Geburtshilfe Frauenheilkd 2020; 80(02): 219-226
DOI: 10.1055/s-0039-3402945
Wissenschaftliche Sitzung am 16. 01. 2019
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Therapie des lokal-fortgeschrittenen Zervixkarzinoms. Operatives Vorgehen vs. Radiochemotherapie

MZ Muallem
Klinik für Gynäkologie mit Zentrum für onkologische Chirurgie, Gynäkologisches Krebszentrum der Charité
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Publication Date:
21 February 2020 (online)

 
 

Unter einem lokal fortgeschrittenen Zervixkarzinom werden Patientinnen mit einem Stadium IIB bis IV a Zervixkarzinom verstanden. Mittlerweile wird bereits ab einem Stadium IB2 und IIA2 mit mehreren histologisch nachgewiesenen Risikofaktoren (Tumoreigenschaften bzw. befallene pelvine Lymphknoten) ebenfalls von einem lokal fortgeschrittenen Zervixkarzinom gesprochen [1].

In der deutschen Leitlinie fürs Zervixkarzinom ist eine Konsensempfehlung getroffen : Bei einem lokal fortgeschrittenen Zervixkarzinom und damit potentiellem Einsatz von mehreren sukzessiv eingesetzten Therapiemodalitäten, liegt die Indikation zur cisplatinhaltigen Radio(chemo)therapie mit Brachytherapie vor [2]. Dafür gibt es aber keine Daten, die aus Kontroll-randomisierten Studien gezogen wurden. Eine primäre Radio(chemo)therapie mit Brachytherapie muss hier aber nach einer operativen Staging durchgeführt werden, da es entscheidend ist für das Zielvolumen der Radiotherapie zu definieren, ob ein pelviner und/oder paraaortaler Lymphknotenbefall vorliegt. Damit kombiniert man aber doch die operative und Radio(chemo)-Behandlungen!

Der Vortrag zeigt eine andere Sichtweise, analysiert und interpretiert die Datenlage, die jetzt vorhanden ist.

Die meisten wichtigen Punkte sind:

  1. 20 – 30% der Fälle, die primär als lokal fortgeschritten geschätzt sind, haben histologisch ein früheres Stadium und sind mit der primären Radiochemotherapie übertherapiert.

  2. Der Mythos, dass der Einsatz von mehreren sukzessiv eingesetzten Therapiemodalitäten vermieden werden muss, kommt aus der Landoni Studie 1997. In dieser Studie, die für Zervixkarzinome in Frühstadien gedacht war, haben die Autoren eine Subgruppe mit mehreren Risikofaktoren (positive Lymphknoten, keine freien Resektionsränder und > 4 cm große Tumoren) mit einer Gruppe, die in 40 – 60% keinen Risikofaktor hat verglichen (Selektionsbias).

  3. Es gibt bis Datum keine Evidenz, dass die adjuvante Radio(chemo)therapie hier einen Vorteil im Sinne des Progressionsfreien Überlebens oder des gesamten Überlebens schafft.

  4. Mehrere Studien zeigen, dass die lang bleibenden Komplikationen als folge der Radio(chemo)therapie und nicht der Operation auftreten.

  5. Eine im Jahr 1999 publizierte Studie, die prospektiv und kontroll-randomisiert in Deutschland und Österreich durchgeführt ist, zeigte dass die Operation die wichtigste Therapie beim lokal fortgeschrittenen Zervixkarzinom ist. Eine adjuvante Chemotherapie oder Bestrahlung haben hier weder das progressionsfreie Überleben noch das gesamte Überleben verbessern können.

  6. Nach einer primären Radio(chemo)therapie gibt es keine sichere diagnostische Methode um den Erfolg der Therapie zu messen außer die histologische Untersuchung nach einer radikalen OP. Hier zeigt uns die Datenlage, dass nur ein Drittel der Patientinnen eine komplette pathologische Remission schaffen.

  7. 3-Jahres Überlebensrate nach primären Radio(chemo)therapie liegt bei 65%. Die 5-jahres Überlebensrate nach einer radikalen Operation in dem selben Kollektiv und in mehreren Studien (Lahousen ohne weitere Therapie, GOG 109 mit adjuvanter RCHT, oder JGOG1067 mit adjuvanter Chemotherapie) liegt bei 80 – 85%.

  8. Die primäre RCHT bringt 80 – 90 Gy Bestrahlungslast für das Gewebe, wohingegen die adjuvante RCHT nur 40 – 50 Gy liefert. Allein dafür lohnt es sich die Operation in jedem Fall durchzuführen um die Bestrahlungsdosis in fast 2 drittel der Patientinnen zu halbieren. In ca 30 – 40% der Fälle wäre die adjuvante Therapie nicht mehr indiziert (die Patientinnen die klinisch übergestagt sind und nach der OP ein Frühstadium zeigen).


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Interessenkonflikt

Dr. Muallem ist als Berater für die Fa. Stryker tätig und erhielt in den letzten zwei Jahren Honorare von Olympus, Ethicon (Johnson & Johnson), Roche und Astrazeneca.