systematischen Datenbankrecherche wurden einschlägige Studien identifiziert und einer vergleichenden inhaltlichen Analyse unterzogen.

Ergebnisse: Die Studien zur Verbreitung von BGF/BGM in Deutschland weisen hinsichtlich Fragestellung, Repräsentativität, Vorgehen und Design erhebliche Unterschiede auf. Dennoch zeichnen sich übereinstimmende Tendenzen hinsichtlich der Identifikation signifikanter Einflussfaktoren auf die Bereitschaft zur Umsetzung von BGF/BGM ab.

Schlussfolgerungen: Bei der Konzeption künftiger Studien zur Analyse der Verbreitung von BGF/BGM ist es wichtig, sich auf eine einheitliche Definition sowie ein vergleichbares Erfassungs- und Kategorisierungsschema der erhobenen Maßnahmen zu einigen. Im Hinblick auf die Auswertung von Auswirkungen der betrieblichen Interventionen wären die quantitativen durch qualitative Daten zu ergänzen, die in der Lage sind, das „Wie“ der Umsetzung sowie darauf bezogene, spezifische organisationskulturelle Deutungsmuster zu erfassen.


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Abstract

Aim: The data on health management programmes in German companies show quite heterogeneous results. The aim of the study was to gain more transparency into the cause of these discrepancies as well as information on factors influencing the willingness of companies to implement such programmes.

Methods: Based on a systematic database search, relevant studies were identified and comparative analysis of their contents was carried out.

Results: The existing studies on the health management programmes in German companies reveal significant discrepancies in terms of their research question, representativeness, approach and design. Nevertheless, they do reveal certain trends identifying significant factors that influence the willingness of companies to implement such programmes.

Conclusion: In the design of future studies to analyse the distribution of corporate health management programmes, there is a need to agree on common definitions and data collection methods and how the results are to be categorised. When evaluating the effects of corporate programmes, the quantitative data would need to be supplemented with qualitative data that would be capable of identifying how such programmes are implemented and the associated organisation-specific cultural patterns.


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Fragestellungen

BGF/BGM gelten in Deutschland als sehr erfolgreiche Ansätze lebensweltbezogener Gesundheitsförderung. Allein der aktuelle Präventionsbericht des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen bescheinigt dem Setting Betrieb 68% aller Ausgaben im nicht-individualpräventiven Bereich [1]. Zudem hat die gesundheitsökonomische Forschung der BGF bzw. dem BGM in den letzten Jahren deutliche Nutzeneffekte und Effizienzgewinne zugesprochen [2] [3] [4]. Daher erscheint es naheliegend, wenn Unternehmer aus ökonomischen Erwägungen ebenso wie aus Gründen einer gelebten Unternehmerverantwortung und eines zeitgemäßen Arbeits- und Gesundheitsschutzes gesundheitsfördernde Programme implementieren [5]. Ob dem so ist, wurde in der Vergangenheit im Rahmen von diversen Verbreitungsstudien ermittelt. Ziel der vorliegenden Analyse ist es, aus einer vergleichenden Gegenüberstellung dieser Arbeiten zu ermitteln

  1. welche Aussagen zu potenziell begünstigenden bzw. behindernden Einflussgrößen auf die Umsetzung von BGF/BGM abgeleitet werden können

  2. auf welche methodischen Faktoren die unterschiedlichen Aussagen zur prozentualen Verbreitung von BGF/BGM in Deutschland zurückzuführen sind

Aus den Ergebnissen werden Anforderungen an Konzeption und Design künftiger Verbreitungsstudien abgeleitet sowie weitergehende Überlegungen zur Erfassung der Wirkungen der Umsetzung von BGF angestellt.


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Zum Begriffsverständnis von BGF und BGM

Das European Network for Workplace Health Promotion (ENWHP) versteht unter Betrieblicher Gesundheitsförderung (BGF) „alle gemeinsamen Maßnahmen von Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Gesellschaft zur Verbesserung von Gesundheit und Wohlbefinden am Arbeitsplatz“ [6]. Als konkrete Interventionen nennt die hier zitierte Luxemburger Deklaration „Verbesserung der Arbeitsorganisation und der Arbeitsbedingungen“, „Förderung einer aktiven Mitarbeiterbeteiligung“ und die „Stärkung persönlicher Kompetenzen“. BGF versteht sich als ein Gesamtkonzept, das gesundheitsfördernde Unternehmensgrundsätze, Unternehmenskulturen und Führungsleitlinien enthält, Wert auf die Beteiligung und Förderung der Beschäftigten legt und dabei den Arbeitsschutz integriert. Badura et al. [7] definieren Betrieblichem Gesundheitsmanagement (BGM) als „die Entwicklung integrierter betrieblicher Strukturen und Prozesse, die die gesundheitsförderliche Gestaltung von Arbeit, Organisation und dem Verhalten am Arbeitsplatz zum Ziel haben und den Beschäftigten wie dem Unternehmen gleichermaßen zugute kommen“ (S. 17). In beiden Quellen wird die Relevanz der Gestaltung der betrieblichen Rahmenbedingungen betont, die Notwendigkeit eines systematischen Vorgehens, die Verantwortung des Managements und die Bedeutung der Einbeziehung der Beschäftigten. Aufgrund der in der Praxis verbreiteten oft synonymen Verwendung und, um ein breites Spektrum von Aktivitäten zu erfassen, liegt diesem Beitrag eine parallele Nutzung der Begriffe ‚Betriebliche Gesundheitsförderung‘ (BGF) wie auch ‚Betriebliches Gesundheitsmanagement‘ (BGM) zugrunde.


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Methodik

Zunächst wurde eine systematische Datenbankrecherche von einschlägigen empirischen Arbeiten mit Veröffentlichungsdatum seit dem Jahr 2000 durchgeführt. Die Recherche wurde in deutscher und englischer Sprache realisiert. Als Suchbegriffe wurde folgende Kombination verwendet: ((Betriebliche* AND Gesundheits*) OR „Workplace Health Promotion“ OR BGF OR BGM) AND (implement* OR survey OR dissemination OR spread* OR Deutschland OR Germany OR Verbreitung OR frequency OR Häufigkeit). Herangezogen wurden die Datenbanken PubMed, PubPsych inklusive PPSYNDEX, PASCAL, ISOC-Psicologia, MEDLINE, ERIC, NARCIS, NORART, PsychOpen und PsychData, weiter PPSYNDEX, PsychINFO und SocINDEX über Cinahl. Von den aufgrund der Titelformulierungen in Frage kommenden Auswahlen wurden zunächst die deutsch- bzw. englischsprachigen Abstracts, in Zweifelsfällen die Volltexte gesichtet. Nach Aussonderung nicht geeigneter Treffer und Streichung von Doppelungen fanden insgesamt 10 Literaturquellen im Rahmen der Datenbankrecherche Berücksichtigung. Als ergänzende Quellen wurden die in den einschlägigen Treffern enthaltenen Verweise auf verwandte Studien berücksichtigt, sowie das im Rahmen der langjährigen fachlichen Beschäftigung mit der Thematik angelegte Facharchiv der Autorin. Auf diese Weise konnte die Auswahl um weitere 6 Quellen erweitert werden. Abschließend fanden insgesamt 16 Literaturquellen im Rahmen der Datenbankrecherche Berücksichtigung, diese beziehen sich auf 13 Analysen. Als Auswahlkriterien dienten folgende Anforderungen an die Studien:

  1. Unternehmensbezug: Es wurden nur Studien einbezogen, welche Unternehmer bzw. betriebliche Experten als Adressaten ansprachen. Arbeiten, die eine Verbreitung von Gesundheitsförderung aus der Perspektive der Beschäftigten darstellen, oder bei denen der Unternehmensbezug aus anderen Gründen nicht deutlich wurde, waren dagegen ausgeschlossen.

  2. Umfassendes Verständnis von Gesundheitsförderung: Exkludiert wurden Untersuchungen, die sich auf spezifische Themen konzentrierten (z. B. ausschließlich Maßnahmen zur Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen, der Suchtprävention, der betrieblichen Wiedereingliederung usw.).

  3. Angaben zur prozentualen Verbreitung: Keine Berücksichtigung fanden Analysen, die zwar betriebliche Gesundheitsmaßnahmen erhoben, diese in ihren Ergebnisdarstellungen jedoch nicht als %-Werte sondern ausschließlich in Form von Indexwerten auswiesen.


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Ergebnisse

[Tab. 1] zeigt die im Ergebnis ermittelten Studien seit dem Jahr 2000. Publikationen, die dieselbe Studie beschreiben, sind jeweils in einer Zeile aufgeführt.

Tab. 1 Profile der ausgewerteten Studien.

Quelle

Nettostichprobe

Fragestellung

Erhebungs-jahr

Rücklauf

Quote

Aussagekraft (Potenziale und Grenzen)

Ansmann et al. 2012

522 Informations- und Kommunikationsunternehmen mit mind. 10 MA

„Unser Unternehmen hat ein Betriebliches Gesundheitsmanagement“ (der Frage ging eine Definition von BGM voraus)

2008

21%

gewichtet nach Unternehmensgröße=18%

[+] Repräsentative Gewichtung der Antworten nach Unternehmensgröße; [-] potenzielle Schweigeverzerrung

Bechmann et al. 2010

500 Produktionsbetriebe (50 – 499 Beschäftigte)

Die Betriebe wurden gefragt, ob sie BGM gegenwärtig durchführen, als Projekt abgeschlossen haben oder planen, im nächsten Jahr einzuführen

2009

k.A.

36% BGM+13% Einzel-maßnahmen=49%

[+] Repräsentative Gewichtung der Antworten nach Betriebsgrößenklasse, Branche, Existenz Betriebsrat; [-] potenzielle Schweigeverzerrung

Beck et al. 2015

975 Unternehmen aller Branchen ab 1 MA (n=eigene Berechnung)

Die Betriebe wurden nach dem Vorhandensein spezifischer Maßnahmentypen in ihrem Unternehmen befragt

2011

15%

56% (gewichtet) KKU 49%, KU 70%, MU 89%, GB 97%

[+] Repräsentative Gewichtung der Antworten nach Größe, Sektor und Region
[-] geringer Rücklauf, dadurch hohe Gefahr einer potenziellen Schweigeverzerrung

Gröben 2000; Gröben und Ulmer 2004; Ulmer und Groeben 2005

Kohortenstudie an 447 (T1) bzw. 150 (T2) hessischen und thüringischen Dienstleistungs- (Handel, Banken, Versicherungen) und metallverarbeitenden Betrieben mit mind. 50 MA

T1: In welchem Umfang werden betriebliche Programme zur Gesundheitsförderung in den Unternehmen angeboten? Um welche Angebote handelt es sich? T2: Sind in den vergangenen 6 Jahren Fortschritte in der Verbreitung von Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung zu verzeichnen oder ist eine Stagnation bzw. ein Rückgang der Angebote eingetreten? Hat sich die Ausrichtung der Angebote in den Betrieben verändert?

1997 und 2003

T1: 68% T2: 62%

T1: 89% T2: 83%

[+] bzgl. Standort, Frauenanteil, Schicht- und Teilzeitarbeit sind beide Stichproben repräsentativ T1-Stichprobe ist zudem repräsentativ für Unternehmensgröße.
[-] höherer Anteil an Großbetrieben zu T2
[-] höhere drop-out-Quote von Unternehmen ohne BGF/BGM zu T2
[-] Schweigeverzerrung zu T2

Gröben 2002; Gröben und Wenninger 2006

Kohortenstudie an 356 (T1) bzw. 153 (T2) Dienststellen des ÖD in Hessen und Thüringen mit mehr als 50 MA

Den Befragungsteilnehmern wurde eine Liste mit über 30 Einzelmaßnahmen vorgelegt. Sie sollten angeben, ob entsprechende Angebote in ihrer Einrichtung durchgeführt werden oder wurden

1999 und 2004

T1: 63% T2: 51%

T1: 93% T2: 93%

[+] Repräsentativität für wichtigste Faktoren zu beiden Zeitpunkten
[-] Gefahr der Schweigeverzerrung

Hollederer 2007

15 407 (T1) Betriebe bzw. 15 689 (T2) Betriebe ab 1 MA des IAB Panels

„Welche Maßnahmen zum Schutz oder zur Förderung der Gesundheit der Beschäftigten, die über die gesetzlichen Regelungen hinausgehen, werden in Ihrem Betrieb/Ihrer Dienststelle durchgeführt oder finanziell unterstützt? Sagen Sie mir bitte, was von dieser Liste zutrifft“

2002 und 2004

T1: 62% T2: 67%

T1: 19% T2: 20%

[+] repräsentative Gewichtung nach Branche, Größe, Bundesland
[+] verpflichtende Teilnahme, daher geringe Gefahr der Schweigeverzerrung

Hollederer und Wießner 2014

15 556 Betriebe ab 1 MA des IAB Panels

„Welche Maßnahmen zum Schutz oder zur Förderung der Gesundheit der Beschäftigten, die über die gesetzlichen Regelungen hinausgehen, werden in Ihrem Betrieb/Ihrer Dienststelle durchgeführt oder finanziell unterstützt? Sagen Sie mir bitte, was von dieser Liste zutrifft“

2012

k.A.

27%

[+] repräsentative Gewichtung nach Branche, Größe, Bundesland
[+] verpflichtende Teilnahme, daher geringe Gefahr der Schweigeverzerrung

Jung et al. 2012

522 Unternehmen der IT-Branche ab 10 MA

Anhand von 4 Fragen wurde nach spezifischen Einstellungen gegenüber BGF/BGM gefragt

2008

21%

44%

[+] repräsentative Gewichtung nach Größenklassen
[-] Gefahr der Schweigeverzerrung

Köhler et al. 2009

258 Unternehmen aus den Sparten Kranken-, Lebens-, Sach- und Rückversicherungen

Nach Vorlage einer entsprechenden Definition wurden die Teilnehmer gefragt, ob bzw. welche Maßnahmen der BGF durchgeführt wurden.

2006

48% aus einer Auswahl von Betrieben mit BGM

26% der Grundgesamtheit

[+] Grunderfassung aller Betriebe, die die Einschlusskriterien erfüllen
[-] Gefahr der Schweigeverzerrung

Plath et al. 2008

367 zufällig ausgewählte Banken

Nach Vorlage einer entsprechenden Definition wurden die Teilnehmer gefragt, ob bzw. welche Maßnahmen der BGF durchgeführt wurden.

2006

57%

54% (eigene Berechnung)

[+] Zufallsauswahl aus allen Betrieben, die die Einschlusskriterien erfüllen
[-] Gefahr der Schweigeverzerrung

Schäfer et al. 2015

80 Unternehmen aus Gesundheitswirtschaft und Gesundheitswesen

Telefoninterview auf Basis eines standardisierten Fragebogens. „Wurden bereits Maßnahmen, oder eine Maßnahme zum Zweck der betrieblichen Gesundheitsförderung durchgeführt?“

2012

76%

69%

[-] keine Angaben zum Zustandekommen/Repräsentativität der Grundgesamtheit

Wartmann and Reinheckel 2006

22 Kleinbetriebe aus dem Handwerk

Versand eines schriftlichen Fragebogens zu konkreten Einzelmaßnahmen

2004

48%

55%

[-] Bruttostichprobe nicht repräsentativ, keine Gewichtung der Nettostichprobe

Zelfel et al. 2011

1 441 Unternehmen zwischen 1 und 250 Beschäftigten in 7 Regionen in Deutschland

Telefoninterviews auf Basis eines Fragebogens, inwieweit Hilfen zum Erhalt oder zur Verbesserung der Gesundheit angeboten werden

2008

k.A.

33%

[-] Bruttostichprobe nicht repräsentativ, keine Gewichtung der Nettostichprobe

Abkürzungen: k.A.=keine Angaben; KU=Kleinunternehmen; KKU=Klein- und Kleinstunternehmen; MA=Mitarbeitende; MU=mittleres Unternehmen; GB=Großbetrieb; ÖD = Öffentlicher Dienst: o.J.=ohne Jahresangabe; T=Zeitpunkt

A) Einflussfaktoren auf die Umsetzung von BGF/BGM

Die berücksichtigten Studien setzen sich in unterschiedlichem Umfang mit der Frage auseinander, welche Merkmale in einem kausalen Zusammenhang mit der Realisierungsbereitschaft zu BGF/BGM stehen. Dabei werden verschiedene Faktoren im Hinblick auf mögliche Korrelationen untersucht.

Die größte Einigkeit besteht für den Faktor „Betriebsgröße“. Hier lässt sich zusammenfassend konstatieren, dass je größer der Betrieb ist, umso eher Maßnahmen der/des BGF/BGM umgesetzt werden. Diesen Zusammenhang bestätigen 11 der insgesamt 13 einbezogenen Studien. Ansmann et al. [8] benennen für die von ihnen analysierten IT-Unternehmen ein adjustiertes Odds Ratio (OR) von 1,5 (nicht signifikant) für Mittelbetriebe (50–249 Beschäftigte) und von 2,8 (signifikant) für Betriebe ab 250 Mitarbeitenden im Vergleich zu Betrieben unter 50 Personen. Hollederer und Wießner [9] beschreiben bei Kontrolle aller identifizierten, anderen signifikanten Einflussfaktoren eine Erhöhung der Wahrscheinlichkeit mindestens eine Maßnahme zu realisieren von 15% für Kleinbetriebe (20–49 Mitarbeitende), von 31% für mittlere Betriebe (50–499 MA) und von 35% für Großbetriebe (ab 500 MA) – jeweils im Vergleich zu Kleinstbetrieben (5–19 MA).

Heterogener sind die Ergebnisse dagegen für das Merkmal „Branche“. Zwar führen mehrere Arbeiten sektorenbezogene Vergleiche auf, z. B. [9] [10] [11] [12]; wegen unterschiedlicher Selektionen und Zuordnungen sind übereinstimmende Aussagen jedoch schwer zu treffen. Aufgrund der großen Stichprobe und des hohen Rücklaufs dürfte den IAB-Paneldatenauswertungen dabei eine prominente Bedeutung zukommen [9] [12]. Diese Daten weisen eine überdurchschnittliche Verwirklichungsquote für den Öffentlichen Dienst aus, während etwa das Gastgewerbe eine Schlussposition einnimmt. Innerhalb des produzierenden Gewerbes beschreiben Bechmann et al. [10] Differenzen für Betriebe mittlerer Größe, wobei die Produktionsgüterindustrie einige Prozentpunkte vor der Nahrungs- und Genussmittelproduktion rangiert. Der Effekt der Branche zeigte sich in der von Hollederer and Wießner [9] modellierten Regression insbesondere für den Öffentlichen Dienst, selbst bei Kontrolle anderer Einflussgrößen. Der Dienstleistungssektor weist im Vergleich zum Produktionssektor eine um 2% erhöhte Umsetzungswahrscheinlichkeit mindestens einer Maßnahme auf.

Einen mit relativ hoher Übereinstimmung abgesicherten Einfluss übt das Vorhandensein einer Beschäftigtenvertretung aus. Insgesamt 5 Studien untersuchen diesen Zusammenhang und bestätigen ihn [8] [9] [10] [11] [12]. Bechmann et al. [10] bemerken, dass dieser Effekt auch innerhalb der 3 Betriebsgrößengruppen auftritt. Ansmann et al. [8] dagegen konnten in ihrer Erhebung einen signifikanten Effekt nur für Kleinbetriebe ausmachen, und bei Jung et al. [13] verschwand der Effekt nach Kontrolle der anderen Einflussfaktoren. Ansmann et al. [8] berechnen für Kleinbetriebe ein OR von 2,5 im Vergleich zu Betrieben ohne Beschäftigtenvertretung. Im Regressionsmodell von Hollederer and Wießner [9], das mehrere relevante Einflussgrößen kontrolliert, zeigen gewerbliche Betriebe mit einer Beschäftigtenvertretung eine nahezu 21%ig höhere Umsetzungswahrscheinlichkeit.

Ob der regionale Standort für die Umsetzung von BGF eine Rolle spielt, dazu gehen die Resultate auseinander. Während Zelfel et al. [14] für ihre – allerdings nicht repräsentative – Stichprobe keinen Einfluss ermitteln konnten, finden andere Studien übereinstimmend eine höhere Umsetzungsquote in den neuen Bundesländern [10] [12] bzw. ein höheres Qualitätsniveau der BGF [15]. Letzeres wurde nach Gröben und Ulmer jedoch nur für den öffentlichen Dienst gefunden, nicht für gewerbliche Betriebe [16]. Für die aktuelle Wiederholungsbefragung im Rahmen des IAB-Panels räumen Hollederer and Wießner [9] eine Annäherung zwischen Ost und West, und bei Kontrolle aller anderen Faktoren nur noch eine gering erhöhte Verbreitungswahrscheinlichkeit von 3% ein.

Als weitere korrelierende Größen wurden das Vorhandensein einer Fachkraft für Arbeitssicherheit [11], eines Gesundheitskoordinators [11] und die Präsenz eines Betriebsarztes [8] gefunden, wobei der Effekt in letzterem Fall bei einer Korrektur durch die Unternehmensgröße verschwindet. Des Weiteren ließen sich erwartete Probleme bei der Personalrekrutierung [9] als fördernde Faktoren verifizieren. Für den Einfluss des wirtschaftlichen Drucks liegen unterschiedliche Ergebnisse vor: Während Köhler et al. [17] diesen als fördernden Faktor bestätigen konnten, sprechen Hollederer und Wießner [9] dem wirtschaftlichen Druck keinen Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit der Umsetzung von BGF/BGM zu. Im Gegensatz dazu konnten einige Autoren [11], [13] eine bevorzugte Marktposition als positiven Einflussfaktor ausmachen. Jung et al. [13] identifizierten die Zahl der Hierarchieebenen, die Anzahl der akademisch qualifizierten Beschäftigten und den Anteil an unbefristeten Arbeitsverhältnissen als eigenständige positive Einflussfaktoren. Wenig überraschend ist die Beobachtung, dass Unternehmen mit systematischen Konzepten in anderen Bereichen der Personal- und Organisationsentwicklung [17] bzw. mit einem hohen Qualitätsbewusstsein [18], einer ausgeprägten Wertschätzung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes [16] [19] und umfassender Inanspruchnahme von Beratung durch externe Stellen [19] gleichzeitig eine stärkere Performance im Bereich BGF/BGM aufweisen. An den Untersuchungen der Arbeitsgruppe um Gröben fällt auf, dass einzelne Einflussfaktoren auf die Qualität von BGF nur für den öffentlichen Dienst bestätigt werden konnten, nicht aber für die gewerbliche Wirtschaft. Dazu zählen die Kenntnis der Fehlzeitenquote, das Ausmaß der Belastungen bei den Beschäftigten, vorliegende Berufskrankheitenanzeigen und das Ausmaß der Belastungen in der Belegschaft [16] [19]. Demnach sind bestimmte Einflussfaktoren nur in spezifischen Bereichen oder Sektoren wirksam. Die hier in Einzelstudien untersuchten Faktoren sollten durch die weitere Forschung näher analysiert und auf Wechselwirkungen hin überprüft werden.


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B) Einflüsse der Erhebungsmethodik auf die ermittelte Umsetzungsquote

Im Hinblick auf die Umsetzungsquoten fällt die breite Varianz von 18% bis zu 93% auf. Aus der tiefergehenden Auseinandersetzung ergaben sich folgende, dem Untersuchungsdesign geschuldete Ursachen:

Stichprobenzusammensetzung

Von den 12 in die Auswertung einbezogenen Untersuchungen bemühten sich insgesamt 9 um die Anforderungen an Vergleichbarkeit mit der jeweiligen Grundgesamtheit – teilweise durch eine repräsentative Auswahl der Befragungsteilnehmer und/oder teils durch die nachträgliche Gewichtung der Ergebnisse. Dabei wurde meistens der Faktor Betriebsgröße berücksichtigt, in den Fällen fanden noch weitere Strukturmerkmale Eingang in die Gewichtung ([Tab. 1]). Einschränkend gilt jedoch, dass selbst bei den nachträglich nach Betriebsgröße gewichtenden Arbeiten oftmals Kleinst- und/oder Kleinbetriebe ausgenommen waren. Aufgrund des oben beschriebenen Einflusses der Unternehmensgröße ist davon auszugehen, dass die tatsächliche Umsetzungsquote in diesen Fällen geringer sein dürfte, als die in den Studien ermittelte. Von den als repräsentativ geltenden Arbeiten beziehen sich nur 3 [9] [11] [12] auf die gesamte deutsche Wirtschaft, während die übrigen spezifische Branchen fokussieren und damit schwer zu vergleichen sind [8] [10] [13] [15] [16] [17] [18] [19] [20] [21]. Allerdings fällt auch bei einem ausschließlichen Vergleich der branchenunabhängigen Studien die Spannweite von 19 bis 56% ins Auge. Erklären lässt sich diese mit dem unterschiedlich hohen Rücklauf, der bspw. in der Untersuchung von Beck et al. [11] nur 15% beträgt. Die Vermutung liegt nahe, dass insbesondere Betriebe ohne BGF/BGM zu den Verweigerern zählen (Schweigeverzerrung) – ein Problem, mit dem die überwiegende Anzahl der Studien konfrontiert war. Verringern ließe sich dieser Bias nur durch verpflichtende Untersuchungen (z. B. im Rahmen von repräsentativen Erhebungen, etwa im Rahmen bestehender Überwachungsaufträge staatlicher oder berufsgenossenschaftlicher Arbeitsschutzinstitutionen).


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Verständnis von BGF/BGM

Wie die jeweilige Formulierung der Fragestellung in den einzelnen Erhebungen zeigt, sind sich Wissenschaft und Praxis der Betrieblichen Gesundheitsförderung in Deutschland nicht darüber einig, welche konkreten betrieblichen Bemühungen im Detail unter die Begriffe Betriebliche Gesundheitsförderung bzw. Betriebliches Gesundheitsmanagement fallen. Ein Teil der Untersuchungen, z. B. [9] [12] [15] [22] arbeitet mit Auswahllisten, die meist Struktur- und Prozesselemente sowie Verhaltensangebote enthalten und ja/nein/weiß-nicht-Antworten vorsehen. Ein weiterer praktizierter Zugang besteht darin, den Adressaten eine Definition vorzulegen und sie dazu aufzufordern, die Antworten auf diese zu beziehen z. B. [8] [13] [17] [20]. Ein Problem stellt in diesem Zusammenhang die Frage dar, inwieweit eine Abgrenzung zwischen Gesundheitsförderung und Arbeitsschutz möglich und sinnvoll ist. Angesichts der, durch die europäische Arbeitsschutzgesetzgebung erreichte Annäherung zwischen beiden Bereichen und infolge der durchaus wünschenswerten Integration partizipativer Elemente und psychosozialer Themen in den Arbeitsschutz [5] erscheinen Abgrenzungen in dem Sinne, dass nur Maßnahmen eruiert werden, die über den gesetzlich vorgeschriebenen Arbeitsschutz hinausgehen z. B. [9] [12] [17] ebenso problematisch wie der Versuch, arbeitsschutzbezogene Aktivitäten in die Untersuchung generell einzubeziehen z. B. [15] [16] [21] [22]. Der letztere, in einigen Studien verfolgte Ansatz dürfte für die ermittelten, hohen Umsetzungsgrade mitverantwortlich sein. Während die meisten anderen Studien nach der konkreten Umsetzung von BGF/BGM-Elementen fragen, interessierte sich die Studie von Jung et al. [13] für positive Einstellungen im Management zugunsten von BGF/BGM. Die aus diesen Beobachtungen abzuleitende Forderung mündet in das Postulat, in künftigen Untersuchungen eine einheitliche und operationale Definition dessen anzustreben, was im Einzelnen in Zusammenhang mit BGF/BGM erfasst werden soll.


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Untersuchungszeitraum

Die meisten Studien benennen keinen eindeutigen Zeitpunkt oder Zeitraum, auf den sich die Recherche bezieht, sondern fragen generell, ob BGF/BGM bzw. bestimmte Maßnahmen im Unternehmen realisiert werden. Inwieweit sich die Antworten daher im Sinne einer Punktprävalenz auf den konkreten Erhebungszeitpunkt beziehen oder einen längeren Zeitraum im Auge haben, bleibt dabei oft der Interpretation der jeweiligen Respondenten überlassen. Eine Ausnahme hiervon bildet die Untersuchung von Bechmann et al. [10], die ihre Fragestellung explizit auf den aktuellen Zeitpunkt des Interviews beziehen. In ihrer Längsschnittbetrachtung fragen Groeben et al. nach Veränderungen in der Verbreitung von Maßnahmen der BGF in den letzten 5 bzw. 6 Jahren [15] [16], während im Querschnitt danach differenziert wurde, ob die Maßnahme „abgeschlossen“, „derzeit erprobt“, „ab und zu durchgeführt“ „Routine“ oder „geplant“ ist [15]. Inwieweit der erfasste Zeitraum in den übrigen Studien einen Einfluss auf die Antworten hatte, kann letztlich nicht geklärt werden. Abgeleitet werden sollte für künftige Analysen jedoch die Forderung nach einer möglichst konkreten Definition des interessierenden Prävalenzzeitraums.


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Erhebungszeitpunkt

Angesichts der seit 2007 bestehenden Verpflichtung der Krankenkassen zugunsten der Realisierung von BGF/BGM und einer zunehmenden allgemeinen Informationsdichte zum Thema lässt sich erwarten, dass die betriebliche Akzeptanz entsprechender Aktivitäten in den letzten Jahren gestiegen ist. Ältere Studien müssten nach dieser Annahme geringere Prävalenzen aufweisen als jüngere. Da es sich bei den meisten Arbeiten um Querschnittanalysen handelt, und sich ein studienübergreifender Vergleich als problematisch erweist, lässt sich diese Vermutung lediglich anhand der wenigen vorliegenden Kohorten- bzw. Langzeitstudien prüfen. Entgegen dieser Hypothese verzeichnet die Arbeitsgruppe um Gröben im Zeitraum von 1997 bis 2003 in der Dienstleistungs- und Metallverarbeitungsindustrie einen Rückgang bei der quantitativen Verbreitung [16] [18] [21]; die Autoren betonen aber den parallel dazu erfolgten, leichten Anstieg in der Qualität der Maßnahmen. Eine erhöhte quantitative Akzeptanz stellen dagegen Hollederer et al. auf Basis der wiederholten Auswertungen der IAB-Paneldaten fest. So ist in den Jahren von 2002 über 2004 bis 2012 der Anteil der Betriebe mit BGF von 19% über 20% auf 27% angestiegen [9] [12]. Um die Annahme einer zunehmenden Akzeptanz von BGF/BGM zu bestätigen, wären weitere Langzeit-, insbesondere Kohortenstudien mit einem einheitlichen Design und der Kontrolle von Drop-Out-Fällen vonnöten.


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Erfasste Interventionen

Die Auseinandersetzung mit den in den Studien erfassten Einzelmaßnahmen zeigt eine erhebliche Heterogenität bei der Erfassung und Zuordnung von Aktivitäten. Während einige Arbeiten bspw. eher strukturelle und strategische Elemente von BGF/BGM wie Steuerkreise und Bedarfsanalysen erheben, konzentrieren sich andere stärker auf konkrete Aktionen und Programme, die unmittelbar auf Beschäftigte ausgerichtet sind. Bestimmte Maßnahmen wurden nur in einzelnen Studien erfasst und entziehen sich damit einer Vergleichbarkeit, z. B. Arbeitszeitgestaltung [20]. Besonders erschwert die unterschiedliche Zuordnung konkreter Maßnahmen zu Themenkomplexen einen allgemeingültigen Überblick. So erfassen Bechmann et al. [10] eine „regelmäßige Analyse der betrieblichen Situation“ ohne diese näher zu bestimmen, während sich andere Erhebungen speziell nach Mitarbeiterbefragungen oder der Auswertung von Arbeitsunfähigkeitsdaten erkundigen. Noch unübersichtlicher ist der Status Quo im Hinblick auf verhaltensbezogene Programme, die in sehr unterschiedlicher Weise kategorisiert werden. Während Hollederer [12] z. B. Mitarbeiterfortbildungen, Seminare, Lehrgänge, Schulungen, Erste-Hilfe-Kurse u. ä. als Einheit erfasst und mit 5% beziffert, differenzieren Ulmer and Groeben [21] nach Kommunikationstrainings (28%), Managementseminaren (27%), Konfliktmanagement-Seminaren (27%), Seminaren zur Teamzusammenarbeit (21%). Andere Angaben wie „Verbesserung der sozialen Beziehungen am Arbeitsplatz“ [17] lassen offen, um welche Art von Intervention es sich konkret handelt. Aufgrund dieser Divergenzen war ein Rangsummenvergleich nicht möglich, sodass die Frage, welche Maßnahmen generell am häufigsten umgesetzt werden, auf Basis der gegebenen Datenlage nicht zu beantworten ist. Eine Prioritätensetzung zugunsten verhaltenspräventiver Aktivitäten lässt sich auf Grundlage der vorliegenden Studien für die betrieblicherseits beschriebenen Programme nicht bestätigen. Wichtig für die künftige Forschung wäre eine Einigung auf ein gemeinsames Erfassungs- und Kategorisierungsschema, anhand dessen valide und vergleichbare Angaben möglich sind.


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Ergebnisdiskussion

Die hier zusammengestellten Erhebungen basieren zum Teil auf umfangreichen und aufwändigen Untersuchungen und liefern wertvolle Beiträge zur Erhöhung der Transparenz über den Zustand von BGF/BGM in Deutschland. Allerdings fußen die Arbeiten auf divergierenden Designs, Stichprobenauswahlen und Fragestellungen und kommen demzufolge zu heterogenen Ergebnissen. Zudem erweist es sich immer wieder als schwierig, Aktivitäten der BGF/des BGM adäquat zu erfassen: Neben der Komplexität des Konzepts und der Vielfalt der darunter subsumierten Interventionen erschweren mehrdeutige Begriffsverständnisse und Zugänge eindeutige Aussagen über die Verbreitung von BGF/BGM.

Einen weiteren kritischen Punkt stellt die Identifikation möglicher Einflussfaktoren auf die Wahrscheinlichkeit der Umsetzung von BGF dar. Angesichts des Umstandes, dass es sich bei den meisten der vorgestellten Arbeiten um Querschnittanalysen handelt, ist die Frage nach der Kausalität an einigen Stellen nicht eindeutig zu beantworten. Ob bspw. das Vorhandensein eines Gesundheitskoordinators [11], die Zahl der Hierarchieebenen und der Dauerarbeitsverhältnisse [13] Ursache oder Folge für die Umsetzung von BGF/BGM darstellen, oder welches die faktischen Ursachen einer höheren Verbreitung in den neuen Bundesländern sind, müsste im Rahmen weiterer Analysen geklärt werden. Auch für weitere Merkmale besteht Unklarheit hinsichtlich der Kausalität der Zusammenhänge, die im Rahmen weiterer Studien geklärt werden sollten. So identifizieren Köhler et al. [17] sowie Beck et al. [11] wirtschaftlichen Druck als begünstigenden Einflussfaktor, während Jung et al. [13] dem wirtschaftlichen Erfolg eine positive Wirkung zuschreiben. Unter welchen Bedingungen sich die wirtschaftliche Situation in welcher Weise auf die Akzeptanz von BGF/BGM auswirkt, dürfte von weiteren, intervenierenden Größen abhängen, die in künftigen Studien zu ermitteln wären.

Weitergehende Überlegungen zur Erfassbarkeit der Wirkung von BGF

In der vorliegenden Analyse wurden quantitativ angelegte Arbeiten ausgewertet, die sich typischerweise auf eine Kategorisierung und Digitalisierung bzw. Quantifizierung der erfassten Phänomene stützen. Was diese Analysen kaum zu erfassen vermögen, ist die Qualität des betrieblichen Miteinanders und der Organisationskultur, der Arbeitsbedingungen, des Führungsverhaltens und der erlebten Gratifikation und Wertschätzung. Wie die arbeitswissenschaftliche Forschung der letzten Jahre sehr valide nachweisen konnte, sind es vor allem diese Merkmale, die über Wohlbefinden und Gesundheit von Beschäftigten entscheiden [23] [24] [25] [26]. Gesundheitsfördernde betriebliche Aktivitäten müssen sich deshalb daran messen lassen, inwieweit sie in der Lage sind, diese Bedingungen herzustellen oder zumindest eine Annäherung herbeizuführen. Betriebliche Bedarfsanalysen bspw. können nur dann eine positive Wirkung entfalten, wenn sie dazu dienen, Veränderungsnotwendigkeiten aus Sicht der Beschäftigten zu identifizieren, und wenn ernsthaft und ehrlich an den daraus resultierenden Themen gearbeitet wird. Selbst partizipative Maßnahmen wie Gesundheitszirkel sind nur so wertvoll, wie die seitens der Beschäftigten ausgearbeiteten Anregungen von den Entscheidungsverantwortlichen aufgegriffen und umgesetzt werden. Gleichfalls sind die vonseiten managementorientierter Ansätze besonders hervorgehobenen Struktur- und Prozesselemente – etwa die Formulierung strategischer Ziele und Planungen, die Einrichtung von Steuerungskreisen u. a. m. z. B. [27] [28] kein Selbstzweck. Vielmehr haben sie die Aufgabe, Bedingungen herzustellen, die „Arbeit zu einer Quelle der Gesundheit und nicht der Krankheit“ machen [29]. Die Qualität von BGF/BGM besteht demnach nicht nur im schematischen Vollzug von Prozessen, sondern zeigt sich darin, wie die ermittelten Strukturen, Prozesse und Maßnahmen im Einzelnen ausgestaltet werden – etwa in der Glaubwürdigkeit ihrer Versprechungen, im Ausmaß wertschätzender betrieblicher Kommunikation oder darin, wie Mitarbeiter als Subjekte wahrgenommen, gefördert, unterstützt und gefordert werden. Wenn es gelingt, den Fokus der Forschung nicht nur auf das „Was“ zu richten, sondern auf das „Wie“ kommen wir der Frage näher, ob BGF/BGM einen Beitrag zu mehr Gesundheit bei der Arbeit leisten kann. Die quantitative Erfassung von Maßnahmen ist nur ein erster Schritt innerhalb eines solchen Forschungsportfolios.


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Fazit

Bezüglich der Umsetzung von Betrieblicher Gesundheitsförderung in der deutschen Wirtschaft liegen heute diverse Untersuchungen vor, die allerdings hinsichtlich Fragestellung, Repräsentativität und Erhebungsdesign – und damit auch im Ergebnis wesentlich unterscheiden. Generelle Aussagen hinsichtlich der Umsetzung von BGF/BGM sind daher schwierig zu treffen. Dennoch lassen sich spezifische Merkmale benennen, die in einem Großteil der Studien übereinstimmend als begünstigende Einflussfaktoren identifiziert wurden. Dazu scheinen vor allem die Betriebsgröße und das Vorhandensein einer Beschäftigtenvertretung zu gehören. Für die in Einzelstudien gefundenen, zahlreichen weiteren Merkmale sind weitergehende Einzelstudien ebenso wie Metaanalysen nötig. Um den Erfolg der BGF/BGM-Aktivitäten adäquat erfassen zu können, empfehlen sich neben quantitativen Analysen Triangulationen aus quantitativen und qualitativen Designs.


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Interessenkonflikt:

Die Autorin gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Danksagung

Vielen Dank für die hilfreichen Anregungen und Hinweise zur Überarbeitung des Manuskripts..

  • Literatur

  • 1 MDS. Präventionsbericht 2015. Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung: Primärprävention und betriebliche Gesundheitsförderung: Berichtsjahr 2014. Berlin 2015;
  • 2 Badura B, Schröder H, Vetter C. Fehlzeiten-Report 2008. Betriebliches Gesundheitsmanagement: Kosten und Nutzen. Heidelberg, New York: Springer; 2009
  • 3 Bräunig D, Haupt J, Kohstall T et al. Wirksamkeit und Nutzen betrieblicher Prävention. iga-Report 28. Berlin 2015;
  • 4 Eberle G. Erfolgsfaktor Betriebliches Gesundheitsmanagement – betriebswirtschaftlicher Nutzen aus Unternehmersicht. Prävention. In: Kirch W, Badura B. (ed.). Prävention. Berlin, Heidelberg: Springer; 2006: 325-338
  • 5 Faller G, Faber U. Hat BGF eine rechtliche Grundlage? Gesetzliche Anknüpfungspunkte für die Betriebliche Gesundheitsförderung in Deutschland. In: Faller G. (Hrsg.) Lehrbuch Betriebliche Gesundheitsförderung. Bern: Huber; 2012: 9-52
  • 6 ENWHP. Die Luxemburger Deklaration zur betrieblichen Gesundheitsförderung in der Europäischen Union; 2007. Im Internet http://www.luxemburger-deklaration.de Stand: 15 September 2015;
  • 7 Badura B, Ritter W, Scherf M. Betriebliches Gesundheitsmanagement – ein Leitfaden für die Praxis. Berlin: sigma; 1999
  • 8 Ansmann L, Jung J, Nitzsche A. et al. Zusammenhänge zwischen der Betriebsstruktur und Betrieblichem Gesundheitsmanagement in der Informationstechnologie- und Kommunikationsbranche. Gesundheitswesen 2012; 74: 298-305
  • 9 Hollederer A, Wießner F. Prevalence and development of workplace health promotion in Germany: results of the IAB Establishment Panel 2012. Int Arch Occup Environ Health 2014 published online
  • 10 Bechmann S, Jäckle R, Lück P et al. Motive und Hemmnisse für Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM). iga Report 20. Berlin, Essen 2010;
  • 11 Beck D, Lenhardt U, Schmitt B. et al. Patterns and predictors of workplace health promotion: cross-sectional findings from a company survey in Germany. BMC Public Health 2015; 15: 343ff
  • 12 Hollederer A. Betriebliche Gesundheitsförderung in Deutschland–Ergebnisse des ABBetriebspanels 2002 und 2004. Gesundheitswesen 2007; 69: 63-76
  • 13 Jung N, Nitzsche A, Ansmann L. et al. Organizational factors and the attitude toward health promotion in German ICT-companies. Health Promotion International 2012; 27: 382-393
  • 14 Zelfel RC, Alles T, Weber A. Gesundheitsmanagement in kleinen und mittleren Unternehmen – Ergebnisse einer repräsentativen Unternehmensbefragung. Das Gesundheitswesen 2011; 73: 515-519
  • 15 Gröben F, Wenninger S. Betriebliche Gesundheitsförderung im öffentlichen Dienst. Ergebnisse einer Wiederholungsbefragung von Führungskräften in Hessen und Thüringen. Prävention und Gesundheitsförderung 2006; 2: 94-98
  • 16 Gröben F, Ulmer J. Gesundheitsförderung im Betrieb. Düsseldorf: Hans-Böckler-Stiftung; 2004
  • 17 Köhler T, Janssen C, Plath SC. et al. Determinants of workplace health promotion in the insurance sector: results of a complete survey of German insurance companies in 2006. Gesundheitswesen 2009; 71: 722-731
  • 18 Gröben F. Betriebliche Gesundheitsförderung in Hessen und Thüringen. Ergebnisse einer Betriebsbefragung. Prävention 2000; 23: 17-21
  • 19 Gröben F. Ergebnisse einer Umfrage bei Führungskräften zur Prävention und betrieblichen Gesundheitsförderung im öffentlichen Dienst in Hessen und Thüringen. In: Badura B, Litsch M, Vetter C. (Hrsg.) Fehlzeitenreport 2001: Gesundheitsmanagement im öffentlichen Sektor. Berlin, Heidelberg: Springer; 2002: 50-62
  • 20 Plath SC, Köhler T, Krause H. et al. Prevention, health promotion and workplace health management in German banks: Results from a nationwide representative survey. Journal of Public Health 2008; 16: 195-203
  • 21 Ulmer J, Groeben F. Work place health promotion. A longitudinal study in companies placed in Hessen und Thueringen. Journal of Public Health 2005; 13: 144-152
  • 22 Wartmann A, Reinheckel A. Ist betriebliche Gesundheitsförderung in Kleinbetrieben ein Thema?. Prävention 2006; 29: 47-49
  • 23 Badura B, Hehlmann T. Betriebliche Gesundheitspolitik. Berlin, Heidelberg, New York: Springer; 2003
  • 24 Fuchs M. Sozialkapital: nicht nur produktiv, sondern auch gesund. In: Faller G. (Hrsg.) Lehrbuch Betriebliche Gesundheitsförderung. Bern: Huber; 2012: 113-121
  • 25 Moldaschl M. Das Konzept der Widersprüchlichen Arbeitsanforderungen (WAA). Ein nichtlinearer Ansatz zur Analyse von Belastung und Bewältigung in der Arbeit. In: Faller G. (Hrsg.) Lehrbuch Betriebliche Gesundheitsförderung. Bern: Huber; 2012: 102-112
  • 26 Peter R. Von Handlungs- und Entscheidungsspielräumen, Belohnungen und betrieblicher Gerechtigkeit: Die Modelle Demand-Control und berufliche Gratifikationskrise. In: Faller G. (Hrsg.) Lehrbuch Betriebliche Gesundheitsförderung. Bern: Huber; 2012: 79-88
  • 27 Kaminski M. Betriebliches Gesundheitsmanagement für die Praxis. Wiesbaden: Springer, Gabler; 2013
  • 28 EuPD Research. Corporate Health Jahrbuch. Bonn 2014;
  • 29 WHO. The Ottawa Charter for Health Promotion. 1986; Im Internet: http://www.euro.who.int/de/publications/policy-documents/ottawa-charter-for-health-promotion Stand: 15. September 2015;

Korrespondenzadresse

Prof. Gudrun Faller
Department of Community Health
Hochschule für Gesundheit Bochum
Universitätsstraße 105
44789 Bochum

  • Literatur

  • 1 MDS. Präventionsbericht 2015. Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung: Primärprävention und betriebliche Gesundheitsförderung: Berichtsjahr 2014. Berlin 2015;
  • 2 Badura B, Schröder H, Vetter C. Fehlzeiten-Report 2008. Betriebliches Gesundheitsmanagement: Kosten und Nutzen. Heidelberg, New York: Springer; 2009
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  • 22 Wartmann A, Reinheckel A. Ist betriebliche Gesundheitsförderung in Kleinbetrieben ein Thema?. Prävention 2006; 29: 47-49
  • 23 Badura B, Hehlmann T. Betriebliche Gesundheitspolitik. Berlin, Heidelberg, New York: Springer; 2003
  • 24 Fuchs M. Sozialkapital: nicht nur produktiv, sondern auch gesund. In: Faller G. (Hrsg.) Lehrbuch Betriebliche Gesundheitsförderung. Bern: Huber; 2012: 113-121
  • 25 Moldaschl M. Das Konzept der Widersprüchlichen Arbeitsanforderungen (WAA). Ein nichtlinearer Ansatz zur Analyse von Belastung und Bewältigung in der Arbeit. In: Faller G. (Hrsg.) Lehrbuch Betriebliche Gesundheitsförderung. Bern: Huber; 2012: 102-112
  • 26 Peter R. Von Handlungs- und Entscheidungsspielräumen, Belohnungen und betrieblicher Gerechtigkeit: Die Modelle Demand-Control und berufliche Gratifikationskrise. In: Faller G. (Hrsg.) Lehrbuch Betriebliche Gesundheitsförderung. Bern: Huber; 2012: 79-88
  • 27 Kaminski M. Betriebliches Gesundheitsmanagement für die Praxis. Wiesbaden: Springer, Gabler; 2013
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  • 29 WHO. The Ottawa Charter for Health Promotion. 1986; Im Internet: http://www.euro.who.int/de/publications/policy-documents/ottawa-charter-for-health-promotion Stand: 15. September 2015;