Allgemeine Grundlagen und Abhängigkeitskriterien
Eine Drogenabhängigkeit ist eine psychische Erkrankung mit oftmals schwerwiegenden
Veränderungen der Lebensqualität. Betroffene können darüber hinaus langfristig aus
sozialen Strukturen unserer Gesellschaft herausfallen. Abhängigkeitserkrankungen sind
in der Regel Folge von psychischen Lernprozessen sowie neurobiologischen Veränderungen
des Gehirns [1]
[2]. Das Wissen über Menge und Häufigkeit des Drogenkonsums reicht für die Diagnosestellung
einer Abhängigkeitserkrankung nicht aus. Der Konsum abhängigkeitserzeugender Substanzen
ist jedenfalls nicht sofort mit dem Vorliegen einer Abhängigkeitserkrankung gleichzusetzen.
Generell wird zwischen einer Abhängigkeit und schädlichem Gebrauch unterschieden.
Abhängigkeit. Die Kriterien einer Abhängigkeit sind jeweils in den gängigen Klassifikationssystemen
(ICD-10 und DSM-5 festgelegt) [3]
[4].
ICD-10 Kriterien der Abhängigkeitserkrankung [
3]
Zur Diagnose eines Abhängigkeitssyndroms müssen nach der ICD-10 mindestens 3 der folgenden
Kriterien während des letzten Jahres gemeinsam erfüllt gewesen sein:
-
starkes, oft unüberwindbares Verlangen, die Substanz einzunehmen
-
Schwierigkeiten, die Einnahme zu kontrollieren (was den Beginn, die Beendigung und
die Menge des Konsums betrifft)
-
körperliche Entzugssymptome
-
Benötigen immer größerer Mengen, damit die gewünschte Wirkung eintritt
-
fortschreitende Vernachlässigung anderer Verpflichtungen, Aktivitäten, Vergnügen oder
Interessen (das Verlangen nach der Droge wird zum Lebensmittelpunkt)
-
fortdauernder Gebrauch der Substanz(en) wider besseres Wissen und trotz eintretender
schädlicher Folgen
Schädlicher Gebrauch. Ein schädlicher Gebrauch wird gemäß ICD-10 definiert als ein Konsum psychotroper
Substanzen, der zu einer Gesundheitsschädigung führt. Diese kann psychischer (z. B.
als depressive Episode) aber auch körperlicher Natur (z. B. Infektionskrankheiten
nach Selbstinjektion der Substanz) sein. Die Unterscheidung und Einteilungen in Abhängigkeit
(Substance Dependence) beziehungsweise einem schädlichen Gebrauch einer Substanz (Substance
Abuse) besteht im DSM-5 nicht mehr und wurde durch den Begriff der Substanzgebrauchsstörung
(Substance Use Disorder) ersetzt [4].
Epidemiologie
Gemäß der aktuellen Studienlage variieren im Gegensatz z. B. zur Alkoholabhängigkeit
epidemiologische Angaben bzgl. der verschiedenen Substanzen, was insbesondere zahlreicher
methodischer Probleme (Illegalität von Drogen, Vertrieb) geschuldet ist [2].
Charakteristisch ist der häufig polyvalente Konsum und schädliche Gebrauch mehrerer
Substanzen.
Ein episodischer Konsum tritt häufig auf. In den meisten Fällen sind spezifische Szenegruppen
im Freizeit- und Berufsbereich, aber auch soziale Randgruppen betroffen. Initial werden
diese Substanzen häufig zur Leistungssteigerung und Erweiterung des individuellen
Erlebnis- und Erfahrungsbereichs genommen. Suchtentwicklungen kommen außer bei Halluzinogenen
relativ häufig vor, wobei repräsentative Daten aufgrund o. g. Problematik rar sind.
Erfahrungen mit Kokain haben 2 % der 12- bis 25-Jährigen. In definierten Altersgruppen
(junge Erwachsene, in Großstädten) ist die Lebenszeitprävalenz für Kokain in den letzten
Jahren angestiegen (bis auf 5 – 10 %) [5]. Im Verlauf der Kokainabhängigkeit zeigt sich eine erhebliche Tendenz zur Dosissteigerung.
Ein Teil der erwachsenen Kokainabhängigen reduziert den Konsum nach etwa 10 Jahren
oder stellt ihn insgesamt ein [1].
Erfahrungen mit Amphetaminstimulanzien (Amphetamin und Methamphetamin [Speed]) haben
ca. 3,5 % der Erwachsenen und etwa 6 % der 18 – bis 29-Jährigen, wobei der Altersgipfel
bei 20 – 24 Jahren liegt. Männer sind insgesamt häufiger betroffen als Frauen (etwa
3:1) [1]
[6]
[7]. Ecstasy-Erfahrungen weisen 0,5 – 4 % der Erwachsenen und bis zu 5 % der Jugendlichen
in Europa auf. Der Altersgipfel liegt bei 12 – 25 Jahren [7]. Lysergsäurediethylamid (LSD) wird am häufigsten in der Gruppe 18- bis 20-Jähriger
konsumiert, seit Anfang der 1990er-Jahre spielt LSD bei den Jugendlichen aber eine
eher untergeordnete Rolle, deutlich verbreiteter sind psilocybinhaltige Pilze. Hier
weisen mehr als 6 % der 21- bis 24-Jährigen Konsumerfahrungen auf [6].
Ätiopathogenese
Bestimmte Risikofaktoren können das Auftreten von Abhängigkeitserkrankungen erhöhen.
Hierzu gehören:
-
das Vorliegen von Abhängigkeitserkrankungen bei leiblichen Eltern und Großeltern
-
eine mangelhafte Impulskontrolle
-
ein vermindertes Vorhandensein von Problembewältigungsstrategien
-
die Prägung im Umgang mit Suchtstoffen durch das soziale Umfeld [2]
Symptomatik
Die einzelnen Substanzklassen führen zu einer spezifischen Symptomatik, auf die im
Verlauf dieses Artikels noch weiter eingegangen wird, sodass immer zwischen einer
substanzspezifischen Symptomatik, z. B. während einer Intoxikation oder eines Entzugs,
und den unspezifischen Symptomen einer Abhängigkeitserkrankung zu unterscheiden ist
[2]. Eine allgemeingültige Aussage zum Verlauf und zur Prognose bei Abhängigkeitserkrankungen
ist nicht möglich, da die Prognose von verschiedenen Faktoren abhängig ist (abhängigkeitserzeugende
Potenz, Art des Konsums, individuelle Disposition etc.).
Diagnose und Differenzialdiagnose
Die Psychodiagnostik dient der Abklärung substanzbedingter Störungen nach dem Diagnoseschlüssel
des ICD-10 (Intoxikation, schädlicher Gebrauch, Abhängigkeit, Entzugssyndrom, substanzinduzierte
Störungen). Neben der ausführlichen Suchtanamnese sind der psychopathologische Befund,
die Behandlungsmotivation und komorbide Störungen zu erheben.
Eine ausführliche Somato- und Sozialdiagnostik ist obligat.
Ergänzend können standardisierte und halbstandardisierte Interviews herangezogen werden,
wobei das CIDI (Composite International Diagnostic Interview) mit dem substanzspezifischen
Frageteil CIDI-SAM (Substance Abuse Module) direkt zur Diagnosestellung nach ICD-10
verwendet werden kann [8]
[9].
Therapie
Die Therapieziele der verschiedenen Drogenabhängigkeiten variieren im Einzelfall.
Suchtmittelfreiheit ist zwar wünschenswert und sollte oberstes Ziel der Behandlung
sein, ist aber nicht bei allen Patienten zu erreichen. Vorrangige Ziele der Psychotherapie
innerhalb der Akutbehandlung sind:
-
Festigung der Behandlungsmotivation
-
die Vermittlung positiver Erfahrungen im Rahmen einer Psychotherapie
-
die Ausarbeitung individueller Behandlungsziele, die in der Phase der Postakutbehandlung
bzw. der Rehabilitation aufgegriffen werden können [1]
[2]
Betroffene zeigen zu Beginn häufig wenig Krankheitseinsicht oder bagatellisieren ihr
Suchtproblem, sodass eine wichtige Herausforderung in der Kontaktphase das Schaffen
von Veränderungsmotivation ist. Hier ist insbesondere die motivierende Gesprächsführung
geeignet [10].
Merkmale der motivierenden Gesprächsführung [
10]
-
empathische Grundhaltung mit Verzicht auf Konfrontation
-
Förderung der Wahrnehmung von Diskrepanzen zwischen Selbstbild und Wirklichkeit
-
Aufbau von Selbstvertrauen bezüglich der Fähigkeit zur Abstinenz
-
Vereinbarung von gemeinsam erarbeiteten und umschriebenen Behandlungszielen
An Techniken kommen u. a. offene Fragen ohne implizite Wertung, reflektierendes Zuhören,
positive Rückmeldungen und eine strukturierte Zusammenfassung der Äußerungen des Patienten
zur Anwendung.
Substanzspezifische Informationen
Kokain
Kokain ist ein Extrakt aus den Blättern des Kokastrauches, kann nasal aspiriert (Abb. [1]), geraucht, injiziert oder direkt auf die Schleimhäute aufgetragen werden. Die intravenöse
Applikation hat eine Bioverfügbarkeit von 100 %, wohingegen beim Inhalieren (Rauchen)
oder Schnupfen die Bioverfügbarkeit bei ca. 25 % liegt. Die Halbwertszeit im Plasma
liegt zwischen 40 und 60 min und der Metabolismus erfolgt in Leber und Plasma [11]. Der Hauptmetabolit lässt sich im Urin etwa bis zu 3 Tage nachweisen, bei chronischem
Konsum mit bis zu 15 – 22 Tagen deutlich länger [2].
Abb. 1 Oben ein Glasgefäß für Kokainpulver mit Schraubverschluss, an dem ein Portionierungslöffelchen
hängt. Auf der Spiegelfläche eine „Line“. Darunter, zum Inhalieren: ein Strohhalm
und ein Röhrchen mit Holznuss, die das Nasenloch beim Inhalieren abdichtet (Quelle:
Thieme Verlagsgruppe).
Kokain ist ein sehr wirksames Lokalanästhetikum, führt zu einer Verengung der Blutgefäße
und besitzt starke psychotrope Effekte. Neurochemisch hemmt Kokain dabei die Wiederaufnahme
von Dopamin, Serotonin und Noradrenalin über eine Blockade des Dopamintransporters.
Entscheidend für die Erzeugung von Abhängigkeit scheinen die dopaminergen Fasern im
Mittelhirn zu sein, die das ventrale Striatum, aber auch andere striatale Zellen versorgen.
Eine Hemmung der Wiederaufnahme von Dopamin im mesolimbischen Dopaminsystem führt
zu einer erhöhten Konzentration von Dopamin im synaptischen Spalt [12].
Crack ist eine mit Backpulver vermischte Aufbereitung des Kokains und eine der am
stärksten abhängigkeitserzeugenden Drogenmischungen. In den USA konsumierten 2007
1,5 Mio. Personen Crack. Am häufigsten wird Crack von 18- bis 25-jährigen Personen
konsumiert [2].
Klinische Symptome. Kokain ist ein starkes Psychostimulans. Bei der Intoxikation kommt es zu einer Euphorie
mit gesteigerter Vitalität, übersteigerter Selbsteinschätzung hinsichtlich der Leistungsfähigkeit,
Kreativität und Intelligenz, Beeinträchtigung des Urteilsvermögens, Geselligkeit oder
Streitlust, Unruhe, Hypervigilanz, Hyperaktivität, sozialer und sexueller Enthemmung
und vermindertem Schlafbedürfnis. Begleitet werden diese Symptome von psychomotorischer
Erregung, Schwitzen, Mydriasis, Tachykardie, Hypertonie und einer Erhöhung der Atemfrequenz
und Atemtiefe. Weiterhin kann es zu einem ausgeprägten Gefühl der Angst mit stereotypen
Verhaltensweisen, akustischen, optischen bzw. taktilen Halluzinationen kommen sowie
paranoiden Wahnvorstellungen mit dem Auftreten einer drogeninduzierten Psychose. Nach
Abklingen der stimulierenden Rauschwirkung kommt es regelmäßig zu einem „depressiven
Rauschstadium“ mit dysphorischer Verstimmung, die nicht selten von suizidalen
Gedanken begleitet ist [13].
Cave: Suizidgedanken kommen nach der stimulierenden Rauschwirkung häufig vor.
Entzug. Der Kokainentzug ist durch ein charakteristisches Entzugssyndrom gekennzeichnet,
dass sich innerhalb weniger Stunden bis Tage nach Beendigung des Konsums einstellt:
-
Dysphorie
-
Müdigkeit
-
lebhafte, unangenehme Träume
-
Insomnie oder Hypersomnie
-
psychomotorische Hemmung oder Erregtheit
-
vermehrter Appetit
-
Lustlosigkeit und ein starkes Verlangen („Craving“) nach der Droge kommen häufig hinzu.
Das Entzugssyndrom verläuft in 3 Phasen [14]:
-
Die 1. akute Phase („Crash“) mit starkem Drogenverlangen. Diese wird nach Perioden
wiederholten und hoch dosierten Kokaingebrauchs („Runs“, „Binges“) beobachtet.
-
In der 2. Phase des Entzugs folgen intensive, als unangenehm erlebte Gefühle, Müdigkeit,
Mattigkeit, oft depressive Verstimmung bis hin zu Suizidalität, lebhafte unangenehme
Träume, Schlaflosigkeit oder erhöhtes Schlafbedürfnis, Appetit, psychomotorische Getriebenheit
oder Drosselung. Folgen sind ernsthafte Einschränkungen des psychosozialen Funktionsniveaus.
-
Die 3. Phase erstreckt sich über einen längeren Zeitraum von bis zu 10 Wochen. Hier
bilden sich die oben aufgeführten Entzugssymptome sukzessive zurück. Depressive Symptome
und Suizidideen bis hin zu Suizidalität können jedoch deutlich darüber hinaus anhalten.
Suizidale Gedanken und konkrete Absichten können in allen 3 Phasen des Entzugssyndroms
auftreten und stellen eine Behandlungsindikation dar. Insbesondere bei starken Konsumenten
von Kokain können kokaininduzierte Psychosen von tage- bis (selten) wochenlanger Dauer
auftreten.
Somatische Komplikationen können während des Entzugs ebenfalls auftreten.
Aus neurologischer Sicht kann es gemäß der Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen
medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) bei hohen Einnahmedosen zu einer zentralnervösen
Übererregung mit Koordinationsstörungen, Verwirrtheit, Unruhe und zerebralen Krampfanfällen
kommen [5]. Ferner können Dyskinesien und Dystonien sowie in besonders schweren Fällen Hyperpyrexien
und Koma auftreten. Kardiovaskulär können kardiale Arrhythmien, Atemdepression und
Brustschmerzen mit Dyspnoe bei Kokainrauchern entstehen [15]. Typische weitere Komplikationen sind Reizungen und Blutungen der Nasenschleimhäute,
Sinusitiden sowie nekrotisierende Defekte im nasopharyngealen Bereich. Ein gehäuftes
Auftreten von Infektionen wird insbesondere beim intravenösen Konsum beschrieben.
In der Schwangerschaft können als Folge intrauteriner Kokainexposition ein retardiertes
Wachstum des Fötus und ein erniedrigtes Geburtsgewicht, eine
verminderte Plazentadurchblutung und fetale Hypoxie mit Spontanaborten auftreten [2].
Aufgrund vasokonstriktorischer Effekte von Kokain besteht bei einer Kokain-Intoxikation
immer das Risiko für das Auftreten von apoplektischen Insulten, Myokardinfarkten,
kardialen Arrhythmien sowie Symptomen einer adrenergen Überfunktion [2].
Komorbidität. Untersuchungen in den USA weisen auf eine hohe Prävalenz von Kokaingebrauch bei schizophrenen
Menschen hin. Häufiger ist die Kokainabhängigkeit mit einer affektiven Störung assoziiert.
An Persönlichkeitsstörungen kommen komorbid häufig Borderline-, antisoziale, narzisstische,
histrionische und paranoide Persönlichkeitsstörungen vor. Weiterhin ist die Kokainabhängigkeit
häufig mit der Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung und dem pathologischen
Glücksspiel assoziiert [1]
[16].
Therapie. Therapeutisch sollten zur Akuttherapie einer Kokain-Intoxikation bei gleichzeitig
bestehender schwerer Angst und Erregung Benzodiazepine zum Einsatz kommen. Bei psychotischer
Symptomatik sind kurzfristig Butyrophenone (z. B. Haloperidol), mittelfristig jedoch
Neuroleptika der 2. Generation zu empfehlen. Starke vegetative Symptome sollten ebenfalls
symptomatisch behandelt werden. Bei stationärer Aufnahme für eine Entgiftung ist,
bei der Gefahr von Blutdruckabfällen, Herz-Kreislauf-Stillstand und Koma, ein Monitoring
der Vitalfunktionen durchzuführen.
Bei starkem Entzugssyndrom kann eine stationäre Aufnahme notwendig werden.
Eine Reihe von Studien belegt, dass beim Kokainentzugssyndrom am ehesten antriebssteigernde
trizyklische Antidepressiva vom Typ Desipramin empfohlen werden können [2]. Zentrale Bestandteile der Behandlung der Abhängigkeit sind v. a. verhaltenstherapeutische
und kognitive Therapien, die auf die Vermittlung alternativer Reaktionsmuster und
einen besseren Umgang mit Gefährdungssituationen abzielen. Auch Rückfallvermeidungsverfahren
und supportive Therapien werden eingesetzt.
Pharmakologisch sind zahlreiche Substanzen als Rückfallprophylaxe eingesetzt worden,
darunter Antidepressiva (Desipramin, Imipramin, Fluoxetin), sog. Mood Stabilizer und
Dopaminagonisten [1]
[2].
Amphetamin, Methamphetamin und Ecstasy
Amphetamin oder Metamphetamin
Diese beiden Substanzen sind wie die körpereigenen Neurotransmitter Dopamin, Noradrenalin
und Adrenalin Derivate des Phenethylamins (Abb. [2]). Sie sind aufgrund ihrer Halbwertszeit (10 – 30 Stunden) länger wirksam als Kokain
und werden daher in größeren Abständen konsumiert. Pharmakologisch werden sie als
indirekt wirkende Katecholaminagonisten eingestuft, ihre zentrale und periphere Wirkung
beruht auf Freisetzung von Dopamin und Noradrenalin aus den präsynaptischen Nervenendigungen.
Weiterhin hemmt Amphetamin in hohen Dosen die Monoaminoxidase [17]
[18].
Abb. 2 Chemische Strukturformeln von Amphetaminstimulanzien und Ecstasy (Methylendioxyamphetamine).
Speed und Crystal sind häufige gängige Bezeichnungen in der Drogenszene für Amphetamin-
und Methamphetamin. Als „Ice“ bzw. „Crack“ wird die Base von Methamphetamin bezeichnet.
Der Konsum kann oral, inhalativ und intravenös erfolgen.
Ecstasy
Zu der Ecstasy-Gruppe gehören als bekannteste Vertreter:
-
3,4-Methylendioxy-N-methamphetamin (MDMA)
-
die Analoga 3,4-Methylendioxy-N-ethamphetamin (MDE), 3,4-Methylendioxy-N-amphetamin
(MDA) und N-Methyl-1-1,3-benzodioxol-5-yl-2butanamin (MBDB)
Als wichtigste pharmakologische Wirkung führt Ecstasy zu einer verstärkten Ausschüttung
und Hemmung der Wiederaufnahme von Serotonin und Dopamin aus dem synaptischen Spalt
[19]. Der Konsum ist eng mit der Tanzszene verknüpft und wird dort fast immer in Tablettenform
oral konsumiert. Die illegal konsumierten Tabletten enthalten durchschnittlich 60 – 120 mg
MDMA oder MDMA-Analoga.
Klinische Symptome. Die Symptomatik bei einer Intoxikation mit Psychostimulanzien vom Amphetamintyp ist
klinisch nicht von einer Kokain-Intoxikation zu unterscheiden. Vordergründig kommt
es zu einem euphorischen „High“-Gefühl, subjektiv gesteigerter geistiger und körperlicher
Leistungsfähigkeit, erhöhter Vigilanz und Unterdrückung von Schlaf, Müdigkeit sowie
des Hungergefühls.
Die psychischen Akutwirkungen werden von körperlichen und vegetativen Symptomen begleitet:
Tachykardie, Mydriasis, erhöhter Blutdruck, Schwitzen und psychomotorische Unruhe,
gelegentlich auch Übelkeit, Erbrechen und thorakale Schmerzen. Als Komplikationen
können Halluzination oder Wahn auftreten.
Bei kontinuierlichem Konsum von Amphetaminen/Metamphetaminen entsteht eine rasche
körperliche und pharmakodynamische Toleranz gegenüber den euphorisierenden und blutdrucksteigernden
Wirkungen. Dabei kann es sogar zur Kollapsneigung bei körperlicher Anstrengung kommen.
Entzug. Das Entzugssyndrom ist durch einen ausgeprägten Suchtdruck („Craving“) und Rebound-Phänomene
wie Abgeschlagenheit, Schläfrigkeit, depressive Verstimmung, Ängste und Konzentrationsstörungen
gekennzeichnet.
Ein vegetatives Entzugssyndrom im engeren Sinne ist nicht beschrieben.
Suizidalität kann auch hier eine Rolle spielen und gehört abgeklärt. Innerhalb einer
Woche bildet sich das Entzugssyndrom in der Regel zurück. Als Komplikation treten
bei chronischem Amphetamingebrauch aggressives Verhalten, Stereotypien und induzierte
Psychosen auf. Insbesondere ein Beeinträchtigungs- und Verfolgungswahn („Speed Paranoia“)
kann auftreten.
Induzierte Psychosen bei Amphetaminentzug
Bei den induzierten Psychosen sind optische und taktile Mikrohalluzinationen (Ameisenlaufen,
Wanzen unter der Haut) sowie ein Alternieren zwischen ekstatischer Gehobenheit und
ängstlich-depressivem Syndrom charakteristisch.
Die psychotischen Symptome entwickeln sich innerhalb von 48 Stunden nach der letzten
Einnahme und klingen unter Abstinenz und vorübergehender Gabe von Neuroleptika in
der Regel innerhalb von 7 – 10 Tagen, manchmal jedoch erst nach Wochen bis Monaten
ab [15]
[16]
[19]. Nach Abklingen einer Ecstasy-Intoxikation geben Konsumenten häufig Erschöpfung,
Kopfschmerzen, Ängstlichkeit und traurige Verstimmung an. Über die Intoxikation hinaus
werden auch bei Ecstasy-Konsum Psychosen beobachtet, wobei es aufgrund eines polyvalenten
Konsummusters dieser Konsumenten schwierig ist, diese Komplikation allein auf Ecstasy
zurückzuführen. Gelegentlich werden auch Flashbacks oder Echophänomene beschrieben
[19].
Somatische Komplikationen
Zu den Komplikationen eines hoch dosierten Amphetaminkonsums gehören:
Differenzialdiagnose. Differenzialdiagnostisch ist in erster Linie eine Kokain-Intoxikation oder eine andere
Intoxikation mit psychotropen Substanzen auszuschließen sowie eine Manie. In manchen
Fällen ist differenzialdiagnostisch auch an Migräne, einen Schlaganfall, Myokardischämie
oder neurologische Erkrankungen zu denken. Die Diagnose ist zum einen zu stellen durch
die Anamnese, zum anderen durch den körperlichen Befund (evtl. Einstichstellen bei
i. v. Konsum) sowie durch die entsprechenden Nachweise in Blut und Urin [2].
Kokain und Amphetamine haben eine biphasische Wirkung. Zunächst manifestiert sich
ein euphorisches Stadium, gefolgt von einem dysphorischen Stadium, welches unmittelbar
in ein Entzugssyndrom übergeht. Entsprechend wird das dysphorische Stadium in der
Regel durch erneuten Konsum zu bekämpfen versucht.
Therapie. Im Falle einer Intoxikation erfolgt die Therapie symptomatisch. Agitiertheit und
maniforme Erregung können mit Sedativa behandelt werden. Haloperidol kann bei starker
psychomotorischer Erregung und psychotischer Symptomatik eingesetzt werden. Bei im
Vordergrund stehender Angst sollten Anxiolytika eingesetzt werden.
Die Wirksamkeit trizyklischer Antidepressiva beim Stimulanzienentzugssyndrom ist für
Kokain gut belegt und dürfte bei Amphetaminen und Ecstasy ähnlich sein. Der Erfolg
von dopaminerg wirksamen Substanzen (Lisurid, Amineptin) konnte bisher nicht überzeugend
nachgewiesen werden. Bei psychotischen Rauschverläufen und induzierten psychotischen
Störungen können vorübergehend Benzodiazepine und mit Vorsicht Neuroleptika symptomatisch
eingesetzt werden. Bei zugrunde liegendem Konsum von Ecstasy sollten Neuroleptika
jedoch möglichst vermieden werden, da sie analog zu den Erfahrungen bei halluzinogen
induzierten psychotischen Rauschverläufen das Zustandsbild sogar verschlechtern können.
Antidepressiva, besonders Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, sind während der Intoxikation
kontraindiziert, da sie zu der Entwicklung eines gefährlichen Serotoninsyndroms beitragen
könnten [2].
Antidepressiva sind aufgrund des Risikos eines Serotoninsyndroms kontraindiziert.
Bei starken Nacheffekten kann es gelegentlich sinnvoll sein, Benzodiazepine streng
zeitlich limitiert einzusetzen. Die Studienlage bzgl. einer Postakutbehandlung ist
weiterhin dürftig und basiert auf Expertenmeinungen. Es wurden bisher vereinzelt Substitutionsversuche
mit Amphetaminen oder Kalziumkanalblockern als Anti-Craving-Substanzen getestet und
es wurden (Teil-)Erfolge berichtet, die jedoch nur als vorläufig zu werten sind.
Hinsichtlich der Postakutbehandlung bei Ecstasy gibt es keine Evidenz zur Wirksamkeit
einer pharmakotherapeutischen Behandlung [2]. Neben einer medikamentösen Behandlung sollten folgende Faktoren im Vordergrund
zur Erhaltung der Abstinenz stehen:
-
sozialpsychiatrische Maßnahmen
-
ambulante Psychotherapien
-
das Erreichen einer ausreichenden Tagesstruktur
-
das Streben nach einer stabilen sozialen Situation
Halluzinogene
Von den unzähligen bekannten halluzinogenen Substanzen kann hier nur eine Auswahl
der wichtigsten besprochen werden. Halluzinogene können eingeteilt werden in
Klassische Halluzinogene. Zu den klassischen Halluzinogenen werden gezählt:
-
Meskalin
-
LSD
-
Dimethyltryptamin (DMT)
-
Psilocybin (Abb. [3])
Abb. 3 Das Indolalkaloid Psilocybin kommt in einigen Pilzarten vor – insbesondere in der
Gattung Psilocybe. Das Foto zeigt getrocknete „Magic Mushrooms“, deren Wirkung der
des LSD ähnelt (Quelle: Thieme Verlagsgruppe).
Es besteht eine chemische Verwandtschaft insbesondere zu Serotonin. Klassische Halluzinogene
sind Indolderivate (DMT, LSD, Psilocybin) und Phenylethylaminderivate (z. B. Meskalin).
Atypische Halluzinogene. Diese unterscheiden sich von den klassischen Halluzinogenen durch eine zusätzlich
sedierende Komponente. Als bekannte Beispiele sind Nachtschattengewächse wie Engelstrompete
und Stechapfel zu nennen (sog. biogene Drogen) aber auch der Fliegenpilz und synthetische
Substanzen wie Phenzyklidin (PCP) und Ketamin. Diese Substanzen beeinflussen die Aktivität
von GABA- und Glutamat- (NMDA-)Rezeptoren.
Ein physisches Abhängigkeitspotenzial ist nach heutigem Wissenstand für Halluzinogene
nicht beschrieben.
Intoxikation, Entzugssyndrom, neuropsychiatrische Störungen. Qualitativ sind die Effekte der verschiedenen klassischen Halluzinogene prinzipiell
ähnlich, sie können jedoch interindividuell und sogar intraindividuell von Mal zu
Mal sehr unterschiedlich ausfallen. Es kommt zu einem qualitativ veränderten Bewusstseinszustand,
der oft als Bewusstseinserweiterung bezeichnet wird. Quantitative Einschränkungen
der Bewusstseinslage, wie z. B. Vigilanzminderung und Eintrübung, fehlen in der Regel.
Das Zeiterleben ist deutlich verändert, Umwelt und die eigene Person werde auf eine
traumartige Weise erlebt mit Verschmelzungserlebnissen. Die Affektivität ist stark
verändert, wobei Glücksgefühle, aber auch Traurigkeit und Angst erlebt werden können.
Optische Wahrnehmungsveränderungen und Halluzinationen sind typische Symptome.
Atypische Halluzinogene unterscheiden sich von den klassischen dadurch, dass sie selbst
bei üblichen Dosierungen neben den qualitativen Bewusstseinsveränderungen auch dämpfende
und sedierende Effekte bzw. eine Minderung der Vigilanz bewirken [2]
[19].
Bei regelmäßigem Konsum kann es zu drogeninduzierten Psychosen von mehrwöchiger Dauer
kommen. Die psychotische Symptomatik muss bei einer Drogenpsychose innerhalb von 48 h
nach dem letzten Konsum aufgetreten sein, damit diese Diagnose gestellt werden kann
[2]. Da der Anteil von affektiven Symptomen und schizophren-psychotischen Symptomen
beiderseits hoch sein kann, ist das klinische Bild in der Regel auch einer Schizophrenie
oder einer schizoaffektiven Störung ähnlich.
Dauert die psychotische Symptomatik länger als 6 Monate an, ist die Diagnose einer
komorbiden Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis zu stellen.
Eine weitere Komplikation sind die sog. Flashbacks (Echopsychosen) bzw. persistierende
Wahrnehmungsstörungen, bei denen nach einem freien Intervall von Wochen bis Monaten
nach dem letzten Rauscherleben die psychischen Phänomene des Rausches ohne erneute
Substanzeinnahme für Sekunden bis Minuten, in seltenen Fällen auch andauernd auftreten
[20].
Mydriasis, Tachykardie, Schwitzen, Palpitationen, verschwommenes Sehvermögen, Tremor,
Anstieg der Körpertemperatur sowie Koordinationsstörungen können ebenfalls auf eine
Intoxikation hinweisen. Schwerwiegende somatische Komplikationen sind bei dem Konsum
klassischer Halluzinogene weniger zu befürchten [2].
Überdosierungen von atypischen Halluzinogenen können zu einer ausgeprägten Bewusstseinstrübung,
Orientierungsstörungen und deliranten Symptomen und zu potenziell lebensbedrohlichen
intensivpflichtigen vegetativen Begleiterscheinungen führen (Atemlähmung, Koma) [19]
[20].
Therapie. Neben „Talking Down“ kann man im Rahmen einer Intoxikation symptomatisch mit Benzodiazepinen
behandeln. Eine antipsychotische Medikation ist bei einer Intoxikation durch Halluzinogene
nicht indiziert, da Antipsychotika verstärkend auf Gereiztheit und aversiv empfundene
Emotionen wirken. Es besteht zudem derzeit kein Hinweis auf eine Wirksamkeit dieser
Stoffgruppe auf die Symptomatik. Bei Flashbacks können Benzodiazepine eingesetzt werden
oder ein Behandlungsversuch mit Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern,
Clonidin oder Naltrexon durchgeführt werden [19]. Bei protrahiert verlaufenden konsuminduzierten Psychosen sollte ein Behandlungsversuch
mit Lithium und vorübergehend Benzodiazepinen geprüft werden. Ebenfalls gibt es Hinweise
auf die Wirksamkeit von Elektrokrampftherapie bei therapieresistenten psychotischen
Störungen [19]
[20].
-
Der Konsum illegaler Drogen und die Entstehung von Suchterkrankungen können sowohl
durch genetische als auch Umweltfaktoren bedingt sein.
-
Ein schädlicher Gebrauch einer Substanz liegt vor, wenn infolge des Substanzkonsums
bereits eine gesundheitliche Schädigung körperlicher oder psychischer Art eingetreten
ist.
-
„Partydrogen“ (Kokain, Amphetamine, Halluzinogene) haben eine stimulierende Wirkung
und werden häufig gegenseitig austauschbar konsumiert.
-
Unbehandelt verlaufen Suchterkrankungen häufig chronisch progredient.
-
Suizidalität kann bei Abhängigkeitserkrankungen eine Rolle spielen und sollte grundsätzlich
abgeklärt werden.
Verantwortlicher Herausgeber für diesen Beitrag: Prof. Dr. med. Fritz Hohagen, Lübeck