Alkoholkonsum weit verbreitet
Alkoholkonsum weit verbreitet
Seit 1980 werden vom Institut für Therapie- und Gesundheitsforschung (IFT) München
Repräsentativerhebungen zum Substanzkonsums in Deutschland in der Allgemeinbevölkerung
(18–64 Jahre) durchgeführt und als Epidemiologischer Suchtsurvey (ESA) publiziert
(http://www.esa-survey.de). Nach diesen Daten hat nur eine sehr kleine Gruppe der Erwachsenen in Deutschland
(3,6 %) nie Alkohol konsumiert. Weitere 9,8 % lebten in den vergangen 12 Monaten vor
der Erhebung abstinent, haben aber Erfahrungen mit Alkohol. Die große Mehrzahl (71,5 %)
trank nach ESA innerhalb der letzten 30 Tage Alkohol.
Riskanter Konsum
Bemerkenswert ist aber die Tatsache, dass immerhin 14,2 % der Erwachsenen zu den riskant
Konsumierenden gerechnet werden müssen. Dabei ist der Anteil der Personen mit 4 oder
mehr Rauschtagen (definiert als Konsum von 5 oder mehr alkoholischen Getränken pro
Tag) erheblich. Nach den Studien des IFT München konsumieren in Deutschland 9,5 Mio.
Menschen im Alter von 18–64 Jahren in gesundheitlich riskantem Ausmaß Alkohol, 1,77
Mio. gelten als alkoholabhängig und bei 1,6 Mio. liegt ein Alkoholmissbrauch vor.
Da gerade bei Suchterkrankungen eine große Dunkelziffer besteht, sind diese Daten
wahrscheinlich eine konservative Annahme.
davon ca. 24 % durch den Alkohol allein und ca. 76 % durch den kombinierten Konsum
von Alkohol und Tabak. Patienten mit Polytrauma oder Tumoren des Gastrointestinaltrakts
weisen in mind. 50 % einen riskanten Alkoholkonsum auf oder sind als suchtkrank zu
betrachten. Während seit 1995 positive Entwicklungen bei Männern zu weniger Alkoholkonsum
oder höherer Abstinenz beobachtet werden, nimmt die Prävalenz der Abhängigkeit bei
jungen Frauen bis 24 Jahren zu.
Alkoholassoziierte Krankheitsfälle
Alkoholassoziierte Krankheitsfälle
Das IFT führte auf der Basis einer WHO-Empfehlung eine Studie zur Krankheitslast und
Sterblichkeit im Zusammenhang mit Alkoholkonsum in Deutschland durch. Demnach erhöhte
sich in den Jahren 2000–2012 die Anzahl der alkoholassoziierten Krankenhausfälle bei
Frauen um 38 % und bei Männern um 16 %. Als erfreulicher Trend war ein Rückgang der
alkoholassoziierten Mortalität in allen Krankheitskategorien um 33 % zu verzeichnen.
Dies kann Ausdruck einer verbesserten Diagnostik und Behandlung bei Patienten mit
riskantem Alkoholkonsum, mit Alkoholabhängigkeit oder -missbrauch sein.
Die aktuelle Datenlage zur Erkennung und Behandlung typischer alkoholassoziierter
Komplikationen fasst Tim Neumann im ersten Topthemabeitrag zusammen. Durch den engen
Bezug zur derzeit aktuellen Leitlinie „Alkoholbezogene Störungen: Screening, Diagnose
und Behandlung“ werden die Empfehlungen auf eine breite Grundlage gestellt.
Medikamentenmissbrauch /-abhängigkeit
Medikamentenmissbrauch /-abhängigkeit
In der anästhesiologischen und intensivmedizinischen Praxis spielt jedoch häufig der
Konsum anderer Substanzen eine erhebliche Rolle, z. B. von Benzodiazepinen. Hierzu
ist die Datenlage weniger gut. Vor allem Schlaf-, Beruhigungs – und Schmerzmittel
besitzen ein häufig unterschätztes Suchtpotenzial. Diese beeinträchtigen nicht nur
die kognitive Leistungsfähigkeit insbesondere bei älteren Menschen, sondern sind auch
mit einer Vielzahl operativer und nicht operativer Krankheitsbildern assoziiert. Nach
den Daten des ESA 2012 nehmen 4,2 % der Erwachsenen im Alter von 18–64 Jahren mind.
einmal wöchentlich Antidepressiva und Analgetika, 1,2 % Beruhigungsmittel (überwiegend
Benzodiazepine), 1 % Neuroleptika und 0,8 % Schlafmittel. Nach DSM-IV (DSM = Diagnostic
and Statistical Manual of Mental Disorders) besteht eine Abhängigkeit für Schmerzmittel
bei ca. 3,4 %, für Beruhigungsmittel bei 1,4 % und für Schlafmittel für 0,8 % der
Personen.
Relevantes klinisches Problem
Relevantes klinisches Problem
Auch wenn man berücksichtigt, dass z. B. das Robert Koch-Institut zu etwas niedrigeren
Zahlen kommt, zeigt die Datenlage eindeutig, dass Medikamentenmissbrauch und -abhängigkeit
ein sehr relevantes klinisches Problem darstellen. Dementsprechend müssen sich Anästhesisten
im perioperativen Bereich darauf einstellen, ein mögliches Risiko zu erkennen und
eine adäquate Prophylaxe und Therapie durchzuführen. Im Beitrag von Christine Schneemilch
und Michael Brinkers wird der Fokus auf Abhängigkeit von Benzodiazepinen gelegt. Dabei
spielt nicht nur der Missbrauch eine Rolle, sondern auch in erheblichem Maße eine
Entzugssymptomatik mit mnestischen Störungen, Desorientiertheit und Delirium tremens
nach Langzeiteinnahme.
Postoperative Überwachung und Behandlung
Postoperative Überwachung und Behandlung
Dem Thema der postoperativen Überwachung und Behandlung des suchtkranken Patienten
widmet sich die Übersichtsarbeit von Caren Tietz und Christof Strang. Hierbei rücken
mehrere Krankheitsbilder in den Mittelpunkt. Unstrittig betrifft die Problematik am
häufigsten Patienten mit riskantem Alkoholkonsum, Alkoholmissbrauch oder -abhängigkeit.
Auf die Besonderheiten von Benzodiazepinmissbrauch wurde bereits hingewiesen.
Illegale Drogen
Zahlenmäßig anders, aber klinisch von hoher Bedeutung stellt sich der Konsum illegaler
Drogen dar. Hierzu zählen v. a. Cannabis, Amphetamine, LSD, Opioide, Kokain / Crack,
aber auch neue psychoaktive, meist synthetische Stoffe, die als Designerdrogen, Research
Chemicals oder Legal Highs bezeichnet werden.
Der geschätzte Prozentwert für Cannabismissbrauch – die nach wie vor am häufigsten
konsumierte illegale Droge – liegt bei 0,5 % der untersuchten Bevölkerung. Mit deutlichem
Abstand folgen Kokain (0,2 %) und Amphetamine (0,1 %) . Nach den Ergebnissen der Bundeszentrale
für gesundheitliche Aufklärung weisen ca. 280 000 Menschen einen Missbrauch und fast
320 000 Menschen eine Abhängigkeit von mind. einer der 3 Substanzen auf. Bei Opioidsuchtkranken
wird von ca. 100 000–150 000 Personen in Deutschland ausgegangen, davon 90 % mit einer
Heroinsucht. Bei etwa 78 000 Personen erfolgte im Jahr 2014 eine Substitutionsbehandlung,
vorwiegend mit Methadon.
Anästhesiologische Aspekte
Anästhesiologische Aspekte
Aus anästhesiologischer Sicht sind die Ergebnisse der DRUCK-Studie (Drogen und chronische
Infektionskrankheiten) des Robert Koch-Instituts bedeutsam. In einem Sero- und Verhaltenssurvey
vom April 2012 bis März 2015 wurden in 8 Studienstädten Informationen zu Infektionen
und Verhaltensweisen von Menschen (n = 2077) erfasst, die aktuell Drogen spritzten.
Der Infektionsstatus zeigt eine Prävalenz von 0–9,1 % für HIV, 42,3–75 % für HCV (abgelaufene
oder aktive / chronische Infektion) und 0,3–3% HBV positiv (aktive / chronische Infektion),
wobei 15,9–69,2 % HBV suszeptibel, d. h. weder geimpft noch infiziert eingeschätzt
wurden.
Neben diesen klinisch-infektiologischen Problemen spielt selbstverständlich die Suchtproblematik
eine große Rolle. Vor allem bei Notfalloperationen treten immer wieder opioidabhängige
Patienten auf, bei denen entweder der Konsum oder eine Substitutionsbehandlung besondere
Berücksichtigung erfordert.
Alle 3 Topthemabeiträge beleuchten eine aktuelle klinische Problematik, die in besonderem
Maße eine sach- und fachkundige und v. a. individuell an die jeweilige Suchterkrankung
angepasste Vorgehensweise erfordert.
Ihr Thomas Hachenberg
Beitrag online zu finden unter http://www.dx.doi.org/10.1055/s-0041-102878