Keine neuen Megatrends, vielmehr Sacharbeit im Kleinen. Der diesjährige Deutsche Kongress
für Orthopädie und Unfallchirurgie (DKOU) hatte die großen Themen der letzten Tagungen:
Prävention vor Regeneration sowie mehr und mehr Versorgungsforschung, um begrenzte
Geldmittel bestmöglich einzusetzen.
Mehr als 11 000 Besucher (knapp 9 000 Fachbesucher und 240 Firmenaussteller mit 2
128 Mitarbeitern), an die 1 800 Vorträge, 200 Poster: Der DKOU bleibt wohl unangefochten
die größte Tagung des Fachs Orthopädie und Unfallchirurgie in Europa, in Deutschland
sowieso. Der gemeinsam von DGOOC, DGU und Berufsverband BVOU veranstaltete Kongress
brachte in diesem Jahr (20. – 23. Oktober 2015, Messe Süd in Berlin) jedoch keine
wirklich bahnbrechenden News. Aber „Hinterm Horizont“ (so das Kongressmotto) geht’s
bekanntlich weiter. Und selbst der im Werbefilm vor vielen Veranstaltungen zu sehende
Udo Lindenberg nuschelte höchstpersönlich was von „Kongress, cool“.
Konsolidieren und Fortführen von bewährten Programmen. Zurück in den Ausschuss – wo
im Detail muss nachjustiert werden? Ein Artikel fasst diese Riesentagung nicht – einige
Impressionen.
Der größte deutsche Kongress der Orthopädie und Unfallchirurgie zog auch in diesem
Jahr zahlreiche Teilnehmer an. (Bild: Thieme Verlagsgruppe)
Was läuft falsch mit der Forschung in O&U?
Was läuft falsch mit der Forschung in O&U?
So einiges, war das Fazit der Sitzung mit diesem Titel (FG17 – Summaries einiger der
hier beschriebenen Sitzungen sind unter dem Link am Ende des Beitrags einsehbar, Anm.
Red.). Denn die allenthalben gewünschte und ersehnte Translation von neuen Erkenntnissen
in den klinischen Alltag stockt. „Forschung sollte translational sein, wir alle wollen
dem Patienten helfen“, meinte Sitzungsleiterin Professorin Anita Ignatius von der
Universität Ulm. Aber Biomaterialien zum Beispiel, da seien sehr viele neue Dinge
untersucht worden, und in der Klinik „sind immer noch dieselben“. Was tun?
Der Engpass liegt ganz vorne: Es sind erstaunliche Mängel in der medizinischen Grundlagenforschung.
Beim ganzen Feld Tissue Engineering zum Beispiel sei man blauäugig vorgegangen, wusste
Professor Franz Jakob von der Universität Würzburg, da habe man gleich mit vermeintlicher
Translation losgelegt ohne die Biologie wirklich verstanden zu haben. Themen wie Antikörper
oder Wachstumsfaktoren seien hingegen besser bearbeitet und prompt ginge die Translation
durchaus schnell.
Jakob plädierte dafür, viel mehr die ganze Breite des Fachs für Forschung zu nutzen.
Forschungsprojekte in O&U müssten und sollten sehr wohl ein klinisch relevantes Problem
aufwerfen und bearbeiten. Dann aber gelte es, das volle Methodenspek-trum an einer
Uni zu nutzen. „Bringen wir die Mechanobiologie mit der traditionellen Biomechanik
im Kontakt“, nannte Jakob ein Arbeitsfeld. Auch der „Dialog“ zwischen Knochen und
Tumoren bei der Angiogenese und damit beim Tumorwachstum, oder die Sehnenforschung,
beides sind zu Unrecht vernachlässigte Themen.
Hinzu komme, dass die Strukturen für Mediziner, die forschen möchten, schlecht sind.
Eigentlich, so Jakob, sollte ein Drittel des Budgets einer Uniklinik für Forschung
da sein. Doch die Universitäten vernachlässigten ihr Kernthema: Forschung, so Jakob,
laufe aktuell in den medizinischen Fakultäten oft nebenher, „zum Teil katastrophal
schlecht begleitet, gerade in der Unfallchirurgie“.
Das Fach O&U nutzt seine Möglichkeiten nicht, Praxis und Grundlagenforschung zu verknüpfen,
monierte auch Professor Thomas Pap aus Münster. So gebe es international exzellente
Konferenzen zur Knorpelforschung, Stichwort Gordon Research, doch „da ist kein Orthopäde
dabei“. Und dann wiederum erlebe er klinische Symposien, wo man quasi unter Umgehung
der Grundlagenforschung debattiere. Motto: „Komm, wir nehmen ein Scaffold, hauen ein
paar Stammzellen rein, und das funktioniert dann schon.“
Pap ist unter anderem Gutachter für die DFG im Kontext O&U und hatte wenig Schmeichelhaftes
von seiner Lektüre zu berichten. Ein Antrag müsse eine klare Arbeitshypothese formulieren.
Zu lesen bekomme er hingegen immer wieder generalistische Aussagen à la: „Ich möchte
gerne Sehnen erforschen.“ Pap: „Das landet sofort in der Ablage.“ Und manch DFG-Antrag
wird offenbar in der Illusion verschickt, man sei der erste auf dem Globus, dem diese
Fragestellung in den Sinn kommt. Es sei dann schon ein „peinlicher Fehler“, wenn der
Gutachter schnell bemerkt, dass ein als neu präsentiertes Modell längst andernorts
getestet und publiziert wurde, sekundierte Jakob.
Einige Unis haben das Problem der Medizinforschung wohl erkannt. Die Berliner Charité
steuert mit einem Programm Clinical Scientist für Mediziner in der Weiterbildung gegen.
Erfolgreiche Bewerber erhalten nach Abschluss des 3. Jahres der Weiterbildung für
die nächsten 3 Jahre ein strukturiertes Curriculum, bei dem die Hälfte der Zeit dezidiert
für Forschung vorgesehen ist, wie Dr. Matthias Pumberger von der Charité vorstellte.
Eigene Mentoren helfen den angehenden Wissenschaftlern – Ziel ist die Habilitation.
Aktuell sind 50 „Clinical Scientists“ eingeschrieben, hinzu kommen 20 Junior Clinical
Scientists – letztere können 2 Jahre vor Beginn einer Weiterbildung nutzen, um zunächst
die zwingend nötigen Vorabdaten für ihre Arbeitshypothesen des dann folgenden eigenen
Projektantrags zusammenzukriegen. Offen ist, wo die Absolventen später unterkommen.
Pumberger sprach von Ideen, spezielle Oberarztstellen zu schaffen, in denen diese
Leute auch weiter ihrer Forschungstätigkeit nachgehen können.
Neue Konzepte aus der Forschung für O&U
Neue Konzepte aus der Forschung für O&U
Der Bedarf wäre da. Man nehme den Knorpelersatz (WI48). Für Defekte mittlerer Größe
im Knie ist die Autologe Chondrozytentransplantation (ACT) heute Standard: Sie schiebt
zumindest nach einigen Studien für viele Patienten die Endoprothese hinaus, hilft
vielleicht gar, sie zu vermeiden. Allerdings muss jeder 5. Patient damit rechnen,
binnen 5 Jahren doch eine Endoprothese zu tragen, wie Dr. Thomas R. Niethammer anhand
der Nachuntersuchung von 183 Patienten zeigte, die an der LMU München mit Matrix-basierten
ACT-Präparaten eines hiesigen Herstellers behandelt wurden. Arthrofibrose und partielle
Insuffizienz waren die wichtigsten Gründe für Revision. Individuelle Faktoren oder
defektbezogene Gründe ließen sich als Risikofaktoren für eine Revision nicht dingfest
machen. Ein wirklich langlebiges Knorpelregenerat bleibt ein Fernziel.
Ein Problem könnte die bislang übliche Gewinnung einiger Knorpelzellen just aus dem
betroffenen Knie eines Patienten und anschließende Vermehrung im Labor sein. Die Zellen
stammen aus einem schadhaften Gelenk und sind womöglich nur eine mäßige Ausgangslage
für ein Regenerat, meinte Dr. Marcus Mumme vom Universitätsspital Basel. In Basel
experimentiert man daher mit der Züchtung von Knorpelersatzgewebe aus einem Stückchen
Knorpel der Nasenscheidewand, das dem Patienten entnommen wird. 10 Pa-tienten mit
12 Knorpeldefekten im Knie, 2–6 cm2 groß, wurden bislang behandelt. Bei 6 hat das
Implantat bereits über ein Jahr Bestand. Für Erfolgsmeldungen ist es viel zu früh,
die Daten einer nun folgenden Phase-II-Studie bleiben abzuwarten. Konzepte, aus Stammzellen
Knorpel oder Knorpelersatz nachzuzüchten, kommen aus dem Tiermodell nicht heraus.
Die diesjährigen Kongresspräsidenten des DKOU v.l.n.r.: Dr. med. Hans-Jürgen Hesselschwerdt
(BVOU), Professor Dr. med. Michael Nerlich (DGU) und Professor Dr. med. Rüdiger Krauspe
(DGOOC). (Bild: Starface / Ingo Schwarz)
Präventionsappelle an den Bürger
Präventionsappelle an den Bürger
Mehr Sport und Bewegung bitte, verehrte Bundesbürger! Die Kongresspräsidenten nutzen
beim DKOU vor allem die täglichen Pressekonferenzen für ihr Themensetting. Im Vordergrund
stand die Prävention durch Bewegung. Zugleich lag ein Fokus auf der Vermeidung und
richtigen Behandlung just von Sportverletzungen. Und auch das gab es: Die deutliche
Ermahnung für die Patienten, bitteschön, mehr mit dem Arzt zu kooperieren. Denn der
macht sich nach erfolgreicher Prothesenimplantation nach Einschätzung der Implanteure
zu rasch vom Acker.
Kongresspräsident Professor Rüdiger Krauspe aus Düsseldorf, Präsident der DGOOC, appellierte
daher an Patienten, auch bei der Nachsorge mehr dabeizubleiben. „Unsere Patienten
sind nicht so sehr an der weiteren Übungsbehandlung inteinteressiert“, wird Krauspe
zitiert. Dabei könne nur der regelmäßige Check in 1- bis 2-jährigen Abständen helfen,
um die sehr seltene, aber mögliche Lockerung des Implantats zu einem Zeitpunkt zu
entdecken, zu dem sie noch asymptomatisch sind, so dass sich „katastrophale Komplikationen“
verhindern lassen, die nach Jahren ohne Check auftreten können.
Professor Michael Nerlich aus Regensburg, diesjähriger Kongresspräsident der DGU,
warb für mehr Sturzprophylaxe bei älteren Menschen. Über 120 000 Schenkelhalsbrüche
sind es nach Schätzungen pro Jahr in Deutschland, viele davon bei alten Menschen als
Folge von Osteoporose, am Ende vielleicht ausgelöst durch den einen, dann doch nicht
vermiedenen, Sturz.
Nerlich meinte, Unfallchirurgen seien zwar gerne dafür da, um zu operieren, wenn es
nötig ist. Lieber wäre ihm, es wären weniger solcher Brüche zu versorgen – immer noch
stirbt jeder 3.-4. der meist alten Patienten binnen eines Jahres nach einer hüftgelenksnahen
Fraktur. Die Prävention bleibt hier ein Riesenfeld – die Probleme reichen von mangelnder
Bewegung ein Leben lang, falscher Ernährung, vielleicht einer längst fälligen neuen
Brille bis zum Abbau von Stolperfallen in der Wohnung.
Dr. Hans-Jürgen Hesselschwerdt, Chefarzt der Theresienklinik in Bad Krozingen und
Kongresspräsident für den BVOU, sieht Chancen in mehr präventiven Reha-Maßnahmen.
Hier seien vor allem Hausärzte gefordert, die wie alle Vertragsärzte ab März 2016
nach einem neuen G-BA-Beschluss Reha direkt verordnen können. Das Verordnungsblatt
Muster 60, mit dem bislang erst ein Antrag bei der Kasse zu stellen ist, entfällt.
Für jeden in Reha investierten Euro bekäme die Gesellschaft 5 € zurück, zitierte Hesselschwerdt
eine Prognos-Schätzung aus dem Jahr 2009. Reha, die eben nicht erst dann ansetzt,
wenn der Unfall bereits passiert ist: Hesselschwerdt hält es für einen Fehler, dass
nicht mehr Sturzprophylaxe im Rahmen einer Reha präventiv verordnet wird.
Zugleich trommelte er für mehr Geldmittel an die Reha. Die Redia-Studie von 2011 habe
gezeigt, dass sich die Aufenthaltsdauer in der Akutklinik allein von Patienten bei
Endoprothesen zwischen 2003 und 2011 um etwa 5 Tage verringerte. „Wir haben heute
damit in der nachfolgenden Reha mehr und mehr Aufwand“, so Hesselschwerdt, „die Patienten
wieder mobil zu bekommen.“ Das mit entsprechenden Mehrkosten. Damit sei das Problem
der „schlechten Risiken“ auf die Reha-Kliniken abgewälzt, kritisierte Hesselschwerdt
und forderte spezifischere Reha- Sätze, die sich nach einem für jeden Patienten zu
ermittelnden Reha-Index richten.
7,5 Stunden pro Tag sitzt der Bundesdeutsche so herum. Die Folgen, als erhöhte Risiken
für einen tückischen Kreislauf aus zunehmendem Übergewicht, dank Faulheit noch mehr
Bewegungsmangel und am Ende Herzkreislaufkrankheiten oder auch Osteoporose, sind bekannt.
Der Appell zu mehr Bewegung und noch mal mehr Bewegung war auch auf diesem DKOU Dauerbrenner.
Auch Rheuma-Patienten machen offenbar keine Ausnahme. Professorin Erika Gromnica-Ihle,
Präsidentin der Deutschen Rheuma-Liga warb für das spezielle Funktionstraining, das
an die 12 000 Gruppen der Rheuma-Liga im Bundesgebiet anbieten. Die Nachfrage sei
hoch. Damit kontrastieren Daten der Liga, nach denen ein Drittel der Patienten mit
Rheuma wiederum gar keiner sportlichen Aktivität nachgeht. Wenigstens an 3 Tagen die
Woche mal 30 Minuten körperlich aktiv sein – Gromnica-Ihle nannte es „erschreckend“,
dass gerade mal 8 % der Patienten das schafft. Ab 2016 will die Liga ein neu mit der
Rentenversicherung entwickeltes Programm „aktiv-hoch-r“ in ihren Verbänden an den
Start bringen, das vor allem noch weitgehend asymptomatischen Rheumatikern ein angepasstes
Training bietet.
Zugleich rückte in Berlin dieses Jahr die Prävention und rechtzeitige Behandlung von
Sportverletzungen nach vorne in der Agenda. Nach Hochrechnungen erleiden 250 000 Menschen
im Jahr hierzulande ein Schädel-Hirn-Trauma (SHT) – 2750 sterben daran. 40 000 Gehirnerschütterungen,
alias leichte SHT, gibt es pro Jahr im Breitensport, bei hoher Dunkelziffer. Doch
wird dieses leichte SHT sträflich am Spielfeldrand unterschätzt. DGU wie DGOOC wollen
daher zusammen mit anderen Akteuren besser aufklären, dazu gehört auch das Bundesinstitut
für Sportwissenschaften (BISp) in Bonn. „When in Doubt – Take him out“, nennt eine
in Berlin präsentierte Broschüre des BISp das Ziel. Das leichte SHT werde im Breitensport
unterschätzt und bagatellisiert, mahnte BISp-Direktor Jürgen Fischer. Und generell
würden viele Athleten häufig zu schnell wieder in das Training geschickt.
Die Experten warben für eine rege Verbreitung einer neuen kostenlosen App „Schütz
Deinen Kopf“ (http://www.schuetzdeinenkopf.de), ein Schnellcheck einer gleichnamigen
Initiative, mit der auch Laien gleich am Spielfeldrand feststellen können, wann ein
Verdacht auf Gehirnerschütterung besteht. Der Betroffene muss 5 Fragen beantworten,
schafft er nur eine nicht, soll er zum Arzt.
Die Gehirnerschütterung ist eine „ernstzunehmende Verletzung“ – betonte auch Dr. Axel
Gänsslein vom Klinikum Wolfsburg. Eine Woche Ruhe reiche zwar bei 85 % der Betroffenen,
um sich vollständig zu erholen. Bei den verbleibenden 15 % könnten allerdings Folgeschäden
bleiben. Die bessere Differenzierung möglicher Folgen, so Gänsslein, sei aber nach
wie vor Gegenstand wissenschaftlicher Forschung.
Knieverletzungen – bei Herren eher ab Frühjahr, bei Damen eher im Winter
Knieverletzungen – bei Herren eher ab Frühjahr, bei Damen eher im Winter
AOK und BVOU präsentierten erste Daten aus einer neuen Studie zu den Ursachen von
Knieverletzungen. Dafür wurden in Baden-Württemberg die „pseudonymisierten“ Routinedaten,
alias Abrechnungsdaten von an die 4 Millionen AOK-Versicherten für die Jahre 2008
bis 2013, gemeinsam in Hinsicht auf Entstehungsursachen von Knieverletzungen ausgewertet.
„Die Idee für das Projekt kam von Herrn Flechtenmacher vom BVOU“, lobte Dr. Sabine
Knapstein von der AOK Baden-Württemberg. In Berlin gab es Vorabhäppchen zu den Ergebnissen,
die 2016 veröffentlicht werden sollen. Offenkundig gibt es Gender-spezifische Unterschiede.
Männer, so Knapstein, hätten statistisch gesehen das höchste Risiko auf Knieverletzungen
im Frühjahr – wenn es wieder auf den Bolzplatz geht. Betroffen von Gelenkverletzungen
sind vor allem jüngere Männer. Knie-Distorsionen und -Bandverletzungen bei Frauen
ereignen sich hingegen gehäuft im 4. Quartal, im Winter – offenbar vor allem auf der
Skipiste. Vielleicht hilft die Analyse, Menschen gezielter im Vorfeld über Risikofaktoren
zu informieren. Knapstein vergaß nicht die lobende Erwähnung des Orthopädievertrags
in Baden-Württemberg, bei dem AOK und Bosch BKK mehr für die Aufklärungsarbeit des
Arztes zahlen. Man sei sich mit Kassen ja gewiss nicht immer einig, fügte BVOU-Präsident
Dr. Johannes Flechtenmacher hinzu. Betonte dann aber: „Wir Ärzte müssen anerkennen,
dass auch die Kassen für ihre Versicherten die bestmögliche Versorgung möchten.“ Und
ermahnte en passant seine Kollegen, die in Baden-Württemberg neu vergütete Zeit auch
für unangenehme Themen zu nützen. „Sie müssen mit übergewichtigen Patienten unbedingt
über Lebensstiländerungen reden.“ Es vergehe keine Woche ohne Patientin oder Patient
in seiner Praxis mit Arthrose und zugleich an die 130 Kilo auf der Waage. Nur Gewichtsabnahme
und langsamer Aufbau von Bewegung und Sport sind da eine Chance, eine beginnende Arthrose
zu verlangsamen.
Und tja – meine Herren Führungskräfte in der Medizin – the same applies to you.
Dr. Christoph Schulze aus Rostock zeigte bei einem Symposium zu „Vorsicht statt Nachsicht“
(WI37), wie sich gerade Chefs in der Medizin mit der eigenen Prävention und Gesundheit
recht schwer tun. Von 122 Führungskräften, die zwischen 2008 und 2012 an einem Seminar
„Personal Health Management für Führungskräfte“ bei der Bundeswehr mitmachten, kämpften
111 und damit über 90 % bereits mit orthopädischen Leiden – Rückenschmerzen, Arthrosen.
Der BMI der Herren im Durchschnittsalter von 54,6 lag bei 26,6, der Bauchumfang bei
96 cm. Das Risiko für orthopädische Erkrankungen korrelierte negativ zur physischen
Leistungsfähigkeit und stieg mit der Häufigkeit von Dienstreisen und der generellen
Arbeitszeit an. Führungskräfte mit hoher Arbeitszeit und Reisetätigkeit sollten einem
spezifischen Training zugeführt werden, resümierte Schulze. Ob das nun bedeute, dass
die ganze Bundeswehr aktuell beim Physiotherapeuten sei, ulkte Sitzungsleiter Professor
Udo Obertacke vom Klinikum Mannheim. „Nein, natürlich nur die Führungsetage“, gab
Schulze zurück. Heiterkeit im Auditorium.
Laxer Umgang mit Strahlenschutz
Laxer Umgang mit Strahlenschutz
Auch beim Strahlenschutz vernachlässigen zu viele Ärzte offenbar die eigene Gesundheit,
wie 2 neue Umfragen aus der Schweiz andeuten. Dabei wächst die Strahlenbelastung im
OP vielerorts durch den zunehmenden Einsatz von Bildwandlern. Doch nur die Hälfte
von 83 am Universitätsspital Zürich befragten Ärzten, Studenten und Pflegern nutzt
überhaupt das vorgeschriebene Dosimeter, verwendet Schilddrüsenabschirmung oder Bleischürze
richtig, berichtete Dr. Thorsten Jentzsch aus Zürich. 35 % hatte Wissenslücken beim
Strahlenschutz.
Auch international sieht der Umgang mit dem Thema nicht besser aus, wie eine Umfrage
unter 531 Chirurgen zeigte, die eine Tagung bei der AO-Foundation in Davos besuchten.
Das Gros der Teilnehmer äußerte sich zwar besorgt über mögliche Strahlenwirkungen,
wie Dr. Alexander Joeris von der AO in Dübendorf, Schweiz, berichtete. Doch die Hälfte
trägt erst gar kein Dosimeter, Fehlanzeige bei Bleischürze und Schilddrüsenschutz
bei 35 und 70 %.
Wie sich hingegen durch gezielte Intervention eines Klinikums Risiken im OP beherrschen
lassen, demonstriert das von Professor Klaus Dresing aus Göttingen geschilderte Programm
zur Prävention von gefährlichen Infektionen mit Hepatitis B und C oder HI-Viren. Seit
12 Jahren werden am Uniklinikum Göttingen alle Notfallpatienten routinemäßig mit einem
Schnelltest auf diese gefährlichen Erreger getestet. 30-40 min nach Einlieferung und
Probennahme liegt das Ergebnis im Schockraum vor. Dabei zeigte sich, dass diese Patienten
bis zu doppelt so häufig mit einem der Erreger infiziert sind, wie das Robert-Koch-Institut
für die Region voraussagt.
Bei positivem Testergebnis schützen sich die Kliniker durch Sicherungsmaßnahmen. Man
arbeite bei diesen Patienten immer mit Augenschutz, mit doppelten Handschuhen, und
ja – bestimmte Eingriffe werden bei ihnen auch erst gar nicht durchgeführt, berichtete
Dresing. Keine minimalinvasiven Verfahren, man taste nicht mit dem Finger die Knochen
oder Weichteile ab, und auch auf eine Jet-Lavage muss verzichtet werden. „Wir müssen
uns schützen und sind der Meinung, ein Screening bei Patienten in der Notaufnahme
ist erforderlich“, erklärte Dresing. Die Kosten von 30 € pro Test seien gering verglichen
mit dem Risiko, dass sich Ärzte oder Pfleger an Patienten infizieren, deren Infektionsstatus
unbekannt sei. Die meisten Kliniken haben solch eine Sicherungsleine für ihre Mitarbeiter
bislang nicht.
Das Symposium „Vorsicht statt Nachsicht“ (WI37) nahm andererseits auch in den Blick,
wie sich Patienten vor unliebsamen Überraschungen durch Fehler in der Medizin besser
schützen lassen. So sind Human-Factor-Trainings en vogue, um Teamprozesse in Krankenhäusern
zu fördern.
(Bilder: Starface / Ingo Schwarz)
Ein Kursmodul dafür ist das Hand-Over-Team-Training (HOTT), ein Angebot der Akademie
der Unfallchirurgen (AUC), das Dr. Heiko Trentzsch vom Klinikum der Universität München
vorstellte. Der 2-tägige Kurs setzt auf Simulationen, die aufgenommen und dann anhand
der Videos nachbereitet werden. Die Nachbefragung von 87 Teilnehmern aus Kursen in
2013 und 2014, es sind zumeist komplette Schockraumteams, zeigte, dass viele zufrieden
mit dem Programm sind, danach eher zu wissen meinen, wie sie in komplexen Situationen
besser zusammen arbeiten. „Wir glauben, dass HOTT ein Beitrag zur Verbesserung der
Patientensicherheit ist“, meinte Trentzsch. Daten, ob und wie am Ende solch ein Programm
wirklich zu besserer Versorgung führt, gibt es nicht – ein generelles Problem der
Szene.
Auch Orthopäden müssen sich mehr um das Thema Fehler in der Arzneimittelgabe kümmern,
wie Dr. Hendrik Kohlhof von der Universität Bonn berichtete. Von 60 Patienten, die
während eines Monats in 2013 auf einer orthopädischen Normalstation versorgt wurden,
nahm im statistischen Mittel jede oder jeder 9 Medikamente ein. Bei 11 % war eine
Niereninsuffizienz die Folge einer Fehldosierung, in den meisten Fällen Überdosierung.
Nötig ist ein Medikamentencheck für jeden Patienten, nötig dafür wiederum sind elektronische
Arzneimittelverordnungssysteme, meinte Kohlhof. Anders ließe sich das Problem nicht
in den Griff bekommen. Die Universität Bonn hat ein entsprechendes Tool in ihr KIS
integriert.
Verkehrsunfälle – Plädoyers für Helmpflicht auf Rad und Pedelec
Verkehrsunfälle – Plädoyers für Helmpflicht auf Rad und Pedelec
Wenig Klarheit gibt es immer noch für die Frage, wie sehr das Tragen eines Helms Rad-
oder auch Pedelec-Fahrer bei einem Unfall schützt.
Nach Zahlen des Statistischen Bundesamts waren 2014 unter 396 getöteten Radfahrern
im Straßenverkehr 39 Pedelec-Fahrer. Dr. Christian W. Müller von der Medizinischen
Hochschule Hannover (MHH) präsentierte auf dem DKOU Auswertungen zu Unfällen mit Pedelecs
in der von der TU Dresden und der MHH betriebenen Datenbank von Verkehrsunfällen GIDAS
(German In-Depth Accident Study)die jährlich an die 2000 Unfälle im Raum Dresden und
Hannover erfasst. Zwischen 2009 und 2014 sind 51 Unfälle mit Pedelecs oder E-Bikes
in GIDAS dokumentiert, das sind 0,4 % aller Unfälle in der Datenbank, die Zahlen steigen
leicht an, liegen aktuell bei 11–13 solcher Unfälle im Jahr. Die mittlere Aufprallgeschwindigkeit
beim Unfall lag bei 18 km / h, eine parallele Auswertung lieferte für Fahrradfahrer
16 km / h.
Das Durchschnittsalter der Unfallopfer mit Pedelec oder E-Bike lag bei 60 Jahren,
Radfahrer sind jünger, mit 37 Jahren. Eine hohe Dunkelziffer an nicht polizeilich
erfassten Unfällen sei zu vermuten, meinte Müller. Schlussfolgern lasse sich aber,
dass die Unfallschwere bei Pedelec-Fahrern nicht sehr von denen normaler Radfahrer
abweiche. Über die Hälfte der Unfälle mit den elektrisch unterstützten Vehikeln waren
Zusammenstöße mit Autos, es gibt aber relativ viele Alleinunfälle, was darauf schließen
lässt, dass manch älterer Halter so seine Probleme hat, sein wuchtiges Pedelec oder
E-Bike zu steuern, meinte Müller. Führende Unfallfolge sei das SHT.
Müller sprach sich, wie seine Kollegin Dr. Rebecca Stier von der MHH, für das Tragen
eines Schutzhelms aus, weil der vor dem SHT schützen kann – egal ob Rad oder Stromrad.
Stiers eigene Auswertung der GIDAS gab allerdings keine Hinweise darauf, dass ein
Helm Radfahrer bei Unfällen auch vor Mittelgesichts- und Unterkieferfrakturen schützt.
Auch wenn die DGU offiziell eine Helmpflicht fordert, bleibt die Angelegenheit unter
Wissenschaftlern strittig. Institute in Greifswald oder Dresden sind eher gegen eine
Helmpflicht.
Paradigmenwechsel in der Medizin – Keine Behandlung ist eine gute Behandlung
Paradigmenwechsel in der Medizin – Keine Behandlung ist eine gute Behandlung
Wie schon 2014 stand das Thema „Zu viele Operationen an der Wirbelsäule“ erneut im
Fokus. Professor Hans-Raimund Casser aus Mainz griff auf Zahlen des InEK (Institut
für das Entgeltsystem im Krankenhaus) zurück, nach denen die „interventionellen Behandlungen“
an der Wirbelsäule zwischen 2005 und 2011 um knapp 61 %, Bandscheiben-OPs um 70 %
und Versteifungsoperationen um 200 % anstiegen. Diese Zunahme könne nicht an veränderter
Morbidität liegen, kritisierten Casser und andere Experten unisono.
An den Leitlinien liegt es nicht, allein, die warten darauf, auch umgesetzt zu werden.
Erfahren Patienten mit Rückenschmerzen bei leitliniengerechter Behandlung nach 6 Wochen
keine Linderung, steht die Entscheidung zu einer multimodalen Therapie einschließlich
psychologischer und physiotherapeutischer Betreuung im Vordergrund. Diese Behandlung
bekamen 2011 aber gerade mal 42 420 Patienten. Unterm Messer landeten hingegen 478
723, monierte Casser. Längst nicht jede Intervention scheint wirklich indiziert. Casser
nannte als ein Negativbeispiel die operative Entfernung eines Bandscheibenvorfalls,
der weder die Nervenwurzel noch das Rückenmark bedrängt.
Helfen soll – der Patient. Berufsverband und Fachgesellschaften kündigten in Berlin
eine Inititiative „Gemeinsam klug entscheiden“ an, nach der US-Vorlage „Choosing Wisely“.
Hesselschwerdt setzt auf Studiendaten aus den USA, nach denen Patienten, die gut über
Behandlungsmöglichkeiten aufgeklärt werden, sich deutlich seltener einem operativen
Eingriff an der Bandscheibe unterziehen. Nötig sei dann aber auch ein Umdenken im
Medizinbetrieb, der am Ende den Ärzten mehr Geld für das Gespräch mit dem Patienten
verschafft, gerade dann, wenn es zum bewussten Unterlassen von medizinischen Leistungen
führt.
Physiotherapie ohne Diagnosetools – zumindest an der Halswirbel-säule.
Physiotherapie ohne Diagnosetools – zumindest an der Halswirbel-säule.
Zugleich fechten manche Teildisziplinen trotz Nationaler Leitlinie Kreuzschmerz immer
noch gewaltig miteinander, wer nun wann was am Patienten darf.
Eine frühzeitigere Krankengymnastik (KG) könne helfen, manch chronischen Rückenschmerz
zu verhindern oder soweit zu lindern, dass Operationen am Ende gar vermieden werden,
wie Andrea Rädlein, stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Verbands für Physiotherapie,
anregte (FO25). Das rief einen der Koordinatoren der Nationalen Versorgungsleitlinie
Kreuzschmerz auf den Plan, Professor Bernd Kladny aus Herzogenaurach forderte dazu
auf, zunächst mal die Nase in den Text zu stecken. Dort sei klar festgelegt, dass
es in den ersten 6 Wochen bei neu aufgetretenen Kreuzschmerzen keine Krankengymnastik
geben soll. Erst danach, bei entsprechender Anamnese, sehe er auch die Beteiligung
des Physiotherapeuten: „Ich wundere mich, dass hier manche von sofortiger Verordnung
von KG reden“, monierte Kladny.
(Bilder: Starface / Ingo Schwarz)
Derweil fehlt es der Physiotherapie bei vielen ihrer Techniken an einem soliden wissenschaftlichen
Unterbau, wie ein Symposium zur oberen Halswirbelsäule (PH12) deutlich machte. Zwar
tauchen genügend Betroffene mit Störungen auf, die irgendwie auch im Kontext mit der
Halswirbelsäule (HWS) stehen könnten – Schwindel, Blockierungen, Kopfschmerzen, HWS-Syndrom,
alias diverse so genannte zervikale Syndrome. Die Physiotherapeuten versuchen sich
in Manueller Therapie, allein es fehlen Belege für klinische Erfolge. Mehr noch, es
fehlen Diagnose--Parameter für das, was wirklich eine Fehlstellung der Wirbel wäre,
die hinter Symptomen stecken könnte. Röntgen oder CT seien im Zweifel wichtig für
eine Ausschlussdiagnose, etwa von Tumoren, wie Dr. Siegbert Tempelhof aus München
berichtete. Darüber hinaus könne er „nichts bieten“. Eine Vielzahl an messbaren Auffälligkeiten
bei der Stellung einzelner Knochen ist bislang diagnostisch wertlos, denn, so Tempelhof,
man habe keine Vergleichszahlen für ein Normalkollektiv.
Zertifikate, Zertifikate…
Zertifikate, Zertifikate…
Souveräne Routine war in diesem Jahr die Sicht auf die von den Fachgesellschaften
ins Leben gerufenen Programme zur Qualitätssicherung in der Medizin. Die Zertifizierungsprogramme
von O&U sind auf dem Gleis. Da wäre die DGU mit Traumaregister und -netzwerk und einem
neuen Zertifikat für Zentren der Alterstraumatologie. Da wäre die DGOOC mit EndoCert
– dem Prüfsiegel für Qualität in Kliniken, die Endoprothesen implantieren.
Zum 1. Oktober 2015 waren bundesweit 394 Kliniken nach Endocert zertifiziert, 138
Verfahren laufen. Damit wären es am Ende 532 zertifizierte Zentren in Deutschland.
Daten, die wirklich etwas darüber aussagen, ob Patienten durch steigende Prozessqualität
in den Kliniken auch durch längere Standzeiten bei ihren Prothesen profitieren, gibt
es nicht. Noch nicht, wie Dr. Volker Haas, Vorsitzender der Zertifizierungskommission
bei EndoCert, betonte: „Wir sind leider noch nicht so weit, dass wir wissen, bringt
das was.“ Aber als kleinen Surrogatparameter bot er schon mal, dass die mittlere Zahl
der Abweichungen bei den Implantationen in den zertifizierten Häusern zwischen 2011
und 2014 gesunken sei.
Endoprothesenregister
Beim Endoprothesenregister (EPRD) – für Endocert-Kliniken ist die Teilnahme verpflichtend
– scheint es hingegen hinter den Kulissen kräftiger zu rumoren. Mehr als 150 000 Endoprothesen-Operationen
waren Oktober in der Kartei, mehr als 630 Kliniken machen mit – aus freien Stücken.
Doch der Gründungsvater und bisherige Geschäftsführer der EPRD gGmbH, Professor Joachim
Hassenpflug aus Kiel hat gekündigt. Auch das BQS (Institut für Qualität & Patientensicherheit)
als bisherige Registerstelle werde ausscheiden, erklärte Hassenpflug in Berlin. Der
Kieler Orthopäde zog eine kritische Zwischenbilanz. 20-25 % der jährlichen Implantationen
werde derzeit im Register erfasst – ein Anfang, aber keineswegs ausreichend für langfristig
zuverlässige Daten. „Mit 20 % brauchen wir da gar nicht erst anfangen“, erklärte Hassenpflug.
Statt aktuell 600 Kliniken müssten schon 1200 mitmachen, in denen auch wirklich die
Daten aller Patienten erfasst werden müssten.
Auch bei der Produktdatenbank hapere es noch bei der Qualität, es gebe zu viele Eingabefehler.
Und das Register werde nur dann akzeptiert werden, wenn die Stakeholder absolut keinen
Einfluss auf die Auswertung der Daten nehmen.
Hassenpflug: „Ich wünsche dem EPRD, dass Unabhängigkeit und Transparenz weiterhin
aufrecht erhalten werden.“ Unterdessen wachsen Forderungen, die Teilnahme am EPRD
verbindlich zu machen. Neben Techniker Kasse, fordern unterdessen auch Bundesverband
der Medizintechnik (BVMed) wie Deutsche Gesellschaft für Endoprothetik (AE) den Gesetzgeber
auf, die Teilnahme am Register für alle Kliniken verpflichtend zu machen.
Zwischen monetären und medizinischen Fragen schwankte ein Symposium zum Querschnitt
der Versorgungsforschung (WI39). Kritik am DRG-System kommt nach wie vor von Krankenhäusern,
vor allem denen der Maximalversorgung, die überdurchschnittlich viele Patienten mit
schweren Krankheiten versorgen. Das DRG-System bildet womöglich die septische Endoprothetik
nicht richtig ab. Kliniken, zumindest wenn sie nicht den Zusatz „Besondere Einrichtung“
tragen, legen dann nach Daten, die Dr. Thomas Randau von der Uniklinik Bonn darlegte,
finanziell drauf. 160 Fälle einer septischen Wechseloperation in der Endoprothetik
behandelte das Klinikum im Zeitraum von Juni 2013 bis Dezember 2014, viele davon wurden
aus dem Umland in die Uniklinik verlegt. Ein Check der Kosten und Einnahmen liefert
eine „Unterdeckung“ von 10 000 € pro Fall. Randau: „Sie verdienen zu wenig damit“.
Zu wenig Geld gibt es offenbar auch für die Versorgung des typischen osteoporotischen
Altersbruchs, der proximalen Femurfraktur, wie Dr. René Aigner vom Universitätsklinikum
Gießen und Marburg anhand der Zahlen für 402 solcher Patienten kalkulierte. Bei Kosten
von 8618 € pro Patient lege das Klinikum im DRG-System 585 € jeweils drauf. Auch hier
ist allerdings klar, dass Zentren der Maximalversorgung besonders betroffen sind,
da sie die schweren Fälle von umgebenden Kliniken zugewiesen bekommen. Eine bessere
Behandlung und damit indirekt auch Kostensenkung, so Aigner, sei bei diesen betagten
Patienten mit schweren Knochenbrüchen vielleicht durch mehr Zusammenarbeit mit den
Geriatern zu schaffen.
Die lange geplante Kooperation der Fachgesellschaften für ein gemeinsames Klinkzertifikat
erlitt aber bekanntlich unlängst einen Dämpfer. Aus einem gemeinsamen Zertifikat von
DGU und Deutscher Gesellschaft für Geriatrie wurde nichts. Die DGU vergibt seit März
2014 einen Titel AltersTraumaZentrum DGU, die Geriater machen mit bei einem eigenen
Gütesiegel Alterstraumatologisches Zentrum (ATZ).
Das wahre Drama zeigt sich hingegen erst dann, wenn nicht mehr Kosten, sondern Ergebnisdaten
analysiert werden. Von jenen 402 Patienten aus der am Uniklinikum Marburg-Gießen untersuchten
Gruppe mit proximaler Femurfraktur, hat eine Teilgruppe, die nach der OP länger als
3 Tage auf der Intensivstation verbleibt, ein extrem hohes Risiko, zu sterben. Und
ganz besonders dann, wenn diese Patienten womöglich auch noch vorübergehend beatmet
oder an der Dialyse behandelt werden. Ein Jahr später sind 92 und 85 % aus diesen
Gruppen verstorben, die anderen bleiben auf Dauer pflegebedürftig, wie Dr. Daphne
Eschbach aus Marburg bilanzierte. Ihr Fazit: „Diese Komplikationen müssen Sie nach
besten Kräften vermeiden, wir dürfen möglichst erst gar keine pulmonalen und renalen
Komplikationen entstehen lassen.“ Diese dramatischen Zahlen sind ein Argument mehr
für Michael Nerlichs Forderung, mehr für die Sturzpropylyxe bei alten und kranken
Patienten zu tun.
„Kooperation der Fachgesellschaften und des Berufsverbandes“ war natürlich auch ein
Thema (FG19). Doch da blieben diesmal einige führende Köpfe aus den Fachgesellschaften
unter sich. „Wer hier ist, weiß eh Bescheid“, bedauerte Sitzungsleiter Professor Felix
Bonnaire aus Dresden die Missachtung durch das Publikum.
Den Patienten angesichts der großen Diskussionen über die Zukunft des Gesundheitssystems
unbedingt auf die eigene Seite ziehen, war das leidenschaftliche Plädoyer von Professor
Fritz Uwe Niethard. „Wir müssen schauen, dass wir die Patienten in die Diskussion
mitbekommen über Kosten und Nutzen, sie mit eigenen Daten über Outcomes überzeugen,
um sie für unsere Diskussion mit der Politik zu gewinnen.“
Niethard, einer der Architekten eigener Versorgungsforschung von O&U, konnte nicht
ohne Stolz darauf verweisen, dass O&U bei der Versorgungsforschung im eigenen Fach
so einiges zu bieten hat. Er nannte den Versorgungsatlas der DGOOC mit der AOK, eine
eigene Bedarfsanalyse für die Zahl der Ärzte in O&U, Register wie EPRD und Traumaregister.
Kommende Themen für die eigenen Datenanalysen durch die Fachgesellschaften sah Niethard
in der demografischen Entwicklung – die zunehmende Vergreisung der Bevölkerung in
Deutschland werde auch durch den aktuellen Flüchtlingsstrom nicht grundlegend geändert.
Und dann in der sektorenübergreifenden Versorgung.
Die derzeit vorherrschende Trennung der Sektoren mit ihren großen Problemen an den
Schnittstellen, avancierte zumindest in dieser Expertenrunde plötzlich zum Auslaufmodell.
„Sie muss weg, das muss ein System werden“, forderte auch Professor Reinhard Hoffmann,
Generalsekretär der DGU.
Zusammen mit Bernd Kladny von der DGOOC präsentierte Hoffmann Pläne, zumindest optisch
die Einheit von DGU, DGOOC, BVOU unter einem Dach voran zu bringen. Ein neues Logo,
eine Deutsche O&U als Dachmarke, unter der sich BVOU, DGOU, DGU, DGOOC wie auch eine
neu zu gründende eigenständige Akademie der DGOU wiederfinden sollen. Ab kommendem
Jahr soll sich eine neue Arbeitsgruppe um das Logo kümmern. Kommen wird offenbar auch
die Gründung einer eigenen Akademie der DGOU, bislang gibt es nur die getrennten Akademien
von DGOOC und DGU.
Unter dem „gemeinsamen Dach“ (Kladny) grummelt es immer noch hie und da. So habe die
DGOU einige Sektionen, die vor Kraft nur so strotzten und schon der Ansicht sind,
wir können das auch alleine, deutete Kladny an, dass sich manch einstige Arbeitsgemeinschaft
bereits selbst Fachgesellschaft nennt. Kladny: „Da ist es unsere Aufgabe, den Rahmen
zu erhalerhalten.“ So ganz kurz blitzte da bei beiden Generalsekretären der Wunsch
auf, den eigenen Laden neu aufzuräumen. „Bei den Sektionen haben wir momentan zwischen
DGU und DGOOC etliche Redundanzen“, sagte Kladny. Aber zusammenzwingen könne man das
nicht, die historisch gewachsenen Eigenbefindlichkeiten und Mentalitätsunterschiede
seien noch zu groß.
Die enorme Zahl an Untergliederungen, die Sektionen... fast hätte er gesagt, das sei
ein „Irrsinn“, rutschte es Hoffmann heraus. Diese Strukturen oder gar DGU und DGOOC
einfach abschaffen werde aber nicht klappen. Hoffmann: „Sie können ja mal versuchen,
dafür Mehrheiten zu finden.“ Ein Modell für die Zukunft gibt es. Das Junge Forum,
so Kladny, zeige die Zukunft. „Die sehen sich als O&U.“
Dr. Bernhard Epping
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