Aktuelle Urol 2015; 46(04): 273-274
DOI: 10.1055/s-0035-1559852
Referiert und kommentiert
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Transplantation – Schwangerschaftshypertonie bzw. Präeklampsie nach Lebendnierenspende

Authors

    Rezensent(en):
  • Elke Ruchalla

Garg et al.
N Engl J Med 2015;
372: 124-133
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
30. Juli 2015 (online)

 

Lebendnierenspenden nehmen zu und häufiger spenden junge, gesunde Frauen. Hier stellt sich u. a. die Frage, ob durch die Lebendspende künftige Schwangerschaften beeinträchtigt werden können. Da nach einseitiger Nephrektomie die Nierenfunktion kurzfristig um ca. ein Drittel abnimmt und bei Frauen nach Nephrektomie aus anderen Gründen vermehrt Präeklampsien beobachtet wurden, haben Garg et al. diese Frage jetzt retrospektiv untersucht.
N Engl J Med 2015; 372: 124–133

mit Kommentar

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(Bild: Iurii Sokolov / Fotolia.com)

Die kanadischen Mediziner nahmen 85 Frauen nach einer Lebendnierenspende zwischen 1992 und 2010 und 510 gesunde Frauen in ihre retrospektive Fall-Kontroll- Studie auf. Dabei wurden Spenderinnen und Nicht-Spenderinnen im Verhältnis 1:6 im Hinblick auf Alter, Jahr der Schwangerschaft, Parität und Gesundheitszustand vor der Schwangerschaft verglichen.

Aus verschiedenen Datenbanken wurde dann die Häufigkeit von Schwangerschaftshypertonie oder Präeklampsie ab der 20. Schwangerschaftswoche bis zur 12. Woche postpartal berechnet (primärer Endpunkt). Sekundäre Endpunkte umfassten mütterliche und kindliche Sterblichkeit und neonatale Komplikationen.

Risiko bei Spenderinnen höher

Die Auswertung ergab in der Gruppe der Spenderinnen signifikant häufiger ein Ereignis des primären Endpunkts, und zwar

  • bei 15 von 131 Schwangerschaften (11 %)

  • im Vergleich zu 38 von 788 Schwangerschaften bei den Nicht-Spenderinnen (5 %)

entsprechend einem fast zweieinhalbmal so hohem Risiko. Auch die Einzelkomponenten für sich genommen traten nach Nierenspende häufiger auf.

Sekundäre Endpunkte unterschieden sich nicht signifikant zwischen den Gruppen, so war die Rate an Frühgeburten oder Kindern mit geringem Geburtsgewicht vergleichbar. Mütterliche und kindliche Todesfälle traten nicht auf.

Verschiedene Subgruppenanalysen zeigten dann, dass das Alter der Mutter besonders zu dem erhöhten Risiko der Spenderinnen beitrug:

  • Eine 32-jährige (oder ältere) Schwangere hatte nach einer Nierenspende ein mehr als 9-mal so hohes Risiko für eine Schwangerschaftshypertonie oder Präeklampsie wie eine gleichaltrige Nicht-Spenderin,

  • während das Risiko bei jüngeren Schwangeren etwa ausgeglichen war.

Fazit

Die Spende einer Niere kann das Risiko für Schwangerschaftshypertonie oder Präeklampsie in einer späteren Schwangerschaft deutlich erhöhen, obwohl insgesamt der überwiegende Teil der Schwangerschaften problemlos verlief. Diese Daten sollten Anlass sein, zukünftig junge Frauen vor einer Lebendnierenspende über dieses erhöhte Risiko aufzuklären. Ebenso könnte eine engmaschigere Überwachung der betroffenen Schwangerschaften sinnvoll sein.


Kommentar

Viele Parameter nicht berücksichtigt

Der Begriff der schwangerschaftsassoziierten Hypertonie umfasst mehrere Erkrankungen [ 1 ]. Bis heute besteht dabei keine international gültige Einigung bezüglich einer Definition der einzelnen Entitäten. Auch treten die beteiligten Faktoren (Hypertonie, Proteinurie, Ödeme, Veränderung von Retentions- und Leberparametern) in verschiedenen Kombinationen und zu unterschiedlichen Zeitpunkten der Schwangerschaft auf. Eine endgültige Diagnose kann daher oft erst nach Ende der Schwangerschaft gestellt werden. In praxi werden etwa 10 % aller Schwangerschaften durch eine Hypertonie kompliziert.

Eine Präeklampsie, auch EPH-Gestose oder Schwangerschaftstoxikose genannt, bezeichnet das Auftreten von Hypertonie, Proteinurie und Ödemen nach der 20. Schwangerschaftswoche. Bei vorbestehender Hypertonie, renalen Grunderkrankungen aber auch Adipositas kommt es gehäuft zum Auftreten einer Präeklampsie [ 2 ], [ 3 ]. Aus dieser heraus können sich wiederum 2 lebensbedrohliche Krankheitsbilder entwickeln: eine Eklampsie und / oder ein HELLP-Syndrom (HELLP: hemolysis elevated liver enzymes low platelets).

Pathogenetisch liegt eine Entwicklungsstörung des plazentaren Gefäßbettes zugrunde. So finden sich laborchemisch erhöhte Spiegel von Fibronectin und des Von-Wilbrand-Faktors als Marker der Endothelfunktionsstörung sowie Zeichen der Thrombozytenaktivierung und der Hyperkoagulabilität. Die Nierenbeteiligung entspricht einer Schwellung des glomerulären Endothels. Folge ist eine Proteinurie. Dies kann in Einzelfällen mit einem akuten Nierenversagen unklarer Prognose einhergehen, wobei der Residualzustand hauptsächlich vom renalen Gewebeschaden abhängt. So gilt bei einer Präeklampsie eine engmaschige Zusammenarbeit von Gynäkologen, Neonatologen und Nephrologen.

Die Nierenlebendspende wiederum ist ein höchst altruistischer Akt. Man spendet eine Niere einem nahestehenden Menschen, um bei diesem ein Fortschreiten der renalen Morbidität zu verhindern. Dabei sind natürlich auch junge Frauen im reproduktiven Alter gelegentlich Spenderinnen. Völlig unabhängig davon sind Nierenlebendspender jedoch grundsätzlich hochselektionierte, gesunde Patienten. Randomisierte Studien zur Nierenlebendspende verbieten sich aus ethischen Gründen. So bleiben als mögliche Informationsquelle vor allem retrospektive Studien. Doch inwieweit kann man von diesen allgemeingültige Schlüsse ziehen?

Garg und Kollegen haben eine statistisch sehr aufwendige Arbeit vorgelegt. Doch fehlen bei genauerer Betrachtung Angaben zu Blutdruck, Nierenfunktion, Körpergewicht und Medikation. Auch können infolge der verwandten Datenquelle („provincial health care data“ Kanada) keine Angaben zur Hautfarbe gemacht werden. Doch wäre auch dies von enormer Bedeutung, da das Auftreten einer Hypertonie nach Nierenlebendspende häufiger in der schwarzen als in der weißen Bevölkerung zu finden ist [ 4 ], [ 5 ], [ 6 ].

Zudem stellt sich die Frage nach einem Untersuchungs-Bias. Sind die Spenderinnen infolge ihrer „Einnierigkeit“ vielleicht überbewertet worden? Auch ist zum Screening der beiden Entitäten schwangerschaftsassoziierte Hypertonie und Präeklampsie lediglich ein „hospital-based diagnostic code“ verwandt worden. Die wahren dahinter stehenden Symptome, Blutdruck- und Laborparameter bleiben unbekannt. So reiht sich die Studie ein in die bis dato sehr widersprüchlichen Ergebnisse zur schwangerschaftsassoziierten Hypertonie und Präeklampsie bei Nierenlebendspenderinnen [ 7 ], [ 8 ].

Zusammengefasst gibt die vorliegende Studie für die klinische Tätigkeit bzw. die Aufklärung junger Lebendspenderinnen keinen wesentlicher Nutzen. Was sie jedoch gibt, ist ein akademischer Denkanstoß. So kann letztlich nur ein prospektiver Vergleich unter Beachtung aller zu bestimmenden, oben genannten Parameter klären, ob eine schwangerschaftsassoziierte Hypertonie bzw. Präeklampsie nach Nierenlebendspende häufiger auftritt.

Dr. Sandra Mühlstädt, Dr. Karl Weigand, Dr. Nasreldin Mohammed, Prof. Dr. Paolo Fornara, Halle (Saale)


Dr. Sandra Mühlstädt


ist Fachärztin an der Universitätsklinik für Urologie und Nierentransplantation, Martin-Luther-Universität, Halle / Saale

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Prof. Dr. Paolo Fornara


ist Direktor der Universitätsklinik für Urologie und Nierentransplantation, Martin-Luther-Universität, Halle / Saale

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(Bild: Iurii Sokolov / Fotolia.com)