Flugmedizin · Tropenmedizin · Reisemedizin - FTR 2015; 22(05): 247-248
DOI: 10.1055/s-0035-1566167
DFR-Mitteilungen
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

18. Jahrestagung der Deutschen Fachgesellschaft für Reisemedizin, 18./19.09.2015 – DFR-Tagung 2015 in Dresden

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Publication Date:
22 October 2015 (online)

 

    Trotz verschiedener Parallelveranstaltungen war der Saal gut gefüllt, als Prof. Günter Schmolz, Präsident der DFR, die Jahrestagung eröffnete. Lag über den Beiträgen der vorangegangenen Tagung in Nürnberg die Ebolaepidemie in Westafrika als übergreifendes Thema, so wurde in Dresden die medizinische Hilfeleistung für Flüchtlinge und deren Krankheitsspektrum diskutiert, in die viele der Mitglieder involviert sind – Reisemedizin in reverse, sozusagen.

    Veranstaltungen am 18. September

    Erster Beitrag ist traditionell die Präsentation von Kasuistiken durch Dr. Rosemarie Mazzola, Freiburg. Sie hatte den Fall einer Rickettsiose in Thailand und eines Paratyphus in Indien aufgearbeitet. Wie bei diesen stand auch bei der Fallvorstellung von Dr. Stefan Eßer, Neu-Isenburg, die Frage der Verfügbarkeit adäquater medizinischer Versorgung am Aufenthaltsort und die Entscheidung zwischen lokaler Versorgung und Repatriierung im Vordergrund. Sein Bericht betraf die ausgedehnte Verbrennung eines in Südindien eingesetzten deutschen Firmenmitarbeiters durch einen Lichtbogen mit anschließend teils inadäquater Schmerz- und Wundbehandlung.

    Prof. Tomas Jelinek, Berlin, gab anschließend ein Update zur Weltseuchenlage und zu Entwicklungen bei Impfstoffen. Schwerpunkte waren die Endphase der Ebolaepidemie, MERS-CoV und das Risiko einer gelegentlichen Einschleppung nach Europa, die Ausweitung von Dengue nach Südeuropa und der Stand der Impfstoffentwicklung gegen Dengue, das Vordringen von Chikungunya in Südamerika und die Aussicht auf Verfügbarkeit eines Impfstoffs auch dagegen. Die Polioepidemiologie und das Konzept des „endgame“ der WHO mit dem Ziel, die Wild- und die Impfviruszirkulation zu beenden, wurde ebenso erläutert wie die sich aus Studien ergebenden neuen Dosierungs- und Applikationsformen oder Wirkdauern für JE-, FSME-, Tollwut-, Hepatitis-B- und Typhusimpfstoffe, auch wenn diese bislang noch Off-label-Anwendungen sind. Er kritisierte, dass durch die Influenza-Impfstoff-Ausschreibung der GKV qualitative Aspekte wie die Bevorzugung quadrivalenter oder – für Personen ab 60 Jahren – adjuvantierter Impfstoffe unberücksichtigt bleiben.

    Dr. Uschi Suchitra Traub, Ludwigsburg, stimmte die Teilnehmer dann ein auf ihr Herkunftsland Indien. Sie stellte einen Subkontinent mit großen Gegensätzen vor, die jedoch von der Bevölkerung toleriert werden. Die Gesellschaft ist geprägt von der Familien- und der Religionszugehörigkeit, die Rolle der Bildung nimmt stark zu. Sie ging besonders auf die Benachteiligung von Frauen, ihre Exposition gegenüber häuslicher Gewalt und die anhaltende Mitgiftproblematik ein. In einem anschließenden Panel wurden die medizinische Infrastruktur einschließlich der Rettungskette (Eßer), die Koexistenz von wissenschaftlicher und traditioneller Heilkunst (Schmolz) und die Malariasituation (Jelinek) näher beleuchtet.

    Andreas Kaunzner, Aschaffenburg, ging dann auf die reisemedizinischen Informationsquellen für die tägliche Beratungsarbeit ein. Außer der Standardliteratur und den Informationsdienstleistern nannte er vor allem einen thematisch selektionierten E-mail-Dienst wie Google alert, die offiziellen Seiten von ECDC und CDC, die ISTM, Promedmail und mehrere Schweizer Quellen als verlässlich und schnell.

    Prof. Schmolz nahm daraufhin die Verleihung des Erich-Kröger- und Klaus-Jörg-Volkmer-Förderpreises für Reisemedizin vor. Er ging zu gleichen Teilen an Dr. oec troph Désirée Schneider, Fulda, für ihre Arbeit zur Neutralisation von oral aufgenommenem Capsaicin und an Christine Scharfenberg, Aachen, für ihre Arbeit zu Erste-Hilfe-Kenntnissen von Nepal-Trekking-Reisenden.

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    Aktuelles Wissen über wichtige reisemedizinischen Themen von und mit Dr. Stefan Eßer, Prof. Tomas Jelinek, Dr. Uschi Suchitra Traub, Dr. Rosemarie Mazzola und Prof. Günter Schmolz.

    Veranstaltungen am 19. September

    Am Folgetag begann Dr. Ilse Janicke, Duisburg, Kardiologin und PPL-Inhaberin, mit einem Überblick zum Reisen bei kardialen Vorerkrankungen. Fliegen werde immer sicherer – auch im Angesicht der Germanwingskatastrophe im Frühjahr 2015. Rund 900 Todesfällen als Folge von Unfällen in der Zivilluftfahrt stünden 1800 Todesfälle an Bord als Folge einer Grundkrankheit gegenüber. Bei Arrhythmien, Herzinsuffizienz, angeborenen Herzfehlern und nach Implantation eines Schrittmachers oder Defibrillators sollte 3–4 Wochen vor Reise eine kardiologische Überprüfung erfolgen. Die Referentin rekapitulierte die Regeln zur Flugreisetauglichkeit nach kardialen Eingriffen und zur Tauchsporttauglichkeit bei kardialen Grundkrankheiten.

    Prof. Jürgen Brockmöller, Göttingen, beschäftigte sich anschließend mit dem Problem der Polypharmazie, insbesondere bei Reisenden. Diese sei nicht per se schlecht beim Vorliegen der jeweiligen Diagnosen, jedoch müsse ein gelegentlicher Check auf fortgesetzte Notwendigkeit, erwiesene Wirksamkeit, das Fehlen von Nebenwirkungen und Vereinfachungsmöglichkeiten durchgeführt werden. Selbstmedikation und Incompliance sind zu berücksichtigen. Gefürchtet sind Verordnungskaskaden, bei denen ein Medikament mehrere andere zur Reduktion der Nebenwirkungen nach sich zieht. Auch müsse man auf Induktoren (v. a. Rifampicin, Antikonvulsiva, Johanniskraut) und Hemmer (Makrolide, Azole, Fluoxetin und Ritonavir) des Medikamentenabbaus achten, um kürzere beziehungsweise längere Wirkdauer und -spiegel berücksichtigen zu können.

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    Weitere Referenten auf der 18. DFR-Tagung waren unter anderem Andreas Kauzner, Dr. Ilse Janicke, Prof. Emil Reisinger und Dr. Martin Alberer.

    Prof. Emil Reisinger, Rostock, ging dann auf die Problematik der Impfung unter verschiedenen krankheits- und therapiebedingten Formen der Immunsuppression ein. Jenseits der vereinfachten Regel, dass unter (relevanter) Immunsuppression Lebendimpfstoffe kontraindiziert und Totimpfstoffe vermindert effektiv sind, erläuterte er die Besonderheiten bei verminderter Immunantwort als Folge von Alter, Steroidmedikation, Biologicals, Stammzell- und Nierentransplantation, HIV-Infektion und Asplenie. Transplantierte sollten eher adjuvanzienfreie Impfstoffe erhalten, während die Schubauslösung durch eine adjuvantierte Totimpfung bei MS nicht belegt werden kann. In jedem Fall hilft die Aufrechterhaltung eines STIKO-konformen Impfschutzes und die umgehende Erweiterung des Impfschutzes, bevor eine Immunsuppression begonnen wird.

    Dr. Martin Alberer, München, thematisierte die Mitnahme von Kindern, insbesondere chronisch kranken, auf Fernreisen. Nach Ergebnissen der Geosentinelstudie erkranken Kinder am konventionellen Spektrum von Durchfall, Hauterkrankungen und fieberhaften Allgemeininfekten wie die Erwachsenen, jedoch häufiger und schwerer – bis zu 85 % der fieberhaften Infekte erforderten eine stationäre Behandlung. Eine gegebenenfalls interdisziplinäre Vorbereitung müsse mit Unterlagen zum Beispiel in Englisch, Notfallkontakten in der Heimat und einer Klärung des Krankenversicherungsschutzes unterwegs erfolgen. Besondere Schwierigkeiten bereiteten unterwegs Hypoglykämien bei Diabetikern, die Differenzierung zwischen Schub und Infekt bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen und die Infektneigung von Rheumapatienten unter Therapie. Zur Malariaprophylaxe eigne sich ab 5 kg KG das Mefloquin, wenn man auf Interaktionen achte und diese gegebenenfalls mit Spiegelbestimmungen ausschließe.

    Dr. Jörg Wendisch, Dresden, ging aus der Sicht der Sächsischen Impfkommission und des öffentlichen Gesundheitsdienstes auf die Impfung von Schwangeren und Personen mit unvollständiger Impfdokumentation ein, bezog aus aktuellem Anlass aber auch Stellung zur Impfung von Asylbewerbern. Der Standard werde durch die STIKO-Impfungen vorgegeben, vorliegende Impfdokumente könnten anerkannt und einbezogen werden. Schwierig sei die Information und das Einverständnis über Sprachgrenzen hinweg. In der Schwangerschaft seien Lebendimpfstoffe im Allgemeinen kontraindiziert, obwohl konkrete Belege für schädliche Wirkungen fehlten. Auch sei der Schwangerschaftseintritt für einen Monat nach Lebendimpfung zu verhüten. Totimpfstoffe könne man bei entsprechender Indikation durchführen, für einen diaplazentaren Schutz könne eine Boosterimpfung in der 27. SSW durchaus sinnvoll sein. Nur die HPV-Impfung solle nicht in der Schwangerschaft durchgeführt werden. Auf einzelne Unterschiede zwischen SIKO- und STIKO-Empfehlung ging der Referent kurz ein, so den anders definierten Alterskorridor für die MMR-Impfung und die Zosterimpfempfehlung in Sachsen.

    Eine erste Bilanz der Ebolaepidemie zog Dr. Dr. Günter Pfaff, Stuttgart. Ihm ging es aus ÖGD-Sicht nach einem Rückblick auf die Fallzahlentwicklung vor allem um die Frage der Gefährdung der Bevölkerung in Deutschland. Insgesamt traten mit dem exit screening in den betroffenen Ländern nur wenige Fälle in Europa und den USA auf, die nicht Repatriierungsfälle waren. Deutschland hatte sich mit der Umrüstung eines Airbus „Robert Koch“ auf solche Transporte unter Isolationsbedingungen vorbereitet und in den Kompetenzzentren zahlreiche weitere Vorkehrungen getroffen. Die Stärkung der Surveillance und der Handlungsfähigkeit des öffentlichen Gesundheitsdienstes ist zur Vorbereitung auf eine neuerliche Bedrohungssituation erforderlich.

    Die Fragen in der anschließenden Expertenrunde aus Wissenschaftlichem Beirat und Vorstand waren erneut von der Versorgung der Asylsuchenden geprägt. Mehrere Teilnehmer konnten dazu eigene Erfahrungen beitragen, zum Beispiel zum erwartbaren Krankheitsspektrum.

    Aspekte der Abrechnung reisemedizinischer Leistungen steuerte dann Dr. Burkhard Rieke, Düsseldorf, bei. Ausgehend von den Regelungen einer veralteten, da nur kurativ ausgerichteten GOÄ wurden Abrechnungsvoraussetzungen wie die persönliche Leistungserbringung und die formal korrekte Rechnungsstellung erläutert, bei der insbesondere Kombinationsverbote und die Rahmenbedingungen der Sachkostenabrechnung zu beachten sind. Mehrfachansatz und Analogberechnung eröffnen gegenwärtig keine Möglichkeit zur adäquaten Bewertung einer ausführlichen reisemedizinischen Beratung. Im Zusammenhang mit gutachterlichen Leistungen einschließlich Tauglichkeitsbeurteilungen ist auch die Umsatzsteuerpflicht zu beachten, sofern nicht zur Kleinunternehmerregelung optiert wird. Es bleibt offen, ob eine GOÄ-Reform in naher Zukunft umgesetzt wird.

    Dr. iur Christiane Weidemann, Dresden, fasste anschließend rechtliche Aspekte der Reisemedizin zusammen und ging auf den Behandlungsvertrag, die Anforderungen an Risikoaufklärung und deren Dokumentation ein. Das Patientenrechtegesetz hat hier Neuerungen eingeführt, die auch die Offenlegung eigener und fremder Behandlungsfehler umfassen – ein im Plenum deutlich kritisierter Anspruch.


    DFR-Tagung 2016

    Die Teilnehmer verabschiedete anschließend Prof. Schmolz und lud gleichzeitig zum Folgetreffen am 23. und 24. September 2016 in Ludwigshafen ein. Eine vor allem praxisrelevante und thematisch vielseitige Jahrestagung ging zu Ende.

    Burkhard Rieke, Düsseldorf





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    Aktuelles Wissen über wichtige reisemedizinischen Themen von und mit Dr. Stefan Eßer, Prof. Tomas Jelinek, Dr. Uschi Suchitra Traub, Dr. Rosemarie Mazzola und Prof. Günter Schmolz.
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    Weitere Referenten auf der 18. DFR-Tagung waren unter anderem Andreas Kauzner, Dr. Ilse Janicke, Prof. Emil Reisinger und Dr. Martin Alberer.