Schlüsselwörter
gemischte Episode - DSM-5 - Behandlung
Key words
mixed episode - DSM-5 - treatment
Einleitung
Die gemischte Episode im Rahmen der bipolaren affektiven Störungen ist definiert über
das gleichzeitige Auftreten depressiver und manischer Symptome. Im klinischen Alltag
stellt dieses komplexe Erscheinungsbild der affektiven Störungen eine Herausforderung
sowohl in Diagnostik als auch Behandlung dar. In der aktuellen Ausgabe des „Diagnostic
and Statistical Manual of Mental Disorders“ (DSM-5) wurde eine wesentliche Veränderung
in der Klassifikation der gemischten Episode hin zu einem dimensionalen Ansatz vorgenommen
[1]. Dadurch sinkt die diagnostische Schwelle, was zu einer differenzierteren Wahrnehmung
und Diagnostik führen kann und eine wichtige Ergänzung zu den ICD-10 Kriterien darstellt.
Dennoch besteht weiterhin nur ein unzureichendes Wissen über eine spezifische Behandlung
gemischter Episoden. Der vorliegende Artikel soll sowohl spezifische Merkmale und
Besonderheiten in der Diagnostik nach DSM-5 bezüglich gemischter Episoden vorstellen
und damit deren Wahrnehmung verbessern als auch kritisch die Probleme des Konzepts
der gemischten Episode sowie die Limitationen hinsichtlich der Therapieoptionen darstellen.
Historischer Überblick
Kraepelin beschrieb erstmals das gleichzeitige Auftreten manischer und depressiver
Symptome im Rahmen des „manisch-depressiven Irreseins“ [2]. Gleichzeitig verwandte Kraepelin erstmals den Begriff der „Mischzustände“. Er unterschied
in die Subtypen ängstliche (oder depressive) Manie, erregte (agitierte) Depression,
gedankenarme Manie, manischer Stupor, ideenflüchtige Depression und gehemmte Manie.
Wilhelm Weygandt setzte die Systematisierung des Konzepts der Mischzustände fort und
stellte bereits 1899 fest: „Im manischen Anfall kann plötzlich die gehobene Stimmung
in eine tief deprimierte übergehen, während im übrigen die flotteste Tobsucht weiterbesteht
mit ihrem Bewegungs- und Thatendrang, ihrer Ablenkbarkeit und Erregbarkeit, ihrem
Rededrang und ihrer Ideenflucht [3].“
Kraepelin und Weygandt betonten bereits damals sowohl den protrahierten Verlauf als
auch das Auftreten psychotischer Symptome im Rahmen von Mischzuständen. Als ein Erklärungsmodell
für die Mischzustände sah Kraepelin die Veränderung von Stimmung, Kognition und Antrieb
in jeweils unterschiedlicher Dynamik. Dieses Modell der Instabilität legt gleichzeitig
die Mischzustände als eine eigenständige Subgruppe bipolarer affektiver Störungen
nahe. In der Folge wurde manisch-depressiven Mischzuständen allerdings zunächst eine
deutlich geringere Bedeutung beigemessen oder gar deren Existenz infrage gestellt
[4]. Erst Ende der 70er Jahre wurde ausgehend von verschiedenen US-amerikanischen Arbeitsgruppen
der Fokus erneut auf die manisch-depressiven Mischzustände gelegt (u. a. [5]), zunächst jedoch auf die Subtypisierung manischer und depressiver Syndrome (z. B.
ängstliche Manie, agitierte Depression). Das Konzept der gemischten Episode als Kontinuum
zwischen Depression und Manie wurde allerdings in den gängigen Klassifikationssystemen
lange Zeit nicht umgesetzt (DSM III, DSM-III-R, DSM-IV, DSM-IV-TR, ICD-10). So wurde
noch im DSM-IV-TR das gleichzeitige Zutreffen der Kriterien für eine manische und
depressive Episode (im Rahmen einer Bipolaren Störung) für die Dauer von mindestens
einer Woche gefordert, um die Diagnose einer gemischten Episode stellen zu können.
Die ICD-10 hingegen fordert das gleichzeitige Auftreten zweier Symptomcluster, die
während der meisten Zeit der Episode (≥ 2 Wochen) im Vordergrund stehen.
Diese Kriterien führten zu einem sehr engen diagnostischen Fenster für gemischte Episoden
bei gleichzeitig hoher Prävalenz subsyndromaler gemischter Zustandsbilder im klinischen
Alltag. Zudem konnte basierend auf dem DSM-IV-TR eine gemischte Episode eigentlich
nur für Bipolar-I-Störungen diagnostiziert werden, wohingegen dies für die Bipolar-II-Störung
und die majore Depression nicht möglich ist. Insbesondere die Konstellation einer
manischen oder depressiven Episode mit gleichzeitigem Auftreten weniger Symptome des
jeweils entgegengesetzten Pols erlangte so keine diagnostische Bedeutung (u. a. [6]
[7]).
Insgesamt ist die Definition von Mischzuständen weiterhin Inhalt kontroverser Debatten.
In einem Review zur bestehenden Literatur konnte jedoch festgestellt werden, dass
das Konstrukt der Mischzustände unabhängig von den zugrunde liegenden diagnostischen
Kriterien insgesamt sehr robust ist, leider auch bezüglich des komplexeren Krankheitsverlaufs,
der höheren Rate an Komorbiditäten und des erhöhten Suizidrisikos [8].
Prävalenz
Gemischte Episoden im Rahmen Bipolarer Störungen sind im klinischen Alltag häufig
vorzufinden [9]. Aufgrund des engen diagnostischen Rahmens durch das DSM-IV und das ICD-10 variieren
die Prävalenzraten (Punktprävalenz) in den Studien jedoch häufig, da teilweise Forschungskriterien
angewendet wurden. Aktuelle Untersuchungen gehen von Prävalenzraten von 7 bis 28 %
unter den engen Kriterien der ICD-10 und des DSM-IV und bis zu 66 % unter eher weitgefassten
Kriterien (z. B. drei Symptome des gegenüberliegenden Stimmungspols) aus [10]. Genauer untersuchten Vieta und Moralla (2010) basierend auf verschiedenen Kriterien
die Prävalenzraten für gemischte Episoden: Dabei zeigte sich eine Prävalenz von 9 %
(ICD-10), 13 % (DSM-IV-TR) bzw. 23 % (klinische Einschätzung der Behandler [11]).
Suizidrisiko und Komorbiditäten
Suizidrisiko und Komorbiditäten
Insgesamt ist das Suizidrisiko bei Patienten mit einer gemischten Episode höher als
bei Patienten mit „reinen“ Episoden. Sowohl die „gemischte Manie“ (Manie mit Symptomen
einer Depression) als auch die „gemischte Depression“ (Depression mit Symptomen einer
Manie) zeigen ein schlechteres Ansprechen auf die Behandlung und eine höhere Suizidrate
gegenüber den „reinen“ Episoden [12]. In einer Untersuchung von 100 Patienten nach einem Suizidversuch lag die Prävalenz
einer gemischten Depression (Kriterien ursprünglich nach Akiskal, übereinstimmend
mit dem DSM-5, s. u.) bei 63 %. Insbesondere Reizbarkeit, Ablenkbarkeit und psychomotorische
Erregung waren bei über 90 % der Patienten mit einer gemischten Depression als Symptome
festzustellen [12]. Gemischte Episoden sind gekennzeichnet durch ein insgesamt schlechteres Behandlungsergebnis
und deutlich höhere Komorbiditätsraten (insbesondere Angststörungen, Substanzabhängigkeiten,
Persönlichkeitsstörungen). Weiterhin sind gemischte Episoden wahrscheinlicher bei
frühem Erkrankungsbeginn und es zeigt sich insgesamt eine höhere Frequenz an Episoden
[8].
Anmerkungen zum Konzept der gemischten Episode
Anmerkungen zum Konzept der gemischten Episode
In der wissenschaftlichen Diskussion wird jedoch auch immer wieder angemerkt, dass
trotz der Fülle von Beobachtungsstudien keine hinreichende Evidenz für eine eigene
Diagnosekategorie der gemischten Episode vorliegt. Aus Sicht der Autoren ist die gemischte
Episode als eigene Krankheitsentität nach den Kriterien in ICD-10 und DSM-IV zu unspezifisch.
Vielmehr scheinen Mischzustände in vielen unterschiedlichen Formen klinisch apparent
zu werden. Durch die Einführung der Specifier-Kriterien im DSM-5 wird versucht, das
komplexe und stark heterogene Bild der Mischzustände und ihrer verschiedenen Zustandsbilder
diagnostisch sensitiver und differenzierter zu erfassen. Dadurch ergibt sich eine
stärkere diagnostische Nähe von Mischzuständen zu den beiden jeweiligen eindeutigen
Ausprägungen bipolar-affektiver Störungen (Depression und Manie), die auch eine Ausrichtung
differenzialtherapeutischer Überlegungen an diesen diagnostischen Kategorien nahelegt.
Eine Bewertung des therapeutischen Nutzens dieses Ansatzes ist allerdings derzeit
noch nicht möglich, da dafür noch keine hinreichende Evidenz aus prospektiven klinischen
Studien vorliegt. Trotz der möglichen diagnostischen Nähe von Mischzuständen zu entweder
manischen oder depressiven Episoden sollte beachtet werden, dass gemischte Episoden
auch einige spezifische Merkmale zeigen, insbesondere hinsichtlich Verlauf und Therapie,
weswegen sie besonderer Aufmerksamkeit bedürfen. Sowohl retrospektive als auch prospektive
Studien ergaben gute Hinweise für die Stabilität gemischter Episoden, d. h. eine erhöhte
Wahrscheinlichkeit einer gemischten Episode bei bereits stattgehabter gemischter Episode
[13]
[14]
[15]. Auch bezüglich eines differenziellen Therapieansprechens, zum Beispiel im Vergleich
zu rein manischen Episoden, liegt Evidenz für ein schlechteres Ansprechen von Patienten
mit einer gemischten Episode auf die gängigen Therapiestrategien vor (u. a. [6]
[16]). Zusätzlich weisen Patienten mit einer gemischten Episode ein höheres Suizidrisiko,
mehr Komorbiditäten und häufigere Rezidive bzw. mehr Episoden auf [8] als Patienten mit reinen manischen oder depressiven Episoden. Zusammengefasst sind
dies wichtige Aspekte, die gemischte Episoden als eine besondere Herausforderung in
der Diagnostik und Therapie bipolarer Erkrankungen nahelegen.
Veränderungen im DSM-5
Das DSM-5 versucht im Unterschied zu seinen Vorgängern erstmals den Ansatz einer kategorialen
Diagnostik mit einem dimensionalen Ansatz zu verbinden. Für die Problematik, dass
es im DSM-IV-TR keine Möglichkeit gab, subsyndromale gemischte Episoden zu diagnostizieren,
wurde in DSM-5 mit der Einführung der Zusatzbezeichnung „with mixed features“ („mit
gemischten Merkmalen“) Abhilfe geschaffen (Überblick [Tab. 1]).
Tab. 1
Merkmale der DSM-5-Kriterien für affektive Episoden mit gemischten Merkmalen.
DSM-5-Klassifikation der affektiven Episode
|
DSM-5-Kriterien für eine Episode mit der Zusatzbezeichnung „gemischte Merkmale“ (with
mixed features)
|
Anwendbarkeit
|
Manie
|
Die Kriterien für eine manische Episode müssen erfüllt sein mit mindestens 3 weiteren
Symptomen:
|
Manische Episoden im Rahmen einer Bipolar-I-Störung
|
1. Dysphorie oder depressive Verstimmung (S: Traurigkeit, Gefühl der Leere; F: klagsam,
weinerlich)
|
2. Vermindertes Interesse oder Freude an (fast) allen Aktivitäten (SF)
|
3. Psychomotorische Verlangsamung (F)
|
4. Müdigkeit oder Energieverlust
|
5. Gefühl der Wertlosigkeit oder exzessive unangebrachte Schuldgefühle (nicht reine
Selbstvorwürfe oder ausschließlich auf die Krankheit bezogene Schuldgefühle)
|
6. Wiederkehrende Suizidgedanken oder Gedanken an den Tod (nicht Angst vor dem Tod)
|
Depression
|
Die Kriterien für eine depressive Episode müssen erfüllt sein mit mindestens 3 weiteren
Symptomen:
|
Majore Depressionen im Rahmen einer Bipolar-I- oder -II-Störung, bei nicht näher bezeichneten
Bipolaren Störungen und bei unipolaren Depressionen
|
1. Gehobene Stimmung
|
2. Übertriebenes Selbstwertgefühl oder Größenideen
|
3. Ungewöhnliche Geschwätzigkeit oder Rededrang
|
4. Ideenflucht oder subjektives Gedankenrasen
|
5. Erhöhtes Aktivitätsniveau (im sozialen, beruflichen, schulischen oder sexuellen
Bereich)
|
6. Vermehrte Beteiligung an Aktivitäten mit möglichen unangenehmen Konsequenzen (z. B.
Verschuldung, sexuell-übertragbare Krankheiten)
|
7. Vermindertes Schlafbedürfnis
|
Hypomanie
|
Die Kriterien für eine hypomane Episode sind erfüllt sowie mindestens 3 weitere Symptome,
diese gleichen den „gemischten Merkmalen“ bei einer Manie, s. o.
|
Hypomane Episoden bei Bipolar-I- oder -II-Störungen
|
Im DSM-5 wurde die gemischte Episode, wie sie bisher im DSM-IV-TR definiert wurde,
entfernt und Zusatzkriterien für beide Pole einer affektiven Erkrankung wurden eingeführt.
So kann die Zusatzbezeichnung „gemischte Merkmale“ („mixed features specifier“) beim
Vorliegen von mindestens drei Symptomen des jeweils gegenüberliegenden Pols vergeben
werden. Dadurch können im DSM-5 subsyndromale, nicht überlappende Symptome vom gegenüberliegenden
affektiven Pol diagnostisch zugeordnet werden. Diese Zusatzdiagnose kann im Rahmen
einer Bipolar-I-Störung, bei hypomanen Episoden bei Bipolar-I- und -II-Störungen,
bei der majoren Depression bei Bipolar-I- und -II-Störungen, bei nicht näher bezeichneten
Bipolaren Störungen sowie bei der unipolaren Depression (major depressive disorder,
MDD) angewendet werden. Damit wird insbesondere der klinischen Erfahrung entsprochen,
in der häufig Symptome des gegenüberliegenden affektiven Pols zwar vorlagen, jedoch
diagnostisch bisher nicht näher zugeordnet werden konnten [17]
[18]. Im DSM-5 können zukünftig auch bei der unipolaren Depression die Zusatzkriterien
„gemischte Merkmale“ diagnostiziert werden. Hintergrund ist, dass durch diverse Studien
belegt werden konnte, dass ein großer Anteil der Patienten mit einer unipolaren Depression
ebenfalls Symptome vom gegenüberliegenden affektiven Pol zeigt. Bis zu 40 % (u. a.
Bridge Studie; [19]) der Patienten mit einer unipolaren Depression wiesen danach sogenannte Bipolar-Soft-Signs
auf, also Merkmale, die auf eine bipolare Erkrankung hinweisen [18]. Durch die insgesamt niedrigere diagnostische Schwelle wird ein stärkerer Fokus
auf das Erkrankungsbild der gemischten Episode gelegt, was aus Sicht der Autoren,
insbesondere wegen der schwierigeren klinischen Verläufe, von großer Bedeutung ist.
In der Literatur wird häufig ein Spektrum der Mischzustände diskutiert mit den zwei
Extremausprägungen der dysphorischen oder gereizten Manie und der Depression mit manischen
Symptomen [8]. Natürlich kann der Grad der Ausprägung der Symptomatik der beiden Stimmungspole
stark variieren mit weiteren Subtypen des klinischen Erscheinungsbildes [20]. Im Folgenden sollen jedoch spezifische Charakteristika der jeweiligen Mischformen
dargestellt werden.
Manische Symptome während einer depressiven Episode („Gemischte Depression“)
Manische Symptome während einer depressiven Episode („Gemischte Depression“)
Im Rahmen depressiver Episoden sind relativ häufig auch manische Symptome vorzufinden,
was als „gemischte Depression“ oder auch „agitierte Depression“ bezeichnet wird [21]. Je nach Diagnosekriterien und Studiendesign variiert die Prävalenz von 20 bis 70 %
(für Bipolare Störungen und für die MDD; [22]). Patienten mit einer gemischten Depression haben häufiger eine Bipolare Störung,
ein früheres Ersterkrankungsalter, eine längere Behandlungsdauer mit schlechterem
Therapieansprechen und schlechterem Behandlungsergebnis [23]. Die häufigsten manischen Symptome in einer depressiven Episode sind Stimmungsinstabilität,
Ablenkbarkeit, ein beschleunigter formaler Gedankengang (Ideenflucht, Gedankenrasen,
Gedankendrängen) sowie psychomotorische Erregung (u. a. [6]), wohingegen andere manische Symptome wie Hypersexualität, euphorische Stimmung
und Größenideen eher selten sind ([Tab. 2]). Die psychomotorische Unruhe und die Antriebssteigerung sind wie bei einer manischen
Episode eher ungerichtet und wenig produktiv, dabei jedoch gleichzeitig mit erhöhter
Suizidalität assoziiert [24]. Eine Schwierigkeit in der neuen Diagnostik nach DSM-5 ist der Ausschluss überlappender
Kriterien für die Zusatzdiagnose mit gemischten Merkmalen wie psychomotorische Erregung,
Stimmungsinstabilität und Ablenkbarkeit (siehe Diskussion). Da diese jedoch wesentliche
Merkmale der gemischten Depression sind, besteht in dieser Hinsicht die Möglichkeit
falsch-negativer Befunde [22]. Bezüglich der Behandlung ist, wie weiter unten dargestellt, die Datenlage insbesondere
für die gemischte Depression gering und widersprüchlich, vor allem was die Rolle der
Antidepressiva betrifft [25]. Die Gabe von Antidepressiva bei gemischten Episoden sollte auch unter Betrachtung
des Switch-Risikos von einer depressiven in eine manische Episode sowie einer möglichen
Phasenakzeleration kritisch betrachtet werden [26].
Tab. 2
Übersicht Symptome der gemischten Manie und der gemischten Depression.
Hauptsymptome der „gemischten“ Manie
|
Hauptsymptome der „gemischten“ Depression
|
1. Erhöhte Stimmungsinstabilität (v. a. Gereiztheit)
|
1. Erhöhte Stimmungsinstabilität (v. a. Gereiztheit)
|
2. Psychomotorische Unruhe
|
2. Psychomotorische Unruhe, häufig ungerichtet und wenig produktiv (v. a. Agitiertheit,
Impulsivität und vermehrter Rededrang)
|
3. Ablenkbarkeit
|
3. Ablenkbarkeit
|
4. Extrem reduziertes Schlafbedürfnis
|
4. Beschleunigter formaler Gedankengang (Ideenflucht, Gedankenrasen, Gedankendrängen)
|
5. Geringeres Auftreten von Größenideen, Euphorie und Antriebssteigerung (im Vergleich
zur „reinen“ Manie) mit eher „positiven“ Aktivitäten
|
5. Geringeres Auftreten von Hypersexualität, euphorischer Stimmung und Größenideen
(im Vergleich zur Manie)
|
6. Angstsymptome
|
6. Höhere Suizidalität bei Vorliegen von psychomotorischer Unruhe
|
7. Schuldgefühle
|
8. Suizidgedanken
|
Depressive Symptomatik in einer manischen Episode („gemischte Manie“)
Depressive Symptomatik in einer manischen Episode („gemischte Manie“)
Subsyndromale depressive Symptome während einer manischen Episode („gemischte Manie“)
sind mit einem Auftreten von 25 – 40 % insgesamt sehr häufig [27]
[28]. Charakteristisch sind erhöhte Stimmungsinstabilität und Ablenkbarkeit sowie ein
extrem reduziertes Schlafbedürfnis bei gleichzeitig geringerem Auftreten von Größenideen,
Euphorie und Antriebssteigerung mit eher „positiven Aktivitäten“ im Vergleich zu „reinen“
Manien [29]. Gereizte Stimmung, Angstsymptome, Schuldgefühle sowie Suizidgedanken sind ebenfalls
häufige Merkmale der gemischten Manie ([Tab. 2]). Swann und Kollegen ziehen daher Parallelen zur agitierten Depression [30]. Hinsichtlich der Ausprägung der manischen Symptomatik sind die Befunde insgesamt
stark heterogen, so dass sich keine eindeutige Aussage formulieren lässt [23]. Das Symptombild kann bei besonders schweren gemischten Manien (u. a. mit psychotischen
Symptomen) an Komplexität deutlich zunehmen [22]
[31], obwohl bei Patienten mit einer gereizten Manie psychotische Symptome wahrscheinlicher
sind [32]. Zusammenfassend sind vor allem die psychomotorische Unruhe und die ausgeprägte
emotionale Instabilität (Gereiztheit) wichtige Parameter in der Diagnostik der gemischten
Manie. Bezüglich der Behandlung ist die Studienlage insgesamt besser als für die gemischte
Depression mit Hinweisen für eine Wirksamkeit insbesondere von sowohl atypischen Antipsychotika
[33] als auch Valproat und Carbamazepin (siehe unten).
Vorteile und Nachteile in der neuen Diagnostik nach DSM-5
Vorteile und Nachteile in der neuen Diagnostik nach DSM-5
Die neuen „Mixed-features-specifier“-Kriterien des DSM-5 ermöglichen die Diagnostik
gemischter Anteile in einer Episode deutlich niedrigschwelliger. Dabei wird der ursprüngliche
Ansatz von Kraepelin im Sinne eines Stimmungsspektrums untermauert [9]
[34]. Dies ist aus Sicht der Autoren insbesondere wegen des schwierigen klinischen Verlaufs
eine wichtige Veränderung. Mit der Möglichkeit, manische Symptome auch im Rahmen einer
unipolaren Depression zu klassifizieren, wird ebenfalls eine Brücke zwischen der Bipolaren
Störung und der unipolaren Depression geschlagen. Diese Beobachtung könnte im Langzeitverlauf
von Patienten mit einer gemischten unipolaren Depression auf das Vorliegen einer Bipolaren
Störung aufmerksam machen. Obwohl aus Sicht der Autoren die neuen Kriterien für eine
gemischte Episode positiv zu bewerten sind, gibt es auch Schwierigkeiten, die daraus
erwachsen: Aufgrund des Absenkens der diagnostischen Schwelle erscheint die Unschärfe
zwischen verschiedenen Diagnosen eher verstärkt. Dies muss insbesondere angesichts
der Möglichkeit von Fehldiagnosen und daraus resultierenden Behandlungsentscheidungen
unbedingt beachtet werden [19]. Kritisch wird in der aktuellen wissenschaftlichen Diskussion insbesondere der Ausschluss
der überlappenden Kriterien psychomotorische Unruhe und Ablenkbarkeit für die Zusatzbezeichnung
„mixed features specifier“ diskutiert: Begründet wurde dieses vor allem mit dem hohen
Überlappungsgrad beider Symptome im Rahmen verschiedener psychischer Erkrankungen.
Gleichzeitig zeigen aktuelle Untersuchungen, dass gerade die genannten Symptome als
Hauptmerkmale gemischter Episoden zu bewerten sind [21]
[22]. Für den klinischen Alltag bedeutet dies, dass beim Vorliegen von psychomotorischer
Unruhe und Ablenkbarkeit besonders auf Symptome des gegenüberliegenden Pols geachtet
werden muss.
Therapie
Die Behandlung gemischter Episoden stellt eine besondere Herausforderung im klinischen
Alltag dar. Die Datenlage ist insgesamt mit nur sehr wenigen randomisierten kontrollierten
Studien (randomized controlled trials, RCTs), die gezielt diese Fragestellung untersuchen,
gering. Deshalb basieren viele Behandlungsempfehlungen auf Sekundäranalysen aus Studien,
die verschiedene pharmakologische Behandlungsstrategien bei Patienten mit einer Bipolaren
Störung untersuchten und in die Patienten mit einer gemischten Episode inkludiert
waren. Die daraus resultierenden Bewertungen der Wirksamkeit spezifischer Substanzen
müssen daher mit Vorsicht betrachtet werden. Weiterhin ist die Wirksamkeit aller untersuchten
Substanzen insgesamt schlechter für Patienten mit einer gemischten Episode. Dennoch
soll im Folgenden basierend auf den zur Verfügung stehenden Daten ein Überblick über
die Wirksamkeit verschiedener Substanzen zur Behandlung gemischter Episoden gegeben
werden. Wichtig ist dabei weiterhin, dass die diagnostischen Kriterien für eine gemischte
Episode teilweise stark variieren, insgesamt natürlich aber das DSM-IV bzw. die ICD-10
und frühere Versionen Grundlage der Diagnostik waren und nur wenige Untersuchungen
die neuen „Mixed-features-specifier“-Kriterien des DSM-5 verwendet haben. Eine Übersicht
über alle RCTs zur Akutbehandlung gemischter Episoden, deren Charakteristika und wesentliche
Limitationen ist in [Tab. 3] dargestellt. Die Empfehlungen für die Pharmakotherapie sind in [Tab. 4] zusammengefasst.
Tab. 3
Übersicht Studien zur Akutbehandlung gemischter Episoden.
Autor und Jahr
|
n
|
Studienpopulation
|
Substanzen
|
Studiendesign
|
Ergebnis
|
Limitationen
|
Swann et al., 1997
|
179
|
Manie mit und ohne depressive Symptome (SADS)
|
Valproat, Lithium, Placebo
|
doppelblinde RCT
|
Depressive Symptome sprechen besser auf Valproat als auf Lithium an
|
kurze Studiendauer von 3 Wochen
|
Tohen et al., 2002
|
344
|
Manie oder gemischte Episode bei Bipolar-I-Störung (DSM-IV)
|
Olanzapin + Valproat/Lithium oder Placebo + Valproat/Lithium bei nicht ausreichender
Wirkung durch Lithium oder Valproat
|
doppelblinde RCT
|
Valproat + Olanzapin ist der Kombination von Valproat + PLC überlegen (YMRS, HAM-D);
Lithium + Olanzapin genauso wirksam wie Lithium + PLC bei Pat. mit gemischter Episode
|
Post-hoc-Analyse, gemischte Diagnosegruppe
|
Baker et al., 2003
|
246
|
Manie oder gemischte Episode bei Bipolar-I-Störung (DSM-IV),
|
Olanzapin, Placebo
|
Post-hoc-Analyse zweier doppelblinder RCTs (Tohen et al., 1999, 2000)
|
bei gemischter Episode signifikante Verbesserung der HAM-D mit Olanzapin vs. PLC (–11,45
vs. –6,83), manische Symptome signifikant reduziert (YMRS Olanzapin –11,82 vs. PLC
–5,70)
|
Post-hoc-Analyse mit geringer Teststärke (n = 33 mit gemischter Episode)
|
Baker et al., 2004
|
344
|
dysphorische Manie (HAM-D > 20 Punkte)
|
Olanzapin + Valproat/Lithium oder Placebo + Valproat/Lithium bei nicht ausreichender
Wirkung durch Lithium oder Valproat
|
Post-hoc-Analyse der Tohen et al. (2002) Studie
|
Kombination aus Olanzapin + Lithium/Valproat führt zu signifikant stärkerer Reduktion
depressiver Symptome als PLC + Lithium/Valproat
|
Post-hoc-Analyse für spezifische Subgruppe der Patienten mit gemischten Episoden
|
Weisler et al., 2004
|
204
|
Manie oder gemischte Episode bei Bipolar-I-Störung (DSM-IV)
|
Carbamazepin, Placebo
|
doppelblinde RCT
|
für Subgruppe gemischte Episode KEIN signifikanter Unterschied zwischen Carbamazepin
und PLC, hingegen HAM-D signifikant verbessert unter Carbamazepin vs. PLC
|
hohe Studienabbruchrate (> 50 %), 3 Wochen Dauer
|
Khanna et al., 2005
|
290
|
Manie oder gemischte Episode bei Bipolar-I-Störung (DSM-IV)
|
Risperidon, Placebo
|
doppelblinde RCT
|
Response (mind. 50 %ige Verbesserung des YMRS) bei 73 % unter Risperidon vs. 36 %
unter Placebo, auch MADRS signifikant verbessert unter Risperidon, keine Unterschiede
zw. Gruppe der gemischten und manischen Episode
|
nur 3 Wochen Dauer, gemischte Diagnosegruppe
|
Weisler et al., 2005
|
239
|
Manie oder gemischte Episode bei Bipolar-I-Störung (DSM-IV)
|
Carbamazepin, Placebo
|
doppelblinde RCT
|
YMRS unter Carbamazepin signifikant PLC überlegen, hingegen kein Unterschied bei depressiver
Symptomatik (HAM-D)
|
3 Wochen Dauer
|
Bowden et al., 2006
|
377
|
Manie oder gemischte Episode bei Bipolar-I-Störung (DSM-IV)
|
Valproat, Placebo
|
doppelblinde RCT
|
Response (50 %ige Verbesserung des MRS) unter Valproat 48 % vs. 34 % PLC
|
gemeinsame Auswertung, explorativ: Valproat für gemischte und manische Symptome gleich
wirksam, wenig repräsentative Patientenpopulation
|
Ghaemi et al., 2007
|
18
|
Depression bei Bipolarer Störung (DSM-IV), 73 % mit mind. 1 manischen Symptom
|
Valproat, Placebo
|
doppelblinde RCT
|
Verbesserung der MADRS unter Valproat mit 13,6 Punkten vs. 1,4 Punkten unter PLC
|
gemischte Symptomatik definiert mit 1 manischem Symptom, geringe Fallzahl
|
Suppes et al., 2008
|
519
|
Manie oder gemischte Episode bei Bipolar-I-Störung (DSM-IV)
|
Aripiprazol, Placebo
|
Post-hoc-Analyse von 2 doppelblinden RCTs (Sachs et al., 2006, Keck et al., 2003)
|
signifikant reduzierte YMRS und MADRS für gemischte und manische Episode unter Aripiprazol
vs. PLC
|
kurzer Zeitraum der Studien von 3 Wochen, Post-hoc-Analyse zweier RCTs mit gemischten
Diagnosegruppen
|
Vieta et al., 2008
|
253
|
Manie oder gemischte Episode bei Bipolar-I-Störung (DSM-IV), resistent auf Lithium
oder Valproat
|
Lithium/Valproat + Aripiprazol oder Lithium/Valproat + Placebo bei nicht ausreichender
Response auf Lithium/Valproat Monotherapie
|
doppelblinde RCT
|
Kombination aus Valproat/Lithium + Aripiprazol führt zu signifikant stärkerer Reduktion
manischer Symptome (YMRS) als Valproat/Lithium + PLC
|
gemischte Diagnosegruppe, keine einzelne Auswertung
|
Houston et al., 2009
|
202
|
Gemischte Episode (DSM-IV)
|
Valproat + Olanzapin oder Valproat + Placebo nach nicht ausreichend wirksamer Valproat-Monotherapie
|
doppelblinde RCT
|
Kombination aus Valproat + Olanzapin ist Valproat + PLC bei depressiven und manischen
Symptomen überlegen
|
|
Stahl et al., 2010
|
179
|
Dysphorische Manie
|
Ziprasidon, Placebo
|
Post-hoc-Analyse zweier gepoolter RCTs (Keck et al., 2003, Potkin et al., 2006)
|
Ziprasidon signifikant besser wirksam als PLC hinsichtlich manischer und depressiver
Symptome (MRS und HAM-D)
|
Post-hoc-Analyse zweier RCTs mit gemischten Diagnosegruppen
|
Vieta et al., 2010
|
493
|
Manie oder gemischte Episode bei Bipolar-I-Störung (DSM-IV)
|
Paliperidon, Quetiapin, Placebo
|
doppelblinde RCT
|
YMRS unter Paliperidon signifikant reduziert vs. PLC, nach 12 Wochen Paliperidon und
Quetiapin gleichwertig, unter Paliperidon vs. Quetiapin höheres „Switch-Risiko“ in
eine Depression (13,9 vs. 7,5)
|
gemischte Diagnosegruppe
|
Azorin et al., 2013
|
295
|
gemischte Episode bei Bipolar-I-Störung (DSM-IV-TR)
|
Asenapin, Olanzapin, Placebo
|
Post-hoc-Analyse zweier RCTs (McIntyre et al.)
|
Woche 3: sign. Verbesserung der YMRS und MADRS unter Asenapin vs. PLC und Olanzapin,
Woche 12: weitere Verbesserung der YMRS und MADRS unter Asenapin, keine statistische
Überlegenheit zu Olanzapin
|
Post-hoc-Analyse zweier RCTs mit gemischten Diagnosegruppen
|
Suppes et al., 2013
|
55
|
Bipolar-II-Störung, ggw. gemischte hypomane Symptome (DSM-IV-TR)
|
Quetiapin, Placebo
|
doppelblinde RCT
|
Quetiapin zeigte sich PLC überlegen hinsichtlich depressiver Symptome, jedoch nicht
bei hypomanen Symptomen
|
Geringe Fallzahl, Definition der gemischten Episode
|
Tohen et al., 2014
|
447
|
Manie mit oder ohne gemischte Merkmale bei Bipolar-I-Störung (DSM-5)
|
Olanzapin, Placebo
|
Post-hoc-Analyse dreier doppelblinder RCTs (Tohen et al., 1999, 2000, Katagiri et
al., 2012)
|
Unter Olanzapin vs. PLC signifikante Reduktion der YMRS, größte Effizienz bei Patienten
mit gemischten Merkmalen bei starker Ausprägung der depressiven Symptomatik
|
Post-hoc-Analyse zweier RCTs mit gemischten Diagnosegruppen
|
Tohen et al., 2014
|
1214
|
Depression mit gemischten Merkmalen bei Bipolar-I-Störung (DSM-5)
|
Olanzapin, Placebo
|
Post-hoc-Analyse zweier doppelblinder RCTs (Tohen et al., 2000, Katagiri et al., 2012)
|
signifikante Verbesserung der MADRS vs. PLC nach 6 Wochen
|
Post-hoc-Analyse, DSM-5-Kriterien nicht exakt ermittelt
|
MRS Mania Rating Scale; YMRS Young Mania Rating Scale; MADRS Montgomery-Asberg Depression
Rating Scale; HAM-D Hamilton Depression Scale; DSM Diagnostic and Statistical Manual
of Mental Disorders; SADS Schedule for Affective Disorders and Schizophrenia; RCT
randomized controlled trial; CGI Clinical Global Impression; PLC Placebo.
Tab. 4
Übersicht pharmakologischer Behandlungsstrategien bei gemischten Episoden und deren
Evidenz.
Medikamente und deren Wirkung bei gemischten Episoden
|
Reduktion manischer Symptome
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Reduktion depressiver Symptome
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Reduziertes Rückfallrisiko
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Vergleich zu anderen Antipsychotika, Zusatzinformationen
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Antipsychotika
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Aripiprazol
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+
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+
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*
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Gute Wirksamkeit auf manische und depressive Symptome bei gemischten Episoden
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Asenapin
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+
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*
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*
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In Reduktion manischer Symptome ähnliche Wirksamkeit wie Olanzapin [38]
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Olanzapin
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+
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+
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+
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Beste Datenlage für Akut- und Langzeitbehandlung
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Paliperidon
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+
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–
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+
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Bessere Wirkung auf manische als auf depressive Symptome, Hinweise auf pos. Rückfallprophylaxe
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Quetiapin
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*
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*
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*
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Keine ausreichende Datenlage zur Bewertung
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Risperidon
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+
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*
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*
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Hinweise auch für Wirkung auf depressive Symptomatik [47]
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Ziprasidon
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+
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+
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*
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Ziprasidon scheint wirksam auf manische und depressive Symptome gemischter Episoden
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Klassische Mood-Stabilizer
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Lithium
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–
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*
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–
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Hinweise, dass Lithium bei Vorliegen depressiver Symptomatik Valproat unterlegen ist,
wohl kein reduziertes Rückfallrisiko
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Valproat
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+
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+
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–
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Gute Wirksamkeit auf manische und depressive Symptome bei fehlender Wirksamkeit in
der Rezidivprophylaxe
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Carbamazepin
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*
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+
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*
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Lamotrigin
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–
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*
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*
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Kann ggw. nicht empfohlen werden
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Kombinationsbehandlung
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Valproat + Olanzapin
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+
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+
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*
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signifikant wirksamer bei gemischter Episode als Valproat-Monotherapie, auch signifikant
stärkere Abnahme der depressiven Symptomatik als Valproat-Monotherapie
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Lithium + Olanzapin
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+
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*
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*
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Kombi-Behandlung ist der Lithium-Monotherapie nicht überlegen
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Lithium/Valproat + Quetiapin
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*
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* (Lithium)/ + (Valproat)
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+
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Lithium/Valproat + Aripiprazol
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+
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+
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*
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Eine Untersuchung ohne zusätzlichen Effekt auf das Rückfallrisiko unter Aripiprazol-Augmentation
im Vergleich zur Valproat-/Lithium-Monotherapie
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+ signifikant besser als Placebo, – nicht signifikant besser als Placebo, * unzureichende
oder widersprüchliche Datenlage.
Methode
Es wurde im November 2014 eine Medline-Suche mit den Begriffen „bipolar“, „mixed“
und „randomized“ durchgeführt. Insgesamt konnten bei 428 Ergebnissen 35 Studien eingeschlossen
werden, wobei nur Daten aus randomisierten und kontrollierten Studien unter Einschluss
von Post-hoc-Analysen und Metaanalysen berücksichtigt wurden. Die Angabe unkontrollierter
Studienergebnisse erfolgt lediglich bei komplett fehlender Evidenz für Substanzen
aus kontrollierten Untersuchungen.
Klassische Mood-Stabilizer
Klassische Mood-Stabilizer
Lithium
Für den klassischen Mood-Stabilizer Lithium, der in der S3-Leitlinie zur Behandlung
der Bipolaren Störung als einzige Substanz zur Phasenprophylaxe den höchsten Evidenzgrad
A erhalten hat, ist die Datenlage zur Wirksamkeit bei gemischten Episoden insgesamt
für eine abschließende Beurteilung der Wirksamkeit unzureichend. In älteren Untersuchungen
zeigten sich Hinweise, dass bei Patienten in einer manischen Episode mit zusätzlich
depressiver Symptomatik Lithium möglicherweise geringer wirksam ist als Valproat [35]. Auch in der Erhaltungsphase bei Patienten mit einer eher gereizten Manie im Rahmen
einer Bipolar-I-Störung (hier definiert als zusätzlich depressive Symptome zur Manie)
zeigten sich Hinweise für eine schlechtere Wirksamkeit von Lithium im Vergleich zu
„reinen“ affektiven Episoden. In einer weiteren Post-hoc-Analyse war Lithium gegenüber
Placebo gleichwertig für Patienten mit einer dysphorischen Manie bezüglich des Auftretens
einer neuen Episode unabhängig von der Polarität [36], jedoch wurde diese Untersuchung insbesondere wegen einer unrepräsentativen Patientenpopulation
stark diskutiert.
Valproat
In der Studie von Bowden und Kollegen (2006) zeigte sich eine signifikante Abnahme
manischer Symptome bei Patienten mit gemischter Episode im Vergleich zu Placebo [37]. In einer Untersuchung bei Patienten mit einer bipolaren Depression und zumindest
einem manischen Symptom zeigte sich ebenfalls für die depressive Symptomatik eine
signifikant stärkere Abnahme gegenüber Placebo, so dass für beide Pole eine Wirksamkeit
von Valproat bei der gemischten Episode nachgewiesen werden konnte [38]. Hinsichtlich der rezidivprophylaktischen Wirkung von Valproat konnte allerdings
in der Untersuchung von Bowden et al. [36] keine bessere Wirkung gegenüber Placebo bei Patienten mit einer dysphorischen Manie
festgestellt werden.
Carbamazepin
Für Carbamazepin zeigten sich teilweise widersprüchliche Ergebnisse. In der Studie
von Weisler et al. (2004) zeigte sich kein Unterschied in der Reduktion der manischen
Symptomatik im Vergleich zu Placebo bei gleichzeitig signifikanter Reduktion depressiver
Symptome [39]. In einer weiteren RCT von Weisler und Kollegen zeigte sich hingegen sowohl für
manische als auch depressive Symptome bei Patienten mit gemischter Episode ein signifikanter
Rückgang im Vergleich zu Placebo [40].
Lamotrigin
Für Lamotrigin liegen nur sehr wenige kontrollierte Untersuchungen hinsichtlich der
Wirksamkeit bei gemischten Episoden vor. Einzig in einer offenen Studie von Calabrese
und Kollegen wurden 11 Patienten mit Mischzuständen mit Lamotrigin als Add-on zu Lithium
oder Valproat oder als Monotherapie behandelt. Lamotrigin als Mono- und als Kombinationstherapie
reduzierte depressive und manische Symptome signifikant [41]. In der Studie von Carlson et al. [42] war Lamotrigin ähnlich wirksam wie die Kombination aus Lamotrigin und Aripiprazol
in der Rückfallprophylaxe manischer und gemischter Episoden (gemeinsame Auswertung).
In einer Registerdatenanalyse zeigten sich Lamotrigin und Lithium ähnlich wirksam
bei der Behandlung von Mischzuständen [43]. In zwei unveröffentlichten Studien (SCAA2008 und SCAA2009) unterschied sich Lamotrigin
hingegen nicht von Placebo in der Behandlung manischer und gemischter Episoden. Insgesamt
ist die Datenlage zu gering, um eine Behandlungsempfehlung geben zu können [44].
Antipsychotika
Aripiprazol
In einer Untersuchung von Sachs und Kollegen (2006) zeigte sich für Patienten mit
einer gemischten Episode eine Überlegenheit von Aripiprazol gegenüber Placebo sowohl
für depressive als auch für manische Symptome [45]. Weitere Untersuchungen konnten diesen Effekt bestätigen [7]
[46].
Asenapin
In einer Studie mit manischen Patienten und Patienten mit einer gemischten Episode
zeigte ebenfalls Asenapin eine Überlegenheit in der Reduktion manischer Symptome gegenüber
Placebo und eine ähnliche Wirksamkeit im Vergleich zu Olanzapin [47]. Einschränkend muss erwähnt werden, dass bei einer der verwendeten statistischen
Auswertungsmethoden Asenapin in der Subgruppe der Patienten mit einer gemischten Episode
am primären Endpunkt (Reduktion in der YMRS-Scale) der Studie keinen Unterschied zu
Placebo zeigte. Auch eine aktuelle gepoolte Post-hoc-Analyse zweier RCTs konnte diesen
Effekt gegenüber Olanzapin nachweisen [48].
Olanzapin
Zur Wirksamkeit von Olanzapin bei gemischten Episoden sind gegenwärtig am meisten
Aussagen möglich. 3 RCTs konnten die Wirksamkeit von Olanzapin auf die manischen Symptome
einer gemischten Episode nachweisen (u. a. [47]
[49]). In einer aktuellen Post-hoc-Analyse zeigten sich Hinweise auf die antimanische
Wirksamkeit von Olanzapin bei gemischten Episoden auch unter Verwendung der „mixed-features-specifier“-Kriterien
des DSM-5 [50]. Hinsichtlich der Verbesserung depressiver Symptome ist die Datenlage nicht so eindeutig.
Insgesamt scheint nur eine Überlegenheit von Olanzapin gegenüber Placebo bei Patienten
mit einer gereizten Manie oder sehr hohen depressiven Werten bei Studieneinschluss
gegeben zu sein [51]. Eine aktuelle Analyse [52] konnte jedoch in der Gesamtauswertung einen positiven Effekt von Olanzapin auch
auf die depressive Symptomatik feststellen. Auch für die Langzeitbehandlung sind aus
Subgruppenanalysen positive Befunde im Sinne eines reduzierten Rückfallrisikos für
die Behandlung mit Olanzapin zu verzeichnen [53].
Paliperidon
In einer RCT von Berwaerts et al. (2012) zeigte Paliperidon (12 mg/d) eine signifikant
bessere Wirkung in der Behandlung manischer Symptome gegenüber Placebo für Patienten
mit gemischter Episode. Kein Unterschied konnte hinsichtlich der depressiven Symptome
festgestellt werden. In einer weiteren Untersuchung [54] zeigte sich Paliperidon ähnlich wirksam wie Quetiapin in der Reduktion manischer
Symptome bei gemischten Episoden, aber auch hier schlechter in der Effektivität gegenüber
depressiven Symptomen. In der Langzeitprophylaxe nach einer gemischten Episode zeigte
sich Paliperidon in der Zeit bis zum Auftreten einer neuen Episode (unabhängig von
der Polarität) Placebo signifikant überlegen [55].
Quetiapin
In der bereits zitierten Untersuchung von Vieta et al. zur Wirksamkeit von Quetiapin
erfolgte keine Differenzierung zwischen manischen Patienten und Patienten mit einer
gemischten Episode. In einer aktuellen Studie konnte bei Patienten mit einer Bipolar-II-Erkrankung
und gemischten Symptomen kein Unterschied zwischen Placebo und Quetiapin festgestellt
werden [56].
Risperidon
Die einzige vorliegende kontrollierte Untersuchung zeigte eine signifikant stärkere
Abnahme manischer Symptome während einer Behandlung mit Risperidon gegenüber Placebo.
Hinsichtlich der depressiven Symptomatik erfolgte keine Subgruppenanalyse zwischen
manischen Patienten und Patienten mit einer gemischten Episode, bei gleichzeitiger
signifikanter Reduktion der depressiven Symptomatik gegenüber Placebo für die gesamte
Kohorte [57]. In einer aktuellen unkontrollierten Untersuchung konnte bei zusätzlicher Gabe von
Risperidon zu einem Phasenprophylaktikum (Lithium, Valproat, Lamotrigin) ebenfalls
eine Abnahme der manischen Symptomatik gezeigt werden, die signifikant höher war als
die Abnahme der depressiven Symptomatik [58].
Ziprasidon
Ziprasidon zeigte in einer Untersuchung von Keck und Kollegen bei manischen Patienten
und Patienten mit einer gemischten Episode eine deutliche Reduktion manischer Symptome,
ohne dass jedoch spezifische Unterschiede bei der gemischten Episode gegenüber Placebo
angegeben wurden [59]. In einer Post-hoc-Subgruppenanalyse für Patienten mit dysphorischer Manie war Ziprasidon
Placebo bei der Reduktion sowohl manischer als auch depressiver Symptome überlegen
[60]
[61].
Zusammenfassend wurde die Wirksamkeit der atypischen Antipsychotika in einer aktuellen
Metaanalyse untersucht [33]. Dabei zeigte sich für die Gruppe der atypischen Antipsychotika insgesamt ein signifikanter
Vorteil gegenüber Placebo in der Reduktion manischer Symptome im Rahmen einer gemischten
Episode. Hinsichtlich der depressiven Symptomatik ist dies hingegen nicht eindeutig
zu beurteilen (u. a. fehlende Angaben). Einschränkend muss erwähnt werden, dass zum
einen das Design (Placebo-Vergleich) günstig für den Nachweis einer Wirksamkeit ist,
jedoch die Effektstärken dennoch überwiegend klein waren (standardized mean difference
< 0,5). Ein weiterer Aspekt, der kritisch betrachtet werden sollte, ist, dass es keine
großen, kontrollierten Vergleichsstudien zwischen atypischen Antipsychotika und klassischen
Stimmungsstabilisierern gibt, aber ein größeres Interesse hinsichtlich der Vermarktung
atypischer Antipsychotika besteht. Es gibt keine Studien, die eine Wirksamkeit von
typischen Antipsychotika bei gemischten Episoden nachweisen [62]. Psychotische Symptome im Rahmen von gemischten Episoden können jedoch auf typische
Antipsychotika ansprechen [63].
Kombinationsbehandlungen:
Kombinationsbehandlungen:
Für wenige Kombinationsbehandlungen konnte in kontrollierten Untersuchungen auch für
die Subgruppe von Patienten mit einer gemischten Episode eine Wirksamkeit festgestellt
werden.
In der Akutbehandlung zeigte sich auch die Augmentation von Valproat mit Olanzapin
signifikant wirksamer als die Monotherapie bei Patienten mit gemischter Episode, was
für die Augmentation von Lithium nicht der Fall war [64]. Auch für die depressive Symptomatik zeigte sich in der Kombinationsbehandlung mit
Olanzapin eine signifikant stärkere Abnahme gegenüber der Monotherapie [65]. Die Wirksamkeit der Kombination aus Olanzapin und Valproat wurde auch in einer
der wenigen Studien, die gezielt gemischte Episoden untersuchten, sowohl für die depressive
als auch für die manische Symptomatik nachgewiesen [66]. In der Erhaltungstherapie war die Kombinationsbehandlung mit Quetiapin zusätzlich
zu Lithium oder Valproat bei Patienten mit gemischter Episode hinsichtlich des Rückfallrisikos
Placebo überlegen [67]. Auch die Kombination von Aripiprazol mit Valproat oder Lithium scheint der alleinigen
Monotherapie mit Valproat oder Lithium überlegen zu sein [68]. Hingegen konnte für Aripiprazol in der Kombination mit Lithium oder Valproat kein
zusätzlicher Effekt bezogen auf die Verhinderung gemischter Episoden gezeigt werden
[69].
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Gemischte Episoden stellen eine besondere Herausforderung im klinischen Behandlungsalltag
dar, da sie häufig sehr heterogen sind, ein schlechtes Ansprechen auf Medikamente
zeigen und zugleich eine besondere Schwere der Symptomatik aufweisen.
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Im DSM-5 wurde die Diagnose einer gemischten Episode zugunsten sogenannter „specifier“
Kriterien aufgegeben, so dass bereits wenige Symptome vom gegenüberliegenden affektiven
Pol zur Zusatzdiagnose „mit gemischten Merkmalen“ ausreichen.
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Pharmakologisch zeigen insbesondere die atypischen Antipsychotika Olanzapin und Aripiprazol
und auch Valproat eine Wirksamkeit in der Behandlung gemischter Episoden.