kma - Klinik Management aktuell 2014; 19(08): 64-68
DOI: 10.1055/s-0036-1577442
Facility Management
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart

Nichts für Billigheimer

Nachhaltigkeits-Zertifikat
Adalbert Zehnder
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Publication Date:
08 March 2016 (online)

 

    Nachhaltige Facility-Management-Dienstleistungen sind mehr und mehr gefragt. Als erstes Land in Europa erhält Deutschland hierfür definierte Standards und ein Zertifizierungssystem. Ein kma-Gespräch mit zwei führenden FM-Expertinnen.


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    l.: Andrea Pelzeter ist Professorin für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Leiterin der Fachrichtung Facility Management an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. r.: Sigrid Odin ist Geschäftsführerin der auf FM spezialisierten Dr. Odin Unternehmensberatung GmbH in Hamburg und innerhalb der „German Facility Management Association” (Gefma) Sprecherin des Arbeitskreises „Krankenhaus” .(Fotos: Schünemann)

    Wann sind Serviceprozesse in Gebäuden wirklich nachhaltig? Wie kann man dies seriös bewerten? Und wie kann man sie verbessern? Der Deutsche Verband für Facility Management (Gefma) hat mit der Richtlinie „Gefma 160” erst in diesem Frühjahr einen standardisierten Kriterienkatalog für eine nachhaltige Gebäudebewirtschaftung vorgelegt. In Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) ist daraus jetzt ein eigenes Zertifizierungssystem entstanden: für die Betreiber großer Gebäude, vom Industriekonzern bis zum Klinikum. Im Herbst dieses Jahres, zur Immobilienmesse Expo Real in München, wollen die Partner die ersten Zertifikate vergeben. Zwei FM-Expertinnen erklären kma-Lesern exklusiv das europaweit bisher einmalige Konzept. Andrea Pelzeter leitet bei der Gefma den erst 2012 gegründeten Arbeitskreis Nachhaltigkeit, Sigrid Odin den schon länger existierenden für Facility Management im Krankenhaus.

    Nachhaltigkeit – sich mit diesem Prädikat zu schmücken, ist richtig hip. „Nachhaltig”, das klingt nach einem begrüßenswerten Anspruch, nach Political Correctness – und genauso nebulös. Können Sie bitte einmal möglichst griffig beschreiben, welchen Beitrag Ihr Leitfaden und Ihre Zertifizierung leisten können, damit man diese Idee im wirklichen Leben umsetzen kann?
    Pelzeter: Das Spezifische an unserem Konzept ist eine Verbesserung der Prozessqualität. Auf bestimmten Feldern haben Krankenhäuser ja schon das Prinzip „Plan-Do-Check-Act” – also kontinuierlich an einer Verbesserung zu arbeiten – in ihrem Qualitätsmanagement intensiv inkorporiert. Die Hygiene ist ein schönes Beispiel dafür. Dieses Prinzip wird nun ausgeweitet auf alle nachhaltigkeitsrelevanten Aspekte wie Energie, Abfall oder Reinigung.

    Odin: Ein Krankenhaus ist ja nicht einfach ein Gebäude, in dem zufällig Kranke liegen. Nachhaltigkeit fordert von uns, diese Immobilie nicht einfach mit einem Durchschnittskonzept zu betreiben, sondern eine spezifische prozessuale Verantwortung wahrzunehmen, die auf den Nutzen, den eine Krankenhausimmobilie im Kerngeschäft erzeugen soll, möglichst genau zugeschnitten ist. Demzufolge muss ein nachhaltiges Krankenhaus auch auf den Mix an Patienten mit ihren Indikationen zugeschnitten sein.

    24 Bereiche definieren Sie, in denen Nachhaltigkeit praktiziert werden kann. Können Sie sich bitte eines dieser Felder herausgreifen und schildern, was konkret getan werden kann?
    Pelzeter: Ich nehme mal das Energiemanagement. Das wird ja im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit immer als Erstes genannt. Dort wird als Ziel definiert, dass man den Energieverbrauch, so gut es irgend geht, reduziert und möglichst stark erneuerbare Energiequellen miteinbezieht, um den CO2-Ausstoß zu senken. Dann folgt man wieder dieser „Plan-Do-Check-Act”-Systematik: Man erfasst zum Beispiel, welche Arten von Energie – Wärme, Kälte und Strom – in welcher Höhe verbraucht werden, und welche Abteilung im Haus im Einzelnen wieviel verbraucht. Mithilfe von Benchmarks kann ich hausintern und extern Vergleiche ziehen: Welche Abteilung verbraucht mehr, welche weniger? Wieviel verbraucht die Innere Medizin bei mir im Haus – und wieviel im Vergleich zu der in anderen? Je detaillierter diese Erhebung ist und je genauer Verbräuche bestimmten Personen oder Abteilungen zugewiesen werden können, desto besser.

    Odin: Für das Energiemanagement und für Kliniken überhaupt ist nicht die Gebäudesicht entscheidend, sondern die Raumsicht. Ein Bettenzimmer kann ich mit einem Bettenzimmer vergleichen, einen OP mit einem OP. Und dann kann ich wirklich anfangen zu optimieren.

    Pelzeter: Gerade im Bereich der Steuerung rentiert es sich, Fehler aufzuspüren. Schließlich kommt es vor, dass technische Komponenten in einem Gebäude gegeneinander arbeiten, ohne dass es jemand merkt. Da passiert es, dass in den Übergangszeiten, im Frühling und im Herbst gleichzeitig gekühlt und geheizt wird. Ich habe zuerst auch gedacht: Das kann doch gar nicht sein. Solche Fehler kann ich aufspüren, dann Verbesserungsmaßnahmen ergreifen – und die dann, in der Zertifizierung, abbilden und bewerten.

    Was war denn für Sie das Motiv zu sagen: Ja, es ist an der Zeit, solch einen Kriterienkatalog und ein Zertifikat aufzulegen für eine nachhaltige Bewirtschaftung von Immobilien?
    Pelzeter: Interessanterweise gab es verschieden Quellen für den Arbeitskreis Nachhaltigkeit, dieses Projekt anzustoßen. Angefangen hat alles mit einem Forschungsprojekt zu Nachhaltigkeit im Facility Management, das ich ab 2010 zusammen mit Kollegen aus Berlin durchgeführt habe, und wo wir an Grenzen stießen und gemerkt haben, dass konkrete Standards für die Praxis zusammen mit den Praktikern erst noch entwickelt werden müssen. Dies geschah dann in diesem Arbeitskreis. Ein zweiter Punkt ist: Aus der Sicht der Gesellschaft sind umweltrelevante Erwartungen größer geworden. Gewachsen ist aber nicht nur die Erwartungshaltung, sondern auch die Möglichkeit, Anstrengungen durch Quantifizierung und Qualifizierungen, etwa in Form von Zertifizierungen, zu dokumentieren, greifbarer zu machen und bewusster zu beeinflussen und zu gestalten.

    Wer hat denn einen Bedarf für ein Nachhaltigkeitszertifikat angemeldet?
    Pelzeter: Gebäudezertifikate gibt es ja schon eine ganze Reihe. Aber Zertifikate für die Qualität des Betriebs, der nämlich unabhängig von der Qualität des Gebäudes ebenfalls Nachhaltigkeitsqualitäten aufweisen kann und muss – die gibt es bisher nicht. Die FM-Branche will ihren Beitrag zur Nachhaltigkeit bei Betrieb und Erhaltung von Gebäuden abbilden können. Deshalb wurde hier der Ruf nach einem Zertifikat laut. Ich habe unsere Richtlinie kürzlich auf einer Veranstaltung vorgestellt und war überwältigt von dem Nachhall, den das hatte. FM-Kunden und -dienstleister sagten: „Das können wir ja für Ausschreibungen nutzen”, also auf der Seite der Beschaffung. In den verschiedensten Unternehmen gibt es inzwischen einen starken Druck, Nachhaltigkeit in die Lieferkette zu bekommen. Hier und ebenso im Beraterbereich registrierten wir den Wunsch, Best-Practice-Beispiele zu analysieren und das Wissen darum, wie man nachhaltig wirtschaftet, zusammenzutragen und darzustellen. Zu einem als nachhaltig identifizierten Gebäude gehört letzten Endes auch ein passendes Betreiberkonzept.

    Odin: Das kann ich nur unterstreichen. Es greift zu kurz, ein Gebäude nur während seiner Bauphase oder in seinem Bestand zu betrachten. Unsere in diesem Jahr aktualisierte Gefma-Richtlinie 812 schließt diese Lücke, indem wir Nachhaltigkeitsstandards auch für die Bewirtschaftung von Gebäuden entwickeln.

    Wie kann ich mich denn als Krankenhaus zertifizieren lassen? Beantrage ich die Zertifizierung bei der Gefma oder der DGNB? Kommt ein Gutachter ins Haus? Kann ich mir am Ende eine Tafel an meinen Haupteingang schrauben und mich damit schmücken?
    Pelzeter: Es wird voraussichtlich eine Dokumentenprüfung durch den Gefma-Kooperationspartner DGNB sein. Es gibt 24 Kriterien mit entsprechenden Vorgaben zu Zielen und Prozessgestaltung, die entsprechend zu belegen sind. Die Vorbereitung der Dokumente werden sogenannte Consultants aus den interessierten Unternehmen begleiten, die wir vorab schulen. Sie werden in den Betrieben die Zertifizierung vorbereiten und eine Optimierung vorantreiben.

    Ich nehme an, dass Sie Ihr Zertifikat nicht verschenken werden. Kann es sein, dass Sie gegebenenfalls eine Zertifizierung ablehnen und einem Krankenhaus erst noch, ganz pädagogisch, ein paar Hausaufgaben mit auf den Weg geben?
    Pelzeter: Wer in einem der beiden Pflichtkriterien (Rechtskonformität und Arbeitssicherheitsmanagement) null Punkte hat, erhält das Zertifikat nicht. Null Punkte heißt: keinen Plan, keine Kommunikation, keine Verbesserungen. Auch der, der dazu neigt, immer nur die billigste Lösung zu nehmen und quasi nur darauf schaut, dass von dem Gebäude kein Schaden für Dritte ausgeht, wird kaum die Mindestanforderung von 50 Prozent Erfüllungsgrad erreichen.

    Wie aufwendig ist denn eine Zertifizierung? Was kostet sie? Und wie lange gilt sie?
    Pelzeter: Die Zertifizierung für Nachhaltigkeit im Facility Management soll auf jeden Fall weniger aufwendig sein als eine Gebäude-Zertifizierung. Und über die Gebühren haben sich Gefma und DGNB noch nicht abschließend verständigt. Ich schätze, dass die Gebühr für eine Erst-Zertifizierung in einem Rahmen zwischen 10.000 und 15.000 Euro liegen wird. Die Gültigkeit wird auf jeden Fall zeitlich begrenzt sein. Im Moment sind zwei beziehungsweise drei Jahre im Gespräch.

    Krankenhäuser können die Gebäudebewirtschaftung in Eigenregie abwickeln, outsourcen oder, je nach Dienstleistung, beides tun. Wer ist denn der Adressat einer Zertifizierung? Das Krankenhaus? Der externe Dienstleister? Oder beide?
    Odin: Grundsätzlich ist es ja so, dass die Technischen Leiter und deren Mannschaften die Hoheit über die Organisation des Facility Managements besitzen. Deshalb werden sicher sie im Fokus einer Zertifizierung stehen. Dabei ist allerdings auch zu prüfen, wie diese interne Mannschaft die Weitergabe von Dienstleistungen an Dritte realisiert und wie sie mit diesen zusammenarbeitet.

    Pelzeter: In unseren Pilotanwendungen hatten wir alle drei Varianten. Elementar ist nicht, ob das extern oder intern erfolgt, sondern wie gut das Facility Management in seiner Gesamtheit organisiert ist und funktioniert.

    Eine Richtlinie ist ja – so würden Juristen sagen – keine „Muss-”, sondern eine „Kann-Bestimmung”, die Freiwilligkeit voraussetzt. Was haben denn Krankenhäuser davon, sich der Richtlinie oder einem Zertifizierungsverfahren zu unterwerfen?

    Odin: Eine Richtlinie ist ein technisches Regelwerk, in dem eine Branche den State of the Art, einen Benchmark und einen Entwicklungskodex für sich formuliert. Wir erleben es in den Krankenhäusern ganz heftig, dass sie sich an der Normung dessen, was machbar, vernünftig und modern ist, sehr stark orientiert. Eine Richtlinie ist ein grundlegender Standard für professionelles Arbeiten. Und es ist selbstverständlich, sich an ihr – und damit an den Besten – zu messen. Nachhaltigkeit kann ich ja verschieden auffassen: betriebsorganisatorisch, ökonomisch und ökologisch. Was steht denn Ihrer Einschätzung nach bei den Krankenhäusern im Vordergrund?

    Odin: Ich glaube, dass es hier vorrangig darum geht, die betriebswirtschaftliche Seite zu bedienen. Das Thema Kosten sehe ich in den Kliniken ganz, ganz stark. Nachhaltigkeit heißt ja an dieser Stelle, dass ich ein Gebäude so bewirtschafte, dass es den dynamischen Anforderungen aus dem medizinischen Kerngeschäft entsprechen kann. Dass ich dann zusätzlich – und deswegen finde ich auch unser Nachhaltigkeitszertifikat im Gefma hervorragend – auch noch ökologische Gesichtspunkte mit berücksichtigen muss, ist etwas, was wir, denke ich mal, in die Bücher schreiben müssen.

    Pelzeter: Ich würde gerne einen Aspekt hinzufügen, und zwar die soziale Nachhaltigkeit. Ihr widmen wir uns demnächst in einem weiteren Forschungsprojekt, in dem wir untersuchen, wie sich Unternehmen unter dem Stichwort CSR – Corporate Social Responsibility – als nachhaltiger Auftraggeber und Arbeitgeber positionieren, und zwar glaubhaft. Das hat viel mit dem eigenen Selbstverständnis zu tun und zeigt Wirkung nach innen und nach außen. Im Krankenhaussektor ist in Zukunft ein ganz drastisches Personalproblem zu erwarten. Deshalb könnten Krankenhäuser nicht zuletzt auch aus diesem Grund ein Interesse daran haben zu zeigen: Übrigens, wir sind nicht nur die Billigheimer, sondern wir sind die Guten.

    Zur Person
    Andrea Pelzeter ist Professorin für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Leiterin der Fachrichtung Facility Management an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. Zugleich ist sie Sprecherin des Arbeitskreises „Nachhaltigkeit” beim Deutschen Branchenverband für Facility Management, Gefma. Zehn Jahre lang arbeitete sie als Freie Architektin. 2006 gründete sie ein eigenes Beratungsunternehmen. Zu ihren aktuellen Publikationen zählt ein Fachzeitschriftenbeitrag über eines ihrer Lieblingsthemen. Sein Titel: „Lebens­zykluskosten zum Mitmachen”.

    Zur Person
    Sigrid Odin ist Geschäftsführerin der auf FM spezialisierten Dr. Odin Unternehmensberatung GmbH in Hamburg und innerhalb der „German Facility Management Association” (Gefma) Sprecherin des Arbeitskreises „Krankenhaus” . Nach ihrem Bauingenieurs-Studium mit Schwerpunkt Heizungs-, Lüftungs- und Klimatechnik war sie zunächst als Wissenschaftlerin in der Forschung und Entwicklung von Gebäudetechnik tätig, später in Führungspositionen in Anlagenbau-Unternehmen.


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    l.: Andrea Pelzeter ist Professorin für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Leiterin der Fachrichtung Facility Management an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. r.: Sigrid Odin ist Geschäftsführerin der auf FM spezialisierten Dr. Odin Unternehmensberatung GmbH in Hamburg und innerhalb der „German Facility Management Association” (Gefma) Sprecherin des Arbeitskreises „Krankenhaus” .(Fotos: Schünemann)