Einleitung
Cannabis ist die in Deutschland und Europa am weitesten verbreitete illegale Droge
[1 ]. Derzeit wird in Politik und Öffentlichkeit über den Umgang mit Cannabinoiden debattiert.
Die DGP möchte gemeinsam mit der DGAUM, DGS, DG-Sucht, DGKPJ, DGKJ, GPP, BVKJ, BdP,
DGK und der Herzstiftung in diesem Positionspapier auf der Grundlage der aktuellen
wissenschaftlichen Literatur die Gesundheitsrisiken von Cannabis aufzeigen, wozu neben
den psychischen und neurologischen auch die bronchopulmonalen und kardialen Nebenwirkungen
zählen. Zusätzlich soll auch auf potenziell positive Wirkungen, die bei einigen Krankheiten
beschrieben sind, eingegangen werden.
Allgemeines
Cannabis hat eine jahrtausendealte Tradition als Nutz- und Heilpflanze und gehört
zu den ältesten bekannten Rauschmitteln. In Europa wurde die Rauschwirkung im 19. Jahrhundert
bekannt. Der Konsum breitete sich hierzulande vor allem in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts
aus. So wurde Haschisch in Deutschland das nach Alkohol und Nikotin am meisten konsumierte
Rauschmittel [2 ]. Viele Menschen, vor allem Konsumenten, halten die Droge für eher harmlos und weniger
schädlich als Alkohol oder Tabak [1 ].
Laut Drogen- und Suchtbericht des Jahres 2015 der Bundesregierung lag die Prävalenz
der 15 – 64-Jährigen, die im Laufe ihres Lebens überhaupt Cannabis konsumiert hatten,
bei 23,2 %, in den letzten zwölf Monaten hatten immerhin noch 4,5 % konsumiert [3 ]. Bei den jungen Erwachsenen im Alter von 18 bis 25 Jahren deutet sich seit 2008
ein Wiederanstieg des Cannabiskonsums an. Während es bei der Mehrzahl beim Probierkonsum
bleibt, stellen die regelmäßigen und häufigen Cannabiskonsumenten die eigentliche
Risikogruppe für die Entwicklung nachhaltiger Gesundheitsstörungen dar. Der Anteil
Jugendlicher und junger Erwachsener, die mindestens einmal in ihrem Leben Cannabis
konsumiert haben, unterliegt in Deutschland einem langfristigen Wandel. In den 1980er
Jahren beginnt ein kontinuierlicher Anstieg, der 2004 seinen Höhepunkt erreicht. In
den Folgejahren ist ein Rückgang zu verzeichnen [4 ]. Seit 2011 steigen die Zahlen der Jugendlichen wieder an ([Abb. 1 ]).
Abb. 1 Lebenszeitprävalenz des Cannabiskonsums bei 12- bis 17- und bei 18- bis 25-Jährigen
von 1973 bis 2014 (ab 1993 einschließlich neue Bundesländer) [4 ].
Sorge bereitet speziell der Cannabiskonsum bei Kindern und Jugendlichen. Der Anteil
männlicher 12- bis 17-jähriger Jugendlicher, die in den letzten zwölf Monaten Cannabis
konsumiert haben, war von 2004 bis 2011 rückläufig. Seitdem steigt der Anteil wieder
an, bis auf aktuell 9,0 %. Auch der regelmäßige Konsum hat in dieser Altersgruppe
wieder zugenommen. Mit 2,2 % liegt er im Jahr 2014 auf dem Niveau von 2001 bis 2007. Bei
den weiblichen 12- bis 17-Jährigen liegen die Zahlen etwas niedriger, auch hier zeichnet
sich aktuell ein Anstieg aller Konsummerkmale ab. Der Cannabiskonsum in den letzten
zwölf Monaten erhöhte sich von 2,8 % (2011) auf 6,4 % (2014) und die Verbreitung des
regelmäßigen Konsums von 0,2 % (2010) auf 1,5 % (2014) [4 ].
Schätzungsweise 600 000 erwachsene Personen in Deutschland weisen einen missbräuchlichen
oder abhängigen Cannabiskonsum auf [5 ]. In der deutschen Allgemeinbevölkerung erfüllt 1 % der Erwachsenen die DSM-IV-Kriterien
(diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen) eines Cannabismissbrauchs
(0,5 %) oder einer Cannabisabhängigkeit (0,5 %) [6 ]. Im Vergleich dazu liegen höhere Prävalenzraten für Alkoholmissbrauch und -abhängigkeit
(3,1 % beziehungsweise 3,4 %) und Nikotinabhängigkeit (10,8 %) vor. Die Abhängigkeit
von anderen illegalen Substanzen, zum Beispiel von Amphetamin oder Kokain (0,2 % und
0,3 %), kommt seltener vor [5 ]. Insgesamt entwickeln etwa 9 % aller Cannabiskonsumenten über die Lebenszeit eine
Cannabisabhängigkeit, diese Rate beträgt 17 %, wenn der Cannabiskonsum in der Adoleszenz
beginnt, und 25 – 50 %, wenn Cannabinoide täglich konsumiert werden [7 ]
[8 ].
Cannabis gehört zur Gattung der Hanfgewächse (Cannabaceae) mit psychoaktiven Wirkstoffen, die meist in Form von Haschisch (Dope, Shit) oder Marihuana (Gras) als
Rauschmittel konsumiert werden. Haschisch ist das aus Pflanzenteilen der weiblichen
Cannabispflanze gewonnene Harz (Cannabisharz), Marihuana sind die getrockneten, blütennahen,
kleinen Blätter der weiblichen Hanfpflanze (Cannabiskraut). Cannabis bzw. Cannabisprodukte
gehören nach dem deutschen Betäubungsmittelgesetz zu den illegalen Suchtmitteln, deren
Besitz und Anbau ebenso wie der Handel damit verboten sind und strafrechtlich verfolgt
werden (Ausnahme: Zugelassene Fertigarzneimittel dürfen auf Cannabis-Basis hergestellt
und auf Betäubungsmittel (BtM)-Rezept verschrieben werden. Auch können bei der Bundesopiumstelle
Anträge auf Erteilung einer Ausnahmeerlaubnis nach § 3 Absatz 2 BtMG zum Erwerb von
Cannabis-Blüten und Cannabis-Extrakt zur Anwendung im Rahmen einer medizinisch betreuten
und begleiteten Selbsttherapie gestellt werden.) Die Mehrheit der Konsumenten bevorzugt
Marihuana gegenüber Haschisch [1 ].
Laut der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA) [9 ] ist „der Hauptwirkstoff aller Cannabis-Produkte Δ9 -Tetrahydrocannabinol (Δ9 -THC oder einfach THC), das auch unter seinem Internationalen Freinamen Dronabinol
(INN) bekannt ist. Die ungesättigte Bindung im Cyclohexanring liegt im gängigeren
Nummerierungssystem der Dibenzopyranringe zwischen C-9 und C-10. Zu THC gibt es vier
Stereoisomere, von denen jedoch nur das ( – )-trans-Isomer (CAS-1972-08-03) natürlich
vorkommt. Der volle systematische Name dieses THC-Isomers lautet (−)-(6aR,10aR)-6,6,9-Trimethyl-3-pentyl-6a,7,8,10a-tetrahydro-6H-benzo[c]chromen-1-ol.
In Cannabis finden sich auch, mitunter in größeren Mengen, zwei verwandte Substanzen:
Δ9 -Tetrahydrocannabinol-2-onsäure und Δ9 -Tetrahydrocannabinol-4-onsäure (THCA). Beim Rauchen wandelt sich THCA teilweise in
THC um. Das aktive Isomer Δ8 -THC, bei dem die ungesättigte Bindung im Cyclohexanring zwischen C-8 und C-9 liegt,
kommt in viel kleineren Mengen vor.
Der Gehalt an THC, der psychotropen Hauptsubstanz in Cannabis, ist im letzten Jahrzehnt
deutlich angestiegen, der Wirkstoff Cannabidiol (CBD) ist jedoch in vielen Züchtungen
nicht mehr vorhanden [8 ]. Diesem werden unter anderem anxiolytische, antipsychotische, anti-inflammatorische,
antiemetische und neuroprotektive Effekte zugeschrieben, die eventuell die aversiven
Wirkungen von THC ausgleichen können. Dem Konsum von Cannabisprodukten mit hohem THC-
und gleichzeitig niedrigem CBD-Gehalt werden bei Menschen mit entsprechender Prädisposition
unerwünschte Effekte zugeschrieben (s. u.).
Die durchschnittliche „Reefer“-Zigarette enthält etwa 200 mg pflanzliches Cannabis
oder Cannabisharz. Cannabis-Zigaretten werden auch als Reefers, Joints oder Spliffs
bezeichnet. Straßenbezeichnungen für Cannabis/Cannabisharz sind unter anderem Bhang,
Charas, Pot, Dope, Ganja, Hanf, Weed, Blow, Gras und viele andere (www.emcdda.europa.eu ). Die häufigste Form des Cannabiskonsums ist das Rauchen von Joints. Joints sind
selbstgedrehte Zigaretten, in denen zerbröseltes Haschisch oder Marihuana meist mit
Tabak vermengt wird [2 ]. Weil sich THC in Wasser schlecht löst, wird oral eingenommenes Cannabis nur schlecht
absorbiert.
Mehr als 130 verschiedene synthetische Cannabinoide, die als legaler Ersatz für Cannabis
verkauft werden und dem Cannabismarkt eine neue Dimension hinzufügen, wurden bislang
über das EU-Frühwarnsystem entdeckt. Der Konsum dieser Substanzen kann erhebliche
gesundheitsschädliche Auswirkungen haben und zu akuten Vergiftungen und Todesfällen
führen [1 ].
In den USA soll fast die Hälfte der Wasserpfeifenraucher statt Tabak Marihuana rauchen
[10 ]. Auch wird aus den USA als neuer Trend berichtet, Cannabis gelöst in der Flüssigkeit
von E-Zigaretten zu inhalieren und so den toxischeren Tabakkonsum zu vermeiden [11 ]. Das könnte dazu führen, dass E-Zigaretten nicht nur das Potenzial zum Einstieg
(Gateway) zum Zigarettenrauchen [12 ], sondern auch zum Cannabiskonsum haben. Kritisch muss auch gesehen werden, dass
die multinationalen Tabak-, Nahrungsmittel- und Getränkekonzerne die Absicht haben,
aus einer erleichterten Zugänglichkeit von Cannabis (z. B. infolge Entkriminalisierung)
mit massiver Produktion und Vermarktung von Cannabis Kapital zu schlagen [13 ]
[14 ].
Es sei hier angemerkt, dass laut Pressemitteilung der EU-Drogenbeobachtungsstelle
zum European Drug Report 2015 die zentrale Rolle von Cannabis in Statistiken über
Drogenkriminalität hervorgehoben wird, denen zufolge 80 % der Sicherstellungen auf
die Droge und 60 % aller gemeldeten Drogendelikte in Europa auf den Konsum oder Besitz
von Cannabis für den eigenen Gebrauch entfallen [1 ].
Gesundheitsschädliche Auswirkungen von Cannabis
Gesundheitsschädliche Auswirkungen von Cannabis
Cannabiskonsum ist mit gesundheitlichen Risiken assoziiert. Abhängig von Alter, Dosis,
Frequenz, Applikationsform, Situation und individueller Disposition eines Menschen
können unterschiedliche akute und chronische Folgeschäden auftreten.
An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die Datenlage oft nur unzureichend ist,
um feste Aussagen zu machen. Empirisch mittlerweile sehr gut belegt ist, dass ein
im Leben früher, hochdosierter, langjähriger und regelmäßiger Cannabisgebrauch das
Risiko für unterschiedliche Störungen der psychischen und körperlichen Gesundheit
und der altersgerechten Entwicklung erhöht [8 ].
Akute körperliche Wirkungen sind verstärkter Appetit, Rötung der Augen, Müdigkeit,
Schwindel, Herzrasen, plötzlicher Blutdruckabfall, Durst, Mundtrockenheit, reduzierter
Tränenfluss und Muskelrelaxation [15 ]. Zu den akuten psychischen Wirkungen zählen u. a. Euphorie, Enthemmung, Angst oder
Agitiertheit, verändertes Zeiterleben, Einschränkung der Urteilsfähigkeit, Aufmerksamkeitsstörung,
Beeinträchtigung der Reaktionszeit, akustische, optische oder taktile Illusionen,
Halluzinationen bei erhaltener Orientierung, Depersonalisation und Derealisation sowie
eine beeinträchtigte persönliche Leistungsfähigkeit [8 ]. Die Symptome bilden sich nach Abklingen der pharmakologischen Wirkung wieder zurück
(siehe auch „Psychische und Verhaltensstörungen durch Cannabis“).
Epidemiologische Studien haben bei regelmäßigem Konsum von Marihuana eine niedrigere
Prävalenz von Adipositas [16 ] und Diabetes mellitus [17 ] im Vergleich zu Personen ohne Cannabiskonsum gezeigt, was auf eine Beziehung zwischen
Cannabinoiden und peripheren metabolischen Prozessen hindeuten könnte. Als möglichen
Hinweis darauf zeigte eine umfangreiche Studie eine Assoziation zu niedrigen Nüchterninsulinspiegeln
sowie einem geringeren Taillenumfang [18 ].
Es existieren zahlreiche weitere potenzielle Effekte auf verschiedenste Organsysteme,
auf die im Folgenden ausführlicher eingegangen werden soll. Als Problem stellt sich
dabei, dass in den meisten Veröffentlichungen nicht oder nur unzureichend zwischen
den sich überlappenden Effekten des Tabakkonsums und des Cannabiskonsums differenziert
werden kann [13 ]
[19 ].
Eine Übersicht über die gesundheitsschädlichen Auswirkungen von Cannabis gibt [Tab. 1 ].
Tab. 1
Gesundheitsschädliche Auswirkungen des kurzzeitigen und des dauerhaften oder intensiven
Konsums von Marihuana (modifiziert nach [7 ]).
Effekte bei kurzzeitigem Konsum
Beeinträchtigung des Kurzzeitgedächtnisses, Lernbehinderung
Beeinträchtigte motorische Koordination, Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit mit
erhöhtem Unfallrisiko
Beeinträchtigung der Urteilsfähigkeit mit dem Risiko sexueller Verhaltensweisen, die
die Übertragung von sexuell übertragbaren Krankheiten erleichtern
In hohen Dosen: Paranoia, Psychosen
Effekte bei dauerhaftem oder intensivem Konsum
Abhängigkeit (bei etwa 9 % aller Konsumenten, 17 % von denen, die in der Adoleszenz
mit dem Konsum beginnen, und 25 – 50 % von denen, die tägliche Konsumenten sind)[* ]
Veränderte Hirnentwicklung[* ]
Ungünstige Bildungsprognose, mit erhöhter Wahrscheinlichkeit, die Schule vorzeitig
zu verlassen[* ]
Kognitive Beeinträchtigungen, mit erniedrigtem IQ bei denjenigen, die in der Adoleszenz
häufige Konsumenten sind[* ]
Verringerte Lebenszufriedenheit und weniger Zielerreichung (auf Basis subjektiver
und objektiver Kenngrößen im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung)[* ]
Symptome der chronischen Bronchitis
Erhöhtes Risiko chronisch psychotischer Störungen (einschließlich Schizophrenie) bei
Personen mit einer Prädisposition für solche Störungen
* Der Effekt ist besonders stark assoziiert mit einem Beginn des Marihuana-Konsums
in der Adoleszenz.
Cannabis und seine Auswirkungen auf die Lungengesundheit
Cannabis und seine Auswirkungen auf die Lungengesundheit
Cannabis ist nach Tabak die weltweit zweithäufigste gerauchte Substanz, was schon
früh zu Bedenken hinsichtlich möglicher Auswirkungen auf die Lungengesundheit führte
([Tab. 2 ]).
Tab. 2
Bronchopulmonale Auswirkungen von Cannabisprodukten (modifiziert nach [13 ]).
Erkrankung
Bronchopulmonale Auswirkung
Mögliche Einflussfaktoren und Limitationen
Atemwegserkrankung/chronische Bronchitis
Verstärkte Symptome einer chronischen Bronchitis
Atemwegsinflammation
Mögliche Assoziation mit gleichzeitigem Tabakkonsum
COPD und beeinträchtigte Lungenfunktion
Geringe Beeinträchtigung bei gelegentlichem und geringem Cannabiskonsum insbesondere
i. S. einer Atemflussstörung
Mögliche erhöhte totale Lungenkapazität und Vitalkapazität
Mögliche Assoziation mit gleichzeitigem Tabakkonsum
Effekte bei häufigem Cannabiskonsum unzureichend untersucht
Einflussfaktoren nur unzureichend bekannt und untersucht
Lungenkrebs und Malignome des Atmungs- und Verdauungstrakts
Signifikant erhöhte Rate an histopathologischen und molekularen prämalignen Veränderungen
des Bronchialepithels
Gleichzeitiger Tabakkonsum als Einflussfaktor zu beachten
Kontroverse Studienergebnisse zum kausalen Zusammenhang zwischen Cannabis und Lungenkrebs
Infekte des unteren Atemwegstrakts
THC beeinträchtigt die mukoziliäre Clearance der Bronchien und die pulmonale Immunantwort
Mögliches erhöhtes Risiko für Infektion mit Aspergillus fumigatus (und Pneumocystis jerovicii) bei immunsupprimierten Patienten (z. B. HIV/AIDS, nach
Transplantation)
Für Tuberkulose möglicherweise durch gemeinsame Benutzung einer Wasserpfeife mit einem
hochinfektiösen Tuberkulosekranken
Barotrauma der Lunge (incl. Pneumothoraces, Pneumomediastinum, grobbullöse Lungenerkrankungen)
Mögliche Assoziation zu tiefer oder forcierter Inhalation
Mögliche Assoziation mit gleichzeitigem Tabakkonsum
nur in Kasuistiken berichtet
Asthma
Jüngst vermehrte Berichte über allergische Reaktionen auf Cannabisprodukte einschließlich
Asthma
Möglicher bronchodilatatorischer Effekt von Cannabisprodukten
COPD: chronisch obstruktive Lungenkrankheit; THC: delta-9-tetrahydrocannabinol.
Wie schon erwähnt, rauchen die Konsumenten Cannabis meist zusammen mit Tabak oder
sind regelmäßige Zigaretten-Raucher, was das Verständnis der pulmonalen Auswirkungen
durch Cannabis erschwert [13 ]
[19 ]. Dennoch scheint es einen möglichen additiven Effekt des Zigaretten- und Cannabisrauchens
auf die Lungenfunktion zu geben [20 ]. Cannabiskonsumenten beklagen bereits bei geringem inhalativem Cannabiskonsum häufig
chronische bronchitische Beschwerden wie Husten und Auswurf [21 ]
[22 ]. Die Entwicklung einer chronischen Bronchitis konnte mittlerweile von weiteren Autoren
bestätigt werden und ist die am meisten und stärksten belegte pulmonale Auswirkung
des Cannabis-Rauchens [20 ]
[23 ]
[24 ]. Dennoch blieben Zweifel durch die häufige Kombination mit dem Zigarettenrauchen.
Eine jüngste Studie konnte allerdings nicht nur den Zusammenhang des Cannabisrauchens
mit bronchitischen Beschwerden auch unabhängig vom Zigarettenrauchstatus bestätigen,
sondern auch zeigen, dass bei Konsumenten, die parallel Zigaretten und Cannabis rauchen,
nach Beendigung des Cannabisrauchens die bronchitischen Beschwerden deutlich rückläufig
waren [25 ]. Wenn auch die chronische Bronchitis als Folge des Cannabiskonsums somit sehr deutlich
ist, konnte ein Zusammenhang zwischen dem Rauchen von Cannabis und der Entstehung
einer COPD bisher nicht belegt werden [23 ]
[24 ]
[26 ]
[27 ]
[28 ].
Einige Kasuistiken berichteten zudem über einen Zusammenhang zwischen Cannabisrauchen
und Pneumothoraces, einem Pneumomediastinum sowie grobbullösen Lungenerkrankungen
– allerdings ist eine Kausalität nicht bewiesen, und man muss die Limitation von Kasuistiken
beachten [28 ]
[29 ]
[30 ]
[31 ]
[32 ].
Die Effekte des Cannabisrauchens auf die Lungenfunktion sind weniger eindeutig. Das
Rauchen von Cannabis scheint einigen Autoren zufolge mit einer erhöhten totalen Lungenkapazität
(TLC) und Vitalkapazität (VC) verbunden [26 ], deren Ursache nicht eindeutig geklärt ist und von manchen mit verstärkten Inhalationsmanövern
in Verbindung gebracht wird [23 ]. Allerdings sind hier sicherlich auch andere Einflussfaktoren zu berücksichtigen
und die Wertigkeit dieses Effekts mit Vorsicht zu betrachten. Andererseits findet
sich bei starkem, langjährigem Cannabisrauchen eine relevante Atemflusslimitation,
die dosisabhängig ist [27 ]
[33 ].
In einer gerade veröffentlichten Studie mit mehr als 10 000 Teilnehmern fanden sich
ebenfalls erhöhte Werte von VC sowie eine periphere Atemflusslimitierung [34 ]. Erstmals konnte in dieser Studie auch gezeigt werden, dass akuter Cannabiskonsum
zu einer Erniedrigung des fraktionierten Stickstoffmonoxids in der Ausatemluft (FeNO)
führt (ähnlich wie dies bei Tabakkonsum bekannt ist).
Eine Assoziation zwischen Cannabiskonsum und Lungenkrebs erscheint nicht unwahrscheinlich,
vor allem weil im Cannabisrauch mehrere karzinogene Stoffe zu finden sind [35 ]. Zudem suggerieren epidemiologische Daten einen Zusammenhang zwischen der Länge
und Stärke der Cannabisexposition und einem erhöhten Lungenkrebsrisiko [36 ]
[37 ]
[38 ]
[39 ]
[40 ]
[41 ]
[42 ], was jedoch nicht von allen Autoren bestätigt werden konnte [43 ]. Teilweise könnten diese Unterschiede mit unterschiedlichen Prävalenzen an Zigarettenrauchern
und unterschiedlicher Alterszusammensetzung erklärt werden.
Eine weitere noch nicht eindeutig geklärte Assoziation ist das möglicherweise erhöhte
Vorkommen von Pneumonien bei rauchenden Cannabiskonsumenten [13 ]
[44 ]. Immunsuppressive Effekte von Delta-9-Tetrahydrocannabinol mit Beeinträchtigung
der Makrophagenfunktion und der Zytokinproduktion [45 ]
[46 ]
[47 ] sowie der Ersatz der Zilien tragenden Bronchialschleimhaut durch mukushypersezernierende
Epithelzellen könnte pulmonalen Infekten Vorschub leisten [13 ]
[22 ]
[46 ]. Da Cannabis häufig mit Aspergillus fumigatus [48 ] oder potenziell pathogenen gram-negativen Keimen [49 ] kontaminiert ist, kann dies das Risiko einer Pneumonie erhöhen [13 ]. Dies wird durch Fallberichte über Aspergillus -Pneumonien bei Marihuana-Rauchern unterstrichen, die durch HIV/AIDS immunsupprimiert
sind [50 ], sowie bei chronisch granulomatösen Erkrankungen [51 ], nach Knochenmarktransplantation [52 ], Nierentransplantation [53 ] und nach Chemotherapie bei Lungenkrebs [54 ]. Auch sind Pneumocystis carinii (P. jerovicii )-Pneumonien bei Marihuana-Rauchern beschrieben [13 ]
[55 ]. Zudem gibt es Berichte über das Auftreten von Tuberkuloseinfektionen und Tuberkuloseerkrankungen
bei Marihuana-Rauchern, die mit einem hochinfektiösen Tuberkulosekranken gemeinsam
eine Wasserpfeife (Bong) benutzt haben [56 ]
[57 ]. Hier ist durch den engen Kontakt die Übertragung des Mycobacterium tuberculosis , aber auch auf dem Luftweg nicht auszuschließen [13 ].
Nachgewiesene Effekte des Cannabisrauchens auf die Atemwege beinhalten beispielsweise
eine verstärkte Mukussekretion – was die Ansiedelung von Keimen begünstigen kann –,
eine Atemwegshyperämie sowie Plattenepithelmetaplasien [22 ]
[46 ]. Daneben zeigen präklinische Daten, dass im Hauptstrom des Cannabisrauchs höhere
Konzentrationen von Ammonium, Hydrogen Zyaniden, NO usw. als im Zigarettenrauch vorhanden
sind [35 ], was eine höhere Toxizität des Cannabisrauchs vermuten lässt. Evidenzen dafür konnten
bereits gezeigt werden, indem Cannabisrauch vermehrt oxidativen Stress, Apoptose und
toxisch bedingte Entzündungsreaktionen im Vergleich mit Zigarettenrauch auslösen kann
[58 ].
Ungeklärt sind bislang die – für das Zigarettenrauchen bereits etablierten – möglichen
gesundheitlichen Gefährdungen, die vom Passivrauchen von Cannabis ausgehen, auch wenn
es erste Hinweise darauf gab [59 ]. Jedoch konnten die Autoren in einer nachfolgenden Studie dies nicht bestätigen
[60 ].
Allerdings sollen auch potenziell positive Effekte des Cannabis auf die Atemwege nicht
unerwähnt bleiben. So ist eine relativ hohe Anzahl an Cannabiskonsumenten unter den
Asthmatikern auffällig, was mit der Altersstruktur erklärbar wäre [33 ]. Dabei zeigt sich allerdings kein erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines Asthmas
[39 ], sondern vielmehr ein bronchodilatatorischer Effekt sowohl bei Asthmatikern als
auch bei Lungengesunden [61 ], was jedoch nicht von allen Autoren bestätigt wird [62 ]. Translationale Studien konnten belegen, dass dieser Effekt wahrscheinlich durch
die Aktivierung bestimmter Rezeptoren durch Cannabinoide vermittelt wird, was eine
Inhibition der Kontraktion der glatten Atemwegsmuskulatur bewirkt [63 ]. Anekdotisch wurde wohl Cannabisrauchen bereits im 19. Jahrhundert zur Therapie
des Asthmas empfohlen [64 ]. Allerdings mehren sich in den letzten Jahren Berichte über allergische Reaktionen
gegenüber Cannabis einschließlich Asthma [65 ]
[66 ]
[67 ].
Kopf-Hals-Tumoren
In einer Fall-Kontroll-Studie zeigte sich im Stratum mit der höchsten kumulativen
Exposition (in „Joint-jahren“) ein nicht signifikant erhöhtes Risiko für Kopf-Hals-Tumoren
(RR 1,6, 95 % CI 0,5 – 5,2) [68 ]. In einer gepoolten Analyse von neun Fall-Kontroll-Studien fand sich für oropharyngeale
Tumoren ein erhöhtes (Odds ratio 1,24, CI: 1,06 – 1,47), für Zungenkarzinome jedoch
ein niedrigeres Risiko (OR, 0,47; CI, 0,29, 0,75) [69 ].
Kardiovaskuläre Effekte
Auch bezüglich der kardiovaskulären Auswirkungen von Cannabis ist die Datenlage (noch)
recht dürftig und die Überlappung mit dem Tabakrauchen häufig. Erstmals in den 1970er
Jahren gab es mehrere Berichte über die negativen Effekte von Marihuana auf Herz,
koronare Durchblutung und Blutdruck [70 ]
[71 ]
[72 ]. Mittleman und Mitarbeiter zeigten 2001, dass der Konsum von Marihuana akut das
Risiko eines Herzinfarktes erhöhen kann [73 ]. So wurde auch für Patienten mit einer koronaren Herzerkrankung eine Warnung vor
dem Konsum ausgesprochen [74 ]
[75 ]. Eine mögliche Ursache könnte in der Erniedrigung von Stickstoffmonoxid (NO) im
Gefäßendothel liegen [34 ]
[76 ]. Beschrieben sind auch erhebliche Herzrhythmusstörungen, z. B. atriale Tachyarrhythmien
[77 ].
Systematische Erhebungen in dem französischen „Addictovigilance Network“ haben gezeigt,
dass eine Reihe von kardiovaskulären Ereignissen in einem unmittelbaren zeitlichen
Zusammenhang zum Konsum von Cannabis stehen: Akute Koronar-Syndrome, periphere Gefäßerkrankungen
und zerebrale Komplikationen wurden berichtet, teilweise mit Bestimmung von Cannabinol-Blutspiegeln
[78 ]. Trotz des häufig assoziierten Konsums von Tabak scheint bei dem jungen betroffenen
Personenkreis die kardiovaskuläre Ereignisrate überdurchschnittlich häufig zu sein,
insbesondere wenn man davon ausgeht, dass auch bei Ärzten und medizinischem Personal
ein solcher Zusammenhang noch nicht in die routinemäßigen Überlegungen einbezogen
wird und dementsprechend ein bedeutsames „underreporting“ angenommen werden muss [79 ].
Dennoch bestand in der Analyse der Datenbasis der Jahre 2006 bis 2010 des französischen
„Addictovigilance Network“ bei 1,8 % aller Krankheitsberichte ein Zusammenhang zwischen
Cannabiskonsum und kardiovaskulären Komplikationen, wobei die Todesrate in dieser
Krankheitskategorie trotz des jungen Alters des Kollektives von 34,3 Jahren mit 25 %
relativ hoch war. Insgesamt ist die Anzahl der berichteten Fälle noch gering, aber
es ergeben sich deutliche Hinweise, dass der Konsum von Cannabis auch bei jungen,
augenscheinlich gesunden Personen unter kardiovaskulären Gesichtspunkten über die
Effekte des Rauchens hinaus komplikationsauslösend sein kann. Eine gesetzliche Freigabe
des Cannabiskonsums mit einem deutlich erweiterten Konsumentenkreis dürfte mit einer
erhöhten Rate von ernsten und folgenschweren kardiovaskulären Komplikationen verbunden
sein – sogar in dem jungen Altersbereich der Cannabiskonsumenten.
Auswirkungen auf das Neugeborene
Auswirkungen auf das Neugeborene
Einzelne epidemiologische Studien weisen – allerdings mit inkonsistenter Datenlage
– darauf hin, dass Cannabiskonsum während der Schwangerschaft schädigende Einflüsse
auf das neugeborene Kind haben kann. Dazu zählen ein niedriges Geburtsgewicht, frühzeitige
Wehentätigkeit, intrauterine Wachstumsretardierung (small for gestational age) sowie
eine höhere Rate an neonatologischer intensivmedizinischer Betreuungsbedürftigkeit.
Dies kann u. a. durch substanzbedingte hormonelle Einflüsse sowie Veränderungen der
plazentaren Durchblutung erklärt werden [80 ].
Auswirkungen intrauteriner Exposition auf die kindliche Entwicklung
Auswirkungen intrauteriner Exposition auf die kindliche Entwicklung
Nur wenige Studien haben bislang prospektiv intrauterin exponierte Kinder in die Adoleszenz
verfolgt. Die Ergebnisse der bislang zwei einzigen Studien mit dieser Datenlage sind
aber bemerkenswert konsistent. Neugeborene weisen Verhaltensauffälligkeiten wie eine
erhöhte Schreckhaftigkeit und häufigen Tremor auf, die Schlafarchitektur ist gestört
[81 ]. Im Kleinkind- und frühen Schulkindalter schneiden exponierte Kinder schlechter
in neurokognitiven Tests ab (verminderte Aufmerksamkeit, Gedächtnis, verbale Expressionsmöglichkeit,
erhöhte Impulsivität). Ältere Schulkinder (9 – 12 Jahre) zeigen schlechtere Ergebnisse
in ihrer Fähigkeit zu logischem und abstraktem Denken, Impulskontrolle und visueller
Problemlösung. Des Weiteren zeigt sich eine erhöhte Rate an Aufmerksamkeitsdefizit
und Hyperaktivität. Eine verminderte Aufmerksamkeitsfähigkeit ließ sich auch bei Jugendlichen
nachweisen.
Auswirkungen auf Gehirn und Psyche
Auswirkungen auf Gehirn und Psyche
Hirnentwicklung
Bis weit über das Alter von 21 Jahren hinaus entwickelt sich das menschliche Gehirn.
In der Entwicklungsperiode ist es besonders vulnerabel für exogene Einflüsse. So weiß
man aus Tierversuchen, dass THC (Tetrahydrocannabinol) das Belohnungssystem für andere
Drogen beeinflusst. Regelmäßige Marihuana-Konsumenten haben eine reduzierte neuronale
Konnektivität (weniger Fasern) in bestimmten Hirnregionen, die für Aufmerksamkeit,
Selbstwahrnehmung, Lernen und Gedächtnisfunktionen bedeutsam sind. Die negativen Effekte
des Marihuana-Konsums auf die funktionelle Konnektivität von Hirnregionen sind insbesondere
dann ausgeprägt, wenn der Konsum in der Adoleszenz bzw. im jungen Erwachsenenalter
beginnt – ein Befund, der letztlich auch die beobachteten Intelligenzeinschränkungen
erklären kann [7 ]
[82 ]
[83 ]
[84 ].
Psychische und Verhaltensstörungen durch Cannabis
Während im ICD-10 zwischen schädlichem und abhängigem Cannabisgebrauch unterschieden
wird, lässt sich im DSM-5 die Schwere der gesundheitlichen Störung in drei Abstufungen
(leicht, mittel, schwer) auf einem Kontinuum bewerten. Beide Klassifikationssysteme
beschreiben auch ein spezifisches Cannabisentzugssyndrom, das innerhalb von 48 Stunden
nach dem Cannabiskonsum auftreten kann. Mindestens zwei psychische Beschwerden (zum
Beispiel Reizbarkeit, Unruhe, Ängstlichkeit, Depressivität, Aggressivität, Appetitverlust,
Schlafprobleme) und mindestens ein weiteres vegetatives Symptom (zum Beispiel Schmerzen,
Zittern, Schwitzen, erhöhte Körpertemperatur, Kälteschauer) müssen für die Diagnosestellung
vorliegen. Die Beschwerden sind in der ersten Woche am intensivsten und können bis
zu einem Monat anhalten. Der Entzug von Cannabis ist klinisch meist komplikationslos
[8 ]. In der deutschen Allgemeinbevölkerung erfüllt 1 % der Erwachsenen die DSM-IV-Kriterien
eines Cannabismissbrauchs (0,5 %) oder einer Cannabisabhängigkeit (0,5 %). Der problematische
Konsum von Cannabis ist in Europa die Hauptursache, wegen der Patienten erstmals eine
Drogenbehandlung aufgrund des Gebrauchs illegaler Substanzen antraten [85 ]
[86 ]. Die Zahl der Erstbehandlungen stieg in den Jahren 2006 – 2013 von 45 000 auf 61 000
an. Auch die deutsche Suchthilfestatistik zeigt, dass Cannabis der häufigste Grund
für eine erstmalige Drogenbehandlung ist und nach Alkohol der zweithäufigste Anlass
für eine wiederholte Suchttherapie [87 ]. In der neuen Cannabis-Expertise der EMCDDA zeigte eine EU-weite Hochrechnung, dass
in der EU nur einer von 10 bis 20 täglichen Cannabiskonsumenten durch das Suchthilfesystem
erreicht wird [88 ].
Schulleistung, Erreichung von Zielen
Da der Konsum von Marihuana die kognitive Leistungsfähigkeit einschränkt, muss angenommen
werden, dass viele Konsumenten dauerhaft unterhalb ihrer eigentlichen geistigen Leistungsfähigkeit
bleiben. Verminderte Schulleistungen und ein erhöhtes Risiko, die Schule vorzeitig
zu verlassen, sind gut belegt [89 ]
[90 ]
[91 ]. Dauerhaft anhaltende messbare kognitive Einschränkungen sind insbesondere bei denjenigen
Konsumenten zu beobachten, deren Substanzkonsum in der Adoleszenz beginnt. Starker
Konsum ist mit geringerem Einkommen assoziiert, größerem Bedarf an sozioökonomischer
Unterstützung, Arbeitslosigkeit, Kriminalität und geringerer Lebenszufriedenheit [7 ]
[92 ]
[93 ].
Auswirkungen auf den Schlaf
Zunehmend zeigt sich, dass ein Cannabiskonsum zu signifikanten Schlafstörungen führen
kann, auch wenn dies bisher wissenschaftlich noch wenig untersucht ist. Gründe dafür
sind, dass die mindestens 60 in Cannabinoiden enthaltenen bioaktiven Komponenten teils
unabhängige Effekte auf verschiedene biologische Systeme haben, interindividuelle
Wirkungen sehr unterschiedlich sein können und die bisher berichteten wissenschaftlichen
Ergebnisse teilweise widersprüchlich sind. Darüber hinaus sind Faktoren wie unterschiedliche
Dosierungen, Art des Cannabiskonsums usw. zu berücksichtigen [13 ].
Die bisher verfügbare Literatur weist teilweise auf eine verlängerte Einschlaflatenz
hin [95 ], auch wenn dies nicht von allen Autoren bestätigt werden konnte [96 ]. Auch die Effekte auf den Tiefschlaf [96 ]
[97 ]
[98 ] oder den REM-Schlaf sind uneinheitlich [94 ]
[95 ]
[96 ]
[97 ]. Die wohl qualitativ hochwertigste Studie von Nicholson et al. berichtete keine
signifikanten Effekte von THC auf den Schlaf selbst, jedoch über eine vermehrte Morgenmüdigkeit.
Bei gleichzeitigem Konsum von THC und Cannabidiol fand sich jedoch neben einer verstärkten
Morgenmüdigkeit eine verminderte Schlaftiefe und eine verstärkte Schlaflosigkeit im
Vergleich zu Placebo [98 ]. Auch über Effekte des Cannabisentzugs auf den Schlaf wurde berichtet, wie z. B.
Schlafstörungen, veränderte Träume und eine verstärkte Schlaflatenz [99 ].
Cannabis und psychische Komorbidität
Zwischen 50 und 90 % aller cannabisabhängigen Personen haben eine lebensgeschichtliche
Diagnose einer weiteren psychischen Störung beziehungsweise einer gesundheitlichen
Störung durch Alkohol- und anderen Substanzkonsum. In einem Review berichten Hoch
und Kollegen folgende Assoziationen zwischen Cannabiskonsum und komorbiden psychischen
Störungen [8 ].
Angststörungen und affektive Störungen: Einige Studien legen einen positiven Zusammenhang
von Cannabiskonsum und bipolaren Störungen, beziehungsweise von vermehrt manischen
Symptomen und Cannabiskonsum nahe. Einige longitudinale Studien haben ein leicht erhöhtes
Risiko für die Entwicklung von Angsterkrankungen, unipolaren Depressionen und von
suizidalen Gedanken beschrieben. Bei bipolaren Störungen ist ein begleitender Cannabiskonsum
mit schlechterem Verlauf, schlechterer Adhärenz, erhöhtem Suizidrisiko und vermindertem
Ansprechen auf Lithium verbunden.
Psychosen: Früher, regelmäßiger, langandauernder und hochdosierter Konsum von Cannabinoiden
ist, in Kombination mit anderen Stressoren wie zum Beispiel Gewalt- und Missbrauchserfahrungen
in der Kindheit oder Psychosen in der Ursprungsfamilie, mit einem erhöhten Risiko
für psychotische Störungen in Zusammenhang gebracht worden.
Cannabis- und anderer Substanzkonsum: Verschiedene Studien belegen einen Zusammenhang
zwischen frühem, regelmäßigem Cannabisgebrauch und einem weiterführenden Konsum von
anderen illegalen Drogen oder Alkohol. Dass Cannabis als Zugangssubstanz für den Gebrauch
weiterer Substanzen fungiert („Gateway-Hypothese“) ist jedoch empirisch nicht belegt.
Für Deutschland sind bisher keine epidemiologischen Daten zum Thema „Cannabis und
Psychische Störungen“ verfügbar. Die Größenordnung dieser spezifischen Problematik
ist deshalb momentan unklar.
Verkehrsunfälle
Sowohl akut als auch bei langzeitigem Konsum von Marihuana ist die Fahrtüchtigkeit
eingeschränkt, Marihuana ist die am häufigsten mit Fahruntüchtigkeit und Autounfällen,
einschließlich solcher mit Todesfolge, assoziierte illegale Droge [100 ]. Die Einschränkung der Fahrtüchtigkeit ist dosisabhängig. Eine Unfallstatistik zeigte,
dass Personen mit positivem THC-Nachweis um den Faktor 3 bis 7 häufiger in Autounfälle
verwickelt waren als Fahrer ohne Drogen- oder Alkoholkonsum vor der Fahrt [101 ]. Alkohol und Marihuana wirken sich in Kombination ungünstiger auf die Fahrtüchtigkeit
aus als die Einzelsubstanzen [102 ].
Obwohl für Arbeitsunfälle Analoges gelten dürfte, ist die wissenschaftliche Datenlage
über Arbeits- und Wegeunfälle unter Cannabiseinfluss dünn: Neben kasuistischen Berichten
[103 ] existieren einzelne Untersuchungen zum Cannabisnachweis nach Unfällen im Vergleich
zu Zufallsstichproben [104 ]
[105 ], aus denen sich jedoch keine eindeutigen und verallgemeinerungsfähigen Schlussfolgerungen
ableiten lassen.
Cannabis als Heilmittel
Kasuistisch und anekdotisch gibt es zahlreiche Berichte und Beobachtungen, die einen
Einsatz von Cannabis als Heilmittel vordergründig nahzulegen scheinen. Systematische
wissenschaftliche Forschung guter Qualität, d. h., insbesondere prospektive, randomisierte,
Placebo-kontrollierte doppeltblinde Studien liegen jedoch kaum vor. Dies liegt unter
anderem daran, dass Forschungsgelder bisher vorrangig in die negativen Effekte des
Cannabiskonsums investiert wurden [106 ].
Für welche Krankheitsbilder positive Effekte von Cannabis beschrieben wurden, ist
zum einen im Report des Institute of Medicine, Marihuana und Medizin , berichtet worden [107 ] und aktuell von Volkow et al. [7 ] ([Tab. 3 ]), Friedman und Devinsky [108 ] und sehr detailliert von Whiting et al. [109 ].
Tab. 3
Diagnosen/Symptome, die auf eine Behandlung mit Marihuana oder anderen Cannabinoiden
ansprechen können (nach Volkow et al. [7 ]).
Diagnose, Symptom
Wirkung von Marihuana
Glaukom
Eine positive Marihuanawirkung bei Patienten mit einem Glaukom kann mit der nachweisbaren
Senkung des Augeninnendrucks erklärt werden. Standardbehandlungen sind allerdings
effektiver.
Übelkeit, Erbrechen
THC ist bei Chemotherapie-Patienten antiemetisch wirksam. Paradoxerweise wird aber
bei wiederholtem Marihuana-Einsatz Hyperemesis beobachtet.
AIDS-assoziierte Anorexie und wasting-Syndrom
Gerauchtes oder oral aufgenommenes Cannabis kann zu einer Steigerung des Appetits
und zu einer Gewichtszunahme führen. Es liegen jedoch keine Daten vor, die eine Aufnahme
von Cannabis in aktuelle Therapieempfehlungen für Patienten unter wirksamer antiretroviraler
Therapie rechtfertigen.
chronische Schmerzen
Seit Jahrhunderten wird Cannabis zur Schmerzlinderung eingesetzt. Hierbei spielen
zentrale Cannabinoid-1-Rezeptoren und möglicherweise periphere Cannabinoid-1- und
-2-Rezeptoren eine Rolle. Neuropathische Schmerzen sprechen Studien zufolge bereits
auf niedrige THC-Dosen an. Dronabinol führt im Vergleich zu Marihuana zu einer längerdauernden
Schmerzreduktion und geht mit geringeren Belohnungseffekten einher.
entzündliche Erkrankungen
THC und Cannabidiol wirken antientzündlich, weil sie die Apoptose induzieren, die
Zellproliferation inhibieren und die Zytokinproduktion unterdrücken können. Bei Cannabidiol
ist das Fehlen psychoaktiver Effekte bedeutsam. In Tierversuchen ergeben sich Hinweise
auf eine Wirksamkeit von Cannabidiol bei der rheumatoiden Arthritis und bei entzündlichen
Erkrankungen des Gastrointestinaltrakts. Es liegt jedoch keinerlei Evidenz für eine
etwaige Überlegenheit des Einsatzes von Cannabinoiden als Heilmittel bei entzündlichen
Erkrankungen vor.
Multiple Sklerose
Nabiximol (THC und Cannabidiol) Mundspray ist in einigen Ländern zugelasssen zur Behandlung
neuropathischer Schmerzen, gestörten Schlafs und von Spastik.
Epilepsie
Zahlreiche kasuistische Berichte und kleine Fallserien wurden publiziert, die wenigen
kontrollierten Studien führen zu heterogenen Ergebnissen. Im Cochrane Review [110 ] wird festgestellt, dass keine zuverlässigen Schlussfolgerungen zur Wirksamkeit von
Cannabinoiden in der Behandlung der Epilepsie gezogen werden können.
Die wissenschaftliche Datenlage zum potenziellen medizinischen Nutzen von Cannabis
ist somit insgesamt nur gering. Das Wissen darüber, wie eine vernünftige Nutzen-Risiko-Abwägung
bei chronisch Kranken erfolgen soll, ist mangels qualitativ hochwertiger Studien meist
noch als unzureichend zu bewerten [7 ]
[108 ]
[109 ].
Schlussfolgerungen
Sehr gut belegt ist, dass ein in der Kindheit und Adoleszenz beginnender, hochdosierter,
langjähriger und regelmäßiger Cannabisgebrauch das Risiko für unterschiedliche Störungen
der psychischen und körperlichen Gesundheit und der altersgerechten Entwicklung erhöht.
Die Effekte des Cannabisrauchens auf die Lungengesundheit sind dagegen nicht so eindeutig.
Dies liegt sicherlich vor allem an dem gleichzeitigen Rauchen von Tabakzigaretten
bei den meisten Cannabisrauchern. Als fast gesichert kann die Induktion einer chronischen
Bronchitis gelten, Assoziationen mit anderen Krankheiten wie Lungenemphysem, Lungenkrebs,
Pneumonien sind dagegen nur unzureichend belegt, sind aber auch nicht ausgeschlossen.
Dies gilt auch für die meisten Cannabis zugeschriebenen Heilwirkungen.
Die Arbeitsgruppe zu Marihuana der American Thoracic Society listet eine Reihe von
Wissenslücken auf [13 ], die mittels kontrollierter Studien geschlossen werden müssten, um eine endgültige
Meinung zur Debatte um die Entkriminalisierung/Legalisierung von Cannabis zu erlauben.
Darunter sind die Effekte auf das Atmungssystem (und auf den Verdauungstrakt, auf
den in diesem Positionspapier nicht eingegangen wird), der Zusammenhang zwischen Cannabisrauchen
und aktivem sowie passivem Tabak- und Nikotinkonsum (einschließlich E-Zigaretten),
die Auswirkungen auf das Immunsystem mit erhöhtem Risiko für Infektionen sowie die
neuropsychiatrischen und kardiovaskulären Auswirkungen (auch von synthetischen Cannabinoiden).
Dazu werden kontrollierte Untersuchungen der potenziellen therapeutischen Wirkungen,
insbesondere bei neuropsychogenen und epileptischen Syndromen sowie bei Schmerzen,
gefordert. Zusätzlich empfiehlt die Arbeitsgruppe Untersuchungen über den Einfluss
einer Freigabe für den nicht-medizinischen Gebrauch auf den Konsum bei Jugendlichen
sowie auf Public-Health-Maßnahmen einschließlich des Konsums von Tabak, E-Zigaretten
und Alkohol, auf die Gesundheitskosten und auf Verkehrsunfälle.
Aus Sicht der an diesem Positionspapier beteiligten Fachgesellschaften ist festzustellen,
dass der Konsum von Cannabis mit gesundheitlichen Risiken verbunden ist, die in der
politischen Debatte um den gesellschaftlichen Umgang mit Cannabinoiden berücksichtigt
werden sollen. Ganz besonders gilt dies für Kinder und Jugendliche und andere Risikogruppen.
Daher schließen wir uns den bereits veröffentlichten Stellungnahmen der Deutschen
Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie (DG-Sucht) [111 ], der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde
(DGPPN) [112 ], der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendlichenpsychiatrie (DGKJP) [113 ], der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen [114 ] und der American Thoracic Society [13 ] an, die trotz unterschiedlicher politischer Forderungen darin übereinstimmen, dass
noch viele offene Punkte möglichst mittels kontrollierter Studien geklärt werden müssen.