Dialyse aktuell 2015; 19(10): 547-548
DOI: 10.1055/s-0041-108997
Forum der Industrie
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Antikoagulation bei Nierenersatztherapie – Einfluss auf die Filterstandzeiten

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Publication Date:
22 February 2016 (online)

 
 

Während der Hämodialyse ist in der Regel eine effektive Antikoagulation notwendig, weil die Gerinnung bei den Patienten unter der Nierenersatztherapie aktiviert ist. Deshalb sollen antithrombotische Substanzen die Gerinnungsaktivität an der Fremdoberfläche der Dialysemembran verhindern und somit eine effektive Hämodialyse ohne Filterverschluss gewährleisten. Welche Charakteristika die Antikoagulanzien aufweisen und welchen Einfluss die Substanzen auf die Filterstandzeiten haben, diskutierten Experten während eines Symposiums anlässlich der 7. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (DGfN) in Berlin.

Ohne Antikoagulation führt eine 4-stündige Dialyse in 5–10 % der Fälle zu einer Thrombose, zu einem frühzeitigen Versagen des Dialysators sowie zu einem Verlust von 250–300 ml Blut, erklärte Prof. Wolfgang Korte, St. Gallen (Schweiz). Zu den eingesetzten antikoagulatorischen Substanzen gehören vor allem unfraktioniertes Heparin (UFH) und hiervon abgeleitete Substanzen, wie die niedermolekularen Heparine (LMWH) oder Danaparoid, sowie Zitrat und direkte Thrombininhibitoren.

Die Substanzen setzten an verschiedenen Faktoren der Gerinnungskaskade an. So verursachen Heparine über eine Reaktion mit Antithrombin (AT) eine schnelle Hemmung von Thrombin (vor allem UFH) und Faktor Xa (UFH, LMWH, Danaparoid). Ihr Einsatz unterliegt jedoch Einschränkungen, weil die Effektivität von adäquaten AT-Spiegeln abhängt.

Ferner kann die fehlende Hemmung des an einen Thrombus gebundenen Thrombins oder eine unspezifische Bindung an Plasmaproteine zu einer nicht vorhersehbaren Einschränkung der antithrombotischen Wirkung führen. Zudem kann unter Heparin eine heparininduzierte Thrombozytopenie (HIT) auftreten. Antikörper, die eine HIT Typ II verursachen, wurden bei bis zu 12 % der Patienten mit einer Nierenerkrankung im Endstadium unter einer chronischen Hämodialyse und Heparingabe gefunden [ 1 ].

Zitrat komplexiert Kalzium-Ionen im Blut und ist dadurch in der Lage, alle Schritte in der Gerinnungskaskade zu blockieren, in die Kalzium-Ionen involviert sind.

Als weitere Therapieoption ist das zu den direkten Thrombininhibitoren gehörende Argatroban (Argatra®) zur Antikoagulation bei erwachsenen Patienten mit HIT II zugelassen, bei denen eine parenterale antithrombotische Behandlung notwendig ist. Argatroban ist ein von der Aminosäure Arginin abgeleiteter, vollsynthetischer niedermolekularer Thrombininhibitor. Dieser bindet spezifisch und reversibel an das aktive Zentrum des Thrombins (Faktor IIa) und hemmt somit alle Thrombineffekte, so Korte weiter.

Argatroban wird vorwiegend in der Leber metabolisiert, weshalb die Elimination bei Leberinsuffizienz verlängert ist. Der Thrombininhibitor hemmt sowohl an Gerinnsel gebundenes als auch freies Thrombin. Bei eingeschränkter Nierenfunktion ist keine initiale Dosisanpassung notwendig.

Wirksame Thrombinhemmung

In einer prospektiven, randomisierten 3-armigen Studie [ 2 ] wurde die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Argatroban bei Hämodialysepatienten mit einer Nierenerkrankung im Endstadium untersucht. Eine Verdachtsdiagnose auf HIT II gehörte nicht zu den Einschlusskriterien. Um eine aktivierte Gerinnungszeit (ACT: „acitivated clotting time“) von 180 % des Basiswerts während der Hämodialyse mit High-Flux-Membranen einzuhalten, wur-den 3 Dosierungsschemata untersucht:

  • A: 250 μg/kg Bolusgabe vor Hämodialysebeginn sowie nach 2 Stunden eine mögliche zweite Bolusgabe, falls der ACT-Wert auf weniger als 140 % des Ausgangswertes abgefallen war.

  • B: 250 μg/kg Bolusgabe mit anschließender kontinuierlicher Infusion mit 2,0 μg/kg x min Argatroban. Die Infusion wurde eine Stunde vor Beendigung der Hämodialyse abgesetzt.

  • C: Dauerinfusion mit 2,0 μg/kg x min. Die Infusion wurde 4 Stunden vor Beginn der Hämodialyse gestartet und bis zum Ende der Dialyse fortgeführt.

Im Ergebnis wurden insgesamt 38 Hämodialysen bei 13 Patienten vorgenommen. Eine Stunde nach Beginn der HD betrug die durchschnittliche ACT 153 (A), 200 (B) und 197 Sekunden (C) gegenüber dem Ausgangswert von 131 Sekunden. Nach Beendigung der Therapie wurde der Basiswert innerhalb einer Stunde wieder erreicht.

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Abb. 1 Schematische Darstellung einer Zitratdialyse.

Kein Dialysator musste gewechselt werden. Die systemische Argatroban-Clearance erhöhte sich um circa 20 % während der Hämodialyse, wird jedoch als nicht klinisch relevant bewertet. Die Eliminationshalbwertszeit betrug in der Studie 35 ± 6min. Während der Therapie traten keine Thrombosen, Blutungen, andere schwere unerwünschten Nebenwirkungen oder signifikante Veränderungen bei den Vitalzeichen oder den Laborwerten auf.


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Alternative regionale Antikoagulation mit Zitrat

Zitrat blockiert alle kalziumabhängigen Schritte der Gerinnungskaskade. Zur regionalen Antikoagulation nur des Dialysekreislaufs wird bei der Nierenersatztherapie das Patientenblut vor dem Filterdurchlauf mit Zitrat versetzt, um die Antikoagulation im Filter zu unterbinden. Nach dem Filterdurchlauf findet dann eine Rekalzifizierung statt, bevor das Blut in den Körper zurückgeführt wird.

Wie die Daten einer randomisierten, prospektiven kontrollierten Einzelzentrumstudie [ 3 ] mit 200 Patienten (97 Patienten mit Zitratdialyse, 103 Patienten mit Nadroparin-Antikoagulation) zeigten, musste regional eingesetztes Zitrat nur bei 2 Patienten wegen Akkumulation und Thrombenbildung und das systemische niedermolekulare Heparin Nadroparin bei 20 Patienten wegen Blutungen und Thrombozytopenie abgesetzt werden.

Die 3-Monats-Mortalität betrug 48 % unter Zitrat und 63 % unter Nadroparin bei ähnlicher Effektivität beider Substanzen. Weniger Blutungsereignisse können dieses unerwartete Ergebnis nur teilweise erklären, betonen die Autoren. In anderen Studien konnte dieser Überlebensvorteil unter einer Zitrattherapie nicht bestätigt werden.

Zum Einsatz von Zitrat existiert allerdings kein allgemein gültiger Standard. Deshalb nutzen die in der Literatur beschriebenen Protokolle verschiedene Zitratkonzentrationen mit zusätzlichen Puffersubstanzen. In einer prospektiven Beobachtungsstudie [ 4 ] an 162 Patienten unter einer kontinuierlichen venovenösen Hämodialyse (CVVHD: „continuous venovenous hemodialysis“) betrug die mediane Filterlaufzeit unter einer regionalen Zitratantikoagulation 61,5 Stunden. 5 % der Filter mussten wegen einer Thrombenbildung gewechselt werden, sagte Dr. Torsten Slowinski, Berlin.

Die Filterlaufzeiten wurden in einer retrospektiven Studie in einem Universitäts-Krankenhaus anhand von Aufzeichnungen über Verschreibungen einer Nierenersatztherapie bei Patienten mit CVVHD und regionaler Zitratapplikation (RCA) untersucht. Die durchschnittliche Dialysemenge betrug 23 ± 3 ml/kg/h, der durchschnittliche Blutfluss 107 ± 10 ml/min, die durchschnittliche Dialysatflussrate 2,1 ± 0,2 l/h und die durchschnittliche Netto-Ultrafiltration 46 ± 46 ml/h. Die Patienten erhielten die RCA-CVVHD-Therapie im Durchschnitt über 566 ± 323 Stunden.


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Direkte Thrombininhibition bei Filterverschluss

Von den insgesamt 1336 Patienten wurden 12 mit frühem Filterverschluss identifiziert. Bei Behandlungsbeginn wies kein Patient eine bekannte HIT II auf. Zur Zeit des ersten Filterverschlusses lagen die ionisierten Kalziumkonzentrationen immer im erwünschten Bereich (im Durchschnitt bei 0,31 ± 0,03 mmol/l) unterhalb von 0,35 mmol/l.

Während der Nierenersatztherapie wurden 5 von 12 Patienten mit dem heparininduzierten Plättchen-Aktivierungstest (HIPA) für PF4-Heparin positiv getestet. Der HIT-4T-Score (Thrombocytopenia, Timing, Thrombosis, absence of oTher explanations) ergab bei 9 Patienten eine geringe Wahrscheinlichkeit für eine HIT II (Score 1–3) und bei 3 Patienten eine mittelgradige Wahrscheinlichkeit (Score 4–5). Bei 3 Patienten mit initial geringer Wahrscheinlichkeit war der Test auf HIT II nach 4,4 und 8 Tagen positiv.

Nach dem ersten Filterverschluss wurde bei 58 Filtern Argatroban anstatt Heparin zusätzlich zur regionalen Antikoagulation eingesetzt, bei 70 Filtern Heparin ohne direkten Thrombininhibitor. Wie Slowinski weiter ausführte, liefen nach 125 Stunden unter Argatroban noch circa 50 % der Filter ohne Thrombenbildung und unter Heparin etwa 10 %.

Bei diesen Patienten erfolgte ein Wechsel von Heparin auf Argatroban im Mittel 4 Tage nach dem ersten Filterverschluss. 3 Patienten, davon einer mit negativem HIT-II-Test und 2 mit positivem Test, entwickelten venöse Thrombosen, davon 2 Patienten auch eine Lungenembolie. Nach dem Beginn der Therapie mit Argatroban traten keine neuen Thrombosen bzw. Embolien auf.

Slowinski schloss aus den Daten, dass bei einem Filterverschluss trotz Zitrateinsatz an eine HIT II gedacht und behandelt werden sollte. Wird der Patientenkreislauf bei diesen Patienten nicht entsprechend antikoaguliert, besteht die Möglichkeit, dass bereits aktiviertes Prothrombin in den Dialysefilter gelangt. Da die Umwandlung von Fibrinogen in Fibrin durch Thrombin nicht durch Kalzium-Ionen beeinflusst wird, kann dann auch eine Antikoagulation mit Zitrat ein Filterclotting des Dialysekreislaufs nicht verhindern.

Insofern stellt das unerwartete, frühzeitige Filterclotting zwar ein prinzipiell unerwünschtes Ereignis dar, bietet aber auf der anderen Seite auch die Möglichkeit, die Verdachtsdiagnose HIT II zu stellen und, durch entsprechende Therapie, weitere schwerwiegende Auswirkungen für die Patienten zu vermeiden.

Dr. Ralph Hausmann, Frankfurt am Main

Dieser Beitrag entstand mit freundlicher Unterstützung der Mitsubishi Tanabe Pharma GmbH, Düsseldorf.
Die Beitragsinhalte stammen vom Symposium „Antikoagulation und deren Einfluss auf Filterstandzeiten“, 14.09.2015, veranstaltet von der Mitsubishi Tanabe Pharma GmbH, Düsseldorf, auf der 7. Jahrestagung der DGfN, Berlin.
Der Autor ist freier Journalist.


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  • Literatur

  • 1 Luzzatto G, Bertoli M, Cella G et al. Platelet count, anti-heparin/platelet factor 4 antibodies and tissue factor pathway inhibitor plasma antigen level in chronic dialysis. Thromb Res 1998; 89: 115-122
  • 2 Murray TP, Reddy BV, Grossman EJ et al. A prospective comparison of three argatroban treatment regimens during hemodialysis in end-stage renal disease. Kidney Int 2004; 66: 2446-2453
  • 3 Oudemans-van Straaten HM, Bosman RJ, Koopmans M et al. Citrate anticoagulation for continuous venovenous hemofiltration. Crit Care Med 2009; 37: 545-552
  • 4 Morgera S, Schneider M, Slowinski T et al. A safe citrate anticoagulation protocol with variable treatment efficacy and excellent control of the acid-base status. Crit Care Med 2009; 37: 2018-2024

  • Literatur

  • 1 Luzzatto G, Bertoli M, Cella G et al. Platelet count, anti-heparin/platelet factor 4 antibodies and tissue factor pathway inhibitor plasma antigen level in chronic dialysis. Thromb Res 1998; 89: 115-122
  • 2 Murray TP, Reddy BV, Grossman EJ et al. A prospective comparison of three argatroban treatment regimens during hemodialysis in end-stage renal disease. Kidney Int 2004; 66: 2446-2453
  • 3 Oudemans-van Straaten HM, Bosman RJ, Koopmans M et al. Citrate anticoagulation for continuous venovenous hemofiltration. Crit Care Med 2009; 37: 545-552
  • 4 Morgera S, Schneider M, Slowinski T et al. A safe citrate anticoagulation protocol with variable treatment efficacy and excellent control of the acid-base status. Crit Care Med 2009; 37: 2018-2024

 
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Abb. 1 Schematische Darstellung einer Zitratdialyse.