Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2015; 50(1): 1
DOI: 10.1055/s-0040-100521
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Schläft Dornröschen wirklich?

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Publication Date:
29 January 2015 (online)

Der Patientenwunsch bei der Narkose ist klar definiert: Der Patient möchte gern tief und ruhig schlafen wie Dornröschen und erst durch den Kuss des Prinzen erwachen – oder in der Realität beim freundlichen Lächeln des Anästhesisten oder der Anästhesistin, frisch und als wäre nichts geschehen. Doch das Leben ist kein Märchen und Patienten nicht immer Dornröschen: Die intraoperative Awareness ist die Horrorvorstellung Nummer 1 von Patienten. Die erste Publikation zu dem Thema erschien 1975 in JAMA („On awakening paralyzed during surgery: a syndrome of traumatic neurosis“). Die Inzidenz wurde bisher mit 1 : 1000 bis 1 : 100 (Risikokollektiv) angegeben. Nun ist die bisher größte Studie zu diesem Thema veröffentlicht worden. Sie entstand im Rahmen des 5th National Audit Projects, das sich zur Aufgabe gemacht hat, die Häufigkeit, die Risikofaktoren, die Ursachen und das Ausmaß an erinnerter unerwünschter Wachheit zu untersuchen (Anaesthesia 2014; 69: 1089-1101; Br J Anaesth 2014; 113: 540–548; der komplette Bericht ist einzusehen unter http://www.nap5.org.uk/NAP5report).

Entgegen bisheriger Erkenntnisse zeigt die neue Studie nur eine Häufigkeit von 1:19 000. Bei Gebrauch von Muskelrelaxanzien verdoppelt sich die Zahl auf 1:8000, bei herzchirurgischen Patienten wird eine Häufigkeit von 1:8600, bei Kaiserschnitt von 1:670 angegeben. Die Häufigkeit ist damit viel geringer als früher angenommen. Betrachten wir die in Deutschland stetig ansteigenden Operationszahlen, bedeutet dies jedoch keine Entwarnung. Denn immerhin führen 41 % der Fälle zu negativen psychischen Langzeitfolgen wie posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS).

Interessant: 93 % der Fälle traten bei Patienten auf, die Medikamente zur neuromuskulären Blockade erhalten hatten. Auch Entbindungen mit Allgemeinanästhesie und kardiochirurgische Operationen trugen ein erhöhtes Risiko für intraoperative Awareness. Betroffen waren v. a. Frauen und jüngere Erwachsene. Das Risiko war größer bei Adipositas, bei Notfalloperationen und bei Ärzten mit wenig Erfahrung. Während der eigentlichen Operation traten nur 34 % der Wachheits-Ereignisse auf; den überwiegenden Teil berichteten die Patienten für Induktions- (47 %) und Aufwachphase (18 %). Meist dauerte die Awareness-Episode weniger als 5 Minuten.

Sollten wir Ärzte den Patienten nun vorher ausgiebig über das Risiko aufklären oder versetzen wir ihn damit unnötig in Angst und Schrecken? Mit den Risiken der Aufklärung setzen sich Nina Zech und Kollegen in ihrem Fokus-Artikel ab S. 64 näher auseinander.

Wir wünschen Ihnen neue und spannende Erkenntnisse bei der Lektüre!

Mit herzlichen Grüßen

Ihre Herausgeber und Ihre Redaktion

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