Z Orthop Unfall 2017; 155(02): 134-135
DOI: 10.1055/s-0037-1599311
Orthopädie und Unfallchirurgie aktuell
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

„Die Versorgung hat sich eingespielt“

Interview mit Raimund Dehmlow
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Das Interview führte Bernhard Epping.


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Publication Date:
25 April 2017 (online)

 

    Der Beauftragte der Ärztekammer Niedersachsen meint, dass die medizinische Versorgung von Asylbewerbern und Flüchtlingen heute vielerorts gut funktioniert.


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    Angenommen, ein Asylbewerber sitzt im Wartezimmer der Arztpraxis, der keinen Behandlungsschein hat und der auch kein Deutsch spricht.

    Ich finde den Fall sehr konstruiert und ich glaube, er tritt heute de facto bei uns hier nicht mehr auf. Viele Flüchtlinge durchlaufen heute zumindest im Einzugsgebiet meiner Ärztekammer schon kurz nach der Ankunft Integrationskurse und dort lernen sie auch, wie die ärztliche Versorgung in Deutschland funktioniert.Notfälle wird der Arzt natürlich umgehend behandeln und über einen Notfallschein abrechnen. Hat der Patient keinen Behandlungsausweis eines Kostenträgers, ist der Arzt verpflichtet, den Patienten vor Behandlungsbeginn an den Kostenträger zu verweisen.

    Finden diese Kurse schon in den Landeserstaufnahmeeinrichtungen statt?

    Ja, und auch nach der Zuweisung in eine Kommune wenig später werden die Betroffenen von Sozialarbeitern und Hilfsorganisationen betreut. Die erklären ihnen auch die Abläufe vor und für einen Arztbesuch, sagen, wo und wie es den Behandlungsschein beim Sozialamt gibt und in den meisten Fällen geht sogar jemand von den Hilfsorganisationen mit zu einem Arzttermin, eventuell auch gleich noch mit einem Dolmetscher. Die Hilfsorganisationen erhalten im Übrigen derzeit hohe Zuschüsse vom Land, zum Teil werden die Mittel gar nicht alle abgerufen.

    Also gar keine Probleme mehr bei der medizinischen Versorgung in der Praxis?

    Sprachprobleme treten durchaus auf. Doch nach meinem Eindruck bewilligen die Sozialbehörden immer häufiger bei Bedarf auch Dolmetscher oder Sprachmittler für die ärztliche Versorgung, wobei da das Engagement von Kommune zu Kommune unterschiedlich ist.

    Ein Beispiel?

    Ich kenne Fälle, wo sich die Mitarbeiter bei den Behörden wirklich sehr reinhängen, die Kommunen sogar selber Sprachmittler ausbilden. Neulich habe ich allerdings mit einer Sachbearbeiterin aus einer Gemeinde gesprochen, die mir pauschal erklärte, die Flüchtlinge sollten halt Deutsch lernen, sie bewilligt eher keine Dolmetscherleistungen.Ein Problem sehe ich auch beim Datenschutz. Mit einem Dolmetscher sind ja auch Dritte mit im Spiel, die Einblicke in Dinge erhalten, die der Patient von Ausnahmen abgesehen geheim halten möchte. In manchen Notunterkünften hat man zunächst sogar versucht, Leute aus der Unterkunft zu bekommen, die übersetzen können. Da ist danach mitunter vorgekommen, dass Details über den gesundheitlichen Zustand des Patienten die Runde gemacht haben.

    Ersetzt die elektronische Gesundheitskarte (eGK) jetzt auch in Niedersachsen mehr und mehr den Behandlungsschein aus Papier?

    Die Landesregierung hat Anfang 2016 dazu eine Vereinbarung mit den Kassen abgeschlossen, in die man als Kommune beitreten kann, um dann die Gesundheitskarte einzuführen. Allerdings sind vielen Kommunen und Landkreisen die Verwaltungskosten, ein Overhead von 8 % zu teuer. Da laufen zum Teil äußerst langwierige Abstimmungsprozesse.Das ist aus meiner Sicht bedauerlich, denn die Karte ist ein Schritt hin zu einer Gleichbehandlung. Nebenbei ist die Abrechnung über die eGK für die Kommune vermutlich auch günstiger als über den Behandlungsschein. Bei der eGK gelten niedrigere Pauschalvergütungen. Beim Behandlungsschein kann die Abrechnung streng genommen wie eine privatärztliche Leistung abgerechnet werden.

    Auch mit der eGK bleibt es aber dabei, dass der Arzt entscheiden muss, welche Leistungen er seinem Patienten gibt und welche nicht, da es sie laut Asylbewerberleistungsgesetz nicht gibt?

    Genau, ja. So erhält der Patient nur die zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände erforderlichen ärztlichen Leistungen. Außerdem Schutzimpfungen und Vorsorgeuntersuchungen.

    Was ist, wenn ein Arzt gleich Dinge verordnet, die zur Behandlung chronischer Erkrankungen, etwa eines Diabetes oder eines Bluthochdrucks nötig sind, die aber laut Asylbewerberleistungsgesetz vom Sozialamt bewilligt werden sollen? Bleibt er dann Ihrer Kenntnis nach auf den Kosten sitzen?

    Der Apotheker wird die Medikamente dann nicht abgeben. Wir wissen inzwischen, dass ein hoher Anteil der Flüchtlinge schon mit chronischen Erkrankungen zu uns kommt. Dass ein Diabetes oder zu hoher Blutdruck richtig eingestellt sein muss, versteht sich von selbst, das ist auch gedeckt durch das Asylbewerberleistungsgesetz.Weitergehende Behandlungen benötigen aber unter Umständen eine Bewilligung vom Sozialamt. Bestehen beim Arzt Zweifel über die Verordnungsfähigkeit, sollte vor Ausstellung der Verordnung eine Kostenzusage des Sozialamtes eingeholt werden.

    Etwa eine Verordnung von Messgeräten?

    Ja. Nach meinem Eindruck wird da aber von den Sozialämtern bei uns sehr großzügig verfahren, es wird zum Beispiel hier in Hannover viel mehr bewilligt, als man annehmen würde. Auch psychotherapeutische Leistungen werden sehr großzügig bewilligt. Zahnbehandlungen scheinen nach allem, was ich höre, ein Problem zu sein. So wird berichtet, dass bei einem Asylbewerber ein Zahn eher mal gezogen wird, für den man bei einem bundesdeutschen Patienten den Prozess der Zahnerhaltung starten würde.Was übrigens Ärzte unter den Flüchtlingen anbelangt, muss man sagen, dass sie bei der Integration besser als andere Berufsgruppen gestellt sind. Wir haben für Ärzte unter den Flüchtlingen Lotsen im Haus, wir steuern den ganzen Prozess bis hin zur Approbation. Das sind Vorteile, die Flüchtlinge mit anderer beruflicher Qualifikation so wahrscheinlich nicht haben.

    Der deutsche Ärztetag hat sich wiederholt dafür ausgesprochen, die Einschränkungen der gesundheitlichen Versorgung nach Asylbewerberleistungsgesetz abzuschaffen.

    Ja, das war eigentlich immer auch meine Position. Es würde den Prozess der Integration enorm erleichtern, wenn man auch bei der medizinischen Versorgung von Anfang an eine Form der Gleichstellung findet.

    Zur Person

    Der Diplom-Bibliothekar Raimund Dehmlow (Jahrgang 1952) ist Leiter der Online-Redaktion der Ärztekammer Niedersachsen in Hannover und aktuell deren Beauftragter für Flüchtlingsfragen.


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    Das Interview führte Bernhard Epping.


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