Fragestellung:
Die Professionalisierung und Ausbreitung der Hospiz- und Palliativversorgung ist begleitet
von großer Akzeptanz, aber auch von kritischen Einwänden. Aktuell sieht der Soziologe
Reimer Gronemeyer diese Bewegung durch Medikalisierung und Ökonomisierung des Sterbens
auf dem Weg zu einem „qualitätskontrollierten Sterben, ...das von DIN-Normen, von
terminaler Sedierung und zertifizierter Spiritualität (sowie einer Prise finaler Wellness)
gekennzeichnet sein dürfte.“ Er diagnostiziert damit eine Entwicklung, die insbesondere
Ivan Illich bereits 1975 prognostizierte. Die Herausbildung eines „palliativen Dienstleistungssektors“
für „Sterbekunden“ werde gemäß Gronemeyer in weiterer Folge die Frage aufwerfen, wie
lange „man sich dem ‚Kundenwunsch‘ nach Euthanasie verweigern“ werde können.
Methoden:
Gemäß dem von Michel Foucault Mitte der 1970er Jahre präsentierten Konzept der Biopolitik
traten nach dem Westfälischen Frieden „das Leben und der Körper“ der Menschen zunehmend
in „die Ordnung des Wissens“ und „in das Feld der politischen Techniken“ ein. Nach
einer von uns vorgestellten These (Imago Hominis 23, 2016) gab es eine historische
Ausdehnung der Interventionsfelder der Biopolitik in Form von Zyklen. Dabei folgt
in jedem Zyklus auf eine Phase der staatlichen Etablierung biopolitischer Regierungstechniken
eine Phase der Subjektivierung der neuen Normen und Wissensapparate.
Ergebnisse:
Nicht alle Normierungen in der Versorgung am Lebensende sind per se Normenbildungen
im Sinne von Foucaults Biopolitikkonzept. Grundsätzlich gehört zu den Strategien der
Biopolitik die Steigerung der Lebensprozesse (faire vivre), aber auch die Vernichtung
von Leben (faire mourir) auf der Grundlage von Bewertungen und Praktiken.
Schlussfolgerungen:
Ausgehend von Foucaults Biomachtkonzept sind in einer Kritik der Hospiz- und Palliative
Care Bewegung mehrere machttechnische Ebenen zu berücksichtigen, sodass eine nur auf
Lebenssteigerungsstrategien beruhende Einordnung zu kurz greift.